European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:008OBS00010.15A.0929.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.540,44 EUR (darin enthalten 256,74 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger wurde am 27. 12. 2011 zum 15. 2. 2015 von seiner ehemaligen Arbeitgeberin und der späteren Schuldnerin gekündigt. Am 3. 1. 2012 brachte er beim Landesgericht Klagenfurt als Arbeits‑ und Sozialgericht eine Klage auf Anfechtung der Kündigung ein. Mit rechtskräftigem Urteil vom 9. 12. 2013 wurde der Klage stattgegeben und die Kündigung für rechtsunwirksam erklärt.
Zuvor, nämlich mit Beschluss vom 20. 6. 2013, wurde zu AZ ***** des Landesgerichts Klagenfurt über das Vermögen der ehemaligen Arbeitgeberin des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger meldete die hier zugrunde liegenden Entgeltansprüche im Insolvenzverfahren an, die vom Insolvenzverwalter schließlich anerkannt wurden. Am 28. 6. 2013 wurde der Betrieb der Schuldnerin geschlossen. Am 22. 7. 2013 erklärte der Kläger gemäß § 25 IO seinen Austritt aus dem Arbeitsverhältnis. Am 6. 8. 2013 fand die Berichtstagsatzung statt.
Mit Bescheid vom 7. 11. 2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Insolvenzentgelt für die hier zugrunde liegenden Ansprüche (laufendes Entgelt und Urlaubszuschuss für den Zeitraum 16. 2. 2012 bis 30. 11. 2012) ab. Das vom Kläger für den Zeitraum ab 1. 12. 2012 sowie für die beendigungsabhängigen Ansprüche beantragte Insolvenzentgelt hat die Beklagte hingegen anerkannt und ausbezahlt.
Der Kläger begehrte Insolvenzentgelt in Höhe von 26.184 EUR. Auch die zugrunde liegenden Ansprüche seien gemäß § 3a Abs 1 IESG gesichert. Bei der Kündigungsanfechtungsklage handle es sich nämlich um eine gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche. Aus diesem Grund komme es auf den Sicherungszeitraum (Fälligkeit innerhalb von sechs Monaten vor dem Stichtag) nicht an. § 3a Abs 1 IESG verlange nicht die Einbringung einer Leistungsklage, sondern nur die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens. Erst mit dem stattgebenden Anfechtungsurteil habe er einen Rechtsanspruch auf das laufende Entgelt ab 16. 2. 2012 erlangt. Bis zur Beendigung des Anfechtungsverfahrens hätte er diese Ansprüche nicht klagsweise geltend machen können. Die zugrunde liegenden Ansprüche seien daher erst nachträglich entstanden.
Die Beklagte entgegnete, dass die zugrunde liegenden Ansprüche nicht gesichert seien, weil sie mehr als sechs Monate vor dem Stichtag (hier Insolvenzeröffnung) fällig geworden seien. Mit der Kündigungsanfechtungsklage seien keine offenen Entgeltansprüche geltend gemacht worden; diese Klage sei mit keinem Zahlungsbegehren verbunden gewesen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Durch eine erfolgreiche Kündigungsanfechtung lebe das Arbeitsverhältnis mit all seinen Rechten und Pflichten rückwirkend wieder auf. Auch in Bezug auf die Fälligkeit sei so vorzugehen, als wäre eine Kündigung nie erfolgt. Die Fälligkeit sei daher jeweils monatlich im Nachhinein eingetreten. Die zugrunde liegenden Ansprüche seien daher außerhalb des sechsmonatigen Sicherungszeitraums gelegen. Die Kündigungsanfechtungsklage erfülle nicht das von § 3a Abs 1 IESG geforderte Kriterium der gerichtlichen Geltendmachung. Eine Leistungsklage habe der Kläger nicht erhoben. Einer solchen Klage könnten nur Rechtshandlungen des Arbeitnehmers gleich gehalten werden, die direkt auf Leistung des offenen Entgelts gerichtet oder mit denen Anträge verbunden seien, die die ausdrücklich erklärte Absicht auf Geltendmachung von Entgelt beinhalten würden. Dies gelte etwa für einen Antrag auf Bestellung eines Abwesenheitskurators mit der erklärten Absicht, gegen den Kurator Ansprüche auf rückständiges Entgelt einzufordern. