Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.329,48 EUR (darin enthalten 221,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Auf die Dienstverhältnisse der bei der Beklagten beschäftigten rund 1.900 Angestellten sind die Dienstordnung A für Verwaltungsangestellte, Pflegepersonal und zahntechnische Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) und die Dienstordnung B für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.B) anzuwenden. Beide Dienstordnungen enthalten zum Urlaubsentgelt (§ 59a DO.A und § 51a DO.B), zum Entgelt für Feiertage und Ersatzruhe (§ 59b DO.A und § 51b DO.B) sowie für Bezüge bei Erkrankung (§ 60 DO.A und § 52 DO.B) inhaltsgleiche Bestimmungen. Die für das vorliegende Verfahren relevanten Regelungen lauten:
„Während des Urlaubes [an Feiertagen oder während der Ersatzruhe; ist der Angestellte durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert] werden die Dienstbezüge weitergezahlt, und zwar
[1.] ‑ im vollen Ausmaß
...
[2.] ‑ die nachstehend angeführten Dienstbezüge unter Zugrundelegung des Durchschnittes des dem Urlaubsjahr [dem Feiertag bzw der Ersatzruhe; der Dienstverhinderung] vorangegangenen Kalenderjahres und [errechnet] nach dem zum Auszahlungszeitpunkt [zum Zeitpunkt des Arbeitsausfalles; im Verhinderungszeitraum] geltenden Gehaltsschema und Stundenlohn (§ 59 Abs 2), wobei Zeiten, für die kein Anspruch auf Dienstbezüge bestand, außer Acht zu lassen sind:
a) die Erschwerniszulage gemäß § 46 Abs 1 Z 3 lit l bis n
b) die Nachtdienstzulage (§ 53)
c) die Abgeltung der Arbeitsbereitschaft (§ 54)
d) die Abgeltung der Rufbereitschaft (§ 54a)
e) die Schichtzulage (§ 55)
f) die Sonntagszulage (§ 56)
g) die Abgeltung von Ruhezeiten (§ 56a)
h) die Vergütung für geleistete Mehrstunden im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung (ausgenommen Überstundenleistungen gemäß § 59)
j) die Vergütung für geleistete Überstunden, soweit sie nicht schon nach Z 1 zu berücksichtigen ist
k) die Abgeltung der Reisebewegung bei Dienstreisen (§ 59c Abs 2);
soweit die in lit a bis k angeführten Dienstbezüge nach dieser Bestimmung [...] weitergezahlt wurden, sind sie bei der Bemessung der weiterzuzahlenden Dienstbezüge nicht zu berücksichtigen; ...“
Die Beklagte bringt das fortzuzahlende Entgelt für Urlaubs‑, Krankenstands‑ und Feiertage (pro Urlaubstag etc) nach folgender Formel zur Abrechnung, wobei sich das Berechnungsbeispiel nur auf das Urlaubsentgelt im Hinblick auf Überstunden bezieht:
Überstunden des Vorjahres x Wert einer Überstunde
360
Bei den übrigen hier in Rede stehenden besonderen Dienstbezügen (zB Erschwerniszulagen, Nachtdienstzulagen etc) wird die Berechnung des weiterzuzahlenden Entgelts pro Urlaubs‑, Krankenstands‑ und Feiertag bzw Ersatzruhetag in gleicher Weise vorgenommen. Die für Tage eines Urlaubs‑ oder Krankenstands oder für Feiertage im Beobachtungszeitraum fortgezahlten besonderen Dienstbezüge (zB für Überstunden) werden nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Es gibt keine Mindestzahl von Überstunden (oder anderen Leistungen) die erreicht werden müssen, um in die Bemessungsgrundlage nach der beschriebenen Formel eingerechnet zu werden. Ebenso wenig kommt es darauf an, wie sich die Überstunden (bzw sonstigen Leistungen) im Beobachtungszeitraum verteilen.
