OGH 8ObA69/23i

OGH8ObA69/23i11.1.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker(aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in derArbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. M*, vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl Partner Rechtsanwälte in Salzburg, und der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch die Niederhuber & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, Bildungsdirektion für Salzburg, 5010 Salzburg, Mozartplatz 8–10, vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen 7.749,63 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichtin Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. August 2023, GZ 12 Ra 37/23g‑39, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. März 2023, GZ 19 Cga 29/21s-33, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00069.23I.0111.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das klagsstattgebende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.458,67 EUR (darin 243,11 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.526,75 EUR (darin 166,79 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Obwohl der Kläger das gesamte Jahr 2000 bei der Beklagten als Lehrer beschäftigt war, meldete der Landesschulrat für Salzburg die Beitragsgrundlagen nur für die Monate Jänner bis April und Dezember. Nachdem der Kläger diesen Fehler erkannte, stellte die Nebenintervenientin mit Bescheid vom 2. 11. 2020 fest, dass der Kläger auch in den Monaten Mai bis November 2000 der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterlag, woraus sich eine Nachzahlung von (aufgewertet) 7.749,63 EUR ergab. Die dagegen erhobene Beschwerde des Klägers, mit welcher er geltend machte, dass die Beiträge von der Beklagten bereits entrichtet worden seien, wurde mit Beschwerdevorentscheidung vom 1. 2. 2021 als unbegründet abgewiesen, woraufhin der Kläger die von der Nebenintervenientin bekannt gegebene Nachzahlung leistete. Da die Beitragszahlungen der Beklagten für alle Bediensteten gemeinsam erfolgten und nicht aufgegliedert wurden, konnte nicht festgestellt werden, ob die Beklagte Beiträge für die Monate Mai bis November 2000 abgeführt hat oder nicht. Bei einer Entrichtung hatte sich aber nach dem Vorbringen der Nebenintervenientin eine Differenz zwischen Beitragskonto und gemeldeter Beitragsgrundlagen ergeben.

[2] Der Kläger begehrt von der Beklagten und der Nebenintervenientin 7.749,63 EUR, weil entweder die Beklagte die Beiträge nicht abgeführt oder die Nebenintervenientin diese Beiträge nicht verbucht habe, sodass eine solidarische Haftung bestehe. Das Verfahren gegen die Nebenintervenientin wurde unterbrochen.

[3] Die Beklagte wendet ein, dass sämtliche Beiträge ordnungsgemäß an die Nebenintervenientin abgeführt worden seien. Der Kläger habe seine Rettungspflicht verletzt, weil er den Bescheid der Nebenintervenientin nicht weiter bekämpft habe.

[4] Die Nebenintervenientin brachte vor, dass sie für die Zeit von Mai bis November 2000 keine Beiträge erhalten habe.

[5] Das Erstgericht gab der Klage statt, weil die Beklagte die Beweislast dafür trage, dass sie die Beiträge abgeführt hat.

[6] Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass die Klage abgewiesen wurde. Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass die Beklagte die Beiträge nicht entrichtet habe.

[7] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, mit welcher er die Abänderung des angefochtenen Urteils dahin anstrebt, dass der Klage stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[8] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zur Frage zulässig, wer für eine Nachzahlung haftet, wenn aufgrund einer Verletzung der Meldepflicht nicht mehr feststellbar ist, ob Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet wurden; sie ist auch berechtigt.

[10] 1. Der Dienstgeber schuldet nach § 58 Abs 2 ASVG die auf ihn und den Versicherten entfallenden Beiträge. Hat der Dienstgeber aufgrund eines Sorgfaltsverstoßes keine Meldung über die bei ihm beschäftigte Person erstattet, verjährt das Recht auf Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen nach § 68 Abs 1 ASVG binnen fünf Jahren nach Fälligkeit (VwGH 86/08/0105 VwSlg 12.397 A; 2000/08/0042 VwSlg 16.307 A; Julcher in Mosler/Müller/Pfeil, § 68 ASVG Rz 11). Nach der Übergangsregelung des § 644 Abs 3 ASVG ist die Frage, ob der Kläger im Jahr 2000 Beitragszeiten zur Pensionsversicherung erworben hat, nach § 225 Abs 1 ASVG idF vor dem 2. SRÄG 2009 zu beurteilen. Eine Beschäftigung für den Fall, dass nicht binnen sechs Monaten eine Anmeldung zur Pflichtversicherung erfolgt, begründete für Zeiten vor der Anmeldung bzw Feststellung im Ergebnis nur dann noch Ansprüche aus der Pensionsversicherung, wenn die Beiträge tatsächlich entrichtet wurden. Dies kann nach § 230 Abs 2 lit c ASVG auch dadurch geschehen, dass der Versicherte die verjährten Beiträge nach § 68a ASVG nachentrichtet.