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Für den Kläger wäre es daher geboten gewesen, neben der Anfechtungsklage auch eine Leistungsklage auf Zahlung der hier offenen Entgelte zu erheben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, dass es dem Klagebegehren stattgab. Das Berufungsgericht schließe sich der Rechtsauffassung des Erstgerichts nicht an, wonach die Entgeltansprüche für die Zeit während des Anfechtungsverfahrens laufend entstanden bzw fällig geworden seien. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf laufendes Entgelt entstehe grundsätzlich mit der Leistungserbringung. Maßgebend sei das Synallagma zu den vom Arbeitnehmer tatsächlich erbrachten Leistungen. Im Fall der erfolgreichen Kündigungsanfechtung entstehe der dem Kläger gemäß § 1155 ABGB zustehende Entgeltanspruch nicht laufend mit jedem Tag der Arbeitsbereitschaft, sondern erst mit der dem Anfechtungsbegehren stattgebenden gerichtlichen Entscheidung. Es sei daher davon auszugehen, dass der Kläger seine Ansprüche mit der Kündigungsanfechtungsklage einerseits schon vor deren Entstehen und andererseits auch durch die Anmeldung im Insolvenzverfahren gerichtlich geltend gemacht habe. Von einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Beklagten sei nicht auszugehen. Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob die Einbringung eine Kündigungsanfechtungsklage einer gerichtlichen Geltendmachung iSd § 3a Abs 1 IESG entspreche, höchstgerichtliche Judikatur fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine Abweisung des Klagebegehrens abzielt.
Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil die Frage, wann die Entgeltansprüche des Arbeitnehmers für die Zeit während des Anfechtungsverfahrens im Fall einer erfolgreichen Kündigungsanfechtung entstehen und fällig werden, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht geklärt ist. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
1.1 Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde von der späteren Schuldnerin zum 15. 2. 2012 gekündigt. Der Klage liegen die Ansprüche auf laufendes Entgelt und Urlaubszuschuss für den Zeitraum vom 16. 2. 2012 bis 30. 11. 2012 zugrunde. Diese Ansprüche betreffen die Zeit während des Verfahrens auf Anfechtung der Kündigung nach § 105 ArbVG.
1.2 Der Kläger sieht die Kündigungs ‑ anfechtungsklage als gerichtliche Geltendmachung der Entgeltansprüche iSd § 3a Abs 1 IESG.
Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass die Entgeltansprüche für die Zeit während des Anfechtungsverfahrens im Fall der Klagsstattgebung zeitabschnittsbezogen „mit jedem Tag“ der Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers fällig würden. Nach Ansicht der Beklagten sind die zugrunde liegenden Ansprüche demnach nicht in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag (hier Insolvenzeröffnung) fällig geworden.
Das Berufungsgericht geht demgegenüber davon aus, dass es für das Entstehen des Anspruchs auf laufendes Entgelt auf das Synallagma zu den vom Arbeitnehmer tatsächlich erbrachten Leistungen, also auf die tatsächliche Leistungserbringung ankomme. Im Fall der erfolgreichen Kündigungsanfechtung entstehe der dem Kläger gemäß § 1155 ABGB zustehende Entgeltanspruch daher nicht laufend mit jedem Tag der Arbeitsbereitschaft, sondern erst mit der dem Anfechtungsbegehren stattgebenden gerichtlichen Entscheidung.
2.1 Allgemein wird mit Wirksamwerden der Kündigung (zum Kündigungstermin) das Arbeitsverhältnis beendet. Wird der Anfechtungsklage (nach § 105 ArbVG) rechtskräftig stattgegeben, so wird die Kündigung für rechtsunwirksam erklärt. Sie wird ex tunc vernichtet. Das Arbeitsverhältnis lebt mit all seinen Rechten und Pflichten rückwirkend wieder auf. Dies bedeutet, dass die Zeit zwischen Ablauf der Kündigungsfrist und Rechtsunwirksamerklärung der Kündigung auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses anzurechnen ist und das Arbeitsverhältnis wieder aufrecht ist ( Rebhahn , Die Rechtslage während eines arbeitsrechtlichen Kündigungsprozesses, DRdA 1988, 16). Den Entgeltausfall für den Zeitraum während des Anfechtungsverfahrens hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gemäß § 1155 ABGB zu ersetzen ( Wolligger in ZellKomm² § 105 ArbVG Rz 251).
