European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1987:0080OB00090.87.1218.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.489,70 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 226,34, keine Barauslagen) und die mit S 4.491,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Barauslagen von S 1.500,-- und Umsatzsteuer von S 271,92) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 27. Juni 1986 trieb der Zweitbeklagte auf der Landesstraße 232 im Gemeindegebiet von Neustift im Stubaital bei Km 7,4 mehrere Kühe des Erstbeklagten taleinwärts. Der mit seinem PKW mit dem Kennzeichen T * talauswärts fahrende Kläger stieß mit diesem Fahrzeug gegen eine der Kühe; dabei entstand am Fahrzeug ein Schaden in der Höhe von S 43.782,--.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes unter Eingeständnis eines Eigenverschuldens von 50 % die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 21.891,-- sA, also zum Ersatz der Hälfte seines Fahrzeugschadens. Er stützte dieses Begehren im wesentlichen darauf, daß der Zweitbeklagte die von ihm auf der Landesstraße taleinwärts getriebene Kuhherde des Erstbeklagten nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt habe. Der Erstbeklagte habe als Halter der Kühe für deren mangelnde Verwahrung und Beaufsichtigung einzustehen.
Die Beklagten wendeten im wesentlichen ein, daß der Kläger den an seinem Fahrzeug entstandenen Schaden allein verschuldet habe, weil er mit wesentlich überhöhter Geschwindigkeit talauswärts gefahren sei und das Verkehrszeichen "Achtung Tiere" nicht beachtet habe. Der Zweitbeklagte sei ein verläßlicher Treiber, der den Viehtrieb ordnungsgemäß durchgeführt habe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Der Unfall ereignete sich im Gemeindegebiet von Neustift im Stubaital auf der Ranalter Landesstraße bei Kilometer 7,4. Fährt man von Neustift im Stubaital taleinwärts, kommt man zuerst durch den Ortsteil Volderau. Nach dem Ende des Ortsgebietes führt die gut ausgebaute Ranalter Landesstraße durch Waldgebiet bis zur etwa 1 bis 2 km entfernten Unfallstelle und in weiterer Folge bis zur 11 km entfernten Mutterberg Alm bzw der dort befindlichen Talstation der Stubaier Gletscherbahn. Zwischen Volderau und der Stubaier Gletscherbahn liegen mehrere Almen, so die Falbesoner Alm, die Schangelair Alm, die Graba Almen und die Mutterberg Alm. Die Weidegebiete dieser Alm liegen unter anderem beidseits der Straße. Weidezäune sind zwischen Volderau und Ranalt entlang der Straße nicht angebracht. Darüber hinaus gibt es Hochalmen, auf welche ebenfalls jährlich Vieh aufgetrieben wird. Insgesamt werden auf die Almen im hinteren Stubaital jährlich 200 bis 250 Stück Rinder und viele Schafe aufgetrieben. Fährt man in den Sommermonaten auf der Ranalter Landesstraße taleinwärts, trifft man häufig Weidevieh auf oder neben der Straße an. Die Ranalter Landesstraße ist eine relativ stark frequentierte Straße, die zu einer Vielzahl von Ausgangspunkten für Bergwanderungen und Bergtouren sowie zur Talstation des Ganzjahresschigebietes der Stubaier Gletscherbahn führt.
Nähert man sich der Unfallstelle talauswärts fahrend, weist die Fahrbahn zunächst ein längeres gerades Straßenstück auf. Sodann beschreibt sie eine leichte Rechtskurve, an die sogleich eine stärkere unübersichtliche Linkskurve anschließt. Die Fahrbahn hat im gesamten Bereich talauswärts ein leichtes Gefälle. Zum Unfallszeitpunkt war die Fahrbahn trocken.
