OGH 8ObA88/21f

OGH8ObA88/21f25.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Karl Reiff (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johannes Graf (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 5020 Salzburg, Dr.‑Franz‑Rehrl‑Platz 5, vertreten durch Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei F*, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 126.644,58 EUR und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. August 2021, GZ 11 Ra 42/21g‑34, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 9. Februar 2021, GZ 11 Cga 5/18y‑31, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00088.21F.0525.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.455,20 EUR (darin enthalten 409,20 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Bei einem nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG einem Arbeitsunfall gleichgestellten Unfall am Hof des Beklagten wurde J* verletzt.

[2] Im ersten Rechtsgang bestätigte der Oberste Gerichtshof die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, dass dem Beklagten grobe Fahrlässigkeit an diesem Unfall zur Last zu legen sei. Dementsprechend wurde mit Teilzwischenurteil der geltend gemachte Regressanspruch nach § 334 ASVG als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt.

[3] Die bisherige Rechtsprechung zur Höhe eines solchen Ersatzanspruchs, nach der im Regressverfahren nach § 334 ASVG im Hinblick auf den Umfang des Aufwandsersatzanspruchs des Sozialversicherungsträgers eine Bindung an den Bescheid über die Gewährung der Leistung besteht, wurde für die Fälle, in denen der Schädiger an diesem Verfahren nicht beteiligt ist, nicht aufrecht erhalten.

[4] Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung und zur Erörterung des bisherigen Vorbringens des Beklagten wurden die Urteile der Vorinstanzen hinsichtlich der Entscheidung über das Feststellungsbegehren aufgehoben und zur Entscheidung darüber und über die Höhe des Ersatzanspruchs an das Erstgericht zurückverwiesen.

[5] Die Klägerin begehrt im zweiten Rechtsgang nach Ausdehnung die Zahlung von 126.644,58 EUR sA aus erbrachten Versicherungsleistungen und die Feststellung der Haftung des Beklagten gegenüber der Klägerin für die von ihr in Zukunft zu erbringenden Leistungen aus dem Unfall.

[6] Der Beklagte bestreitet und bringt vor, eine Versehrtenrente im Ausmaß von 40 % stehe dem Verletzten nicht zu. Er weise keine unfallkausalen Beeinträchtigungen mehr auf. Der Beklagte habe keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die von der Klägerin erbrachten Leistungen nach den Bestimmungen des ASVG erfolgt seien. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei aber abweichend vom eingeholten Gutachten festgestellt worden, was nicht nachvollziehbar sei. Freiwillige Leistungen nach § 198 ASVG seien nicht zu ersetzen.

[7] Das Erstgericht gab auch im zweiten Rechtsgang der Klage statt. Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten nicht Folge.

[8] Beide Vorinstanzen gingen davon aus, dass kein Fehlverhalten der Klägerin bei Prüfung und Festsetzung der dem Verunfallten zustehenden Leistungen festzustellen sei. Auch typisiert freiwillige Leistungen seien nach dem ASVG zu gewährende Leistungen, die vom originären Ersatzanspruch des § 334 ASVG umfasst seien.

[9] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil zur Frage, welche Konsequenzen aus dem Teilzwischenurteil für Regressprozesse nach § 334 ASVG resultieren, bislang noch keine weiterführende Rechtsprechung existiere. Auch sei ungeklärt, von welcher konkreten wechselseitigen Behauptungs‑ und Beweislast für typisiert freiwillige Leistungen, für die keine Bescheiderlassungspflicht bestehe, auszugehen sei.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, das Urteil dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

[12] Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Der Beklagte wendet sich im Wesentlichen dagegen, dass ihm eine Behauptungs‑ und Beweislast für Fehler der Klägerin im Rahmen des Verfahrens vor der Unfallversicherung auferlegt werde.

[14] Diesbezüglich kann auf die Entscheidung des erkennenden Senats im ersten Rechtsgang verwiesen werden. In dieser wurde ausgeführt: „Da der Bescheid jedoch die Verpflichtung des Sozialversicherungsträgers zur Erbringung von Leistungen und damit den zu tragenden Aufwand für den Sozialversicherungsträger gegenüber dem Geschädigten bindend regelt, entspricht die dort festgelegte Höhe grundsätzlich dem tatsächlichen Aufwand des Sozialversicherungsträgers im Hinblick auf die nach dem ASVG zu gewährenden Leistungen im Sinn des § 334 ASVG. Der Schädiger kann jedoch einwenden, dass dem Sozialversicherungsträger eine vorwerfbare Obliegenheitsverletzung bei Prüfung dieser Ansprüche zur Last zu legen ist, bei deren Einhaltung der Aufwand geringer gewesen wäre.“ (8 ObA 7/19s Pkt 9)

[15] Richtig sind die Vorinstanzen daher davon ausgegangen, dass im Regressprozess nicht allein der Umstand, dass das Ergebnis des Rentenprozesses allenfalls unrichtig sein könnte, ausreicht, um die Ersatzverpflichtung des Schädigers zu verringern, sondern zusätzlich vorausgesetzt ist, dass dieses unrichtige Ergebnis aus einem fehlerhaft abgeführten Verfahren resultiert, wofür den Schädiger die Behauptungs‑ und Beweislast trifft. Die vom Beklagten angesprochene Rechtsfrage wurde daher bereits im ersten Rechtsgang geklärt.

