OGH 8Ob663/92

OGH8Ob663/9212.11.1992

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber, Dr.Graf, Dr.Jelinek und Dr.Schinko als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am ***** geborenen mj.Mehmet K***** infolge Revisionsrekurses des Vaters Serdar K*****, vertreten durch Dr.Franz Müller, Rechtsanwalt in Kirchberg am Wagram, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Krems an der Donau, als Rekursgericht vom 11. August 1992, GZ 2 R 120/92-36, womit infolge Rekurses des mj. Mehmet K***** der Beschluß des Bezirksgerichtes Kirchberg am Wagram vom 7. Mai 1992, GZ P 11/91-32, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

In Abänderung der rekursgerichtlichen Entscheidung wird der Beschluß des Erstgerichts wiederhergestellt.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 19.9.1991 (ON 19) wurde der eheliche Vater des am ***** geborenen mj. Mehmet K***** verpflichtet, für den in der Obsorge der Mutter befindlichen Minderjährigen - die Eltern leben in aufrechter Ehe, aber getrennt - einen monatlichen Unterhalt von S 3.000,-- zu leisten.

Aufgrund des Antrages des Vaters setzte das Pflegschaftsgericht mit Beschluß vom 7.5.1992 (ON 32) den Unterhaltsbeitrag ab 1.3.1992 auf monatlich S 1.950,-- herab und wies das darüberhinausgehende Herabsetzungsbegehren ab. Es stellte fest, daß in der finanziellen Leistungsfähigkeit des Vaters und in den Unterhaltsbedürftnissen des Minderjährigen und somit in den faktischen Verhältnissen keine wesentliche Änderung eingetreten sei, vertrat aber die Ansicht, daß sich durch das zwischenzeitige Inkrafttreten der Exekutionsordnungsnovelle 1991, die eine wesentliche Erhöhung des Existenzminimums enthalte, die rechtlichen Grundlagen für die Unterhaltsbemessung geändert hätten, worauf trotz Rechtskraft des seinerzeitigen Unterhaltsbemessungsbeschlusses Bedacht zu nehmen sei. Der Unterhaltsbemessung vom 19.9.1991 sei noch ein Existenzminimum von bloß S 3.700,-- und hierauf basierend im Sinne der rekursgerichtlichen Rechtsprechung eine bestimmte Belastungsgrenze zugrundegelegt worden. Im Hinblick auf die zwischenzeitige Erhöhung des Existenzminimums wende die rekursgerichtliche Rechtsprechung nunmehr in Übereinstimmung mit den anderen Gerichtshöfen zweiter Instanz bei der Unterhaltsberechnung die Prozentkomponente an. Gehe man auch im vorliegenden Falle von der Prozentkomponente aus, so betrage diese für ein Kind im Alter von bis zu 6 Jahren grundsätzlich 16 % und hier unter Bedachtnahme auf die Sorgepflicht des Vaters (- 3 % für die Ehefrau, - 1 % für ein weiteres Kind) nur 12 %, sodaß sich der Unterhalt auf der Bemessungsgrundlage eines monatlichen Nettoeinkommens des Vaters von S 16.220,-- mit monatlich S 1.950,-- errechne.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des mj. Mehmet K***** Folge und wies in Abänderung des pflegschaftsgerichtlichen Beschlusses den Herabsetzungsantrag des Vaters zur Gänze ab. Es sprach aus, daß der Revisionsrekurs nicht zulässig sei, und begründete seine Entscheidung wie folgt: Das Erstgericht übersehe, daß die rekursgerichtliche Rechtsprechung nicht auf eine Änderung jener Gesetzesbestimmungen zurückzuführen sei, die die Unterhaltspflicht der Eltern unmittelbar regelten, denn diese Bestimmung sei § 140 Abs 1 ABGB und gelte weiterhin in unveränderter Form. Da die Unterhaltsbemessungskriterien durch unbestimmte Gesetzesbegriffe umschrieben erschienen, habe die Rechtsprechung des Rekursgerichtes in den Belastungsgrenzen des Lohnpfändungsgesetzes Anhaltspunkte für die Unterhaltsbemessung gesehen. Zufolge der Erhöhung des unpfändbaren Freibetrages auf nunmehr monatlich S 6.500,-- habe diese Methode für die Beurteilung der Belastbarkeit unterhaltspflichtiger Einkommen nicht mehr aufrecht erhalten werden können, weil sie bei niedrigen Einkommen zu unvertretbaren Ergebnissen geführt hätte. Aus diesem Grunde wende das Rekursgericht seit 1.3.1992 - wie andere Gerichte zweiter Instanz schon bisher - nun die Prozentwertmethode an. Diese Änderung der rekursgerichtlichen Rechtsprechung sei somit nicht auf eine Änderung der den Unterhalt regelnden Gesetze zurückzuführen, sondern beruhe lediglich auf einer Änderung der Methode der Unterhaltsbemessung im Zusammenhang mit der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen. Eine Änderung der Gesetzeslage, die die Neubemessung des Unterhaltes zuließe, sei somit nicht gegeben, sodaß dem Herabsetzungsbegehren die Rechtskraft des bisherigen Unterhaltstitels entgegenstehe. Eine Neubemessung des Unterhaltes unter Anwendung der Prozentmethode werde hier daher erst möglich sein, wenn sich die für die Unterhaltsbemessung maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse in Zukunft änderten.