Von Neustift taleinwärts fährt man entweder auf der Ranalter Landesstraße über die Ortsteile Lehner und Stackler oder auf der Gemeindestraße über den Ortsteil Milders. Die Gemeindestraße mündet etwa 1 km südlich (taleinwärts) hinter Milders wieder in die Ranalter Landesstraße ein. Sowohl auf der Gemeindestraße nach Milders als auch auf der Landesstraße zwischen den Ortsteilen Lehner und Stackler sind Gefahrenzeichen nach § 50 lit 13a StVO in Richtung taleinwärts angebracht; das Gefahrenzeichen auf der Landesstraße ist mit der Zusatztafel "auf 16 km" ausgestattet. Weitere Gefahrenzeichen nach § 50 lit 13a StVO befinden sich in Richtung talauswärts auf der Ranalter Landesstraße in Falbeson sowie in dem zwischen Volderau und Neustift gelegenen Krößbach und auf der Gemeindestraße in Milders. Alle diese Gefahrenzeichen befanden sich bereits zum Unfallszeitpunkt an den angeführten Stellen und hatten (mit der angeführten Ausnahme) keine Zusatztafeln.
Der Erstbeklagte hat im Gebiet der Falbesoner Alm gemeinsam mit anderen Bauern das Weiderecht. Alljährlich wird ab Ende Mai das Vieh auf die Falbesoner Alm getrieben. Im Jahr 1986 geschah dies etwa am 25. Mai. Der Erstbeklagte führte den Almauftrieb seiner Tiere selbst durch, indem er sie mit dem Traktor zur Alm führte. Dort befindet sich auch der Stall, in den das Vieh über Nacht gebracht wird. Während des Tages weidet das Vieh auf der Falbesoner Alm, wobei es immer wieder vorkommt, daß einzelne Tiere weiter talauswärts zu den nahe Volderau gelegenen Weiden gehen, weil diese von den dortigen Weideberechtigten nicht genutzt werden. Von diesen Weiden muß dann das Vieh abends zurück zur Falbesoner Alm getrieben werden. Für den Sommer 1986 stellte der Erstbeklagte den Zweitbeklagten (erstmals) als Senner an. Der Zweitbeklagte ist ein 85-jähriger Rentner, der früher selbst eine Landwirtschaft mit ca 40 Stück Vieh gehabt hat. Er hat große Erfahrung im Umgang mit Vieh und ist für sein Alter rüstig. Zu den Aufgaben des Zweitbeklagten zählte es, das Weidevieh - soweit erforderlich - zur Falbesoner Alm zurückzutreiben. Der Erstbeklagte gab dem Zweitbeklagten diesbezüglich keine besonderen Anweisungen.
Am 27. Juni 1986 fuhr der Zweitbeklagte mit seinem Moped von Neustift kommend taleinwärts. Hinter Volderau fand er acht Kälber des Erstbeklagten. Er stieg von seinem Moped ab und trieb diese Tiere auf der Ranalter Landesstraße taleinwärts, indem er sein Moped hinter der Herde herschob. Einen Stock hatte der Zweitbeklagte nicht bei sich. Die Kälber waren an Autos gewöhnt, da sie schon öfter auf der Straße gegangen waren. Der Erstbeklagte war beim Viehtrieb nicht anwesend, sondern befand sich bei der Heuarbeit. Die vom Zweitbeklagten getriebenen Kälber waren über die ganze Fahrbahnbreite verteilt, wobei eine kleinere Gruppe etwas vorausging und sich mehr auf der (in ihrer Gehrichtung gesehen) linken Fahrbahnhälfte aufhielt.