[16] Die Klägerin hat den Verfahrensgang im sozialversicherungsrechtlichen Leistungsverfahren auch offengelegt und so dem Beklagten eine Prüfung im Hinblick auf allfällige Verfahrensfehler ermöglicht.

[17] 2. Entgegen der Revision muss auch nicht darauf eingegangen werden, wie im Fall des Nachweises eines allenfalls fehlerhaften sozialversicherungsrechtlichen Verfahrensweiter vorzugehen ist, da die Vorinstanzen vertretbar ein solches verneint haben.

[18] Dass das eingeholte medizinische Gutachten vor Bescheiderlassung routinemäßig von einem Chefarzt bei der Klägerin kontrolliert wird, bedeutet nicht, dass das Leistungsverfahren nicht ordnungsgemäß abgeführt wurde. Im Gegenteil gewährleistet eine solche standardisierte fachliche Kontrolle, dass Gutachten nicht ungeprüft in den Bescheid übernommen werden. Dabei ist auch nicht zu beanstanden, dass Kontrollorgane bei allfälligen Fehlern korrigierend eingreifen können und eine Überprüfung auch zu einer abweichenden Beurteilung des Anspruchs führen kann. Auch der Beklagte behauptet nicht, dass es dem im konkreten Fall eingesetzten Chefarzt an der Kompetenz oder der fachlichen Eignung für eine solche Beurteilung fehlt. Insoweit liegt auch nicht – wie die Revision behauptet – nur ein medizinisches Gutachten vor, sondern erfolgte tatsächlich eine zweite – chefärztliche – Begutachtung. Da sich für den prüfenden Chefarzt die Unrichtigkeit des Erstgutachtens bereits aus den Befunden und Röntgenbildern ergeben hat, begründet es auch keine Fehlerhaftigkeit, dass keine weitere persönliche Untersuchung durchgeführt wurde.

[19] Das Verfahren hat somit keine Anhaltspunkte für eine unzureichende Prüfung der Ansprüche des Verletzten durch die Klägerin ergeben.

[20] 3. Ob sogenannte „überschießende“ Feststellungen in den Rahmen des geltend gemachten Rechtsgrundes oder der Einwendungen fallen und daher zu berücksichtigen sind, ist eine Frage des Einzelfalles (RS0037972 [T15]).

[21] Die Auslegung des Berufungsgerichts, das Vorbringen, dass die Anschaffung eines landwirtschaftlichen Arbeitsgeräts „vorfallskausal“ im Rahmen der beruflichen Rehabilitation erfolgte, decke auch die Feststellung, dass diese auf unfallkausale Schmerzen der beim Unfall verletzten rechten Hand zurückzuführen sei, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.

[22] 4. Nach § 198 ASVG soll der Versehrte durch die beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation in die Lage versetzt werden, seinen früheren oder, wenn dies nicht möglich ist, einen neuen Beruf auszuüben. Die beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation umfassen nach Abs 2 Z 2 die Gewährung von Zuschüssen, Darlehen und/oder sonstigen Hilfsmaßnahmen zur Ermöglichung der Fortsetzung der Erwerbstätigkeit.

[23] Lehre und Judikatur werten berufliche Rehabilitationsmaßnahmen nicht als (rein) freiwillige Leistungen, sondern aufgrund des „pflichtgemäßen Ermessens“ des Sozialversicherungsträgers bei Beurteilung der erforderlichen Rehabilitationsmaßnahmen als Pflichtleistungen (2 Ob 163/08x mwN). Diese bewirken als „nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zustehende Leistungen“ nach § 332 Abs 1 ASVG mit tatsächlicher Leistungserbringung den Übergang kongruenter Ersatzansprüche des Verletzten auf den Sozialversicherungsträger (vgl RS0084899).

[24] § 334 ASVG sieht einen Ersatz für „alle nach diesem Bundesgesetz zu gewährenden Leistungen“ vor. Der Regressanspruch des Sozialversicherungsträgers gemäß § 334 ASVG ist nach ständiger Rechtsprechung originärer Natur. Es handelt sich somit nicht um einen abgeleiteten Anspruch, der gemäß § 332 ASVG auf den Sozialversicherungsträger übergeht, sondern um einen solchen kraft eigenen Rechts. Da aber auch die nach „pflichtgemäßen Ermessens“ des Sozialversicherungsträgers zu erbringende Leistungen nach § 198 Abs 2 ASVG solche im Rahmen des Gesetzes sind, sind auch sie nach § 334 Abs 1 ASVG vom Schädiger zu ersetzen.

[25] Warum diese von den Vorinstanzen vertretene Rechtsauffassung unrichtig sein soll, wird in der Revision nicht aufgezeigt.

[26] 5. Das Berufungsgericht ist weiters davon ausgegangen, dass der Beklagte weder die Unfallskausalität noch die pflichtgemäße Ermessensausübung bei der Leistungsgewährung bestritten hat. Dagegen wendet sich die Revision nicht, weshalb darauf nicht eingegangen werden muss.

[27] 6. Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision des Beklagten zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

[28] 7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO, wobei ein geringfügiger Rechenfehler zu berichtigen war. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte