European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBS00001.18G.0226.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der späteren Schuldnerin mehrmals, darunter in der Zeit vom 9. 2. 2004 bis 10. 6. 2005, als Arbeitnehmer beschäftigt. Dieses Dienstverhältnis unterlag dem BMSVG, die Schuldnerin hat jedoch für den genannten Zeitraum nie Beiträge an die Vorsorgekasse für den Kläger abgeführt.
Nach Abweisung eines Insolvenzeröffnungsantrags gegen die Dienstgeberin mangels Kostendeckung am 1. 6. 2015 stellte der Kläger am 21. 2. 2016 bei der Beklagten einen Antrag auf Insolvenz‑Entgelt für eine aus der Nichtzahlung der Beiträge resultierende Schadenersatzforderung in Höhe von 549 EUR netto.
In der gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten erhobenen Klage wird vorgebracht, der Anspruch errechne sich aus der Summe der vom Dienstgeber zu Unrecht einbehaltenen Beiträge. Dieser Betrag wäre dem Kläger nach § 24 Abs 1 BMSVG bei der (im Jahre 2016 tatsächlich erfolgten) Auszahlung einer Abfertigung als Kapitalbetrag zusätzlich zugekommen, es handle sich daher um einen gesicherten Schadenersatzanspruch.
Die Beklagte wandte ein, der Kläger mache in Wahrheit keinen Schadenersatz, sondern die Nachzahlung der offenen Beiträge gemäß § 6 Abs 1 BMSVG geltend. Die Sicherung solcher Beiträge sei aber in § 13d IESG ausdrücklich dahin geregelt, dass sie direkt an den für die Einhebung zuständigen Sozialversicherungsträger zu leisten seien. Aus der Qualifikation der Forderung als Schadenersatz sei für den Kläger nichts zu gewinnen, weil es nach dem IESG auf die ursprüngliche Rechtsnatur des Anspruchs ankomme. Darüber hinaus liege der Anspruchszeitraum außerhalb der gesetzlichen zweijährigen Sicherungsfrist.
Wolle man dennoch von einer Schadenersatzforderung ausgehen, sei der Anspruch verjährt, weil dem Kläger die Nichtzahlung der strittigen Beiträge aus den jährlichen Kontoinformationen der Vorsorgekasse bekannt oder zumindest erkennbar gewesen sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es sei unzulässig, die als solche bereits verjährten und nach § 13d IESG nicht gesicherten BMSVG‑Beiträge ergebnisorientiert in eine Schadenersatzforderung umzuqualifizieren, um die Grenzen der Sicherung nach dem IESG zu umgehen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision mangels einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung für zulässig.
Nach §§ 13a iVm 13d IESG seien Beiträge nach dem BMSVG grundsätzlich für einen Zeitraum von zwei Jahren gesichert, aber im Verfahren wie Sozialversicherungsbeiträge zu behandeln. Dem Arbeitnehmer stehe der Rechtsweg zu ihrer Geltendmachung nicht zur Verfügung.
Am ursprünglichen Anspruchsgrund ändere sich auch nichts, wenn der Kapitalbetrag der nicht entrichteten Beiträge stattdessen als Schadenersatzforderung tituliert werde. Weder könne damit die gesetzliche Auszahlungsbeschränkung umgangen, noch der (abgelaufene) Sicherungszeitraum erweitert werden. Hier liege auch der wesentliche Unterschied zum Fall eines Schadens wegen Nichtentrichtung von Pensionsversicherungsbeiträgen, der nach der Rechtsprechung gesichert sei (8 ObS 10/95).
In seiner Revision führt der Kläger aus, sein Anspruch sei nicht auf eine Nachzahlung der fehlenden Beiträge gerichtet, sondern ausschließlich auf die Zahlung der als Schaden zu qualifizierenden Differenz zwischen der 2016 erhaltenen, gemäß §§ 3 Z 3 und 15 BMSVG berechneten Abfertigung und jener, die er bei korrekter Dienstgeberbeitragszahlung erhalten hätte.
Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinne des Zulassungsausspruchs des Berufungsgerichts zur Klärung von bisher in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht eingehend behandelten Rechtsfragen zulässig. Das Rechtsmittel ist im Ergebnis aber nicht berechtigt.
1. Der Kläger gründet seinen Rechtsstandpunkt, bei dem geltend gemachten Anspruch handle es sich um eine nach dem IESG gesicherte Schadenersatzforderung, argumentativ auf die Entscheidung 8 ObS 10/95 (RIS‑Justiz RS0064097), mit der die Qualifikation der Pensionseinbuße eines Arbeitnehmers wegen vom Arbeitgeber unvollständig entrichteter Pensionsversicherungsbeiträge als nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG gesicherter Schadenersatzanspruch bestätigt wurde.
Die zitierte, nur knapp begründete und vereinzelt gebliebene Entscheidung ist aber aus den folgenden Überlegungen nicht einschlägig:
Zunächst ist auf die Besonderheit hinzuweisen, dass sich die Beklagte im Verfahren 8 ObS 10/95 in ihrer Revisionsbeantwortung dem Standpunkt des Klägers angeschlossen hatte und die maßgebliche Rechtsfrage zwischen den Parteien des Revisionsverfahrens daher nicht mehr strittig war.
Der vom Kläger begehrten Verallgemeinerung der Entscheidung 8 ObS 10/95 steht auch die jüngere Rechtsprechung zum Thema „Pensionsschaden“ (8 ObS 14/05z, 8 ObA 66/09b) entgegen.