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß erhebt der Vater außerordentlichen Revisionsrekurs mit dem Antrage auf Zulassung und Stattgebung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Rekurswerber bringt vor, sein Rechtsmittel sei zulässig und gerechtfertigt, weil die durch das Inkrafttreten der Exekutionsordnungsnovelle 1991 herbeigeführte Änderung der Rechtsprechung des Rekursgerichtes entgegen dessen Ansicht eine Änderung der Verhältnisse darstelle und sich das Rekursgericht auch über sein Vorbringen betreffend seine subjekive Ansicht über den Inhalt des seinerzeitigen Unterhaltsbemessungsbeschlusses ohne Begründung hinweggesetzt habe. Der Wille und Vorstellungsbereich stelle ebenfalls eine Unterhaltsbemessungsgrundlage dar und diese habe sich bei ihm geändert, sodaß auch eine faktische Änderung der Verhältnisse vorliege. Auf Grund der geänderten rekursgerichtlichen Rechtsprechung errechne sich der von ihm zu leistende Unterhaltsbeitrag im Sinne des pflegschaftsgerichtlichen Beschlusses ON 32 nur noch mit S 1.950,--.

Der Rekurs ist zulässig und gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen(S 1 des Beschlusses) sind die Eltern des mj. Mehmet K***** und ebenso dieser türkische Staatsbürger. Der Unterhaltsanspruch dieses Minderjährigen bestimmt sich gemäß § 24 IPRG grundsätzlich nach seinem Personalstatut. Da nach der Anordnung des § 53 IPRG dieses Gesetz Bestimmungen zwischenstaatlicher Vereinbarungen nicht berührt und sowohl Österreich als auch die Türkei (s. BGBl 1972/140) Vertragsstaaten des Haager Unterhaltsstatutübereinkommens BGBl 1961/293 sind, bestimmt gemäß dessen Art. 1 Abs 1 das Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes ob, in welchem Ausmaß und von wem das Kind Unterhaltsleistungen verlangen kann.

Die Eltern des Minderjährigen hatten vor ihrer Trennung den gemeinsamen Wohnsitz in W*****; der gewöhnliche Aufenthaltsort des in Obsorge der Mutter überwiesenen mj. Mehmet K***** ist weiterhin W*****. Demgemäß haben die Vorinstanzen der Unterhaltsbemessung zutreffend österreichisches Recht zugrundegelegt.

