OGH 8ObA61/18f

OGH8ObA61/18f25.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Segmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Krachler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwält_innen GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei I*****, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 30.180,66 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 26.607 EUR brutto) gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2018, GZ 10 Ra 53/18i-37, mit dem das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 22. Februar 2016, GZ 42 Cga 82/16k-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00061.18F.0125.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Beklagte beschäftigt für den Objekt- und Personenschutz ungefähr 35 Sicherheitskräfte (davon ungefähr sieben Einsatzleiter), die vorwiegend – so wie der Kläger – aus der ***** Armee rekrutiert werden. Es handelt sich dabei um Personen mit militärischer Spezialausbildung, die in Sicherheitsbelangen besonders ausgebildet wurden und für die Erfüllung der Tätigkeiten bei der Beklagten besonders gut geeignet sind.

Der Kläger war bei der Beklagten vom 24. 12. 2012 bis zur einvernehmlichen Lösung am 7. 1. 2016 als Sicherheitskraft beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis gelangte kein Kollektivvertrag zur Anwendung. Der Kläger verdiente bei einer 40-Stunden-Woche ein Gehalt von 2.918,76 EUR brutto.

Bereits in der Rekrutierungs- und in der dreiwöchigen Ausbildungsphase in ***** und auch während der zwei- bis dreimonatigen Einschulungszeit in ***** sagten die Verantwortlichen der Beklagten dem Kläger, dass er „als Sicherheitskraft der Beklagten ständig erreichbar sein müsse“, weil es sich um eine hochsensible Tätigkeit im Sicherheitswachebereich handle, Verantwortung für Menschenleben vorliege und die Erreichbarkeit ein „integraler“ Teil der Arbeit sei; im Falle eines Anschlags oder einer Terrorattacke müsse mit jedem Sicherheitsmann, der sich in ***** befinde, Kontakt aufgenommen werden können. Kein Mitarbeiter konnte verlangen, außerhalb der Dienstzeit überhaupt nicht in den Dienst gerufen werden zu wollen. Dem Kläger wurde ein Diensthandy mit der Anweisung zur Verfügung gestellt, dass es immer aufgeladen sein müsse, nicht auf lautlos geschaltet werden dürfe und dass regelmäßig darauf zu schauen sei.

Die ständige Erreichbarkeit bedeutete in der Praxis, dass die Sicherheitskräfte der Sicherheitszentrale meldeten, wenn sie zB in den Park joggen gingen. Wollte ein Mitarbeiter über mehrere Stunden oder gar Tage nicht erreichbar sein oder wollte er ***** verlassen, musste er eine Erlaubnis einholen. Während der „Hochsaison für die Sicherheit“ (an 30 bis 40 über das Jahr verteilten Tagen) waren die Sicherheitskräfte angewiesen, überhaupt keinen Alkohol zu trinken.

Ein Mitarbeiter, der ohne Abmeldung längere Zeit nicht für die Sicherheitszentrale erreichbar war, wurde in der Regel in einem Gespräch mit dem Vorgesetzten darauf hingewiesen, dass „das nicht sein dürfe und er die Konsequenzen seines Handelns zu tragen habe“.

Über finanzielle Aspekte dieser „Immererreichbarkeit“ wurde nicht gesprochen, auch nicht im Vorfeld der Unterzeichnung des Dienstvertrags durch den Kläger im Dezember 2012. Insbesondere erwähnten die Vertreter der Beklagten nie, dass die ständige Erreichbarkeit ohnehin durch das Gehalt oder andere Vergünstigungen abgegolten wäre.

Der Kläger wurde im Durchschnitt fünf bis sieben Mal im Monat außerhalb der Dienstzeit am Handy kontaktiert, wobei es sich zum weit überwiegenden Teil um Dienstplanänderungen handelte. Im Jahr 2013 erfolgte eine Indienststellung des Kläger acht Mal, im Jahr 2014 vier Mal, im Jahr 2015 – damals war der Kläger bereits Schicht-/Einsatzleiter – überhaupt nicht.

Der Kläger begehrte – soweit revisionsgegenständlich – insgesamt 26.607 EUR brutto sA als Abgeltung der von ihm in den Jahren 2013 bis 2015 geleisteten Rufbereitschaft. Er sei, soweit er nicht ohnehin Dienste für die Beklagte verrichtet habe, 24 Stunden am Tag bei einer Sieben-Tage-Woche stets in Rufbereitschaft gewesen. Der Berechnung der Forderung liege ein angemessener Stundensatz von 3 EUR brutto zugrunde. Von allen Stunden eines (Rumpf-)Jahres seien nicht nur die tatsächlichen Arbeitsstunden des Klägers (inklusive Entgeltfortzahlung und Urlaub) abgezogen worden, sondern aus anwaltlicher Vorsicht auch sieben Stunden pro Tag Nächtigungszeit, obgleich der Kläger auch während der Nachtruhe jederzeit unverzüglich hätte in den Dienst gestellt werden können, sodass sich für das Jahr 2013 1.167,75, für das Jahr 2014 3.878,50 und für das Jahr 2015 3.822,75 Stunden ergeben würden.