Bereits in der Entscheidung 8 ObS 14/05z hat der Oberste Gerichtshof festgehalten, dass der Nachteil aus der Nichterfüllung einer vom Arbeitgeber gegenüber Dritten zu leistenden Zahlungspflicht (dort: Leistung des Deckungserfordernisses an eine Pensionskasse) nicht einfach auf die Bestimmung des § 1 Abs 2 Z 2 IESG („Schadenersatzansprüche“) gestützt werden kann. Besteht ein vertraglicher Anspruch des Klägers gegen seinen ehemaligen Dienstgeber auf Leistung, ändert die Nichterfüllung dieser Verpflichtung an der ursprünglichen Rechtsnatur dieses Anspruchs nichts. Wäre der Rechtsgrund gesicherter Ansprüche beliebig austauschbar, könnte also der Arbeitnehmer immer eine vom Arbeitgeber nicht erfüllte vertragliche Verpflichtung zum Anlass nehmen, diesen nicht erfüllten Anspruch als „Schadenersatzanspruch“ im Sinne des § 1 Abs 2 Z 2 IESG zu bezeichnen, könnten auf diesem Weg sämtliche Anspruchsbegrenzungen des IESG unterlaufen werden (s auch 8 ObS 19/98x). Die Nichterfüllung eines vertraglichen Anspruchs durch den Arbeitgeber kann nur unter den dafür speziell vorgesehenen Tatbestand des IESG subsumiert werden. Dem Arbeitnehmer steht es nicht frei, anstelle des primären Vertragsanspruchs Schadenersatz zu begehren, um die zeitlichen und betraglichen Limitierungen des IESG zu umgehen (8 ObS 14/05z).
Grundsätzlicher Zweck des BMSVG ist die Auslagerung der Abfertigungsverpflichtung (Abfertigung alt) des Arbeitgebers auf rechtlich selbständige Mitarbeiter‑Vorsorgungskassen zur Optimierung der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen des Abfertigungsrechts (ErlRV 1131 BlgNR 21. GP 45). Die Beitragseinhebung erfolgt im Verwaltungsverfahren nach dem ASVG durch den Träger der Krankenversicherung, die Veranlagung durch eine ausgelagerte Kasse. Der Krankenversicherungsträger hat die dem Lohnzettel entsprechenden Beiträge dabei unabhängig von deren tatsächlichen Zahlung an den Arbeitgeber an die Kasse zu überweisen (§ 27 Abs 8 iVm Abs 5 BMSVG).
Darüber hinaus erfolgt eine Absicherung der Beiträge nach dem IESG insoweit, als der Insolvenz‑Entgelt‑Fonds dem Krankenversicherungsträger die offenen Beiträge der letzten zwei Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw dem gemäß § 1 Abs 1 IESG gleichgestellten Zeitpunkt zu leisten hat (§§ 13d Abs 1 iVm 13a IESG). Der Oberste Gerichtshof geht davon aus, dass diese Beiträge – auch wenn keine entsprechende Meldung vorgelegen ist – an die Kasse zu leisten sind und Arbeitnehmern insoweit auch die Möglichkeit der Erhebung einer Feststellungsklage offen steht (vgl 8 ObS 5/09g, 8 ObS 8/16h). Für die letzten zwei Jahre („Beitragsjahre“) ist damit also das Arbeitnehmern im Hinblick auf die Verletzung von Meldepflichten verbleibende Restrisiko (vgl Sundl in Reissner, Arbeitsverhältnis und Insolvenz5 458) auch bei der Abfertigung neu durch das IESG abgesichert.
Das IESG sieht also für die Sicherung der Abfertigung alt die Absicherung nach § 1 Abs 2 Z 1 und Abs 4a IESG und für die Abfertigung neu die Absicherung nach §§ 1b (für Überweisungsbeträge) und 13d IESG (für offene Beiträge) vor (Liebeg, IESG5 § 13d Rz 6).
Nach der ständigen Rechtsprechung muss ein gegen den Insolvenz‑Entgelt‑Fonds geltend gemachter Anspruch einer der in § 1 Abs 2 IESG normierten Anspruchsarten, die der Gesetzgeber als gesichert anerkannt hat, zugeordnet werden; eine Umgehung ist unzulässig (RIS‑Justiz RS0120409; 8 ObS 6/11g; 8 ObS 11/11g). Wenn im IESG eine „speziellere“ Regelung besteht, kann nicht auf die „allgemeinere“ Regelung betreffend allfällige Schadenersatzansprüche nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG zurückgegriffen werden (RIS‑Justiz RS0120409).
Die in der Revision für deren gegenteiligen Standpunkt zitierten Autoren (Mader in DRdA‑infas 2016, 54; Sundl in ASoK 2003, 186), die sich zugunsten einer unbegrenzten Sicherung der außerhalb des Zeitraums nach § 13d IESG rückständigen Beiträge als Schadenersatzforderungen aussprechen, berufen sich auf das Ergebnis der Entscheidung 8 ObS 10/95, überzeugen aber insoweit nicht. Die – gegenüber arbeitsrechtlichen Ansprüchen gegen den Dienstgeber engeren – Grenzen der Sicherung nach dem IESG, insbesondere der Grundsatz der Spezialität der Anspruchsarten und ihrer Beschränkungen – die auch nicht Gegenstand der Entscheidung 8 ObS 10/95 waren – finden darin keine Berücksichtigung.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Allfällige Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG – insbesondere wirtschaftliche Gründe – hat der Revisionswerber nicht vorgebracht (vgl RIS-Justiz RS0085829).
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