Der Kläger war am 27. Juni 1987 mit Daniel P* und mit mehreren anderen Personen von Neustift bzw Fulpmes kommend zur Falbesoner Alm gefahren. Gegen 14 Uhr beschloß er, mit seinem PKW nach Neustift zu fahren, um ein Radio zu holen. Als Beifahrer nahm er Daniel P* mit. Auf dem vor der Unfallstelle gelegenen geraden Straßenstück fuhr der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h talauswärts. Obwohl er sich der Rechtskurve und der daran anschließenden unübersichtlichen Linkskurve näherte, reduzierte er vorerst seine Geschwindigkeit nicht. Als er in die Linkskurve einfuhr, sah er plötzlich zwei oder drei Kälber des Erstbeklagten auf der von ihm befahrenen Fahrbahnseite entgegenkommen. Er reagierte mit einer sofortigen Vollbremsung, wodurch die Räder seines PKW blockierten. Da er sein Fahrzeug vor den Kälbern infolge der von ihm eingehaltenen hohen Geschwindigkeit nicht mehr anhalten konnte, ging der Kläger von der Bremse herunter, lenkte nach links aus und konnte durch dieses Fahrmanöver gerade noch links an den Tieren vorbeifahren. Gleich darauf sah er aber, daß in kurzer Entfernung (etwa 50 m hinter der ersten Gruppe) weitere Kühe nachfolgten. Deshalb bremste der Kläger sein Fahrzeug weiter voll ab, zog die Handbremse und verriß sein Fahrzeug nach rechts. Dadurch wurde der PKW quergestellt, rutschte noch ein Stück weiter und stieß sodann mit dem linken hinteren Fahrzeugheck im Bereich der Fahrbahnmitte gegen das Kalb des Erstbeklagten. Das Kalb stürzte, sprang jedoch gleich wieder auf und erlitt keine feststellbaren Verletzungen.
Der Zweitbeklagte ging zum Unfallszeitpunkt hinter der Herde her und schob dabei sein Moped. In welcher Entfernung er hinter der Herde herging, kann nicht festgestellt werden.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß den Kläger insofern ein Verschulden an dem ihm entstandenen Schaden treffe, als er gegen den Grundsatz des Fahrens auf Sicht verstoßen habe. Dem Zweitbeklagten müsse als Treiber der Viehherde ein Verschulden angelastet werden, weil er dem Gebot des Treibens auf der rechten Fahrbahnseite nicht entsprochen habe. Dem Erstbeklagten als Tierhalter sei der Beweis mißlungen, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung der Tiere Sorge getragen habe. Bei Gegenüberstellung der beiderseitigen Verstöße sei eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 angemessen.
Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei.
Das Berufungsgericht führte, ausgehend von den übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes, rechtlich im wesentlichen aus, daß der Kläger in eklatanter Weise gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen habe. Trotz des Bewußtseins, durch ein Almgebiet zu fahren und trotz der aufgestellten Gefahrenzeichen nach § 50 Z 13a StVO sei der Kläger vorerst mit 100 km/h talauswärts gefahren, obwohl er sich einer unübersichtlichen Linkskurve genähert habe. Dem Kläger sei wegen seines eklatanten Verstoßes gegen § 20 StVO ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalles anzulasten.
Im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 80 Abs 3 STVO dürfe die Bestimmung des § 81 StVO (Weiden an Straßen) nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Wenn auch eine Verordnung der Behörde gemäß § 81 Abs 3 StVO im Ersturteil nicht festgestellt worden sei, dürfe nicht übersehen werden, daß sich zwischen Volderau und der Stubaier Gletscherbahn mehrere Almen befänden, wobei die Weidegebiete dieser Almen beiderseits der Straße gelegen seien. In diesem Bereich finde sich nach dem Almauftrieb zur Sommerzeit häufig Weidevieh auf oder neben der Straße. Zudem habe der Kläger bei der Hinfahrt (taleinwärts) auch das Gefahrenzeichen nach § 50 Z 13a StVO wahrnehmen müssen.
