OGH 8Ob571/88

OGH8Ob571/881.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Bauer und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helga T***, geboren am 3. Juni 1946 in Neusiedl bei Güssing, 8280 Fürstenfeld, Gerichtsbergenstraße 6, vertreten durch Dr. Werner Thurner und Dr. Peter Schaden, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Manfred T***, geboren am 6. Oktober 1943 in Burgau (Bezirk Fürstenfeld), Kraftfahrer, 8280 Fürstenfeld, Gerichtsbergenstraße 6, vertreten durch Dr. Candidus Cortolezis, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 3. Dezember 1987, GZ 4 R 198/87-21, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 15. Mai 1987, GZ 12 Cg 261/86-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision des Beklagten wird nicht Folge gegeben. Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.397,35 (darin S 308,85 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. den

B e s c h l u ß

gefaßt:

Der Revision der Klägerin wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die insoweit aufrecht bleiben, als sie die Ehe der Streitteile aus deren beiderseitigem Verschulden scheiden, werden im übrigen aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung über das behauptete, das gleichteilige Verschulden übersteigende Mitverschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe an die erste Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Verfahrens über die Revision der Klägerin sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Scheidung der beiderseits ersten Ehe der Streitteile, aus der zwei Kinder (Andrea, geboren am 2. November 1968; Jürgen, geboren am 4. April 1979) stammen, aus dem Verschulden des Beklagten mit der Begründung, dieser sei von Anfang an seiner Unterhaltspflicht nicht nachgekommen und habe sich geweigert finanzielle Beiträge zu den Haushaltskosten zu leisten. Der Beklagte habe sogar die Familienbeihilfe für sich verwendet. Er habe seit längerem jegliches Interesse an der Familie verloren. Um zu dokumentieren, wie wenig ihm an einem Familienleben liege, habe er in letzter Zeit bei Einnahme der Mahlzeiten wie in einem Gasthaus S 20,- oder S 30,- als Entgelt auf den Tisch gelegt (ON 1). Im Laufe des Verfahrens begehrte die Klägerin die Scheidung der Ehe gemäß § 55 EheG, weil die Streitteile seit Anfang August 1983 praktisch getrennt lebten (ON 4 und 6).

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Scheidungsbegehrens und stellte für den Fall der Ehescheidung den Antrag, das überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen, weil diese einen Freund habe und daher die Familie vernachlässige (ON 13).

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile gemäß § 49 EheG aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin. Es stellte hiezu folgenden Sachverhalt fest:

Die Ehe der Streitteile sei nur anfänglich gut und harmonisch gewesen. Im Laufe der Zeit habe sich das Verhältnis zwischen den Parteien stark verschlechtert. Der Beklagte sei in der Folge seinen Unterhaltsverpflichtungen nur unregelmäßig nachgekommen, so daß die Klägerin im Jahre 1984 einen Unterhaltsfestsetzungsantrag beim Bezirksgericht Fürstenfeld habe einbringen müssen. Er habe sich nur in sehr eingeschränktem Maß um die Familie gekümmert und die Klägerin insofern in schikanöser Weise behandelt, als er ihr praktisch keinerlei Wirtschaftsgeld zur Verfügung stellte. Er begründete dies mit der Sorge, die Klägerin würde das Wirtschaftsgeld "verplempern". Das schikanöse Verhalten des Beklagten habe darin gegipfelt, daß er zeitweise der Klägerin für jede einzelne Mahlzeit Geld auf dem Tisch gelegt habe, so daß es deswegen zu Wortwechseln zwischen den Streitteilen gekommen sei. Meist nehme der Beklagte seine Mahlzeiten überhaupt auswärts bei einer gewissen Frau B*** ein. Seit 3 Jahren bestehe zwischen den Streitteilen keine Geschlechtsgemeinschaft mehr. Die Klägerin habe vor rund 4 Jahren mit einem gewissen Herrn V*** ehewidrige Beziehungen unterhalten. Dies habe zu einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen der Streitteile geführt. Später sei die Klägerin gegen den Beklagten auch tätlich geworden - z.B. dadurch, daß sie ihm einen naßen Fetzen ins Gesicht warf. Wenn die Klägerin einmal abends einen Gasthausbesuch macht oder am Samstag eine Stammtischrunde besucht, würden ihr vom Beklagten Vorhaltungen gemacht. Er komme in das Lokal nach und stenkere die Klägerin vor den Gästen an.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung stellte das Erstgericht noch fest, das auslösendes Moment für das schikanöse Verhalten des Beklagten gegenüber der Klägerin (z.B. Zahlung jeder einzelnen Mahlzeit) sei der Umstand gewesen, daß die Klägerin mit Herrn V*** Ehebruch begangen habe.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß eine Abwägung der beiderseitigen Eheverfehlungen zum überwiegenden Verschulden der Klägerin wegen der äußerst schwerwiegenden Eheverfehlung des Ehebruches führe. Das Gericht zweiter Instanz gab den Berufungen beider Teile nicht Folge. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Das Erstgericht habe zutreffend zunächst über das auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren entschieden, weil die Klägerin trotz ihrer später (auch) auf § 55 EheG gestützte Klage ihr seinerzeitiges Begehren nicht zurückgezogen habe.

