European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00004.23F.0524.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Arbeitsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 730,97 EUR (darin enthalten 121,83 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.263,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt und 762 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger war bei der Beklagten ab 1. 6. 2021 als LKW‑Mechaniker in Vollzeit beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis ist der Kollektivvertrag für Arbeiter im Güterbeförderungsgewerbe anzuwenden.
[2] Am 27. 9. 2021 kam der Kläger zwischen 6:30 Uhr und 7:00 Uhr zu seiner Arbeitsstelle, wo er den Werkstättenleiter antraf. Dieser meinte zum Kläger, dass er „zu deppert für alles“ sei und den „Chef“, gemeint der Geschäftsführer der Beklagten, fragen solle, ob dieser Arbeit für ihn habe. Der Kläger berichtete daraufhin dem Geschäftsführer von dem Vorfall. Dieser meinte, dass er keine Arbeit für den Kläger habe, er leite nicht die Werkstätte. Er bot dem Kläger eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses an, da er ihn ansonsten nicht mehr beschäftigen könne. Der Kläger stimmte dem klar und deutlich zu. Dass sich der Kläger zu jenem Zeitpunkt schlecht oder krank fühlte, gab er nicht an und ist nicht feststellbar.
[3] Da die Personalabteilung zu diesem Zeitpunkt noch nicht besetzt war, fuhr der Kläger zunächst nach Hause. Der Geschäftsführer der Beklagten ließ in der Folge ein Schreiben über die Auflösung des Dienstverhältnisses erstellen, in dem es heißt:
„Auflösung Dienstverhältnis im gegenseitigen Einverständnis 27. 9. 2021
Wie zwischen [dem Kläger] und [dem Geschäftsführer der Beklagten] besprochen und vereinbart, wird das seit dem 1. 6. 2021 bestehende Dienstverhältnis im gegenseitigen Einverständnis mit 5. 10. 2021 aufgelöst. Der offene Urlaub von 7 Tagen wird in der Zeit vom 27. 9. 2021 bis 5. 10. 2021 verbraucht.“
[4] Als der Kläger nach Hause kam, fühlte er sich unwohl und wurde ihm schwindelig. Er suchte daraufhin zwischen 13:00 Uhr und 13:15 Uhr seinen Hausarzt auf. Dieser überwies ihn zu einem Internisten und schrieb ihn mit 27. 9. 2021 krank. Zwischenzeitig war der Kläger von der Beklagten angerufen worden, dass dort für ihn etwas zu unterschreiben sei. Da der Internist am selben Tag geschlossen hatte, fuhr der Kläger in der Folge wieder zur Beklagten, wo er um 15:10 Uhr eintraf. Er legte seine Krankenstandsbestätigung vor und wurde um die Rückgabe von Firmentelefon und Schlüssel ersucht. Weiters sollte er die schriftliche Ausfertigung der einvernehmlichen Auflösung unterschreiben, was er jedoch verweigerte. Auf Nachfrage des Geschäftsführers der Beklagten, erklärte der Kläger, dass er krank sei. In der Folge verließ er das Firmengelände.
[5] Der Kläger begehrt 3.789,45 EUR brutto sA an Entgeltfortzahlung und restlichen aliquoten Sonderzahlungen für die Zeit bis 5. 12. 2021. Das Arbeitsverhältnis habe durch einvernehmliche Auflösung geendet, er habe einer solchen am 27. 9. 2021 zwar nicht zugestimmt, sich jedoch später nach Beratung durch die Arbeiterkammer mit einer solchen einverstanden erklärt. Am 27. 9. 2021 habe ihm der Geschäftsführer der Beklagten aufgrund des Vorfalls mit dem Werkstättenleiter nur das „Finden einer einvernehmlichen Lösung“ angeboten. In der Folge habe er sich aufgrund gesundheitlicher Beschwerden zum Arzt begeben und sei krank geschrieben worden. Die Krankschreibung habe er im Unternehmen abgegeben, wobei er verweigert habe, eine einvernehmliche Auflösung zu unterschreiben. Er sei mit 5. 10. 2021 mit dem Grund „einvernehmliche Auflösung“ abgemeldet worden. Er befinde sich seit 27. 9. 2021 in einem ordnungsgemäß gemeldeten Krankenstand, weshalb er einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung habe.