Durch die Bestimmung des § 80 Abs 3 StVO werde nur die möglichst geringe Behinderung des Verkehrs, nicht aber der völlige Ausschluß einer solchen Behinderung verlangt. Der Kläger hätte jederzeit mit dem möglichen Auftauchen von Tieren auf der Fahrbahn rechnen müssen. Der Zweitbeklagte, ein für sein Alter rüstiger Mann mit großer Erfahrung im Umgang mit Vieh, habe die 8 Kälber des Erstbeklagten taleinwärts begleitet. Dabei sei er, sein Moped schiebend, hinter der Herde hergegangen. Diese Vorgangsweise sei klüger gewesen, als wenn er den Tieren vorangegangen wäre und sie deshalb nicht ständig im Auge hätte behalten können. Daß nicht sämtliche Tiere ständig auf der rechten Fahrbahnseite gegangen seien, lasse sich dabei naturgemäß nicht verhindern, zumal festgestelltermaßen zu beiden Seiten der Straße Weideland gelegen sei. Es möge dies einen Verstoß gegen § 80 Abs 3 StVO darstellen; der Schuldgehalt sei jedoch in Ansehung des Zweitbeklagten bei Betrachtung des Gesamtverhaltens so geringfügig, daß er im speziellen Fall vernachlässigt werden könne. Es dürfe in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen werden, daß der Kläger an den weiter links befindlichen Kühen bereits vorbei gewesen sei, ehe es zur Kollision mit dem unfallsbeteiligten Kalb gekommen sei. Wollte man fordern, daß der die Kälber begleitende Zweitbeklagte ständig bereit sein müsse, jedes einzelne Tier, welches vielleicht den rechten Fahrbahnrand zu verlassen beginne, nach rechts abzudrängen, so würde man den Bogen seiner Aufsichtspflicht überspannen und ein Viehtrieb würde von vornherein unmöglich gemacht.
In Ansehnung des Erstbeklagten als Halter dieser Tiere sei auf § 1320 ABGB zurückzugreifen. Diese Gesetzesstelle normiere eine verschuldensunabhängige Haftung des Tierhalters. Ob der Tierhalter für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt habe, sei regelmäßig nach der von ihm durchschnittlich aufzuwendenden Sorgfalt (§ 1297 ABGB) zu beurteilen. Hiebei sei das Maß der erforderlichen Aufsicht und Verwahrung in elastischer, den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu bestimmen. Davon ausgehend könne auch dem Erstbeklagten als Tierhalter kein Vorwurf gemacht werden. Der Tierhalter werde insbesondere von seiner Haftung frei, wenn er beweise, daß er eine geeignete Person für die Verwahrung oder Beaufsichtigung ausgewählt und, soweit erforderlich, diese über die Eigenschaften der Tiere aufgeklärt und die nötigen Anleitungen erteilt und Überwachungen vorgenommen habe. Der Zweitbeklagte müsse zufolge seiner Rüstigkeit und seiner großen Erfahrung im Umgang mit Vieh als geeignete Person bezeichnet werden. Besondere Anleitungen über das Tierverhalten seien ihm gegenüber entbehrlich gewesen. Da es sich beim Zweitbeklagten um eine an sich verläßliche Person gehandelt habe, die durch die übertragene Aufgabe auch nicht überfordert gewesen sei, treffe den Erstbeklagten auch kein Verschulden bei der Auswahl seines Gehilfen.
Es habe im vorliegenden Fall keines zweiten Treibers zur Begleitung der Kälber bedurft. Da sich die Unfallstrecke im Weidegebiet befinde und durch Gefahrenzeichen auch auf die Möglichkeit von weidenden Tieren hingewiesen worden sei, sei mit dem Auftauchen von Tieren jederzeit zu rechnen gewesen, und zwar auch ohne Gegenwart eines Treibers bzw einer beaufsichtigenden Person. Das Unterlassen von weiteren erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen könne dem Erstbeklagten nicht vorgeworfen werden, da insgesamt nur Maßnahmen zu verlangen seien, die vernünftigerweise nach der Verkehrsauffassung als ortsüblich oder allgemein üblich erwartet werden könnten. Die objektive Zumutbarkeit von Maßnahmen richte sich insbesondere auch nach der Nutzungsart, wobei die Anforderungen bei nicht bösartigen Tieren nicht überspannt werden dürften. Die im allgemeinen Interesse liegende Landwirtschaft dürfe nicht durch Überspannung der Anforderungen unbillig belastet werden.