Auch im Außerstreitverfahren ergehende Beschlüsse, so auch Unterhaltsbemessungsbeschlüsse, sind der Rechtskraft fähig (8 Ob 637/88; 4 Ob 565/91; 4 Ob 507/92 ua). Grundsätzlich kann eine Neufestsetzung des Unterhaltes nur bei geänderter Sachlage (SZ 48/113; JBl 1978, 539; ÖAmtsVd 1981, 96; 7 Ob 503/90 ua) oder bei Änderung der dem Unterhaltsanspruch zugrundeliegenden Gesetzesregelungen erfolgen. Es kann daher sowohl der Unterhaltsberechtigte als der Unterhaltsverpflichtete auch die Änderung des festgesetzten Unterhaltsbeitrages unter Bedachtnahme auf das neue Recht begehren (JBl 1978, 539; 6 Ob 726/81; 1 Ob 635/83; vgl. EvBl 1987/18 S 86).

Liegt keine Änderung der den Unterhalt regelnden materiellrechtlichen Gesetzesbestimmungen, sondern lediglich eine Änderung der zu dieser Gesetzeslage ergangenen Rechtsprechung vor, dann ist im Sinne der zutreffenden rekursgerichtlichen Ansicht zwar grundsätzlich eine bloß hierauf gestützte neue Unterhaltsbemessung nicht zulässig. Handelt es sich allerdings um eine so tiefgreifende Änderung der bisherigen, den Unterhaltstitel bestimmenden Rechtsprechungsgrundsätze, daß sie in ihrer Tragweite praktisch einer Gesetzesänderung gleichkommt, dann muß dies ebenfalls als eine die materielle Rechtskraft durchbrechende Änderung der Rechtslage gewertet werden. Dies fordert sowohl der Gleichbehandlungsgrundsatz als auch das der Rechtsordnung innewohnende Gerechtigkeitsgebot. Gäbe es die Sonderregelung des § 406 Satz 2 ZPO nicht, daß bei Unterhaltsansprüchen auch Leistungsaussprüche für erst künftig fällig werdende Beträge zulässig sind, dann müßte jeder fällige Betrag selbständig eingeklagt werden, sodaß eine Änderung der für die Anspruchsbeurteilung maßgeblichen Rechtsprechungsgrundsätze dann auch in der über den einzelnen Anspruch später ergehenden Entscheidung volle Berücksichtigung fände; gleiches träfe auch bei - der nun zulässigen - Einklagung rückständiger Unterhaltsforderungen zu. Dies zeigt ganz deutlich auf, daß diese Veränderung der Rechtswirklichkeit, wie sie in der jeweiligen Rechtsprechung ihren sinnfälligen Ausdruck findet, auch in der Beschränkung der Rechtskraftwirkung von Exekutionstiteln über Unterhaltsansprüche, die erst in Zukunft fällig werden, ihren Niederschlag finden muß, weil andernfalls gleichheitswidrige Leistungspflichten bewirkt würden.

Der vorliegende Fall zeigt dies beispielhaft auf:

Der Vater wurde im Hinblick auf die von der Rechtsprechung eines Teiles der Gerichte zweiter Instanz abweichende Rechtsprechung des Rekursgerichtes zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.000,-- verpflichtet. Nach der nunmehr an der neuen, die Prozentmethode billigenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ausgerichteten rekursgerichtlichen Rechtsprechung könnte er, wie das Pflegschaftsgericht auf der gegebenen Sachverhaltsgrundlage insoweit unbekämpft errechnete, nur noch zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 1.950,-- verpflichtet werden. Diese rekursgerichtliche Änderung seiner Rechtsprechung, die früher von Belastbarkeitsgrenzen ausging und nun seit der Exekutionsordnungsnovelle 1991 ebenfalls die Prozentmethode anwendet, ist also im vorliegenden Einzelfall von tiefgreifender Bedeutung und hat die tatsächliche Auswirkung einer Gesetzesänderung. Ihr war daher im Sinne der dargestellten, die Rechtsordnung beherrschenden Grundsätze Rechnung zu tragen und in Stattgebung des Rekurses des Vaters spruchgemäß zu entscheiden.

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