2.2 § 1155 ABGB kommt somit auch bei erfolgreicher Anfechtung der Kündigung oder Entlassung nach §§ 105 f ArbVG zum Tragen. Gibt das Gericht der Anfechtungsklage statt, so muss der Arbeitgeber für die Dauer des Verfahrens das Entgelt nach § 1155 ABGB nachzahlen. Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf das Entgelt, das ihm gebühren würde, wenn er die Dienste verrichtet hätte ( Rebhahn in ZellKomm² § 1155 ABGB Rz 10, 36 und 44; Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 § 1155 ABGB Rz 22 und 26).
Gibt schon das Erstgericht der Anfechtung statt, so hat der Arbeitnehmer aufgrund der vorläufigen Wirksamkeit des Urteils gemäß § 61 ASGG sogar schon während des laufenden Verfahrens Anspruch auf das Entgelt nach § 1155 ABGB, allerdings nur vorläufig. Wird die Anfechtungsklage später endgültig abgewiesen, so muss der Arbeitnehmer die für die Dauer des Prozesses erhaltenen Beträge zurückzahlen ( Rebhahn in ZellKomm² § 1155 ABGB Rz 10 und 36). Die Folge dieser vorläufigen Verbindlichkeitswirkung besteht darin, dass das Arbeitsverhältnis vorläufig als fortbestehend fingiert wird, was die vorläufige Anwendbarkeit des § 1155 ABGB ermöglicht, der ein Bestehen des Arbeitsverhältnisses voraussetzt (9 ObA 283/99d = DRdA 2000/51 [ Rebhahn ]).
3.1 Die vorläufige Verbindlichkeitswirkung des erstinstanzlichen Urteils nach § 61 ASGG ist eine spezielle verfahrensrechtliche Anordnung (hier) in Bezug auf ein stattgebendes, noch nicht rechtskräftiges erstinstanzliches Anfechtungsurteil. Rebhahn weist im gegebenen Zusammenhang darauf hin, dass aufgrund dieser gesetzlichen Anordnung der Arbeitnehmer sogar schon während des laufenden Anfechtungsverfahrens Anspruch auf das Entgelt nach § 1155 ABGB habe.
Die vorläufige Zahlungspflicht des Arbeitgebers ist an das stattgebende Ersturteil geknüpft. Daraus erhellt, das Rebhahn nicht von einer laufenden, zeitabschnittsbezogenen Fälligkeit der Entgeltansprüche während des laufenden Anfechtungsverfahrens, sondern davon ausgeht, dass die Fälligkeit erst mit Wirksamwerden des Anfechtungsurteils eintritt. Dementsprechend führt Rebhahn an anderer Stelle (DRdA 1988, 16) aus, dass die rechtskräftige Aufhebung der Kündigung dem Arbeitnehmer grundsätzlich den Anspruch auf Nachzahlung des Entgelts gebe, wobei Anspruchsgrundlage § 1155 ABGB sei. Die Anfechtung gebe dem Arbeitnehmer weder einen Anspruch auf tatsächliche Weiterbeschäftigung noch auf Zahlung des laufenden Entgelts. Letzteres stimme damit überein, dass die Aufhebung der Kündigung als rechtsgestaltende Entscheidung qualifiziert werde. Rechtsgestaltende Entscheidung bedeute, dass erst die Aufhebung (Rechtsunwirksamerklärung) die Rechtslage verändere, möge sie auch zurückwirken.
3.2 Diese Ansicht ist zutreffend: § 1155 ABGB begründet im Fall eines stattgebenden Anfechtungsurteils eine Nachzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers. Die Nachzahlungsverpflichtung ist an das Wirksamwerden des stattgebenden Anfechtungsurteils geknüpft. Abgesehen von der Sonderregel des § 61 ASGG kommt es dafür auf die Rechtskraft des Anfechtungsurteils an. Das effektive, unwiderrufliche Wiederaufleben des Arbeitsverhältnisses erfolgt erst durch dieses Urteil. Weder § 61 ASGG noch § 1155 ABGB sprechen für eine zeitabschnittsbezogene (tägliche oder monatliche) Fälligkeit der laufenden Entgeltansprüche schon während des Anfechtungsverfahrens.
