OGH 8Ob609/88

OGH8Ob609/8819.10.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Manfred H***, Elektrotechniker, 8010 Graz, Uhlandgasse 11, vertreten durch Dr. Peter L. Imre und Dr. Gerold Weidacher, Rechtsanwälte in Gleisdorf, wider die beklagte Partei Renate H***, Arbeitslehrerin, 8010 Graz, Schörgelgasse 76, vertreten durch Dr. Franz Insam, Rechtsanwalt in Graz, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz als Berufungsgerichtes vom 21.März 1988, GZ 1 R 74/88-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 19.November 1987, GZ 4 C 1226/86g-22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 2.719,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 247,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

In einem von den Streitteilen vor der gemäß § 55 a EheG erfolgten Scheidung ihrer Ehe am 16.10.1979 geschlossenen Vergleich wurde die Übertragung der elterlichen Obsorge über das gemeinsame eheliche Kind mj. Hannes Tobias, geboren am 24.12.1973, an die Beklagte, die Einräumung eines Besuchsrechtes für den Kläger und (unter Punkt 4. des Vergleiches) überdies vereinbart, daß der nunmehrige Kläger als Hauptmieter der damaligen Ehewohnung "seine Zustimmung zur Übertragung der Mitmieterschaft an dieser Wohnung" an die nunmehrige Beklagte erteilt, "ohne seine Hauptmietrechte an dieser Wohnung aufzugeben, sodaß künftighin beide Antragsteller zu gleichen Teilen Mitmieter dieser Wohnung sind". Die Beklagte verpflichtete sich, "im Falle der Eingehung einer Lebensgemeinschaft oder der Wiederverehelichung ihre Mitmietrechte an den mj. Hannes Tobias zu übertragen und gleichzeitig die Wohnung zu räumen". Der Kläger verzichtete "auf die Benützung dieser Wohnung für die Zeit, in welcher die Zweitantragstellerin die Wohnung benützt", und übernahm die Verpflichtung zur Zinszahlung.

Mit der Begründung, der mj. Hannes Tobias befinde sich nunmehr beim Kläger und diesem seien auch die elterlichen Rechte und Pflichten betreffend das Kind übertragen worden, begehrte der Kläger zunächst die Duldung der Benützung der Wohnung durch ihn. Die Beklagte sei eine Lebensgemeinschaft eingegangen und habe aus den im einzelnen angeführten Gründen offensichtlich auch kein dringendes Wohnbedürfnis an der Wohnung. In der Folge stellte er hilfsweise ein Räumungsbegehren, weil die Voraussetzung für die seinerzeitige Überlassung der Wohnung an die Beklagte, daß sie die Pflege und Erziehung des Kindes innehabe, nun weggefallen sei; die Beklagte benütze nunmehr die Wohnung titellos.

