OGH 8ObA54/09p

OGH8ObA54/09p19.11.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Spenling und Hon.‑Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Albert Koblizek und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Friedrich S*****, vertreten durch Dr. Roland Gerlach ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 13.909,20 EUR sA und Feststellung (Streitwert 25.000 EUR), über den „Revisionsrekurs" (richtig: Rekurs) der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Mai 2009, GZ 7 Ra 41/09i‑11, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 11. September 2008, GZ 5 Cga 94/08s‑6, als nichtig aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2009:008OBA00054.09P.1119.000

 

Spruch:

Dem Rekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts wird ersatzlos behoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme von dem angenommenen Nichtigkeitsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

 

Mit seiner Klage begehrt der Kläger als ÖBB‑Pensionist, der bereits 2003 in den Ruhestand versetzt wurde, einerseits 13.902,20 EUR sA und andererseits die Feststellung, dass die Beklagte schuldig sei, dem Kläger eine monatliche Pension zu bezahlen, die nicht um Einkommen gekürzt werde, die der Kläger aus anderer Erwerbstätigkeit erhalte. Er stützt dies zusammengefasst darauf, dass ihm die Beklagte seit einigen Jahren von seiner Pension seinen Bezug als Bezirksrat eines Wiener Gemeindebezirks in Höhe von zuletzt 393,20 EUR abziehe. Dies werde auf die Bestimmungen des Bundesbahn‑Pensionsgesetzes (BB‑PG), und zwar dessen 10. Abschnitt gestützt, sei aber aus vom Kläger näher dargestellten Gründen verfassungs‑ und europarechtswidrig. Die Beklagte bezeichnete der Kläger vorweg als „ÖBB‑Dienstleistung GmbH Pensionsservice", da diese seine Pension auszahle.

Die Beklagte wendete ein, dass der Zusatz „Pensionsservice" nicht Bestandteil des Firmenwortlauts sei und die Pensionsverpflichtungen nicht auf die ÖBB‑Dienstleistungs GmbH, sondern nach § 29 Bundenbahngesetz auf die ÖBB‑Infrastruktur Bau AG übergegangen seien. Auch bestritt die Beklagte das Feststellungsinteresse und stützte sich darauf, dass ihre Vorgangsweise gesetzeskonform sei.

Der Kläger beantragte letztlich die Berichtigung der Parteibezeichnung dahin, dass die Beklagte als „ÖBB‑Infrastruktur Bau AG" zu bezeichnen sei.

In der einzigen mündlichen Streitverhandlung vom 11. 9. 2008 fasste das Erstgericht nach Erörterung der Sach‑ und Rechtslage den Beschluss auf Berichtigung der Parteibezeichnung auf „ÖBB‑Infrastruktur Bau AG, *****". Der „Beklagtenvertreter" („BV", einschreitender Arbeitnehmer der beklagten Partei) verzichtete auf Rechtsmittel und erklärte gleichzeitig, dass er auch zur Vertretung der ÖBB‑Infrastruktur Bau AG berechtigt sei. Er legte dazu eine Vollmacht vor, die nach Einsicht zurückgestellt wurde. Die Rechtssache wurde hierauf noch weiter erörtert, das Verfahren geschlossen und das Urteil der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten.