Beide Streitteile treffe ein Verschulden am Scheitern der Ehe. Das Verhalten des Beklagten sei darauf ausgerichtet gewesen, die Klägerin immer wieder zu provozieren, sei es durch Einstellen von Unterhaltszahlungen, durch das Bezahlen einzelner Mahlzeiten oder durch öffentlichen Demütigung der Klägerin in Gastlokalen. Die Klägerin hingegen habe durch ihr Verhältnis mit Herrn V*** und ihr tätliches Vorgehen gegen den Beklagten in schwerwiegender Weise zum Scheitern der Ehe beigetragen. Das Berufungsgericht billige daher die vom Erstgericht getroffene Verschuldensteilung. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Teile. Die Klägerin begehrt die Abänderung des Verschuldensausspruches dahin, daß die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem gleichteiligen Verschulden geschieden werde. Der Beklagte begehrt die Abweisung des Scheidungsbegehrens, weil die Klägerin ihr Scheidungsrecht nach § 49 Satz 2 EheG verwirkt habe. Hilfsweise stellen beide Parteien einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist nicht berechtigt, wohl aber diejenige der Klägerin.

1. Zur Revision des Beklagten:

Die Klägerin stützte ihr Scheidungsbegehren zunächst auf § 49 EheG und im Zuge des Verfahrens auch auf § 55 EheG. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Klägerin durch das nachträglich gestellte Begehren auf Scheidung der Ehe nach § 55 EheG ihr erstes Begehren zurückgezogen hätte. Demnach waren die Vorinstanzen berechtigt, ohne Verletzung der Vorschrift des § 405 ZPO über das § 49 EheG gestützte Klagebegehren zu entscheiden. Nach ständiger Rechtsprechung ist dann, wenn der Kläger die Reihenfolge der geltend gemachten Scheidungsgründe nicht einwandfrei klarstellt, anzunehmen, daß die Verschuldensgründe vor den anderen den Vorrang haben sollen (SZ 43/150). Es liegt daher keine Rechtsverletzung zum Nachteil des Beklagten vor, wenn die Vorinstanzen bei der gegebenen Sachlage über das Scheidungsbegehren der Klägerin nach § 49 EheG entschieden. Entgegen der in der Revision des Beklagten vertretenen Rechtsansicht ging die Klägerin auch nicht nach § 49 Satz 2 EheG ihres Scheidungsrechtes verlustig. Nach dieser Gesetzesstelle kann nämlich derjenige, der selbst eine Eheverfehlung begangen hat, die Scheidung dann nicht begehren, wenn nach Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Verfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden ein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt ist. Nach den für den Obersten Gerichtshof maßgebenden Feststellungen der Vorinstanzen ging jedoch dem als schwere Eheverfehlung der Klägerin zu wertenden Ehebruch mit Herrn V*** die Verweigerung jedweder Geldleistung seitens des Beklagten zur Bestreitung der Kosten des ehelichen Haushaltes voraus. Daran änderte sich auch nichts, als das ehewidrige Verhältnis der Klägerin mit Herrn V*** beendet war und der Beklagte seiner Behauptung nach die Ehe dennoch fortsetzen wollte. Unter diesen Umständen sind die Voraussetzungen des § 49 Satz 2 EheG nicht erfüllt. Demnach ist das Scheidungsbegehren der Klägerin aus dem Verschulden des Beklagten jedenfalls gerechtfertigt.