[6] Die Beklagte stellte das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit, bestritt es jedoch dem Grunde nach. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der einvernehmlichen Auflösung nicht krank gewesen und habe auch keine Angaben zu gesundheitlichen Beschwerden gemacht. Vielmehr sei er normal zur Arbeit erschienen. Nachdem im Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten eine einvernehmliche Auflösung vereinbart worden sei, habe er das Unternehmen verlassen. Diese Vereinbarung sei weder während einer Arbeitsverhinderung noch im Hinblick auf eine solche erfolgt. Es bestehe daher kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die einvernehmliche Auflösung sei am 27. 9. 2021 morgens vereinbart worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger nicht krank gewesen. Er habe daher keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers gegen diese Entscheidung Folge und änderte das Ersturteil dahingehend ab, dass der Klage stattgegeben wird. Der Kläger sei von seinem Hausarzt am Tag der Vereinbarung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses „mit diesem Tag“ krankgeschrieben worden. Da sich in der Arbeitsunfähigkeitsmeldung keine detaillierten Ausführungen des Arztes befänden, sei die Arbeitsunfähigkeit mit Beginn des angegebenen Tages 00:00 Uhr anzunehmen und wirke auf den geplanten Arbeitsbeginn zurück. Damit sei die Vereinbarung der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung erfolgt, weshalb ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 5 EFZG bestehe. Dass der Kläger gegenüber dem Geschäftsführer keine Mitteilung davon gemacht habe, sich krank zu fühlen, sei irrelevant. Der Pflicht nach § 4 Abs 1 EFZG habe er entsprochen.
[9] Die Revision wurde vom Berufungsgericht mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zugelassen.
[10] Gegen diese Entscheidung wendet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist zur Klarstellung zulässig und auch berechtigt.
[13] 1. Nach § 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) behält ein Arbeitnehmer, der nach Antritt des Dienstes durch Krankheit (Unglücksfall) an der Leistung seiner Arbeit verhindert ist, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, seinen Anspruch auf Entgelt für einen bestimmten Zeitraum abhängig von der Dauer seiner Beschäftigung.
[14] Weiters sieht § 5 EFZG vor, dass, wenn der Arbeitnehmer während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG ohne wichtigen Grund vorzeitig entlassen wird oder den Arbeitgeber ein Verschulden an dem vorzeitigen Austritt des Arbeitnehmers trifft, der Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts für die nach dem Gesetz vorgesehene Dauer bestehen bleibt, wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bleibt auch dann bestehen, wenn das Arbeitsverhältnis während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gemäß § 2 einvernehmlich beendet wird.
[15] 2. Die Erweiterung des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Fall einer einvernehmlichen Auflösung durch § 5 Satz 2 EFZG erfolgte mit BGBl I 2017/153 (ohne nähere Erläuterungen). Grundsätzlich dienen die Entgeltfortzahlungsbestimmungen des § 5 EFZG bzw des diesem entsprechend § 9 AngG der Lohnsicherung und damit der Sicherung der wirtschaftlichen Existenz des Arbeitnehmers während der Dienstverhinderung sowie dem Schutz seiner Gesundheit. Darüber hinaus soll es dem Arbeitgeber auch unmöglich gemacht werden, sich den Entgeltfortzahlungspflichten dadurch zu entziehen, dass er das Arbeitsverhältnis beendet (vgl Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm³ § 9 AngG Rz 4 mwN; 9 ObA 123/10v; RIS‑Justiz RS0109426 [T1]). Mit der Novellierung der Bestimmung (BGBl I 2017/153) wurden durch die Erweiterung um einvernehmliche Auflösungen während der Arbeitsverhinderung und im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung weitere Konstellationen unter den Schutz der Entgeltfortzahlungsbestimmung gestellt, die vom bisherigen Normzweck nicht erfasst waren (10 ObS 67/21g).
[16] 3. Schon nach der bisherigen Rechtslage kam es auf die Kenntnisse des Arbeitgebers von einer Arbeitsunfähigkeit nicht an (vgl Melzer‑Azodanloo in Löschnigg, AngG10 § 9 AngG Rz 12 ua). Bei der einvernehmlichen Auflösung ist dagegen zu unterscheiden, da § 5 Satz 2 EFZG zwei Anwendungsfälle erfasst: Einerseits die einvernehmliche Beendigung während einer Arbeitsverhinderung nach § 2 EFZG, andererseits die einvernehmliche Beendigung im Hinblick auf eine solche Arbeitsverhinderung. Bei der einvernehmlichen Beendigung während des Krankenstands ist das Motiv der Beendigung ohne Bedeutung. Dagegen muss bei der einvernehmlichen Beendigung im Hinblick auf einen Krankenstand das Motiv zur Beendigung im (bevorstehenden) Krankenstand liegen, was die diesbezügliche Kenntnis des Arbeitgebers voraussetzt (vgl 9 ObA 100/22d).
[17] 4. Soweit die Bestimmung auf die Auflösung „während der Arbeitsverhinderung“ abstellt, bleibt der Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus bestehen, wenn die Dienstverhinderung bereits im Zeitpunkt (des Zugangs) der Beendigungserklärung vorlag, das tatsächliche Ende des Arbeitsverhältnisses ist nicht relevant (Drs aaO Rz 18 mwN). Für die einvernehmliche Auflösung (erster Fall) bedeutet das, dass die Vereinbarung während der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossen worden sein muss, für die die Entgeltfortzahlung begehrt wird (so auch Haider, DRdA 2022/13 [246]).