Der Kläger begehrte die Feststellung, dass die beklagte Partei verpflichtet sei, ihren Angestellten das Urlaubsentgelt gemäß § 59a Z 2 DO.A bzw § 51a Z 2 DO.B, das Feiertagsentgelt gemäß § 59b Abs 1 Z 2 DO.A bzw § 51b Abs 1 Z 2 DO.B und das Krankenentgelt gemäß § 60 Abs 1 Z 2 lit b DO.A bzw § 52 Abs 1 Z 2 lit b DO.B in der Höhe zu gewähren, die sich jeweils ergibt, wenn bei der in diesen Bestimmungen vorgesehenen Durchschnittsberechnung die jeweils im Beobachtungszeitraum liegenden Urlaubs‑, Krankenstands‑ und Feiertage der Angestellten bei der Ermittlung des Teilers in Abzug gebracht werden. Den Bestimmungen in der Dienstordnung folgend würden zwar die Krankenstands‑, Urlaubs‑ und Feiertagsentgelte nicht in die Durchschnittsberechnung einbezogen, die darauf fallenden Tage bei der Ermittlung des Teilers aber voll berücksichtigt. Dies habe einen niedrigeren Durchschnittswert zur Folge. Bei richtiger Vorgangsweise müsste das summenmäßige Entgelt für die tatsächlichen Beschäftigungstage im Beobachtungszeitraum herangezogen werden. Im Teiler dürften daher nur die tatsächlichen Beschäftigungstage Berücksichtigung finden.
Die Beklagte entgegnete, dass nach den Dienstordnungen kein Durchschnitt vom Durchschnitt gebildet werden solle. Auf den Teiler beziehe sich die Anordnung, dass Zeiten, für die kein Anspruch auf Dienstbezüge bestanden habe, außer Acht zu lassen seien. Für die Tage entgeltpflichtiger Fehlzeiten wie Urlaub, Krankenstand und Feiertage bestehe aber ein Fortzahlungsanspruch. Daraus folge, dass diese Tage in den Teiler einzubeziehen seien. Außerdem seien die einschlägigen Gesetzesbestimmungen (§ 8 AngG, § 6 Abs 5 UrlG, § 9 Abs 4 ARG) kollektivvertragsdispositiv, sodass es auf einen Günstigkeitsvergleich zwischen den Dienstordnungen und den gesetzlichen Regelungen nicht ankomme. Im Fall eines dennoch angestellten Günstigkeitsvergleichs sei zu berücksichtigen, dass die kollektivvertraglichen Regelungen in mancherlei Hinsicht günstiger seien als die zugrunde liegenden Gesetzesbestimmungen.
Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt. Mit der Wendung „wobei Zeiten, für die kein Anspruch auf Dienstbezüge bestand, außer Acht zu lassen sind“, werde der Teiler der Durchschnittsberechnung geregelt. Bei diesen Zeiten könne es sich nur um solche handeln, in denen faktisch nicht gearbeitet worden sei, wie im Urlaub, im Krankenstand oder an Feiertagen. In die Bemessung des fortzuzahlenden Entgelts seien daher nur Zeiten einzubeziehen, in denen der Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet habe. Nur in diesen Zeiten habe die Möglichkeit bestanden, Überstunden, Mehrstunden, Nachtdienst, Arbeits‑ oder Rufbereitschaft zu leisten und dafür entsprechende Vergütungen zu erhalten. Daraus folge, dass der Teiler um die Tage der Nichtarbeit, also des Urlaubs, des Krankenstands bzw der Feiertage zu verringern sei. Dass die von der Beklagten gewählte Berechnung mit einem fixen Teiler von 360 für die Angestellten weniger günstig sei als der verminderte Teiler, bedürfe keiner Erörterung. Nur nach dieser Berechnungsvariante sei es konsequent, dass aufgrund der Durchschnittsberechnung weiterzuzahlende Dienstbezüge für Urlaub, Krankheit oder Feiertage nicht in die Bemessungsgrundlage einbezogen würden.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Wortlaut der zugrunde liegenden Regelungen lasse eine Interpretation im Sinn des Standpunkts des Klägers zu, wonach von der Wendung „wobei Zeiten, für die kein Anspruch auf Dienstbezüge bestand, außer Acht zu lassen sind“ nur solche Zeiten erfasst sein sollten, für die kein originärer (aufgrund tatsächlich geleisteter Arbeit) Anspruch auf Dienstbezüge bestanden habe. Bei der Berechnung müssten Nichtarbeitstage somit vom Teiler in Abzug gebracht werden. Der Wortsinn des Begriffs „Anspruch auf Dienstbezüge“ werde durch diese einschränkende Interpretation nicht überschritten. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei die Entgeltfortzahlung bei Krankheit nach § 8 AngG iVm § 40 AngG nicht kollektivvertragsdispositiv. Aus dem Ausfallsprinzip ergebe sich, dass Zeiten, in denen im Beobachtungszeitraum nicht gearbeitet worden sei, neutralisiert werden müssten.