Der Revision des Beklagten war daher der Erfolg zu versagen. Der Ausspruch über die Kosten des Verfahrens über die Revision des Beklagten gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

2. Zur Revision der Klägerin:

Das Berufungsgericht begründet das überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung der Ehe mit dem ehebrecherischen Verhältnis zu Herrn V*** sowie den von ihr gegenüber dem Beklagten gesetzten Tätlichkeiten. Da aber der Beklagte die - nur kursorisch - festgestellten Tätlichkeiten gar nicht als Begründung für den von ihm gestellten Mitschuldantrag geltend machte, ist darauf nicht Rücksicht zu nehmen (EFSlg 41.278).

Gemäß § 60 Abs 2 Satz 2 EheG ist das überwiegende Verschulden des einen Ehegatten nur dann auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer wiegt als das des anderen. Da das Gesetz nur Alleinverschulden, überwiegendes Verschulden oder gleichteiliges Verschulden an der Zerrüttung der Ehe als Differenzierung des Verschuldensgrades vorsieht, muß der Unterschied der beiderseitigen Verschuldensteile offenkundig hervortreten (EFSlg 43.691). Ein Ausspruch überwiegenden Verschuldens ist daher nur dann am Platz, wenn das Verschulden des anderen Teiles demgegenüber fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 43.692). Auch ein Ehebruch muß gegenüber den Verfehlungen des anderen Ehegatten nicht den Ausschlag geben (EvBl 1969/157; EFSlg 38.782), vor allem dann nicht, wenn er zu einem Zeitpunkt gesetzt wurde, als die Ehe wegen des Verhaltens des anderen Ehegatten bereits unheilbar zerrüttet war (EFSlg 43.687). Dies gilt selbst auch dann, wenn eine vorausgehende unzulängliche Alimentation durch den unterhaltspflichtigen Ehegatten dazu führte, daß die Frau eine Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann einging (RZ 1978/43).

Um also beurteilen zu können, in welchem Ausmaß das ehebrecherische Verhältnis der Klägerin mit Herrn V*** zur weiteren Zerrüttung der Ehe beitrug, wird vorerst der Grad der Zerrüttung der Ehe durch die Vernachlässigung der Unterhaltspflichten des Mannes und die Gewichtigkeit des Verschuldens des Mannes daran zu prüfen sein. Dazu werden vor allem die Einkommensverhältnisse der Streitteile und ihre Abmachungen über die Tragung der Kosten des ehelichen Haushaltes für die Zeit vor der erstmaligen Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen durch die Klägerin beim Bezirksgericht Fürstenfeld im Jahre 1984 (also zu einem Zeitpunkt, als deren Verhältnis des V*** bestand sowie der Umstand wie sich im Laufe der Ehe das Verhalten des einen Ehegatten auf dasjenige des anderen auswirkte, zu ermitteln sein. Das Erstgericht wird daher gemäß den §§ 180 Abs 3 und 182 Abs 1 ZPO diesen Tatsachenkomplex mit den Parteien zu erörtern und im Falle wiederstreitender diesbezüglicher Behauptungen die entsprechenden Beweise hiezu aufzunehmen haben.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Der Kostenausspruch gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte