OGH 8ObA21/17x

OGH8ObA21/17x30.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Klaus Hübner und Mag. Andreas Schlitzer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** G*****, vertreten durch Mag. Dieter Kieslinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Johannes Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wegen 25.171,53 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. Februar 2017, GZ 9 Ra 114/16z‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00021.17X.0530.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Das Erstgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass sich durch das Begleiten ihres Lebensgefährten zum Konzert seiner Band weder der Krankenstand der Klägerin verlängert noch ihr Gesundheitszustand verschlechtert hat. Der Klägerin wurde von den Ärzten sogar geraten, am sozialen Leben teilzunehmen und das zu tun, was für sie angenehm ist. Der psychische Gesundheitszustand der Klägerin hat sich innerhalb weniger Monate auch tatsächlich wieder gebessert.

Auf die in der außerordentlichen Revision angegriffene Beurteilung des Berufungsgerichts, die nachträgliche Vorlage des Beipackzettels verstoße gegen das Neuerungsverbot, kommt es gar nicht an. Bei dem angesprochenen Beipackzettel handelt es sich im gegebenen Zusammenhang um ein vollkommen untaugliches Beweismittel. Ein Beipackzettel enthält allgemeine Informationen vor allem über die Zusammensetzung, Anwendungsgebiete, Gegenanzeigen, Neben- und Wechselwirkungen und Dosierung eines Arzneimittels, um dem Verbraucher eine Hilfestellung für die Anwendung zu geben. Eine konkrete ärztliche Einschätzung vermag ein Beipackzettel aber von vornherein nicht zu beeinflussen.

2. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten erhobene Mängelrüge zur Nichteinholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens als nicht berechtigt beurteilt und das Vorliegen des behaupteten Verfahrensmangels somit verneint (vgl dazu RIS‑Justiz RS0042963; RS0043051).

Richtig ist, dass das Berufungsgericht auf die Begründung des Erstgerichts, der Beweisantrag sei verspätet gestellt worden, nicht eingegangen ist. Es bezog sich vielmehr auf den zugrunde liegenden Beweisantrag der Beklagten (ON 24, 3) und qualifizierte das Beweisthema als nicht relevant.

Die (zutreffenden) rechtlichen Erwägungen des Berufungsgerichts zur Frage, wann eine Unterlassung der Arbeitsleistung aufgrund einer ärztlichen Krankschreibung gerechtfertigt ist, stellt die Beklagte in der außerordentlichen Revision nicht in Frage. Das von ihr vorgetragene Argument, für den Nachweis des Umstands, dass die Klägerin von ihrer (von der Beklagten unterstellten) Arbeitsfähigkeit Kenntnis hatte oder nach den Umständen offenbar haben musste, hätten andere Beweismittel gedient, wäre nur beachtlich, wenn dazu ein korrespondierendes erstinstanzliches Vorbringen erstattet worden wäre. Dies hat die Beklagte nicht getan. In dieser Situation ist das Vorbringen der Beklagten zur angeblich unberechtigten Unterlassung der Arbeitsleistung durch die Klägerin nicht ausreichend. Die in Rede stehende Beurteilung des Berufungsgerichts basiert demnach auf keinem Rechtsirrtum.

3.1 Nach der ermittelten Sachverhaltsgrundlage hat die Klägerin die von ihr geltend gemachten Überstunden tatsächlich erbracht; diese waren für die Erfüllung der Dienstpflichten auch erforderlich. Die Arbeiten konnten in der normalen Arbeitszeit der Klägerin nicht erledigt werden und wurden von der Beklagten entgegengenommen.

3.2 Nach der Rechtsprechung sind Überstunden dann abzugelten, wenn sie ausdrücklich oder schlüssig angeordnet wurden, oder wenn der Arbeitgeber Arbeitsleistungen entgegennimmt, die auch bei richtiger Einteilung der Arbeit nicht in der normalen Arbeitszeit erledigt werden können (RIS‑Justiz RS0051431).

Wenn der Arbeitgeber unter gewöhnlichen Umständen Überstunden entgegennimmt, bedeutet dies bei objektiver Betrachtungsweise, dass er diese duldet und der Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers auf dessen Einverständnis schließen darf. Aus diesem Grund entspricht die vorbehaltlose Entgegennahme der Überstundenleistungen durch den Arbeitgeber einer schlüssigen Anordnung.

In einem Fall wie im vorliegenden scheitert diese Beurteilung an der (vermeintlichen) gegenteiligen Erklärung des Arbeitgebers. In einem solchen Fall ist jedoch nicht die Judikatur, sondern das Verhalten des Arbeitgebers widersprüchlich. Er verlangt die Erbringung von Arbeitsleistungen, die sich in der normalen Arbeitszeit nicht ausgehen, erklärt aber gleichzeitig, dass keine Überstunden geleistet werden sollen. Ein solches Verhalten, das einem venire contra factum proprium gleichkommt, kann grundsätzlich nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen. Vielmehr verstößt das Verhalten des Arbeitgebers gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Will er in einer solchen Situation tatsächlich, dass keine Überstunden geleistet werden, so hat er gegenüber dem Arbeitnehmer unmissverständlich klarzustellen, dass entgegen der bisherigen Übung ab sofort nur mehr ausdrücklich angeordnete Überstunden zu leisten sind; gleichzeitig hat er den Arbeitsumfang an die Normalarbeitszeit anzupassen. Solange der Arbeitgeber aber bei vernünftiger Einschätzung der Arbeitsleistung die Notwendigkeit der erbrachten Überstunden erkennen muss und den Arbeitsumfang nicht entsprechend anpasst, sind die erbrachten Überstunden abzugelten.

3.3 Im Anlassfall war die Aufforderung der Vorgesetzten der Klägerin, keine Überstunden zu machen und statt um 9:00 Uhr um 10:00 Uhr mit der Arbeit zu beginnen, von keiner Änderung des Arbeitsumfangs begleitet. Davon abgesehen war die tägliche Arbeitszeit der Klägerin in der mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung von 9:00 Uhr bis 18:00 Uhr festgelegt.

4. Insgesamt gelingt es der Beklagten nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.

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