Der idente Wortlaut der in Rede stehenden Regelungen führe zu einem einheitlichen Auslegungsergebnis für alle hier in Rede stehenden Fortzahlungsfälle. Die ordentliche Revision sei [im Hinblick auf die Auslegung von Kollektivvertragsbestimmungen] zulässig.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten, die auf eine Abweisung des Feststellungsbegehrens abzielt.
Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu den hier in Rede stehenden Regelungen zum Urlaubsentgelt, zum Entgelt für Feiertage und Ersatzruhe sowie zu den Bezügen bei Erkrankung in den DO.A bzw DO.B der Sozialversicherungsträger Österreichs bisher nicht Stellung genommen hat. Die Auslegung der fraglichen Bestimmungen ist alles andere als klar und eindeutig. Die Revision der Beklagten ist aber nicht berechtigt.
1. Bei den DO.A und DO.B für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs handelt es sich um Kollektivverträge (RIS‑Justiz RS0054394; 9 ObA 163/08y; 9 ObA 146/12d). Nach ständiger Rechtsprechung hat die Auslegung normativer Bestimmungen eines Kollektivvertrags objektiv nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0010088). Dabei ist in erster Linie der Wortsinn ‑ auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen ‑ zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0010089). Führt der Wortsinn der Bestimmung zu keinem eindeutigen Ergebnis, so ist zu unterstellen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (8 ObA 22/12m). Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses ist mittels objektiv‑teleologischer Interpretation nach dem Sinn und Zweck zu fragen, den die Regelung vernünftigerweise haben kann (9 ObA 2/09y).
2.1 Die in Rede stehenden Bestimmungen der DO.A und DO.B betreffen die Ansprüche auf Urlaubsentgelt, das Feiertagsentgelt und das Krankenentgelt. Im jeweiligen Einleitungssatz dieser Bestimmungen wird dazu angeordnet, dass für die aus arbeitsrechtlicher Sicht besonderen (arbeitsfreien) Zeiträume (Urlaub, Feiertage, Krankenstand) die Dienstbezüge weitergezahlt werden. Die Bestimmungen betreffen somit Fälle der Entgeltfortzahlung. Den angeführten Zeiträumen ist gemein, dass es sich nicht um Arbeitszeit, sondern um entgeltpflichtige Zeiten ohne Arbeitspflicht handelt.
2.2 Hinsichtlich der weiterzuzahlenden Dienstbezüge werden zwei Kategorien unterschieden, nämlich jene, die in vollem Ausmaß weitergezahlt werden (zB die ständigen Bezüge), sowie besondere Dienstbezüge (bestimmte Zulagen und Überstunden), die nach Maßgabe einer Durchschnittsbetrachtung weitergezahlt werden. Die hier konkret auslegungsbedürftigen Regelungen betreffen nur die zweite Kategorie der erwähnten besonderen Dienstbezüge.
Nach den hier auszulegenden Regelungen werden die im Einzelnen angeführten besonderen Dienstbezüge mit dem Durchschnitt berechnet. Beobachtungszeitraum ist dabei das vorangegangene Kalenderjahr.
