OGH 8ObA103/21m

OGH8ObA103/21m22.2.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. C* D*, vertreten durch Strasser Huber Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei S*, vertreten durch Mag. Doris Braun, Rechtsanwältin in Graz, wegen 5.516,16 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. November 2021, GZ 7 Ra 47/21t‑24.1, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:008OBA00103.21M.0222.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die Vorinstanzen haben dem auf Verletzung des Verbots der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter gestützten Klagebegehren auf Zahlung einer Abfertigung nach § 36 Grazer Gemeinde‑Vertragsbedienstetengesetz idF BGBl 2012/14 (Grazer G‑VBG) trotz des in § 1 Abs 2 lit a Grazer G‑VBG vorgesehenen Ausschlusses der Anwendbarkeit auf Teilzeitbeschäftigte (weniger als ein Drittel) dem Grunde nach mit Zwischenurteil stattgegeben.

[2] Aus der vom Berufungsgericht umfassend dargestellten maßgeblichen Rechtslage ist insbesondere hervorzuheben:

[3] Nach § 4 Nr 1 der TeilzeitarbeitsRL 97/81/EG dürfen Teilzeitbeschäftigte in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt. Ein „vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter“ ist nach § 3 Z 2 TeilzeitarbeitsRL ein Vollzeitbeschäftigter desselben Betriebs mit derselben Art von Arbeitsvertrag oder Beschäftigungsverhältnis, der in der gleichen oder einer ähnlichen Arbeit/Beschäftigung tätig ist, wobei auch die Betriebszugehörigkeitsdauer und die Qualifikationen/Fertigkeiten sowie andere Erwägungen heranzuziehen sind.

[4] Ist in demselben Betrieb kein vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter vorhanden, so erfolgt der Vergleich anhand des anwendbaren Tarifvertrags oder, in Ermangelung eines solchen, gemäß den gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen oder den nationalen Gepflogenheiten.

[5] Vom Begriff der Beschäftigungsbedingungen sind grundsätzlich die gesamten Entgelt‑ und Arbeitsbedingungen erfasst. Bei der Entlohnung von Teilzeitbeschäftigten sind dieselben Grundsätze anzuwenden, wie sie auch für Vollzeitbeschäftigte gelten. Soweit die Arbeitsleistung lediglich quantitativ geringer ist als bei der Vollzeitarbeit, ist das Entgelt von Teilzeitbeschäftigten regelmäßig pro rata temporis, also anteilig nach dem Verhältnis der Arbeitszeit zur Vollarbeitszeit zu bemessen (ua Mosler in ZellKomm³ § 19d AZG Rz 46).

[6] Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs können schlechtere entgeltrechtliche Modalitäten und Beschäftigungsbedingungen für Teilzeitbeschäftigte eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts iSd Art 157 AEUV darstellen (8 ObA 70/18d mwN; vgl etwa auch EuGH Rs C‑385/11 , Elbal Morena, Rn 28 ff, ECLI:EU:C:2012:746).

[7] Eine unterschiedliche Behandlung ist zulässig, wenn sachliche Gründe sie rechtfertigen. Die Sachlichkeit ist stets danach zu beurteilen, ob es der – nicht diskriminierende – Zweck einer Regelung rechtfertigt, Teilzeitbeschäftigte anders zu behandeln als Vollzeitbeschäftigte. Dabei sind nur solche Regelungsziele anzuerkennen, die Gleichwertigkeit von Teilzeitbeschäftigung und Vollzeitbeschäftigung respektieren (9 ObA 121/19p). Die Maßnahme muss durch objektive Faktoren gerechtfertigt sein (RS0129112). Keine sachliche Begründung wird im Regelfall für den völligen Ausschluss Teilzeitbeschäftigter von bestimmten Anspruchsarten vorliegen, wenn der Sachverhalt der Arbeitserbringung gleich oder zumindest vergleichbar ist (9 ObA 121/19p).

[8] Mit diesen Grundsätzen steht die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht in Widerspruch.

