European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00051.19M.1025.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Der Kläger war bis 31. 5. 2017 Angestellter des Patentamts, dem bis zu diesem Zeitpunkt (§ 180c Abs 1 PatentG idF BGBl I 2016/71) gemäß §§ 58a f PatentG aF Teilrechtsfähigkeit zukam, und brachte zuletzt 4.669,07 EUR brutto monatlich ins Verdienen. Er machte von seinem Recht nach § 176c Abs 1 PatentG (idF BGBl I 2016/71) Gebrauch und wechselte zum 1. 6. 2017 in ein vertragliches Dienstverhältnis zum Bund. Bei der Einstufung in das Besoldungssystem nach dem VBG wurden seine Zeiten als Angestellter des Patentamts angerechnet, jedoch gleichzeitig ein Vorbildungsausgleich nach §§ 15 iVm 77 VBG von sieben Jahren vorgenommen, weil er über kein Studium im Sinne der Z 1.12 und 1.12a der Anlage 1 zum BDG 1979 verfügt.
Der Kläger nimmt die Beklagte für den Zeitraum von vier Monaten auf die der Höhe nach unstrittige Entgeltdifferenz von insgesamt 4.885,08 EUR in Anspruch. Es liege ein Betriebsübergang im Sinne der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG vor. Sein Dienstverhältnis sei auf die Beklagte mit allen Rechten und Pflichten übergegangen. Sie schulde ihm ein Gehalt in der Höhe wie vor dem Betriebsübergang. Seine Einstufung in das Gehaltsschema des VBG sei bei richtiger Auslegung von § 176 Abs 3 Satz 4 PatentG unter voller Anrechnung seiner Dienstzeit bis 31. 5. 2017 ohne Abzug aufgrund anderer Bestimmungen des VBG, somit ohne Abzug für den Vorbildungsausgleich, vorzunehmen.
Das Berufungsgericht bestätigte die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts. Es seien sehr wohl gemäß § 176 Abs 3 Satz 4 PatentG alle Dienstzeiten des Klägers als Angestellter des Patentamts berücksichtigt worden, allein habe gemäß Satz 3 leg cit auch ein Vorbildungsausgleich erfolgen müssen. Es liege zwar ein Betriebsübergang vor, der Fall sei aber jenem in der EuGH‑Rechtssache Delahaye vergleichbar.
Mit seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.
Rechtliche Beurteilung
1. Vorweg ist anzumerken, dass der Übergang der Dienstverhältnisse der Angestellten des Patentamts in § 176c PatentG besonders geregelt wurde. Diese Bestimmungen sind gegenüber jenen der §§ 3 ff AVRAG grundsätzlich als die spezielleren anzusehen. Wie für die Auslegung der §§ 3 ff AVRAG ist auch für jene des § 176c PatentG die Betriebsübergangsrichtlinie (Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. 3. 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen) und die dazu oder noch zur Betriebsübergangsrichtlinie 77/187/EWG ergangene Rechtsprechung des EuGH heranzuziehen (vgl Gahleitner in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 3 AVRAG Rz 1).
2. § 176c Abs 3 Satz 3 PatentG ordnet für Dienstnehmer, die wie der Kläger von ihrem Recht zum Wechsel in ein Dienstverhältnis zum Bund nach § 176c Abs 1 leg cit Gebrauch gemacht haben, die Geltung der Bestimmungen des Dienst- und Besoldungsrechts für Vertragsbedienstete des Bundes an. Abs 3 Satz 4 leg cit bestimmt, dass die im vorangegangenen Arbeitsverhältnis zum Patentamt im Rahmen seiner Teilrechtsfähigkeit verbrachte Dienstzeit für alle zeitabhängigen Rechte zu berücksichtigen ist. Diese Bestimmungen können sinnvoll allein dahin interpretiert werden, dass zwar alle Zeiten als Angestellter des Patentamts zu berücksichtigen sind (sodass von vornherein etwa eine Überprüfung ausgeschlossen ist, ob es sich um einschlägige Dienstzeiten handelt), dass aber ansonsten das gesamte Dienst- und Besoldungsrecht des Bundes und damit das VBG samt seinen Regelungen zum Vorbildungsausgleich zur Anwendung gelangt. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vor, wenn das Gesetz selbst – wie hier – eine klare, das heißt
eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656).
