European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E120162
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht aufgetragen, den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund zu behandeln.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Antragsteller hat mit der Drittantragsgegnerin am 12. 6. 2011 die Ehe geschlossen. Erst‑ und Zweitantragsgegner sind die gemeinsamen Kinder.
Der Antragsteller begehrt die Anerkennung des Urteils des Grundgerichts in Požarevac, Republik Serbien, vom 4. 3. 2014, mit dem die Ehe zwischen dem Antragsteller und der Drittantragsgegnerin geschieden, die Obsorge hinsichtlich der minderjährigen Kinder der Mutter übertragen und die Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers sowie sein Kontaktrecht zu Erst‑ und Zweitantragsgegner geregelt wurde.
Mit Beschluss vom 15. 6. 2016, ON 8 sprach das Erstgericht aus, dass das Urteil, soweit es über die Ehescheidung entscheide und die Obsorge beider Elternteile ausgesprochen habe, für den österreichischen Rechtsbereich als wirksam anerkannt werde. Soweit mit dem Urteil auch über Kindesunterhalt und Kontaktrecht entschieden werde, werde die Anerkennung versagt.
Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller Rekurs, lediglich die Versagung der Anerkennung der Kontaktrechtsentscheidung blieb unbekämpft. Er begehrte eine Umformulierung der seiner Ansicht nach undeutlich bzw einschränkend formulierten Anerkennung sowie eine Anerkennung auch der Unterhaltsentscheidung.
Das Rekursgericht stellte den Akt zunächst an das Erstgericht mit dem Auftrag zurück, ein Verbesserungsverfahren einzuleiten, dem Antragsteller die Vorlage der Originalentscheidung samt vollständiger Übersetzung und Rechtskraftbestätigung aufzutragen und den Akt sodann wieder vorzulegen.
Nachdem das Erstgericht die entsprechenden Urkunden beigeschafft hatte, fällte es am 10. 3. 2017, ON 23, neuerlich eine Entscheidung, in der es das Urteil, soweit damit über die Ehescheidung entschieden, die selbständige Ausübung der Elternrechte hinsichtlich der Minderjährigen der Kindesmutter zugewiesen und über den Kindesunterhalt entschieden wurde, als wirksam anerkannte. Der Entscheidung über das Kontaktrecht wurde die Anerkennung versagt. Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft. Danach legte das Erstgericht den Rekurs gegen den Beschluss vom 15. 6. 2016 neuerlich vor.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Rekursgericht diesen Rekurs zurück. Es liege keine Beschwer des Rekurswerbers mehr vor. Der nunmehr rechtskräftige Beschluss vom 10. 3. 2017 gehe hinsichtlich der Unterhaltsverpflichtung zugunsten des Rekurswerbers über den bekämpften Beschluss hinaus, im Übrigen sei der Beschluss ident, die Abweisung der Anerkennung hinsichtlich des Kontaktrechts sei ohnehin nicht angefochten worden.
Der ordentliche Revisionsrekurs wurde nicht zugelassen, da keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu beurteilen sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts abzuändern, sodass dem Rekurs insoweit Folge gegeben werde, dass der Beschluss des Erstgerichts ersatzlos behoben werde. In eventu wird beantragt, dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen, in eventu das bisherige Verfahren für nichtig zu erklären und dem Erstgericht eine neue Entscheidung aufzutragen.
Die Antragsgegner beteiligten sich nicht am Revisionsrekursverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.
Der Antragsteller macht geltend, dass zwei Entscheidungen des Erstgerichts vorliegen, die nicht ident seien. Aufgrund der Rechtskraft des späteren Beschlusses wäre der angefochtene Beschluss vom Rekursgericht aufzuheben gewesen. Das Rekursgericht übersehe, dass die privilegierende spätere Entscheidung die frühere nicht ersetze, sie führe vielmehr zu einem unaufklärbaren Widerspruch. Nur durch Aufhebung des Beschlusses ON 8 hätte Klarheit geschaffen werden können, was im Hinblick auf Obsorge und Unterhalt gelte.
1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer voraus, weil es nicht Aufgabe der Rechtsmittelinstanzen ist, rein theoretische Fragen zu entscheiden (Kodek in Rechberger, ZPO4 Vor § 461 Rz 9 mwN). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist nicht nur die formelle, sondern auch die materielle Beschwer (vgl RIS‑Justiz RS0041868, RS0006497 [T31]). Sie liegt vor, wenn der Rechtsmittelwerber in seinem Rechtsschutzbegehren durch die angefochtene Entscheidung beeinträchtigt wird, er also ein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung hat (RIS‑Justiz RS0041746). Ist das nicht der Fall, so ist das Rechtsmittel auch dann zurückzuweisen, wenn die Entscheidung formal vom Antrag abweicht (RIS‑Justiz RS0041868 [insb T14, T15]). Das Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel gegeben sein (RIS‑Justiz RS0043815 [T27]). Auch im außerstreitigen Verfahren ist die Beschwer Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels (RIS‑Justiz RS0006497 [T31]).
2. Der Antragsteller sieht seine Beschwer darin, dass bei Zurückweisung seines Rechtsmittels zwei voneinander abweichende Entscheidungen in Rechtskraft erwachsen würden.
Im streitigen Verfahren bildet die Rechtskraft eine negative Prozessvoraussetzung (Prozesshindernis). Wird sie nicht beachtet, kann die zweite Entscheidung – solange sie noch nicht rechtskräftig ist – als nichtig angefochten werden. Die Konsequenz ist die Aufhebung der Entscheidung des vorangegangenen Verfahrens sowie die Zurückweisung der Klage. Ist die zweite Entscheidung formell rechtskräftig geworden, liegt der Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 6 ZPO vor (Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht8 [2010] Rz 818).
Nach ständiger Rechtsprechung sind auch im außerstreitigen Verfahren ergangene Entscheidungen der materiellen und formellen Rechtskraft fähig und binden die Betroffenen und das Gericht (§ 43 Abs 1 AußStrG). Die materielle Rechtskraft einer Entscheidung ist auch im außerstreitigen Verfahren in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (RIS‑Justiz RS0007477). Nur gegenüber nachträglichen Tatbestandsänderungen hält die materielle Rechtskraft nicht Stand (RIS‑Justiz RS0007171 [T21]). Im außerstreitigen Verfahren ergangene Entscheidungen können nur bei einer Änderung der Verhältnisse abgeändert werden (RIS‑Justiz RS0007148).
Dem Antragsteller ist darin Recht zu geben, dass die von ihm angefochtene Entscheidung und die nachfolgende Entscheidung des Erstgerichts nicht, und das nicht nur hinsichtlich der Unterhaltsfrage, ident sind. Da durch die zweite Entscheidung des Erstgerichts die erste, vom Antragsteller bekämpfte, nicht aus dem Rechtsbereich ausscheidet, würde die rechtskräftige Zurückweisung seines Rechtsmittels daher dazu führen, dass zwei einander widersprechende Entscheidungen in Rechtskraft erwachsen.
Dem Antragsteller kann aber damit das Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden, durch ein Rechtsmittel gegen die nicht rechtskräftige Entscheidung, die auch weitergehend als die spätere Entscheidung nicht seinem Antrag entspricht, diese Entscheidungsdivergenz zu beseitigen.
Zu Unrecht hat das Rekursgericht daher den Rekurs des Antragstellers mangels Beschwer zurückgewiesen.
6. Dem Revisionsrekurs war Folge zu geben, die Rekursentscheidung aufzuheben und dem Rekursgericht die Entscheidung über den Rekurs unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt gründet auf § 78 AußStrG iVm § 52 ZPO.
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