Gegen das klagsabweisende Urteil, in dessen Kopf entsprechend dieser aktenmäßigen Verfahrenslage als beklagte Partei die „ÖBB‑Infrastruktur Bau AG" ausgewiesen wurde, erhob der Kläger Berufung, in der er im Wesentlichen erneut die Verfassungswidrigkeit der Anrechnungsbestimmungen des BB‑PG geltend machte, aber auch europarechtliche Bedenken. Die Beklagte, und zwar die „ÖBB‑Infrastruktur Bau AG", brachte eine Berufungsbeantwortung ein, in der sie die Verfassungskonformität der bekämpften Regelungen verteidigte und die Abweisung der gegnerischen Berufung beantragte.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung der klagenden Partei das Ersturteil als nichtig auf. Es ging zusammengefasst davon aus, dass die Änderung der Parteibezeichnung nur dort möglich sei, wo es um eine bloße Berichtigung der Bezeichnung, nicht aber ein anderes Rechtssubjekt gehe. Hier habe der Kläger sich aber jedenfalls auch darauf gestützt, dass die vorweg bezeichnete „ÖBB‑Dienstleistung GmbH" auch Auszahlungsstelle gewesen sei. Damit stelle sich aber der Beschluss des Erstgerichts auf Änderung der Parteibezeichnung, der im Übrigen auch einen Schreibfehler enthalte, als unzutreffend dar. Dieser Beschluss habe auch keine Wirkung entfalten können, da der Rechtsmittelverzicht nur für die „ÖBB Dienstleistung GmbH" abgegeben worden sei. Die „ÖBB‑Infrastruktur Bau AG" sei hingegen nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen, einerseits da die Vollmacht des Vertreters nicht zum Akt genommen worden sei und da es andererseits auch an einem Beschluss nach § 40 Abs 2 Z 4 ASGG über die Eignung des Vertreters mangle. Da das Erstgericht das angefochtene Urteil sohin unter Einbeziehung einer nicht am Verfahren beteiligten juristischen Person gefällt habe, leide dieses an einem die Nichtigkeit begründenden Mangel.

Dementsprechend sei das Urteil als nichtig aufzuheben. Der Rekurs gegen diesen Beschluss sei zulässig.

Gegen diesen Beschluss des Berufungsgerichts richtet sich der als Rekurs (§ 519 iVm § 84 Abs 2 Schlussatz ZPO) zu beurteilende „Revisionsrekurs" des Klägers mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss aufzuheben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass hier die Zulassung des Rekurses an den Obersten Gerichtshof möglich ist (vgl Zechner in Konecny/Schubert2 IV/1 § 519 Rz 46). Eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Bedeutung der Unterlassung einer Beschlussfassung nach § 40 Abs 2 Z 4 ASGG bzw einer allfälligen Sanierung liegt nicht vor.

Zutreffend hat sich das Berufungsgericht mit der Frage auseinandergesetzt, ob hier rechtskräftig über den Antrag des Klägers auf Berichtigung der Parteibezeichnung abgesprochen wurde. Nach dem gemäß § 215 Abs 1 ZPO vollen Beweis liefernden Protokoll hat der „BV" ausdrücklich auf Rechtsmittel verzichtet und in diesem Zusammenhang „klargestellt", dass er „auch" zur Vertretung der ÖBB‑Infrastruktur Bau AG berechtigt ist. Er hat weiters eine Vollmacht dieser Gesellschaft vorgelegt. Dass diese Vollmacht - die dem Beklagtenvertreter nach Einsicht wieder zurückgestellt wurde - ausreichend war, wurde auch im Berufungsverfahren weder von den Parteien noch vom Berufungsgericht in Zweifel gezogen. Im Wesentlichen hat das Berufungsgericht den Mangel darin erblickt, dass das Erstgericht diese Prozessvollmacht wieder zurückgestellt und eine Beschlussfassung nach § 40 Abs 2 Z 4 ASGG unterlassen habe.

Zufolge § 30 Abs 1 ZPO haben die Bevollmächtigten bei der ersten von ihnen in einer Streitsache vorgenommenen Prozesshandlung ihre Bevollmächtigung durch eine Urkunde darzutun, die bei Gericht zurückbehalten werden „kann". Nach § 219 Abs 3 ZPO sind die von einer Partei dem Gericht übergebenen Schriftstücke dieser Partei auf ihr Begehren wieder auszufolgen, „wenn der Zweck der Aufbewahrung entfallen ist".

Zufolge § 169 Abs 2 Geo sind in bürgerlichen Rechtssachen dann, wenn das Verfahren rechtskräftig beendet (oder zum Stillstand gekommen) ist, die beim Akt befindlichen Urkunden einschließlich der Vollmachten, soweit sie nicht auf die bestimmte Sache lauten, den Parteien auch ohne richterlichen Auftrag von der Geschäftsstelle auszufolgen. Soweit die Fortsetzung des Verfahrens möglich ist, ist davor eine richterliche Weisung einzuholen. Allgemein bestimmt schon § 169 Abs 1 Geo, dass Urkunden, die für eine Entscheidung verwertet wurden oder in Betracht kommen können, grundsätzlich bis zur Rechtskraft der Entscheidung beim Akt zurückzubehalten sind und davor den Parteien nur aus triftigen Gründen mit Genehmigung des Richters allenfalls gegen Einlegung einer beglaubigten Abschrift ausgefolgt werden können. Besondere Wirkungen werden der Zurückstellung der Vollmacht allerdings nicht eingeräumt (vgl dazu Danzl, Geo § 169 Rz 19). Dies hat auch hier zu gelten, sodass allein aus einer allenfalls verfrühten Rückgabe der Vollmacht kein Mangel der Bevollmächtigung oder der Vertretungsbefugnis im Verfahren abgeleitet werden kann.