3. Der EuGH hat in der Rechtssache C‑425/02, Delahaye,ZAS-Judikatur 2005/51 (Jöst) = ZESAR 2006, 355 (Resch), entschieden, dass die Betriebsübergangs‑ richtlinie 77/187/EWG dahin auszulegen ist, „dass sie es grundsätzlich nicht ausschließt, dass im Fall des Unternehmensübergangs von einer juristischen Person des Privatrechts auf den Staat dieser als neuer Arbeitgeber eine Kürzung der Vergütung der betroffenen Arbeitnehmer vornimmt, um den geltenden nationalen Vorschriften bezüglich der öffentlichen Angestellten nachzukommen“. Der EuGH anerkennt damit das Interesse eines Mitgliedstaats, dass auch bei einem Übergang eines Betriebs an ihn die übernommenen Dienstnehmer den Gesetzesvorschriften über das als solches einheitliche Gehaltssystem der bei ihm beschäftigten Dienstnehmer unterliegen. Für die Maßgeblichkeit der gesetzlich geregelten Vergütung wird ins Treffen geführt, dass sie dadurch legitimiert ist, dass sie auf eine demokratische Grundlage rückführbar ist (Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht [2009] § 24 Rz 112). Bei „staatlichem Insourcing“ besteht damit – zumindest grundsätzlich – keine allgemeine Pflicht zu systemfremder Vertragsgestaltung (vgl Jöst, ZAS 2005, 28), sondern gestattet die Betriebsübergangsrichtlinie auch Regelungen, nach denen der Eintritt nur innerhalb der Grenzen seiner Vereinbarkeit mit den Höchstgrenzen für den öffentlichen Dienst zu erfolgen hat (vgl Binder/Mair in Binder/Burger/Mair, AVRAG3 § 3 Rz 60). Mit anderen Worten entlässt der EuGH im Fall der Übertragung einer wirtschaftlichen Einheit von einem Privaten auf den Staat den Letzteren aus der Pflicht zur Weiterführung aller Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis insoweit, als eine Kompatibilität mit dem in der Folge anzuwendenden Dienstrecht auch bei einer von Anfang an erfolgten Tätigkeit für diese staatliche Einrichtung zwingend nicht gegeben gewesen wäre (vgl auch Holzner/Reissner, Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz2 § 1 Rz 36).
4. Nach der zitierten Vorabentscheidung des EuGH sind die zuständigen Behörden, die diese Vorschriften anzuwenden und auszulegen haben, „jedoch verpflichtet, dies so weit wie möglich im Licht der Zielsetzung dieser Richtlinie zu tun, indem sie insbesondere dem Dienstalter des Arbeitnehmers Rechnung tragen, soweit die nationalen Vorschriften, die die Situation der staatlichen Angestellten regeln, das Dienstalter des staatlichen Angestellten bei der Berechnung seiner Vergütung berücksichtigen“. In diesem Sinne hat der EuGH auch zuletzt einer Übergangsregelung, wonach sich die in den öffentlichen Dienst neu eingegliederten Arbeitnehmer neu hätten bewerben müssen und nur in der ersten Gehaltsstufe zu niedrigeren Bezügen eingestuft worden wären, eine Absage erteilt (EuGH 13. 6. 2019, C‑317/18 Rn 27 und 59). Das VBG und § 176 Abs 3 PatG berücksichtigen aber das Dienstalter des Vertragsbediensteten bei der Berechnung seiner Vergütung so wie für alle anderen Vertragsbediensteten.
5. Das Dienstalter des Klägers ohne Vorbildungsausgleich trotz Fehlens eines Studiums im Sinne der Z 1.12 und 1.12a der Anlage 1 zum BDG 1979 zu berücksichtigen, stellte diesen gegenüber den allgemeinen Regeln des VBG, welche für den vorliegenden Fall gerade die Vornahme eines solchen vorsehen, besser und liefe damit auf die Gewährung eines privilegierenden Sondervertrags im Sinne des § 36 VBG hinaus. Aus der zitierten Entscheidung des EuGH, die eine Anwendung und Auslegung der staatlichen Vorschriften „so weit wie möglich im Licht der Zielsetzung dieser Richtlinie“ verlangt, ist zu folgern, dass auch an die Gewährung eines Sondervertrags zu denken ist (siehe Resch, Anmerkung zu EuGH C-425/02 in ZESAR 2006, 358 [360]; Reissner, Europarechtliche Impulse für die Entwicklung des österreichischen Individualarbeitsrechts, in Wagner/Wedl [Hrsg], Bilanz und Perspektiven zum europäischen Recht [2007] 173 [186]; ders, Aktuelle Entwicklungen im Betriebsübergangsrecht, in Wachter/Reissner, Innsbrucker Jahrbuch zum Arbeits- und Sozialrecht 2015 [2016] 121 [148]). Kein Sondervertrag ist aber möglich, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für einen solchen eindeutig nicht erfüllt sind.