Ein allfälliges Mitverschulden des Zweitbeklagten sei in Ansehung des gravierenden Fehlverhaltens des Klägers nicht meßbar und könne daher außer Acht gelassen werden; die Halterhaftung des Erstbeklagten sei zu verneinen.
Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO begründete das Berufungsgericht damit, daß es sich um die Beurteilung eines Einzelfalles handle, wobei der Lösung der Rechtsfrage weder zur Wahrung der Rechtseinheit noch der Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukomme.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers. Er bekämpft es aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung im Sinne des § 503 Abs 2 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagten, denen im Sinne der §§ 507 Abs 2, 508a Abs 2 ZPO die Beantwortung der Revision freigestellt wurde, haben eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die Revision nicht zuzulassen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision ist entgegen der von den Beklagten vertretenen Rechtsmeinung im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig, weil das Berufungsgericht, wie den folgenden Rechtsausführungen zu entnehmen ist, in wesentlichen Fragen des materiellen Rechtes von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist. Sie ist auch sachlich berechtigt.
Die Bestimmungen des § 80 StVO über den Viehtrieb (siehe zu diesem Begriff Dittrich-Veit-Veit, StVO3 II § 80 Rz 2 und ZVR 1980/278) gelten unabhängig von regional unterschiedlichen landwirtschaftlichen Gebräuchen bezüglich des Treibens von Vieh auf öffentlichen Straßen (Dittrich-Veit-Veit aaO Rz 3) und haben insbesondere mit den im § 81 StVO aufgestellten Vorschriften über die erforderlichen Maßnahmen beim Weiden von Vieh auf nicht abgezäunten Grundstücken an öffentlichen Straßen nichts zu tun.
Wenn der Zweitbeklagte acht Kühe des Erstbeklagten auf der Landesstraße taleinwärts trieb, so handelte es sich dabei um einen Viehtrieb im Sinne der Vorschrift des § 80 StVO. Es oblag dem Zweitbeklagten die Beachtung der der Sicherheit des Verkehrs dienenden Schutzvorschrift des § 80 Abs 3 StVO, nach der das Vieh auf der rechten Fahrbahnseite getrieben und von einer angemessenen Zahl von Treibern begleitet werden muß.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß dieser Vorschrift nur dann Genüge getan wird, wenn durch eine hinreichende Anzahl von Treibern sichergestellt ist, daß die für den Viehtrieb aufgestellten straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften - hier die Benützung nur der rechten Fahrbahnhälfte - auch tatsächlich eingehalten werden können (2 Ob 111/73; ZVR 1980/278; ZVR 1982/325; im gleichen Sinne auch Dittrich-Veit-Veit aaO Rz 15).
Daß nach den im vorliegenden Fall festgestellten Umständen eine im Sinne dieser Rechtsprechung ausreichende Beaufsichtigung der auf der Straße getriebenen acht Kühe nicht vorlag, wenn der Zweitbeklagte, ein 85-jähriger Rentner, ohne Beiziehung weiterer Aufsichtspersonen in einem ungeklärt gebliebenen Abstand, sein Moped schiebend, hinter der auf etwa 50 m auseinandergezogenen aus acht Rindern bestehenden Herde herging, bedarf keiner weiteren Erörterung, zumal der Zweitbeklagte unter diesen Umständen keinerlei Möglichkeit hatte, die Einhaltung der rechten Fahrbahnseite durch die von ihm getriebenen Kühe sicherzustellen und auch tatsächlich nichts unternahm, um die Benützung der linken Fahrbahnseite durch die ersten zwei oder drei Kühe der Herde zu unterbinden.
Damit hat der Zweitbeklagte, der nach den Feststellungen der Vorinstanzen in Wahrheit nichts unternahm, um die von ihm getriebenen Kühe auf der rechten Fahrbahnseite zu halten und sich darauf beschränkte, hinter der von ihm getriebenen Herde herzugehen, in grober Weise gegen die Schutzvorschrift des § 80 Abs 3 StVO verstoßen. Daß sich der Unfall in gleicher Weise bei Beachtung dieser Schutzvorschrift durch den Zweitbeklagten ereignet hätte, wurde weder behauptet noch nachgewiesen.