Das Erstgericht gab diesem Zahlungsbegehren mit Teilurteil statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Kläger habe mit der (schlüssig) vereinbarten und geleisteten Erreichbarkeit eine Rufbereitschaft für die Beklagte erbracht. Eine (auch schlüssige) Vereinbarung der Unentgeltlichkeit dieser Leistung oder deren pauschale Abgeltung mit den erbrachten Geld- und Naturalleistungen sei nicht getroffen worden, sodass der Kläger gemäß § 1152 ABGB Anspruch auf ein ortsübliches angemessenes Entgelt habe. Unter Berücksichtigung der weit über den gesetzlichen Rahmen hinausgehenden vereinbarten und erbrachten Rufbereitschaft sei der vom Erstgericht herangezogene Stundensatz von 3 EUR bei einer Gesamtbetrachtung angemessen. Die ordentliche Revision sei mangels einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Mit seiner – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist entgegen dem– den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil sich die Berufungsentscheidung als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.1 Rufbereitschaft besteht darin, dass der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber lediglich erreichbar und zum Arbeitsantritt bereit sein muss. Dabei kann der Dienstnehmer (im Unterschied zur sogenannten Arbeitsbereitschaft) seinen Aufenthaltsort selbst wählen und über die Verwendung solcher Zeiten im Wesentlichen frei entscheiden (RIS-Justiz RS0051403; 9 ObA 71/04p). Bei der Rufbereitschaft handelt es sich nicht um die Arbeitsleistung selbst, sondern um eine andere Leistung, die der Dienstnehmer nicht schon aufgrund der ihn treffenden allgemeinen Treuepflicht (Interessenwahrungspflicht) zu erbringen hat, sondern die ausdrücklich vereinbart und abgegolten werden muss (RIS-Justiz RS0021696). Auch während vereinbarter „Erreichbarkeit per Handy“ ist der Arbeitnehmer hier in der Bestimmung seines Aufenthalts beschränkt, weil ihn die Verpflichtung trifft, Aufenthaltsorte zu wählen, an denen er über ein von ihm ständig betriebsbereit und empfangsbereit zu haltendes Funktelefon erreicht werden kann und einsatzbereit ist. Auch diese Form angeordneter Bereitschaft des Arbeitnehmers erfüllt nach Sinn und Zweck den Begriff der Rufbereitschaft. Der Arbeitnehmer muss sein Verhalten während der Rufbereitschaft darauf einrichten, im Falle eines Anrufs seine Pflichten ohne besondere Beeinträchtigung wahrnehmen zu können (RIS‑Justiz RS0051403 [T3]). Auch bloßes Warten bindet den Dienstnehmer; jede zeitliche Bindung für Zwecke eines anderen ist so gesehen eine Leistung. Maßgeblich ist dabei der Umstand, dass der Dienstnehmer – wenngleich in geringerer Intensität – fremdbestimmt ist (RIS-Justiz RS0021688 [T2]). Die Zahlung eines Entgelts bei Rufbereitschaft kann ihm daher nicht schon mit der bloßen Begründung versagt werden, dass er ohnehin keine Arbeitsleistung erbringe, weil auch diese Zeit nicht völlig zu seiner freien Verfügung steht. Der Dienstgeber, der Rufbereitschaft verlangt, macht wenigstens zum Teil von der Arbeitskraft des Dienstnehmers Gebrauch (9 ObA 71/04p mwN).

1.2 Nach den Feststellungen informierten die Verantwortlichen der Beklagten den Kläger noch vor Vertragsabschluss, und zwar schon in der Rekrutierungs- und Ausbildungsphase in *****, aber auch während der Einschulungszeit, dass er als Sicherheitskraft der Beklagten angesichts der hochsensiblen Tätigkeit und der Verantwortung für Menschenleben ständig erreichbar sein müsse und die Erreichbarkeit ein „integraler“ Teil der Arbeit sei; für den Fall eines Anschlags oder einer Terrorattacke müsse mit jedem Sicherheitsmann in ***** Kontakt aufgenommen werden können. Der Kläger musste demtentsprechend das Diensthandy immer aufgeladen halten, durfte es nicht auf lautlos schalten und musste regelmäßig darauf schauen. In der Praxis bedeutete die ständige Erreichbarkeit, dass die Sicherheitskräfte der Sicherheitszentrale meldeten, wenn sie zB joggen gingen. An 30 bis 40 Tagen im Jahr waren die Sicherheitskräfte angewiesen, (gar) keinen Alkohol zu konsumieren. Wollte ein Mitarbeiter für mehrere Stunden oder gar Tage nicht erreichbar sein oder ***** verlassen, musste er eine Erlaubnis einholen.