Richtig ist, dass der Anspruch auf laufendes Entgelt mit der Erfüllung der Dienstpflicht entsteht. Diese mag primär in der Erbringung der Arbeitsleistung liegen. Allerdings ist das funktionelle Synallagma im Arbeitsvertrag durch zahlreiche Ausnahmen durchbrochen ( Rebhahn in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.02 § 1152 ABGB Rz 43 und 44). Für den Erfüllungsanspruch nach § 1155 ABGB kommt es grundsätzlich darauf an, dass der Umstand für das Unterbleiben der Arbeitsleistung in der Sphäre des Arbeitgebers gelegen ist. Maßgebend ist daher im Allgemeinen die Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers ( Rebhahn in ZellKomm² § 1155 ABGB Rz 30), die bei einer Anfechtungsklage grundsätzlich durch die Klagsführung zum Ausdruck gelangt. Umstände, warum dies hier nicht der Fall sein soll, sind nicht ersichtlich.
3.3 Als Ergebnis lässt sich somit festhalten, dass im Fall einer erfolgreichen Kündigungsanfechtung die nach § 1155 ABGB nachzuzahlenden Entgeltansprüche (Erfüllungsansprüche) allgemein (ungeachtet des § 61 ASGG) mit der Rechtskraft des stattgebenden Anfechtungsurteils fällig werden. Für den Anlassfall bedeutet dies, dass die zugrunde liegenden Ansprüche an sich erst im Dezember 2013 fällig geworden wären. Da das Arbeitsverhältnis schon früher, nämlich am 22. 7. 2013 durch Austritt des Klägers geendet hat, sind die in Rede stehenden Ansprüche mit diesen Zeitpunkt fällig geworden (§ 1154 Abs 3 ABGB; Rebhahn/Ettmayer in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 § 1154 ABGB Rz 13).
4. § 3a Abs 1 IESG betrifft sicherungsfähige Ansprüche aus der Zeit „vor der Insolvenz“. Einen solchen Anspruch hat der Arbeitnehmer nur dann, wenn er bereits vor der Insolvenz eine fällige Geldforderung hatte (8 ObS 4/14t).
Das Berufungsgericht weist an sich richtig darauf hin, dass zwischen Entstehen eines Leistungsanspruchs und dessen Fälligkeit zu unterscheiden ist. Für die hier in Rede stehenden Ansprüche ergibt sich in dieser Hinsicht allerdings kein Unterschied. Außerdem ist die Möglichkeit zur (gerichtlichen) Geltendmachung regelmäßig von der Fälligkeit abhängig. Die zugrunde liegenden Ansprüche wären somit nach § 3a Abs 2 Z 1 IESG gesichert. Die Sicherungsfähigkeit der Ansprüche für den Fall der Unrichtigkeit ihres Rechtsstandpunkts (zeitabschnittsbezogene Fälligkeit auch während des Anfechtungsverfahrens) bestreitet die Beklagte im Übrigen nicht.
Dies führt zur Bestätigung des angefochtenen Urteils des Berufungsgerichts.
5. Die weitere Frage, ob die Anfechtungsklage eine gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche nach § 3a Abs 1 IESG darstellt, muss nicht mehr geklärt werden. Dazu wird nur allgemein auf die Ausführungen von Rebhahn verwiesen, wonach die Anfechtungsklage und das stattgebende Anfechtungsurteil das Leistungsbegehren des Arbeitnehmers auf Nachzahlung des laufenden Entgelts nicht umfassten. Der Arbeitnehmer müsse zusätzlich eine Leistungsklage einbringen (DRdA 1988, 16).
Damit ist aber noch nichts über die Frage ausgesagt, ob durch die Anfechtungsklage außer den materiell‑rechtlichen Verjährungs- und Ausschluss- bzw Verfallfristen (8 ObA 21/12i) allenfalls auch formelle Klagsfristen unterbrochen werden. Entgegen den Überlegungen der Beklagten kommt der Rechtsprechung zu 8 Ob 21/12i vor allem bei einem abweisenden Anfechtungsurteil oder für Ansprüche, die schon vor der Kündigungsanfechtung fällig geworden sind, Bedeutung zu.
6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG.
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