OGH 8ObA26/17g

OGH8ObA26/17g30.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Hübner und Mag. Andreas Schlitzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1) A*****, und 2) S*****, beide vertreten durch die Ferner Hornung & Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1) R***** GesmbH, *****, und 2) W***** E*****, beide vertreten durch Pallauf Meissnitzer Steindl & Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 13.616,66 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 1. März 2017, GZ 12 Ra 1/17d‑26, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00026.17G.0530.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.  Die Beklagten stehen auf dem Standpunkt, dass das Eigenverschulden des Klägers ihr eigenes grobes Verschulden ausschließe.

Trotz der Anordnung in § 334 Abs 3 ASVG, wonach durch ein Mitverschulden des Versicherten die Haftung nach Abs 1 weder aufgehoben noch gemindert wird (vgl 10 ObS 321/98y), wird in der Literatur die Meinung vertreten, dass schweres Eigenverschulden des versicherten Dienstnehmers die Zurechnung zwischen dem Unfall und dem Verhalten des Dienstgebers unterbrechen könne, die für den Eintritt der Haftung des Dienstgebers nach § 334 ASVG erforderlich sei ( Neumayr/Huber in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 334 ASVG Rz 39). Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wird damit der Fall angesprochen, dass eine gröbliche Nichtbefolgung von Arbeitnehmer-Schutzbestimmungen durch den Dienstnehmer für den Dienstgeber nicht vorhersehbar ist und diesem der Schadenseintritt daher nicht als wahrscheinlich erscheinen musste. In einem solchen Fall könnte gleichsam von einem Alleinverschulden des Dienstnehmers ausgegangen werden, was zum Schluss veranlassen könnte, der Unfall sei nicht mehr der Sphäre des Dienstgebers zuzurechnen. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedenfalls nicht vor.

2.  In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass es § 334 Abs 3 ASVG nicht ausschließt, bei Beurteilung der Frage, ob der Dienstgeber grob fahrlässig gehandelt hat, das Verhalten des Versicherten mitzuberücksichtigen (RIS‑Justiz RS0085538; 8 ObA 301/89t; 9 ObA 53/12b; Neumayr/Huber , aaO Rz 39).

Diesem Grundsatz liegt die Überlegung zugrunde, dass der Dienstgeber mit einem völlig unvernünftigen (Fehl-)Verhalten des Dienstnehmers nicht rechnen muss, sofern der Dienstgeber die gebotenen Sicherheitsvorkehrungen getroffen sowie die erforderlichen Sicherheitsanweisungen erteilt und deren Einhaltung kontrolliert hat. Diese Frage betrifft die Beurteilung, ob dem beklagten Dienstgeber ein für den Unfall kausales Fehlverhalten anzulasten ist, das den Vorwurf grober Fahrlässigkeit rechtfertigt.

3.1  Die Beurteilung des Verschuldensgrades des Dienstgebers richtet sich typisch nach dem Einzelfall und begründet daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0026555). Entgegen der Argumentation der Beklagten in der außerordentlichen Revision kann von einer korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts im Anlassfall keine Rede sein.

3.2  Dem verletzten Dienstnehmer wurde bei der Einschulung an der Anlage von seinem Vorgesetzten an der Anlage gesagt, er solle das fragliche Rohr bzw den Schlauch zur Überbrückung des Totmannschalters benützen. Diese Handhabung war in Betrieb der Beklagten geradezu üblich, was dem Zweitbeklagten als Geschäftsführer der Erstbeklagten auch bekannt war. So hat die externe Sicherheitsfachkraft diesen Umstand immer wieder beanstandet und darauf aufmerksam gemacht, dass die in Rede stehende Überbrückung nicht zulässig ist. Selbst bei der Begehung durch den Unfallverhütungsdienst im Jänner 2014 war die inkriminierte Umgehungsvorrichtung immer noch vorhanden. Schon die Beanstandungen im Jahr 2005 haben gezeigt, dass es die Verantwortlichen der Erstbeklagten mit den Sicherheitsmaßnahmen nicht so ernst nehmen.

3.3  Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass sich die Beklagten in der gegebenen Situation nicht mit allgemeinen Arbeitsanweisungen und routinemäßigen Rundgängen hätten begnügen dürfen, sondern die Verwendung der in Rede stehenden Umgehungsvorrichtung durch konkrete Maßnahmen, wie entsprechende Ermahnungen oder technische Vorkehrungen, effektiv hätten unterbinden müssen, weshalb die stillschweigende Duldung der Überbrückung des Totmannschalters durch den Zweitbeklagten den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründe, ist keinesfalls korrekturbedürftig.

4.  Der von den Beklagten geltend gemachte Verfahrensmangel betrifft das erstinstanzliche Verfahren und kann zufolge Verneinung durch das Berufungsgericht nicht zum Gegenstand der außerordentlichen Revision gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963). Angemerkt wird, dass die Beklagten in dieser Hinsicht von einer bestimmungsgemäßen Bedienung der Förderanlage unter Verwendung des Sicherheitsmechanismus (des Totmannschalters) ausgehen, was den getroffenen Feststellungen widerspricht.

5.  Insgesamt gelingt es den Beklagten nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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