[18] 5. Dass keine Kenntnis des Arbeitgebers von der Arbeitsverhinderung erforderlich ist, ist insbesondere in jenen Fällen relevant, in denen der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Beendigungserklärung bzw Vereinbarung der einvernehmlichen Auflösung noch für den Tag der Erklärung oder der Auflösung krank geschrieben wird – was teilweise auch rückwirkend erfolgt (vgl die Beispiele aus der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts bei Eibensteiner, Rückwirkende Krankschreibung und Arbeitgeberkündigung, RdW 2017/248) – und das ärztliche Attest dem Arbeitgeber erst danach vorgelegt wird.
[19] Die gesundheitsbedingte Dienstverhinderung fängt grundsätzlich zu jenem Zeitpunkt an, in dem der Arbeitnehmer tatsächlich arbeitsunfähig ist. Dies ist dann der Fall, wenn er aufgrund von Krankheit oder Unfall seinen vertraglich geschuldeten Tätigkeiten nicht nachkommen kann (Melzer‑Azodanloo in Löschnigg, AngG10 § 9 AngG Rz 12). Es kommt daher auf das objektive Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit an.
[20] 6. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass in der Regel der Zeitpunkt, in dem die Krankschreibung erfolgt, nicht mit dem Zeitpunkt der objektiven Dienstverhinderung gleichzusetzen ist, wird durch die Krankschreibung diese Dienstverhinderung ja nur dokumentiert. Erfolgt daher eine Krankschreibung rückwirkend, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Arbeitsverhinderung schon zu diesem Zeitpunkt vorgelegen ist. Da es in die fachliche Kompetenz des Arztes fällt, zu entscheiden, ob Arbeitsunfähigkeit besteht, wird es teilweise in der Lehre sogar als unerheblich erachtet, wenn der Arbeitnehmer einen Arbeitsversuch unternommen hat, weil er sich für ausreichend arbeitsfähig hielt (Eibensteiner, Rückwirkende Krankschreibung und Arbeitgeberkündigung, RdW 2017/248 [315]). Dessen ungeachtet muss aber dem Arbeitgeber die Möglichkeit offenstehen zu beweisen, dass unabhängig von der Krankschreibung objektiv keine Arbeitsunfähigkeit vorlag.
[21] 7. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht zwar formal eine negative Feststellung zur Arbeitsfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Vereinbarung getroffen, disloziert in der Beweiswürdigung verwies es dazu jedoch darauf, dass aufgrund der aufgenommenen Beweise „nicht davon auszugehen ist, dass der Kläger zu Beginn des Tages des 27. 9. 2021 arbeitsunfähig oder krank war“, was nach dem Erstgericht dazu führte, dass „eine Negativfeststellung zu treffen war“. Gemeint war also offenkundig die positive Feststellung, dass der Kläger zu Beginn des Tages nicht arbeitsunfähig oder krank war.
[22] Unabhängig davon hat aber der Kläger im Verfahren überhaupt nicht geltend gemacht, vor und bei der Vereinbarung der einvernehmlichen Auflösung krank gewesen zu sein. Zwar brachte er vor, dass er aufgrund der allgemeinen Situation, wie man im Unternehmen mit ihm umgegangen sei, psychische Probleme gehabt habe, zum konkreten Vorfallstag berief er sich jedoch darauf, dass ihm erst nach dem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten, als er den Vorfall schockiert seiner Mutter schilderte, schwindelig wurde und er sich zum Hausarzt begab. Das heißt, auch der Kläger geht nicht davon aus, dass er am Morgen dieses Tages arbeitsunfähig war, sondern dass seine Beschwerden aus dem Vorfall am Vormittag resultieren. Damit ist aber die einvernehmliche Auflösung nicht „während der Arbeitsverhinderung“ vereinbart worden, unabhängig davon, dass die Krankschreibung ohne näheres Anführen eines Zeitpunkts für diesen Tag erfolgte.
[23] Auf ein „Vertrauen in die Krankschreibung“ kommt es in diesen Zusammenhang nicht an. Soweit in der Revisionsbeantwortung darauf verwiesen wird, dass es „nicht außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, dass der Kläger nur aufgrund von Druck wegen seiner bisherigen Krankenstände und seiner langen Krankengeschichte sowie der Angst hinsichtlich eines möglichen Jobverlustes trotz Krankheit zur Arbeit ging“, so hat er ein diesbezügliches Vorbringen in erster Instanz gerade nicht erstattet, weshalb darin eine unzulässige Neuerung liegt.
[24] 8. Es besteht daher kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, weshalb das klagsabweisende Ersturteil wiederherzustellen war.
[25] 9. Aufgrund der Abänderung in der Hauptsache waren die Kosten des Berufungsverfahrens neu zu bestimmen.
[26] Die Kostenentscheidung gründet sich dabei, ebenso wie die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens auf §§ 41, 50 ZPO.
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