Der spezifische Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen diesen Fehlverhalten des Zweitbeklagten und dem eingetretenen Unfall ist keineswegs zu verneinen, zumal der Kläger durch die ersten ihm auf der von ihm befahrenen Fahrbahnseite entgegenkommenden Kühe zu einem abrupten Brems- und Auslenkmanöver genötigt wurde, in dessen Verlauf er auf die linke Fahrbahnseite geriet, von wo er weiteren entgegenkommenden Kühen wieder auf die rechte Fahrbahnseite ausweichen mußte. Wenn er im Zuge dieses Fahrmanövers gegen eine ihm im Bereich der Fahrbahnmitte entgegenkommende Kuh stieß, ist dies unter diesen Umständen auch auf die Behinderung des Klägers durch die ersten ihm auf der von ihm befahrenen Fahrbahnseite entgegenkommenden Kühe zurückzuführen. Die überhöhte Fahrgeschwindigkeit des Klägers begründet sein Mitverschulden, hebt aber den Kausalzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Zweitbeklagten und dem eingetretenen Schaden am Fahrzeug des Klägers nicht auf.
Der Erstbeklagte haftet im Sinne des § 1320 ABGB als Tierhalter für den eingetretenen Schaden, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung seiner Tiere gesorgt hat.
Es kann hier ununtersucht bleiben, ob sich die Haftung des Tierhalters, der sich einer Hilfsperson bedient, um der ihm obliegenden Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht nachzukommen, für ein Verschulden dieser Aufsichtsperson mit einer analogen Anwendung de § 19 Abs 2 EKHG begründen läßt (so - allerdings nur in Form eines obiter dictum – JBl 1982, 150, mit zustimmender Besprechung von Koziol) oder ob im Sinne der älteren Rechtsprechung (EvBl 1980/49 mwN) davon auszugehen ist, daß ein Tierhalter, der die ihm obliegende Beaufsichtigung von Tieren einer anderen Person überläßt, seiner sich aus § 1320 ABGB ergebenden Verwahrungspflicht nur dann entsprochen hat, wenn er eine an sich verläßliche Person mit der Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres betraute, die durch die ihr übertragene Tätigkeit nicht offensichtlich überfordert wurde. Denn selbst dann, wenn man der letzterwähnten Rechtsansicht folgt, ist dem Erstbeklagten nach den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen der Entlastungsbeweis im Sinne des § 1320 zweiter Satz ABGB nicht gelungen, wenn er zur Beaufsichtigung eines immerhin acht Kühe umfassenden Viehtriebes nur eine einzige Person bestellte, die in Wahrheit die Einhaltung der Vorschrift des § 80 Abs 3 StVO bei Durchführung dieses Viehtriebes nicht durchsetzen konnte.
Es trifft sicher zu, daß den Kläger im Hinblick auf die von ihm zu verantwortende Übertretung der Schutzvorschrift des § 20 Abs 1 StVO ein schwerwiegendes Verschulden an dem ihm entstandenen Schaden trifft; dies gesteht der Kläger auch selbst zu. Dem dargestellten Fehlverhalten der beiden Beklagten, die in Wahrheit keinerlei wirksame Maßnahmen setzten, um die Durchführung eines der Vorschrift des § 80 Abs 3 StVO entsprechenden Viehtriebes zu gewährleisten, kommt aber unter Berücksichtigung des Grades ihrer Fahrlässigkeit und der Bedeutung ihres Fehlverhaltens für die Sicherheit des Verkehrs das gleiche Gewicht zu wie dem des Klägers. Es war daher in Stattgebung des außerordentlichen Revisonsrekurses des Klägers im Sinne der Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes zu entscheiden.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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