Die Beklagte beantragte die Klageabweisung, weil sie die Wohnung nach wie vor dringend benötige und gegenüber dem Vermieter einen Benützungstitel in Form des Bestandvertrages habe. Schließlich erhob sie die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichtes, weil eine Benützungsregelung nur im Außerstreitverfahren erfolgen könne. Das Erstgericht gab dem Eventualbegehren statt, ohne über das Hauptbegehren zu entscheiden. Die Unzuständigkeitseinrede wurde von ihm mit gesondertem, in Rechtskraft erwachsenen Beschluß verworfen. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen war "Hauptintention" für den Verzicht des Klägers und damit Vertragsgrundlage der Umstand, daß der mj. Hannes Tobias wohnversorgt werden und in seiner gewohnten Umgebung mit seiner Mutter verbleiben sollte, welcher die elterlichen Rechte übertragen wurden. Eine Änderung dieser vereinbarten Regelung der Unterbringung des Kindes wurde von den Streitteilen beim Vergleichsabschluß in keiner Weise bedacht. Der Kläger bezahlte in der Folge die Miete und sämtliche Betriebskosten der Wohnung. Am 22.4.1985 wurden die elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich des mj.Hannes Tobias gemäß den §§ 144, 176 ABGB dem Kläger übertragen. Die Beklagte benützte die Wohnung in der Folge immer weniger und ab Herbst 1986 faktisch nicht mehr. Die Kosten für Strom sanken ab diesem Zeitpunkt stark ab. Telefongebühren liefen nur in Höhe der Grundgebühr an. In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Übertragung der Mitmietrechte an die Beklagte sei nur unter der Voraussetzung der Unterbringung des Kindes der Streitteile bei ihr erfolgt. Mangels Regelung der nunmehrigen Sachlage im Vergleich sei die seinerzeitige Geschäftsgrundlage weggefallen, so daß die Beklagte die Wohnung nunmehr titellos benütze. Das Berufungsgericht verwarf die von der Beklagten wegen Nichtigkeit erhobene Berufung, gab dieser jedoch im übrigen Folge und wies das Räumungsbegehren ab. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, den Betrag von S 15.000, nicht aber den Betrag von S 300.000 übersteige und daß die Revision zulässig sei. Im Berufungsverfahren war es unstrittig, daß die Beklagte nicht in Lebensgemeinschaft lebt. Nach Ansicht des Berufungsgerichtes war sie daher weder zur Übertragung der Mitmietrechte an den mj. Hannes Tobias noch zur Räumung der Wohnung verpflichtet. Der Umstand, daß sie nach den unbekämpften erstgerichtlichen Feststellungen die Wohnung seit Herbst 1986 "faktisch" nicht mehr benütze, habe wohl zur Folge, daß der Verzicht des Klägers auf die Benützung der Wohnung nicht mehr wirksam sei. Dies bedeute jedoch nicht, daß die Beklagte deshalb keinen Titel mehr zur Benützung der Wohnung habe und diese räumen müsse, vielmehr werde angesichts der geänderten Verhältnisse, wozu auch die Betreuung des Kindes durch den Vater gehöre, für die Rechtsgemeinschaft der beiden Mitmieter, die nach der Rechtsprechung analog zu den §§ 825 ff ABGB zu beurteilen sei, eine neue Regelung im außerstreitigen Verfahren zu schaffen oder allenfalls auf eine Aufhebung der Gemeinschaft im Rechtswege zu dringen sein. Für die Auslegung des Vergleiches, was zu geschehen habe, wenn der Beklagten nicht mehr die Pflege und Erziehung des gemeinsamen Kindes obliege - ein Umstand, der nicht in jedem Fall ihrem Einfluß unterliege - und sie dieses nicht mehr in der ehemaligen Ehewohnung versorge, fehle es nach den Feststellungen an einem diesbezüglichen Parteiwillen, so daß die Bestimmung des § 914 ABGB anzuwenden sei. Es entspreche jedoch nicht der in dieser Gesetzesstelle genannten Übung des redlichen Verkehrs, bei einer Vereinbarung nach § 55 a Abs.2 EheG, die Voraussetzung und Grundlage einer einvernehmlichen Scheidung sei, die Regelung der elterlichen Rechte und Pflichten nach den §§ 144, 177 ABGB mit jener nach den §§ 81 ff EheG zu verquicken, weil hier völlig konträre Aspekte (Wohl des Kindes, Umfang der Beiträge, Billigkeit) zu beachten seien. In letzter Konsequenz würde nämlich im gegenständlichen Falle der Wegzug des Kindes aus welchem Grunde immer aus der der Aufteilung unterliegenden Wohnung automatisch den Verlust jedweden vermögensrechtlichen Anspruches der Beklagten in Zusammenhang mit der vormaligen Ehewohnung nach sich ziehen. Dies könne aber nicht gebilligt werden.