Damit verbleibt die Beurteilung des zweiten Umstands, den das Berufungsgericht für die Annahme der mangelnden Vertretung der beklagten Partei herangezogen hat, nämlich die fehlende Beschlussfassung nach § 40 Abs 2 Z 4 ASGG. Nach § 40 Abs 2 ASGG sind neben anderen konkret definierten Personengruppen zufolge dessen Z 4 alle „geeigneten Personen" zur Vertretung befugt, jedoch hat über deren Eignung der Vorsitzende durch „unanfechtbaren Beschluss zu entscheiden". Ein solcher Beschluss ist dem Protokoll nicht zu entnehmen. Allgemein werden als geeignet im Sinn des § 40 Abs 2 Z 4 ASGG eigenberechtigte Personen anerkannt, die in einem Naheverhältnis zum Vollmachtgeber stehen (insbesondere - wie hier - Arbeitnehmer: Feitzinger/Tades, ASGG § 40 Anm 11), wobei über deren Eignung der Vorsitzende nach dem persönlichen Eindruck von ihren Fähigkeiten, vor Gericht für die Partei einzuschreiten und deren Interessen zu vertreten, unanfechtbar zu entscheiden hat (Kuderna, Arbeits‑ und Sozialgerichtsgesetz2, 247 Anm 16).

Es stellt sich daher die Frage, inwieweit die Unterlassung einer solchen Beschlussfassung einen von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeitsgrund darstellt. Der Oberste Gerichtshof hat im Zusammenhang mit den zur Vertretung in zweiter Instanz qualifizierten Personen nach § 40 Abs 1 ASGG zu dessen Z 2 (Funktionäre und Arbeitnehmer von Interessenvertretungen) ausgesprochen, dass der Mangel der in § 40 Abs 1 Z 2 letzter Halbsatz ASGG vorgesehenen Voraussetzung einer Befugnis der Interessenvertretung oder Berufsvereinigung nichts an der Wirksamkeit der Vertretung und einer von einem solchen Vertreter vorgenommenen Prozesshandlung ändert (9 ObA 317/88 = RIS‑Justiz RS0085617). Im Zusammenhang damit relevant erscheint auch, dass selbst ein Verstoß gegen die Anwaltspflicht und die übersehene „Postulationsunfähigkeit" nicht als Nichtigkeitsgrund, sondern nur als Verfahrensmangel qualifiziert wird (RIS‑Justiz RS0110667 mwN, zuletzt 7 Ob 733/08b ua; Pimmer in Fasching/Konecny2, § 477 ZPO Rz 60; Zechner in Fasching/Konecny2 § 503 ZPO Rz 84; Zib in Fasching/Konecny2, § 27 ZPO Rz 87; Fucik in Rechberger ZPO3 § 27 Rz 8). Jedenfalls dann, wenn ‑ wie hier - der nicht durch einen ausdrücklichen Beschluss nach § 40 Abs 2 Z 4 ASGG zugelassene Parteienvertreter ungerügt verhandelt und in weiterer Folge auch ein qualifizierter Vertreter diesen allfälligen Mangel nicht gerügt hat, ist davon auszugehen, dass dieser Mangel saniert ist. Ausgehend davon liegt aber in der vorliegendenfalls zu beurteilenden Rechtssache ein prozessual wirksamer Rechtsmittelverzicht vor, sodass die über Antrag der klagenden Partei erfolgte Berichtigung der Parteienbezeichnung rechtskräftig und insoweit für das weitere Verfahren bindend geworden ist.

Ausgehend davon mangelt es aber schon im Ansatz am Vorliegen des angenommenen Nichtigkeitsgrundes und war die Rechtssache daher an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung unter Abstandnahme von dem Nichtigkeitsgrund zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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