[11] 2. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Beklagten keine Verletzung der Beitragspflicht nach § 58 Abs 2 ASVG vorgeworfen werden darf, weil nicht festgestellt werden konnte, ob die Beklagte die auf den Kläger entfallenden Beiträge entrichtet hat oder nicht. Dies ändert aber nichts daran, dass die Beklagte ihre Meldepflicht gegenüber der Nebenintervenientin verletzt hat, die damals schon eine Beitragszeit begründet hätte (§ 225 Abs 1 Z 1 ASVG idF vor Nov BGBl 83/2009). Nach der Rechtsprechung führt die Verletzung dieser Meldepflicht zur Haftung des Dienstgebers für den dadurch verursachten „Pensionsschaden“ des Dienstnehmers (RIS‑Justiz RS0083762; RS0126289). Ein Verjährungseinwand wurde hier nicht erhoben. Entgegen der in der Revisionsbeantwortung geäußerten Rechtsansicht durfte sich der Kläger auch noch im Revisionsverfahren auf eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung der Meldepflicht berufen, weil er schon in der Klagsschrift vorgebracht hat, dass die Beklagte für die Monate Mai bis September keine Meldung erstattet habe (RS0016473).

[12] 3. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass kein Schaden eingetreten sei, weil sie sämtliche Beiträge ordnungsgemäß an die Nebenintervenientin abgeführt habe, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich schon aus der Fürsorgepflicht des Dienstgebers ergibt, dass die Meldepflicht nicht nur dem Sozialversicherungsträger die Einhebung der Beiträge ermöglichen, sondern auch dem Dienstnehmer einen Anspruch aus der gesetzlichen Pensionsversicherung verschaffen soll (Kramer, Arbeitsvertragliche Verbindlichkeiten neben Lohnzahlung und Dienstleistung [1975] 81; Gruber, Der Schadenersatz aus Meldepflichtverletzungen, DRdA 1984, 122; Resch, Schadenersatz und Mitverschulden des Dienstnehmers bei Nichtanmeldung zur Sozialversicherung, JBl 1995, 24 [27 f]). Selbst wenn die Beklagte die Beiträge an die Nebenintervenientin überwiesen haben sollte, liegt der Schaden des Klägers darin, dass er dennoch eine Nachzahlung leisten musste, weil nicht mehr erweislich war, ob die Beklagte diese Beiträge wirksam entrichtet hat oder nicht. Die Verletzung der Meldepflicht war für den Schaden des Klägers kausal, weil er keine Nachzahlung hätte leisten müssen, wenn die Beklagte im Jahr 2000 ihrer Meldepflicht nachgekommen wäre, sodass die Beklagte für die Nachzahlung des Klägers haftet.

[13] 4. Aus § 1304 ABGB wird eine Rettungspflicht abgeleitet, sodass der Geschädigte die zur Schadensminderung erforderlichen Maßnahmen treffen muss (RS0027015; RS0027116). Dazu gehört auch das Ergreifen eines Rechtsmittels, wenn der Schaden dadurch abgewendet werden kann (RS0026994). Es begründet aber keine Rettungspflichtverletzung, wenn aussichtslose Rechtsmittel nicht ergriffen werden (RS0052920 zum AHG). Der Schädiger muss deshalb behaupten und beweisen, dass der Geschädigte den eingetretenen Schaden hätte vermeiden können (RS0027129). Die Beklagte legt dem Kläger zur Last, dass er die Beschwerdevorentscheidung nicht bekämpft und keinen Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht gestellt hat, bringt aber nicht vor, wie der Beklagte nachweisen hätte können, dass die Beiträge bereits entrichtet wurden. Da selbst die Beklagte nicht nachweisen konnte, dass sie die Beiträge abgeführt hat, ist nicht ersichtlich, wie ein Rechtsmittel des Klägers gegen den Bescheid der Nebenintervenientin Erfolg haben hätte können, sodass eine Verletzung der Rettungspflicht zu verneinen war.

[14] 5. Der Revision des Klägers war daher Folge zu geben und das klagsstattgebende Ersturteil wiederherzustellen.

[15] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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