OGH 8ObA68/23t

OGH8ObA68/23t17.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Sylvia Zeichmeister (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M* P*, vertreten durch MMag. Olivia Lerch, Rechtsanwältin in Lustenau, gegen die beklagen Parteien 1. G* S*, vertreten durch Dr. Julius Brändle, Rechtsanwalt in Dornbirn, und 2. S* GmbH in Liquidation, *, vertreten durch Dr. Bertram Grass und Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, sowie der auf Seiten der beklagten Parteien beigetretenen Nebenintervenientin S* GmbH, *, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen (letztlich) 95.525 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Juni 2023, GZ 13 Ra 3/23y‑183, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00068.23T.1117.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Treffen den Gefährder (Schädiger) Schutzpflichten gegenüber der sich selbst gefährdenen Person (Geschädigter), so kann kein echtes, sondern nur ein unechtes Handeln auf eigene Gefahr vorliegen (RIS‑Justiz RS0023101). Bei einem solchen ist die tatsächlich vorhandene Selbstgefährdung (nur) im Rahmen des Mitverschuldenseinwands zu prüfen (RS0023101 [T4]).

[2] Der Erstbeklagte, ein ehemaliger Arbeitskollege des beim Arbeitsunfall schwer verletzten Klägers, zieht diese höchstgerichtliche Rechtsprechung nicht in Zweifel, ebensowenig die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sein unfallskausales Verhalten das ASchG bzw die in seiner Durchführung ergangene Arbeitsmittelverordnung verletzte. Er stellt nur die Anwendbarkeit des Rechtssatzes RS0023101 auf den vorliegenden Fall mit der Begründung in Abrede, das ASchG bzw die Arbeitsmittelverordnung stellten keine von Dienstnehmern im Verhältnis zueinander zu beachtenden Schutzgesetze dar.

[3] Nach § 15 Abs 1 Satz 1 ASchG haben Arbeitnehmer „die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Integrität und Würde nach diesem Bundesgesetz, den dazu erlassenen Verordnungen sowie behördlichen Vorschreibungen gebotenen Schutzmaßnahmen anzuwenden, und zwar gemäß ihrer Unterweisung und den Anweisungen des Arbeitgebers“. Mit § 15 ASchG wird Art 13 Arbeitsschutzrahmenrichtlinie 89/391/EWG umgesetzt (ErläutRV 1590 BlgNR 18. GP 80). Nach dessen Abs 1 ist jeder „verpflichtet, nach seinen Möglichkeiten für seine eigene Sicherheit und Gesundheit sowie für die Sicherheit und die Gesundheit derjenigen Personen Sorge zu tragen, die von seinen Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind und zwar gemäß seiner Unterweisung und den Anweisungen des Arbeitgebers“. Auch Arbeitskollegen sind damit Schutzobjekt der unionsrechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften (Klindt/Schucht in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht4 [2022] Art 13 RL 89/391/EWG Rz 2 f). In richtlinienkonformer Auslegung (vgl RS0075866, RS0111214 ua) stellen damit das ASchG und die Arbeitsmittelverordnung eindeutig auch von Dienstnehmern im Verhältnis zueinander zu beachtende Schutzgesetze dar. Auch deshalb ist dem Berufungsgericht in seiner Beurteilung, der Erstbeklagte dürfe sich nicht auf ein echtes Handeln des Klägers auf eigene Gefahr berufen, weil er ihm gegenüber Schutzpflichten hatte, nicht entgegenzutreten.

[4] 2. Der Erstbeklagte ist nicht Dienstgeber des Klägers. Ob dem Dienstgeber des Klägers das Haftungsprivileg des § 333 Abs 1 ASVG zugute kommt, ist für die Frage der Haftung des Erstbeklagten ohne Bedeutung.

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