Gegen die berufungsgerichtliche Entscheidung erhebt der Kläger eine auf den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision mit dem Antrage auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteiles. Der Revisionswerber tritt der berufungsgerichtlichen Rechtsansicht bei, daß dem Vergleichsinhalt ein Anspruch seinerseits auf Räumung der Wohnung durch die Beklagte nicht zwingend entnommen werden könne, ist jedoch der Meinung, daß sich dieser Anspruch im Wege einer ergänzenden Auslegung des Vergleiches ergebe. Eine solche Auslegung sei notwendig, weil der seinerzeitige Wille der Streitteile bei Vergleichsabschluß den nun gegebenen Fall, daß der mj. Hannes Tobias in Pflege und Erziehung des Vaters komme, nicht berücksichtigt habe und daher nicht feststehe, was die Parteien für diesen Fall gewollt hätten. Somit müsse der Vergleich um das ergänzt werden, was nach Treu und Glauben, der Übung des redlichen Verkehrs und vor allem nach dem im Vertrag ausgedrückten Willen zwischen den Parteien rechtens sein sollte. Die im Vergleich enthaltene Benützungsregelung sei allein aus der Sorge um das Wohl des Kindes getroffen worden. Es sollte diesem nicht nur eine Wohnung, sondern ein psychisches Umfeld geschaffen werden, um die Folgen der Trennung der Eltern zu vermindern, und es sei damals undenkbar erschienen, daß die Beklagte jemals diese Wohnung verlasse und ihr nicht mehr die Pflege und Erziehung des Kindes obliegen könne. Lediglich eine zukünftige Lebensgemeinschaft oder Wiederverehelichung sei "im äußersten Bereich des damals Denkbaren" gelegen und im Vergleich berücksichtigt worden. Somit könne der Revisionswerber der berufungsgerichtlichen Ansicht, hinsichtlich der Vereinbarung nach § 55 a Abs.2 EheG sei die Verflechtung familienrechtlicher und vermögensrechtlicher Aspekte unbillig, nicht zustimmen.

Rechtliche Beurteilung

Den Revisionsausführungen kann nicht gefolgt werden. Der von den Streitteilen geschlossene Vergleich vom 16.10.1979 war gemäß § 55 a Abs.2 EheG Voraussetzung für die einvernehmliche Scheidung ihrer Ehe. Er umfaßte demgemäß zwingend die Regelung nicht nur der familienrechtlichen und unterhaltsrechtlichen Beziehungen, sondern auch der gesetzlichen vermögensrechtlichen Ansprüche der Ehegatten zueinander (vgl. Pichler in Rummel Rz 5 zu § 55 a EheG), also ihrer Ansprüche auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der Ersparnisse; dazu gehörten gemäß § 81 Abs.2, § 82 Abs.2 EheG in jedem Falle auch die Ehewohnung und grundsätzlich auch die in dieser befindlichen Fahrnisse. Nach seinem vom Gesetz bestimmten notwendigen Inhalt und Zweck diente der Vergleich jedenfalls auch der Regelung der gesetzlichen Aufteilungsansprüche. In der Vereinbarung des Punktes 4, betreffend die Übertragung von Mitmietrechten an die Beklagte, sowie jene des Punktes 6, daß "die gesamte Einrichtung in der Wohnung Graz, Schörgelgasse 76 zu verbleiben hat", liegen demnach notwendig auch Regelungen über die der Aufteilung unterliegende Ehewohnung und der in dieser befindlichen Fahrnisse. Demgemäß verbietet sich aber von vornherein die Annahme, die Übertragung von Mitmietrechten durch den Kläger an die Beklagte und des Benützungsrechtes der Beklagten an der vormaligen Ehewohnung sei ausschließlich unter dem Gesichtspunkte der Unterbringung des gemeinsamen Kindes bei der Beklagten erfolgt und einzige Geschäftsgrundlage gewesen. Mangels diesbezüglicher Erklärungen und Anhaltspunkte im Vergleich kann auch nicht unterstellt werden, die Beklagte habe mit oder ohne Bedachtnahme auf den Fall einer anderwärtigen Unterbringung des Kindes auf Aufteilungsansprüche ihrerseits zur Gänze verzichtet (vgl. Pichler aaO Rz 8). Die Änderung der Sachlage war im übrigen nach der Lebenserfahrung auch durchaus vorhersehbar (vgl. Koziol-Welser8 I 129).

Eine ergänzende Auslegung des Vergleiches im Sinne der Revisionsausführungen des Klägers ist deshalb hier unzulässig. Demgemäß wurde das Eventualbegehren des Klägers - die Nichterledigung seines Hauptbegehrens durch das Erstgericht blieb unbekämpft - vom Berufungsgericht zu Recht abgewiesen. Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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