[9] 2. Die Revisionswerberin argumentiert, es gebe im Rahmen der „Integrativen Zusatzbetreuung“, in dem die Klägerin als Psychologin tätig gewesen sei, keine „vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten“ iSd § 3 Z 2 TeilzeitarbeitsRL, weil das Organisationsstatut (§ 6 VO LGBl Nr 72/2002) vorsehe, dass pro Team für psychologisches Fachpersonal nur 10 Stunden pro Woche „zur Verfügung“ stehen.

[10] Es geht auch aus den Revisionsausführungen nicht hervor, inwiefern die organisatorische Limitierung der angebotenen Betreuungsstunden eine Beschäftigung in zwei oder mehreren Teams mit einer insgesamt die Grenze des § 1 Abs 2 lit a Grazer G‑VBG überschreitenden Stundenanzahl grundsätzlich ausschließen würde.

[11] Letztlich wäre aber selbst in Ermangelung vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter im Betrieb nach Art 3 Nr 2 TeilzeitRL der Vergleich anhand des anwendbaren Tarifvertrags oder, in Ermangelung eines solchen, gemäß den gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmungen oder den nationalen Gepflogenheiten zu ziehen.

[12] 3. Die Revision macht ferner geltend, die in § 1 Abs 2 lit a Grazer G‑VBG normierte Ausnahme geringfügig Teilzeitbeschäftigter vom Geltungsbereich des Gesetzes sei sachlich gerechtfertigt, weil die durch Verordnung festgelegte Organisation der integrativen Zusatzbetreuung nur eine Teilzeitbeschäftigung des psychologischen und therapeutischen Fachpersonals zulasse. Dies erklärt aber nicht den fehlenden Anspruch auf eine Abfertigung.

[13] 4. Mit dem Revisionsvorbringen, die vereinbarten Vertragsbedingungen seien gegenüber den Bestimmungen desGrazer G‑VBG günstiger gewesen, weil das Entgelt der Klägerin über dem Schemabezug gelegen und sie nicht dem Verbot von Nebenbeschäftigungen unterlegen sei, wird ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt.

[14] Der Oberste Gerichtshof hat zum Günstigkeitsvergleich im Arbeitsrecht bereits ausgesprochen, dass er nur zwischen Gruppen rechtlich und sachlich zusammengehöriger Normen durchzuführen ist, die den gleichen Regelungsgegenstand betreffen, was bei der Beschränkung von Nebenbeschäftigungen einerseits und der Entlohnung andererseits nicht ohne Weiteres der Fall ist (RIS‑Justiz RS0051060 [zu § 3 ArbVG]; 8 ObA 36/13x).

[15] Die Revision legt nicht nachvollziehbar dar, inwiefern der Klägerin durch ihr (allenfalls) den Schemabezug nach Grazer G‑VBG übersteigendes laufendes Entgelt vorweg ein fehlender Abfertigungsanspruch abgegolten werden sollte. Die Möglichkeit einer Abweichung vom Schemabezug besteht nach § 37 Grazer G‑VBG im Wege des Sondervertrags auch im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, ohne dass dadurch der Anspruch auf Abfertigung berührt wird oder entfällt.

[16] Eine Nebenbeschäftigung ist für Vertragsbedienstete der Beklagten nach § 13 Grazer G‑VBG grundsätzlich zulässig und nicht bewilligungs-, sondern lediglich meldepflichtig. Sie kann aber untersagt werden, wenn sie aus näher aufgezählten Gründen den Interessen der Dienstgeberin zuwiderläuft.

[17] Die Revision stellt nicht dar, worin bei der Klägerin ein gesetzlicher Grund für die Untersagung einer anderweitigen Tätigkeit gelegen wäre. Hätte die Beklagte tatsächlich Bedenken gegen eine Nebenbeschäftigung der Klägerin gehegt, hätte sie auch außerhalb des Geltungsbereichs des Grazer G‑VBG mit ihr eine ähnliche Klausel vereinbaren können (vgl auch RS0021449).

[18] 5. Insgesamt zeigt die Beklagte mit ihrer außerordentlichen Revision keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, sodass das Rechtsmittel zurückzuweisen war.

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