OGH 8Ob81/12p

OGH8Ob81/12p19.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Dehn als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des J***** Z*****, vertreten durch Mag. Anton Neulinger, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen und des einschreitenden Sachwalters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23. März 2012, GZ 43 R 161/12p‑17, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs des Betroffenen wird zurückgewiesen.

Der außerordentliche Revisionsrekurs des einschreitenden Sachwalters wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1.1 Nach § 119 AußStrG hat das Gericht, wenn das Verfahren aufgrund der Ergebnisse der Erstanhörung fortzusetzen ist, für einen Rechtsbeistand der betroffenen Person im Verfahren zu sorgen und einen Verfahrenssachwalter zu bestellen (2 Ob 163/10z). Nach § 120 AußStrG ist, wenn es das Wohl der betroffenen Person erfordert, zur Besorgung dringender Angelegenheiten längstens für die Dauer des Verfahrens ein einstweiliger Sachwalter mit sofortiger Wirksamkeit zu bestellen (RIS‑Justiz RS0117005). Der einstweilige Sachwalter hat im Sachwalterverfahren ‑ im Unterschied zum Verfahrenssachwalter ‑ keine Funktion (1 Ob 256/08s). Abgesehen von Ausnahmefällen ist es aber durchaus üblich, dieselbe Person mit beiden Funktionen zu betrauen.

1.2 Das Rekursgericht hat den Beschluss des Erstgerichts dahin interpretiert, dass der einschreitende Sachwalter sowohl zum einstweiligen Sachwalter als auch zum Verfahrenssachwalter bestellt wurde. Dagegen wendet sich der Revisionsrekurs nicht. Vielmehr sieht sich der einschreitende Sachwalter ausdrücklich auch als Verfahrenssachwalter. Dementsprechend hat er den zugrunde liegenden Bestellungsbeschluss sowohl im eigenen Namen als auch im Namen des Betroffenen bekämpft.

2.1 Der außerordentliche Revisionsrekurs im Namen des Betroffenen richtet sich gegen die Bestellung des einschreitenden Sachwalters an sich.

Mit Beschluss vom 17. 9. 2012 wurde der bisherige einstweilige Sachwalter zum endgültigen Sachwalter gemäß § 268 Abs 3 Z 2 ABGB, und zwar für folgenden Kreis von Angelegenheiten bestellt: „Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern.“ Dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen.

2.2 Auch im Außerstreitverfahren ist das Vorliegen von Beschwer als Ausdruck des besonderen Rechtsschutzinteresses für die Anrufung einer höheren Instanz Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels. Die Beschwer muss im Zeitpunkt der Rechtsmittelentscheidung noch vorliegen (RIS‑Justiz RS0006598; RS0041770). Über Fragen von nur theoretisch‑abstrakter Bedeutung abzusprechen, ist nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen (RIS‑Justiz RS0002495; 6 Ob 188/10f).

Bei der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters handelt es sich um keine endgültige Maßnahme, weil im Zeitpunkt der Bestellung noch nicht geklärt ist, ob die betroffene Person in Hinkunft einen Sachwalter benötigt (RV 224 BlgNR 22. GP 80). Es kann sich daher auch ergeben, dass für die betroffene Person gar kein Sachwalter zu bestellen ist (9 Ob 49/08h). Demgegenüber stellt die Bestellung des Sachwalters nach § 268 ABGB ‑ abgesehen von der Notwendigkeit der Überprüfung, ob die Aufhebung oder Änderung der Sachwalterschaft erforderlich ist ‑ eine endgültige Maßnahme dar. Sie greift daher tiefer in die Rechtsposition des Betroffenen ein. Aufgrund der Rechtskraft der Entscheidung über den weitergehenden Verfahrensgegenstand der endgültigen Sachwalterbestellung mangelt es dem Rechtsmittel des Betroffenen an der Beschwer.

3.1 Der außerordentliche Revisionsrekurs des einschreitenden Sachwalters wendet sich gegen die pauschale Bestellung zum einstweiligen Sachwalter.

Die Bestellung zum Sachwalter nach § 268 ABGB wird mit der Rechtskraft des Bestellungsbeschlusses wirksam (RIS‑Justiz RS0120299). Anders als nach der alten Rechtslage (vgl 7 Ob 153/00a) endet die Vertretungsbefugnis des Verfahrenssachwalters jedoch erst durch den konstitutiven Enthebungsbeschluss (1 Ob 97/12i). Dem außerordentlichen Revisionsrekurs des einschreitenden Sachwalters kann die Beschwer daher nicht abgesprochen werden. Eine erhebliche Rechtsfrage wird darin aber nicht angesprochen (vgl RIS‑Justiz RS0106744).