1.3 Diesen Sachverhalt haben die Vorinstanzen zutreffend dahin beurteilt, dass die Streitteile in Ergänzung zum schriftlichen Dienstvertrag konkludent (§ 863 ABGB) die (ständige) Rufbereitschaft des Klägers vereinbart haben. Die Ausführungen in der Revision setzten sich insoweit großteils über die getroffenen Feststellungen hinweg. So übergab die Beklagte dem Kläger eben nicht bloß ein Smartphone, sondern verlangte von ihm auch, er habe immer erreichbar zu sein und müsse jederzeit (vor allem im Notfall) mit einer Indienstsetzung rechnen. Das hatte sehr wohl spürbare Auswirkungen auf die Freizeitgestaltung des Klägers, der im Fall eines Rufs eine substanzielle Arbeitsleistung zu erbringen und sich dafür geistig und körperlich bereit zu halten hatte. Es kommt nicht darauf an, wie oft die Arbeitsleistung des Klägers tatsächlich abgerufen wurde, weil daraus, dass er nur gelegentlich in Anspruch genommen wurde, nicht folgt, dass er der Beklagten nicht jederzeit zur Verfügung stand. Dass der Kläger eine Indienststellung nahezu hat ausschließen können, wie die Beklagte meint, steht nicht fest.

2.1 Die Beklagte rügt als Aktenwidrigkeit, dass die Vorinstanzen – vermeintlich in Widerspruch zu der (einen Bestandteil der Feststellungen bildenden) Dienstanweisung ./G – nicht annahmen, dass die erhöhte Erreichbarkeit als Teil des „Gesamtpakets“ pauschal abgegolten worden ist. Eine Aktenwidrigkeit liegt allerdings nur dann vor, wenn der Akteninhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig wiedergegeben wird, nicht aber dann, wenn das Gericht aufgrund richtig dargestellter Beweisergebnisse zu Feststellungen oder rechtlichen Schlussfolgerungen in einer bestimmten Richtung gelangt (RIS-Justiz RS0043324).

2.2 Mit der Behauptung, entgegen der Ansicht der Vorinstanzen sei über die Abgeltung der Erreichbarkeit gesprochen worden und es seien die von der Beklagten gewährten Vergünstigungen und das Fixum für Indienststellungen in einen Zusammenhang mit der Erreichbarkeit gestellt worden, entfernt sich die Revisionswerberin vom festgestellten Sachverhalt, wonach über die Frage eines Entgelts für die ständige Erreichbarkeit nie gesprochen wurde und die Beklagte auch nie erwähnt hat, dass diese mit dem vereinbarten Entgelt oder anderen Vergünstigungen abgegolten wäre.

2.3 Damit erweist sich auch die Beurteilung der Vorinstanzen als richtig, dass die Parteien keine (auch nur konkludente) Vereinbarung über die Unentgeltlichkeit oder die pauschale Abgeltung der ständigen Rufbereitschaft getroffen haben. Der Kläger hat daher für diese vom ihm erbrachte (andere als Arbeits-)Leistung (mangels kollektivvertraglicher Regelung) gemäß § 1152 ABGB Anspruch auf ein angemessenes ortsübliches Entgelt (RIS‑Justiz RS0027969).

3.1 Die Beklagte bemängelt in ihrem Rechtsmittel jedoch erneut auch die Höhe der dem Kläger von den Vorinstanzen zuerkannten Abgeltung. Ein Stundensatz von 3 EUR brutto sei überzogen, maximal erscheine eine Abgeltung in Höhe eines Drittels dieses Betrags – also 1 EUR brutto – gerechtfertigt.

Dieser Einwand lässt sich noch nicht abschließend klären.

3.2 Angemessen iSd § 1152 ABGB ist jenes Entgelt, das sich unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme auf das ergibt, was unter ähnlichen Umständen geleistet wird oder wurde ( Rebhahn in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3 § 1152 ABGB Rz 67; Krejci in Rummel 3 § 1152 ABGB Rz 24, jeweils mwN). Ortsüblich ist das Entgelt, das in dem relevanten einheitlichen Arbeitsmarkt üblich ist ( Rebhahn aaO Rz 68). Als Richtschnur kommen kollektivvertragliche Löhne für vergleichbare Arbeiten oder bestehende Tarife in Betracht, sofern diese unter ähnlichen Umständen auch tatsächlich bezahlt werden ( Krejci aaO Rz 24 ff). Zu prüfen ist daher vor allem, welches Entgelt für Leistungen dieser Art ortsüblich geleistet wird (9 ObA 53/92).

3.3 Da das Erstgericht keine Feststellungen getroffen hat, die eine Beurteilung der Ortsüblichkeit des vom Kläger begehrten Stundensatzes in diesem Sinne erlauben würden, war ihm die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage bietet sich hier – nach Erörterung mit den Parteien – in erster Linie die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens an.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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