2.3 Berechnungsgrundlage für die Weiterzahlung der besonderen Dienstbezüge ist der Stundenlohn gemäß § 59 Abs 2 DO.A bzw § 51 Abs 2 DO.B zum Auszahlungszeitpunkt. Daraus folgt, dass sich die Durchschnittsberechnung nicht auf die besonderen Dienstbezüge, sondern tatsächlich auf die diesen zugrunde liegenden Leistungen bezieht. Ausgangspunkt für die Durchschnittsberechnung sind somit die im vorangegangenen Kalenderjahr erbrachten Durchschnittsleistungen (zB Überstunden).
3.1 Anlass für den Streit zwischen den Parteien ist der erste Halbsatz im letzten Absatz der auszulegenden Bestimmungen („soweit die in lit a bis lit k angeführten [besonderen] Dienstbezüge nach dieser Bestimmung […] weitergezahlt wurden, sind sie bei der Bemessung der weiterzuzahlenden Dienstbezüge nicht zu berücksichtigen“). Nach dem Wortlaut bleiben (bereits früher) weitergezahlte besondere Dienstbezüge für Durchschnittsleistungen bei der Bemessung der weiterzuzahlenden besonderen Dienstbezüge außer Betracht.
Wie schon erwähnt, bezieht sich die Durchschnittsberechnung nicht auf die besonderen Dienstbezüge, sondern auf die diesen zugrunde liegenden Leistungen. Die in Rede stehende Anordnung ist somit dahin zu verstehen, dass Durchschnittsleistungen (zB Überstunden) im Beobachtungszeitraum, die (nach dem Ausfallsprinzip) für die besonderen arbeitsfreien Zeiten (Urlaub, Feiertage, Krankenstand) anzusetzen wären, ausgeklammert bleiben.
3.2 Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass nach den auszulegenden Regelungen für die Berechnung der weiterzuzahlenden besonderen Bezüge zwischen der Bemessungsgrundlage (Stundenanzahl der besonderen Leistungen [zB Überstunden] mal aktuellem Stundenwert) einerseits und dem Zeitfaktor (Tag) andererseits zu unterscheiden ist. Bei der Berechnung geht die Beklagte so vor, dass sie die Bemessungsgrundlage durch den Teiler von 360 Kalendertagen dividiert. Der Kläger steht in dieser Hinsicht auf dem Standpunkt, dass die Urlaubstage, Krankenstandstage und Feiertage im Beobachtungszeitraum vom Teiler von 360 in Abzug gebracht werden müssten, weil das für diese besonderen Zeiten weitergezahlte Entgelt (für Durchschnittsleistungen) auch in der Bemessungsgrundlage nicht berücksichtigt werde.
3.3 Die Durchschnittsberechnung dient (nur) der Ermittlung der Durchschnittsleistungen (zB Überstunden) im Beobachtungszeitraum. Die oben dargestellte Auslegung führt zum Ergebnis, dass Durchschnittsleistungen für Zeiten des Urlaubs, Krankenstands und der Feiertage (im Beobachtungszeitraum) bei Ermittlung der Bemessungsgrundlage unberücksichtigt bleiben. Der Teiler wird durch die maßgebliche Zeiteinheit bestimmt. Dazu wird normiert, dass Beobachtungszeitraum das vorangegangene Kalenderjahr ist. Zudem enthalten die auszulegenden Regelungen die Bestimmung, dass „Zeiten, für die kein Anspruch auf Dienstbezüge bestand, außer Acht zu lassen sind“. Damit wird keine eindeutige Anordnung über den Teiler getroffen.