3.2 Der außerordentliche Revisionsrekurs geht zu Unrecht von einem Gegensatz zwischen § 120 AußStrG und § 123 leg cit aus. Tatsächlich verweist § 120 letzter Satz AußStrG auf §§ 123 Abs 1 Z 1 bis 4 und 126 leg cit (6 Ob 131/09x). Zwar ist zu beachten, dass die Bestellung eines einstweiligen Sachwalters für alle Angelegenheiten unzulässig ist (Weitzenböck in Schwimann/Kodek 4 § 268 ABGB Rz 23 und 30). Sonst besteht hinsichtlich des im Bestellungsbeschluss zu umschreibenden Wirkungsbereichs aber kein Unterschied. Bei den zu besorgenden Angelegenheiten kann es sich um einen bestimmten Anspruch oder ein bestimmtes Rechtsgeschäft, um einen Kreis von Angelegenheiten oder (dies allerdings nur beim endgültigen Sachwalter) um alle Angelegenheiten des Betroffenen handeln.

Die vom einschreitenden Sachwalter kritisierte „pauschale“ Sachwalterbestellung für die Angelegenheiten „Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern“ stößt damit auf keine Bedenken.

3.3 Zur Notwendigkeit der Wohnraumbeschaffung wegen drohender Obdachlosigkeit ist darauf hinzuweisen, dass sich der Genehmigungsbeschluss ON 16 auch auf den „Antrag an Wiener Wohnen auf Beigebung einer Sozialwohnung“ bezieht. Da dieses Verfahren vom Wirkungskreis des einschreitenden Sachwalters umfasst ist, liegt auch der im gegebenen Zusammenhang geltend gemachte sekundäre Feststellungsmangel nicht vor.

3.4 Das Gleiche gilt für die geltend gemachte Mangelhaftigkeit. Aus dem Genehmigungsbeschluss des Erstgerichts vom 2. 4. 2012 (ON 16) ergibt sich, dass in Bezug auf die Räumung der Mietwohnung zwar das Titelverfahren abgeschlossen, die Räumungsexekution aber noch nicht eingestellt ist (vgl dazu RIS‑Justiz RS0110230). Dem Betroffenen wurde zunächst ein Räumungsaufschub gewährt; nach Fortsetzung des Exekutionsverfahrens wurde ein neuer Räumungstermin noch nicht angesetzt. Auch im Genehmigungsbeschluss vom 13. 9. 2012 wird angeführt, dass die Wohnung dem Vermieter noch nicht übergeben wurde. Im Genehmigungsbeschluss ON 16 ist darüber hinaus festgehalten, dass der Betroffene nach den Behauptungen nützliche Aufwendungen auf das Bestandobjekt gemacht habe und dafür Ersatz nach den §§ 1097, 1037 ABGB verlange. Es ergibt sich somit, dass in beiden erwähnten Angelegenheiten (Räumungsexekution und Aufwandsersatz) noch Maßnahmen des einschreitenden Sachwalters notwendig sind. Die behauptete Unklarheit bzw Widersprüchlichkeit des erstgerichtlichen Beschlusses liegt damit nicht vor.

Es kann auch nicht fraglich sein, welche Angelegenheiten dringend sind, zumal eine Bestellung zum einstweiligen Sachwalter tatbestandsgemäß nur für solche Angelegenheiten in Betracht kommt (1 Ob 256/08s).

Die „Rechtsgeschäfte in geringfügigen Angelegenheiten“ werden nur im gesonderten allgemeinen Hinweis im erstgerichtlichen Beschluss genannt. Aus der Formulierung des Spruchs ist klar ersichtlich, dass sich diese Belehrung nicht auf die hier in Rede stehende Sachwalterbestellung beziehen kann.

Für die Bestellung eines Kollisionskurators ist schließlich vorausgesetzt, dass ein objektiver Konflikttatbestand besteht und eine gesetzmäßige Vertretung des Betroffenen wegen eines zu befürchtenden Interessenwiderstreits nicht zu erwarten ist (4 Ob 174/99p; vgl auch 10 Ob 23/08t). Dafür bestehen keine Anhaltspunkte, zumal auch der Standpunkt des Betroffenen im Verfahren geltend gemacht wurde.

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