European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0080OB00066.23Y.0322.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der Kläger kaufte bei einem Händler am 20. 11. 2015 ein Wohnmobil Cabron T64 um den Gesamtkaufpreis von 54.500 EUR. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor verbaut, der eine nach Art 5 VO (EG) 715/2007 nur unter bestimmten, hier aber nicht festgestellten Ausnahmen zulässige Abschalteinrichtung, nämlich eine Modulation der AGR‑Rate nach etwa 22 Minuten nach dem Anlassen des Fahrzeugs, aufweist. Die Erstbeklagte ist Herstellerin des Basisfahrzeugs, die vormals Zweitbeklagte hatte dazu Teile des Motors, aber nicht die ihn steuernde Software geliefert.
[2] Die italienische Typengenehmigungsbehörde hat das Fahrzeug nicht beanstandet. Es weist eine gültige Akkreditierung und Typengenehmigung auf. Es gibt derzeit kein Software‑Update zur Beseitigung der nach 22 Minuten wirksamen Abschalteinrichtung. Aufgrund der vorliegenden zeit- und temperaturabhängigen Modulierung der Abgasstrategie besteht für derartige Fahrzeuge eine Wertminderung in der Größenordnung von 10 % des Kaufpreises.
[3] Der Kläger begehrte 17.064 EUR an Schadenersatz und erhob ein Feststellungsbegehren. Das Vorhandensein der Abschalteinrichtung bewirke einen 30%igen Minderwertdes Fahrzeugs.
[4] Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren gegen die Erstbeklagte mit 5.450 EUR unter Abweisung des Mehrbegehrens statt, außerdem traf es die begehrte Feststellung. Gegen die ursprünglich Zweitbeklagte wies es das Klagebegehren wegen fehlender Passivlegitimation zur Gänze ab.
[5] Die Erstbeklagte hafte als Fahrzeugherstellerin aufgrund der als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizierenden Abgasrückführungsmodulation wegen Schutzgesetzverletzung. Der zu ersetzende Schaden entspreche der festgestellten Wertminderung von 10 % des Kaufpreises. Es sei möglich, dass in der Zukunft ein Software‑Update zur Erhaltung der Zulassung des Klagsfahrzeugs erforderlich werde. Daraus könnten sich nachteilige Spätfolgen ergeben, die das Feststellungsbegehren gegen die Erstbeklagte begründeten.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsabweisung gegen die Zweitbeklagte. Hinsichtlich der Erstbeklagten gab es den Rechtsmitteln beider Streitteile Folge und hob das erstgerichtliche Urteil zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
[7] Die Haftung der Erstbeklagten sei im Sinne der Rechtsausführungen des Erstgerichts zu bejahen. Eine Bemessung des Schadenersatzes wäre nach Ansicht des Berufungsgerichts unter Anwendung des § 273 ZPO bis zur Höhe der Klagsforderung angemessen, weil im Fall des Entzugs der Typengenehmigung auch ein höherer Abschlag gerechtfertigt wäre.
[8] Die Rechtssache sei jedoch noch nicht spruchreif, weil ein Schadenseintritt dann zu verneinen wäre, wenn das – den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende – Klagsfahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprochen hätte. Der Kläger habe dazu zwar Vorbringen erstattet, jedoch seien zu diesem Thema keine Feststellungen getroffen worden. Aus diesem Grund könne auch das Feststellungsbegehren noch nicht abschließend beurteilt werden.
[9] Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei im Hinblick auf eine Vielzahl bei österreichischen Gerichten anhängigen Parallelfällen zulässig. Es liege noch keine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Bemessung des Schadenersatzes bei jenen Fahrzeugkäufern vor, die ihr Fahrzeug behalten wollten.
[10] Der Kläger strebt mit seinem Rekurs die Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts und die Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof im zur Gänze klagsstattgebenden Sinn an. Eine Rekursbeantwortung wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Rekurs ist zulässig, weil die Begründung der Entscheidung des Berufungsgerichts teilweise einer Klarstellung und Korrektur bedarf. Im Ergebnis ist der Rekurs jedoch nicht berechtigt.