4.1 Blieben die Durchschnittsleistungen in den besonderen arbeitsfreien Zeiten (im Beobachtungszeitraum) überhaupt unberücksichtigt, so würden die in Rede stehenden Bestimmungen mit dem Ausfallsprinzip in Konflikt geraten. Die Beklagte beruft sich in dieser Hinsicht auf die Kollektivvertragsdispositivität sämtlicher zu Grunde liegender gesetzlicher Bestimmungen, insbesondere auch des § 8 AngG iVm § 40 AngG. Der Kläger steht demgegenüber ‑ so wie die Vorinstanzen ‑ auf dem Standpunkt, dass § 8 AngG auch im Verhältnis zu Kollektivverträgen zwingender Charakter zukomme.
4.2 Es entspricht herrschender Meinung, dass die Rechte des Angestellten gemäß § 40 AngG auch nicht durch Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung geschmälert werden dürfen, sofern nicht ausdrücklich eine diesbezügliche Ermächtigung normiert ist (Staudecker in Reissner, AngG § 40 Rz 2; Burger in Reissner, AngG § 8 Rz 10; Drs in ZellKomm² § 40 AngG Rz 1; Holzer in Marhold/G. Burgstaller/Preyer, AngG § 40 Rz 2). Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 9 ObA 83/07g unter Bezugnahme auf § 40 AngG und unter Hinweis auf die Rechtssätze aus der Vorjudikatur ausgesprochen, dass zwingende gesetzliche Bestimmungen weder durch Kollektivvertrag noch durch Betriebsvereinbarungen oder Einzelarbeitsvertrag abbedungen werden können (vgl RIS‑Justiz RS0050828; 8 ObA 50/05v).
4.3 Der Beklagten ist zuzugestehen, dass in § 1164 Abs 1 ABGB mit BGBl I 2000/44 ausdrücklich die Wendung aufgenommen wurde, dass die darin angeführten Bestimmungen durch den Dienstvertrag oder durch Normen der kollektiven Rechtsgestaltung nicht aufgehoben oder beschränkt werden können. Nachdem in den Gesetzesmaterialien als Ziel dieser Gesetzesnovelle die arbeitsrechtliche Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten, insbesondere im Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bei Dienstverhinderung aus sonstigen wichtigen Gründen, genannt wird, folgt zu der in Rede stehenden Bestimmung des § 1164 ABGB die Erläuterung, dass die Entgeltfortzahlungsregelungen bei Krankheit (§ 1154b Abs 1 und 2 ABGB) nunmehr im Sinn der geforderten Gleichstellung der Arbeiter mit den Angestellten relativ [einseitig] zwingend ausgestaltet sind.
Aus dieser Formulierung ergibt sich unmissverständlich, dass der Gesetzgeber vom einseitig zwingenden Charakter des § 8 AngG ausgeht. Die Beklagte kann sich daher nicht auf eine gewollte Abweichung des § 1164 Abs 1 ABGB zu § 40 AngG und auf eine Besserstellung der Arbeiter berufen. Im Sinn der bisherigen Rechtsprechung und der herrschenden Meinung kommt § 8 AngG iVm § 40 AngG daher keine Kollektivvertragsdispositivität zu.
4.4 Nach dem Regelungsgehalt des § 8 AngG behält der Dienstnehmer für die jeweilige Dauer der Dienstverhinderung seinen Anspruch auf das Entgelt. Allgemein ist davon auszugehen, dass zufolge des in § 8 AngG zum Ausdruck kommenden Bezugsprinzips und ebenso des in § 6 Abs 3 UrlG zum Ausdruck kommenden Ausfallsprinzips zu prüfen ist, welcher Entgeltanspruch entstanden wäre, wenn die Arbeitsleistung in dem zu erwartenden Ausmaß erbracht worden wäre. Der Arbeitnehmer darf durch die Inanspruchnahme des Urlaubs bzw des Krankenstands keinen Nachteil erleiden (8 ObA 67/02i mwN). Es ist daher jenes Entgelt zu zahlen, dass dem Arbeitnehmer gebührt hätte, wenn er die besondere arbeitsfreie Zeit (Urlaub, Krankenstand) nicht angetreten hätte (vgl 8 ObA 253/94). Bei regelmäßiger Überstundenleistung (im Beobachtungszeitraum) ist daher das dafür zustehende Entgelt auch bei der Ermittlung des für die Zeiträume der Nichtarbeit (Urlaub, Krankenstand) zustehenden Entgelts zu berücksichtigen (9 ObA 20/99b; vgl auch RIS‑Justiz RS0058710). Bei ‑ hier in Rede stehenden ‑ unregelmäßig gewährten Entgeltbestandteilen (Prämien, Zulagen) oder wechselnder Höhe des Entgelts wird in der Regel auch das Durchschnittsprinzip herangezogen (vgl Burger § 8 Rz 66). Diesen Weg beschreiten auch die hier in Rede stehenden DO.A und DO.B, wobei sich der Durchschnitt auf das Ausmaß der erwähnten Leistungen (zB Überstunden) bezieht.