Schon aus der Zielsetzung einer Kodifikation des Arbeitsrechts der Vertragsbediensteten einer Gebietskörperschaft ergibt sich, dass
Sonderverträge nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig sein können. Die besonderen Bedingungen, unter denen solche Verträge abgeschlossen werden dürfen, erfüllen eine Doppelfunktion und schützen einerseits den Arbeitnehmer vor einer ungerechtfertigten Aushöhlung der gesetzlich garantierten Arbeitsbedingungen, aber auch den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber vor den Kosten sachlich nicht gerechtfertigter
Privilegierungen (8 ObA 36/13x [Pkt 2]). Daraus folgt, dass es stets – gleichgültig, ob zum Nachteil oder zum Vorteil des Dienstnehmers vom Üblichen abgewichen würde – einer sachlichen Rechtfertigung für einen Sondervertrag bedarf (vgl RS0081680; Thunhart, Sonderverträge im öffentlichen Dienst gemäß § 36 VBG, ZfV 2002, 486 [489 ff] mit Beispielen für das Vorliegen einer sachlich gerechtfertigten höheren als der gesetzlich vorgesehenen Entlohnung).
Der Kläger hat nicht vorgebracht, dass Gründe es sachlich rechtfertigen würden, den wegen des Fehlens eines Studiums im Sinne der Z 1.12 und 1.12a der Anlage 1 zum BDG 1979 gesetzlich vorgesehenen Vorbildungsausgleich nicht vorzunehmen und ihm damit ein höheres Gehalt zu bezahlen als gesetzlich vorgesehen. Eine sachliche Rechtfertigung für die Vereinbarung eines Sondervertrags schon darin zu sehen (Resch aaO), dass der Dienstnehmer durch den Betriebsübergang keinen Gehaltsverlust erleiden und damit im System des Vertragsbedienstetenrechts „die Richtlinie umgesetzt“ werden soll, ließe den in der Rechtsprechung des EuGH eingeräumten Gestaltungsspielraum unbeachtet.
6. Während die Entscheidung Delahaye den Übergang auf den Staat als Übernehmer erfasst, falls die Arbeitsbedingungen bei diesem – wie hier – durch Gesetz geregelt sind ( Rebhahn , Probleme der Ausführung der Betriebsübergangsrichtlinie in Kontinentaleuropa, RdA 2006, Sonderbeilage zu H 6, 4 [11, 13]), betrifft die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C‑108/10, Scattolon , DRdA 2013/12 ( S. Mayer ) = ZESAR 2012, 130 ( Felten ), den – hier nicht vorliegenden – Wechsel zu einem neuen Kollektivvertrag. In dieser Rechtssache wies der neue Kollektivvertrag den vom Staat übernommenen Arbeitnehmern jene Gehaltsstufe zu, die ihren an einem bestimmten Stichtag bezogenen Jahresarbeitsentgelt entsprach oder unmittelbar darunter lag (Rn 19). Dies führte bei Ivana Scattolon dazu, dass sie, obgleich sie rund 20 Jahre beim vormaligen Arbeitgeber gearbeitet hatte, in eine Gehaltsstufe eingestuft wurde, die einem Dienst von nur neun Jahren entsprach (Rn 30 f). Sie wurde damit gegenüber von Anfang an beim Staat seit rund 20 Jahren tätigen Dienstnehmern benachteiligt. Im Unterschied dazu führt das VBG im vorliegenden Fall dazu, dass der Kläger genau so behandelt wird, als wäre er von Anfang Vertragsbediensteter des Patentamts gewesen.
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