[12] 1. Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, dass dem Kläger nicht die Beweislast für die Kausalität der Schutzgesetzverletzung durch die Beklagte auferlegt werden dürfe. Auf die Frage der Kausalität zielt die Begründung des Berufungsgerichts jedoch nicht ab.
[13] Wird – wie hier – ein Schadenersatzanspruch auf die Verletzung eines Schutzgesetzes gestützt, dann hat der Geschädigte den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes als solche zu beweisen (RS0112234).
[14] Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 10 Ob 16/23k [Rz 42 ff] darauf hingewiesen, dass ein Schadenseintritt ungeachtet des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu verneinen wäre, wenn das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach (vgl auch 10 Ob 27/23b [Rz 26]; 6 Ob 155/22w [Rz 52]; 6 Ob 197/23y [Rz 16]; 8 Ob 10/24i [Rz 3] ua). Es bedarf demnach Feststellungen, aus denen sich ergibt, ob der Kläger das Fahrzeug gekauft hätte, hätte er gewusst, dass es sich bei der vorhandenen Software um ein verbotenes Konstruktionselement handelte, und ob der Kläger die vom EuGH in der Rs C‑100/21 angesprochene (objektive) Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs in Kauf genommen und es dennoch erworben hätte. Das Fehlen entsprechender Feststellungen bedeutet, dass noch nicht beurteilt werden kann, ob ein Schaden eingetreten ist, was einer Entscheidung über den geltend gemachten Schadenersatzanspruch entgegensteht (10 Ob 16/23k [Rz 42 ff]; 5 Ob 159/23b [Rz 12]; 7 Ob 83/23s [Rz 19] ua).
[15] Gegen diese gefestigte Rechtsprechung führt der Rekurs keine neuen Aspekte ins Treffen.
[16] Die Frage, ob die vom Berufungsgericht als notwendig erachtete Ergänzung des Verfahrens und der Feststellungen auf der Grundlage seiner zutreffenden Rechtsauffassung tatsächlich notwendig ist, ist der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (RS0042179).
[17] 2. Im Hinblick auf die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Bemessung der Schadenshöhe ist festzuhalten, dass nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der im Fall des Ankaufs eines Fahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung zu ersetzende Betrag, sofern die Wertminderung nicht exakt festgestellt wird, vom Gericht im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen wäre (RS0134498).
[18] Der Überlegung des Berufungsgerichts, dass das Klagsfahrzeug im Fall der bloß hypothetischen Entziehung der Zulassung einen höheren Wertverlust erleiden könnte, ist zu entgegnen, dass der Kläger sein Fahrzeug nicht behalten müsste. Wenn er es bei Kenntnis des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erworben hätte, stünde ihm auch der Anspruch auf Zug‑um‑Zug‑Abwicklung zur Verfügung, der den unionsrechtlichen Vorschriften, die ohnehin gegen den (Weiter-)Betrieb eines mit unzulässiger Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs sprechen, noch effektiver zur Durchsetzung verhelfen würde (9 Ob 2/23v [Rz 22]; vgl auch 8 Ob 90/22a [Rz 25]).
[19] 3. Zur Berücksichtigung im weiteren Verfahren ist zudem auf die nunmehr ständige Rechtsprechung hinzuweisen, dass das theoretische Risiko eines Zulassungsentzugs bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt. Aufgrund der Entscheidung des Erwerbers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs, es in seinem Vermögen zu behalten und nicht die nach österreichischem Recht mögliche Zug-um-Zug-Abwicklung, sondern den Ersatz des Minderwerts zu begehren, geht er das Risiko des Zulassungsentzugs vielmehr bewusst ein. Falls sich dieses Risiko in weiterer Folge verwirklicht, ist dies nicht zusätzlich zum bereits dadurch im Ankaufszeitpunkt geminderten Wert des Fahrzeugs ersatzfähig und rechtfertigt ein Feststellungsbegehren nicht (10 Ob 27/23b [Rz 44]; 8 Ob 90/22a [Rz 29]).
[20] 4. Der Ausspruch über die Kostentragung beruht auf §§ 40, 50 ZPO.
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