4.5 Aus diesen Grundsätzen folgt, dass konkret die durchschnittliche Zahl der Überstunden im Beobachtungszeitraum zu ermitteln ist, wobei auch die besonderen Zeiten des Urlaubs, des Krankenstands und der Feiertage zu berücksichtigen sind. Dies bedeutet, dass nach dem Ausfallsprinzip die Durchschnittsleistungen im Beobachtungszeitraum auch für die besonderen arbeitsfreien Zeiten (Urlaub, Krankenstand bzw Feiertage) anzusetzen sind. Die Anordnung in den auszulegenden Regelungen, wonach die Bezüge für die Durchschnittsleistungen in den besonderen Zeiten unberücksichtigt bleiben, verstößt daher gegen den zwingenden Charakter des § 8 AngG, sofern kein sonstiger Ausgleich erfolgt.
4.6 Das von der Beklagten für die angebliche Günstigkeit (siehe dazu 8 ObA 50/05v) der Regelungen in den DO.A und DO.B ins Treffen geführte Argument überzeugt nicht. Die Regelmäßigkeit der Überstundenleistung kommt gerade durch die Durchschnittsberechnung in dem auf das gesamte Kalenderjahr bezogenen Beobachtungszeitraum (kalenderjährlicher Durchschnitt) zum Ausdruck. Werden alle Überstunden im Kalenderjahr auf die einzelnen Tage aufgeteilt, so ergibt der Durchschnittswert die regelmäßig pro Tag erbrachte Überstundenleistung. Auch die dazu angestellte Überlegung des Klägers ist zutreffend, dass bei einem besonders langen Beobachtungszeitraum nur ausnahmsweise geleistete Überstunden nicht ins Gewicht fallen.
5.1 Die Beklagte ist auch mit der Ansicht nicht im Recht, dass sich eine allfällige Gesetzeswidrigkeit ‑ zufolge der Kollektivvertragsdispositivität von § 6 Abs 5 UrlG und § 9 Abs 4 ARG ‑ nur auf die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beziehen könnte. Wie oben dargestellt wurde, enthalten die hier auszulegenden Regelungen der DO.A und DO.B über den Teiler keine eindeutige Aussage.
Die Berechnung der weiterzuzahlenden Dienstbezüge für die besonderen Durchschnittsleistungen nach den in Rede stehenden Regelungen ist im Wege der Auslegung daher noch nicht vollständig geklärt. Dabei ist zu beachten, dass die DO.A und die DO.B für sämtliche weiterzuzahlenden Entgelte idente Regelungen vorsehen. Dieser Aspekt ist im Rahmen der sinn- und zweckorientierten Auslegung ebenfalls zu berücksichtigen.
5.2 In der Entscheidung 9 ObA 20/99b hat der Oberste Gerichtshof auch zur Frage Stellung genommen, wie Überstunden im Beobachtungszeitraum nach dem Ausfallsprinzip zu berücksichtigen sind. Danach sind in Fällen, in denen der Arbeitnehmer aus welchem Grund auch immer in diesem Beobachtungszeitraum nicht arbeitete, die Nichtarbeitszeiten zu neutralisieren. Für die Ermittlung des für die Zeit der Nichtarbeit zu berücksichtigenden gebührenden Überstundenentgelte ist das für die Überstunden, die während des Beobachtungszeitraums geleistet wurden, gebührende Entgelt durch die Zahl der Normalarbeitsstunden, die während der Zeit der tatsächlichen Arbeitstätigkeit im Beobachtungszeitraum angefallen sind, zu teilen (vgl auch Burger § 8 Rz 66).
Diese Vorgangsweise findet im Wortlaut der hier auszulegenden Bestimmungen durchaus Deckung. Diese ordnen in Bezug auf den Teiler nämlich auch an, dass Zeiten, für die kein Anspruch auf Dienstbezüge bestand, außer Acht zu lassen sind. Diese Anordnung kann ohne weiteres dahin verstanden werden, dass im Teiler nur echte Arbeitstage gemeint sind. Für diese Ansicht kann ins Treffen geführt werden, dass die Dienstbezüge in § 35 DO.A und DO.B definiert sind und Entgeltfortzahlungsbestandteile nicht darunter fallen.
Diese Überlegungen sprechen für das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen, wonach unter die Wendung „Anspruch auf Dienstbezüge“ nur originäre, aufgrund tatsächlich geleisteter Arbeit gebührende Ansprüche zu verstehen sind. Wird von diesem Auslegungsergebnis ausgegangen, so sind die Durchschnittsleistungen im Beobachtungszeitraum während der besonderen arbeitsfreien Zeiten (Urlaub, Krankheit, Feiertage) zutreffend nicht zu berücksichtigen, weil sonst zu Gunsten der Dienstnehmer eine Doppelberücksichtigung stattfinden würde. Mit diesem Ergebnis könnte somit der gesamte Normenbestand der auszulegenden Regelungen erhalten werden. Eine solche geltungserhaltende Interpretation liegt dem Willen der Kollektivvertragsparteien am nächsten, weshalb ihr im Zweifelsfall der Vorzug zu geben ist.
Für dieses Auslegungsergebnis spricht noch ein weiterer Umstand. Überschlagsmäßige Vergleichsrechnungen zeigen, dass die Variante des Klägers einerseits und die zu korrigierende Variante der Beklagten (Anpassung der Bemessungsgrundlage durch Einbeziehung der Durchschnittsleistungen in Zeiten von Urlaub, Krankheit und Feiertagen im Beobachtungszeitraum) zu einem annähernd gleichen Ergebnis führen. Sind mehrere Berechnungsmethoden annähernd gleichwertig, so ist ebenfalls jener der Vorzug zu geben, die eine Aufrechterhaltung der Normen des Kollektivvertrags ermöglicht.
6.1 Zusammenfassend ergibt sich:
Nach den einschlägigen Regelungen der DO.A (§§ 59a ff) und DO.B (§§ 51a ff) der Sozialversicherungsträger Österreichs bleiben bei der Berechnung des Urlaubs-, Feiertags- und Krankenentgelts die Durchschnittsleistungen (zB Überstunden) im Beobachtungszeitraum (Kalenderjahr) von der Bemessungsgrundlage ausgeklammert. Der Teiler (Divisor) für die Berechnung wird durch die maßgebliche Zeiteinheit (Tag) bestimmt. Dazu wird in der DO.A und DO.B keine eindeutige Anordnung getroffen. Um dem nach § 8 AngG iVm § 40 AngG auch im Verhältnis zu einem Kollektivvertrag zwingenden Ausfallsprinzip Rechnung zu tragen, sind die Nichtarbeitstage im Beobachtungszeitraum derart zu neutralisieren, dass der Teiler (von 360) um diese Tage vermindert wird. Die Wendung „Zeiten, für die kein Anspruch auf Dienstbezüge bestand, [sind] außer Acht zu lassen“ ist daher dahin auszulegen, dass sie sich auf alle Nichtarbeitstage bezieht. Im Zweifel ist einer geltungserhaltenden Interpretation der Vorzug zu geben.
6.2 Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen mit diesen Grundsätzen im Einklang. Der Revision der Beklagten war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG.
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