European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00040.21X.0525.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Begründung:
[1] In die Insolvenzmasse der Verlassenschaft fällt eine bebaute Liegenschaft, an der Wohnungseigentum begründet ist, und zwar zu 142/410 Anteilen (W1), zu 136/410 Anteilen (W2) und 132/410 Anteilen (W3). Der Verstorbene war Alleineigentümer der Liegenschaft.
[2] Auf den mit Wohnungseigentum an der Wohnung W3 verbundenen132/410 Anteilen der Liegenschaft ist im C‑Blatt das Vorkaufsrecht zu Gunsten der Revisionsrekurswerberin, der Mutter des Verstorbenen, einverleibt. Weiters sind ob der zu W1 gehörigen Anteile zu ihren Gunsten ein Fruchtgenussrecht und das Belastungs‑ und Veräußerungsverbot einverleibt. Die übrigen 136/410 Anteile sind bücherlich unbelastet.
[3] Die Witwe des Verstorbenen bewohnt die Wohnung W2 im ersten Obergeschoß, bei der es sich um die frühere Ehewohnung handelt und an der sie im Insolvenzverfahren den „großen Voraus“ geltend machte. Die Wohnung W1 im Erdgeschoß ist derzeit von der Fruchtgenussberechtigten vermietet, die Dachgeschoßwohnung W3 ist nicht fertig ausgebaut.
[4] Der Masseverwalter veröffentlichte ab 19. 3. 2020 die Absicht des freihändigen Verkaufs in der Insolvenzdatei. Auch das von ihm eingeholte Schätzgutachten war auf diesem Weg einsehbar. Darüber hinaus schaltete er dreimal Verkaufsinserate in einer lokalen Tageszeitung. Eine gesonderte Information der Rechtsmittelwerberin von den Verkaufsbemühungen und vom Kaufvertragsabschluss fand nicht statt.
[5] Mit Beschluss vom 13. 1. 2021 genehmigte das Erstgericht den vom Masseverwalter mit der Witwe am 11. 1. 2021 abgeschlossenen Kaufvertrag über die gesamte Liegenschaft zu einem Kaufpreis von 450.000 EUR und Übernahme des einverleibten Fruchtgenussrechts.
[6] Den gegen den Genehmigungsbeschluss erhobenen Rekurs der Vorkaufsberechtigten, der die Versagung der insolvenzgerichtlichen Genehmigung des Kaufvertrags anstrebt, wies das Rekursgericht als unzulässig zurück.
[7] Das Vorkaufsrecht begründe lediglich ein wirtschaftliches Interesse und verschaffe dem Berechtigten im Insolvenzverfahren des Belasteten kein Individualmitwirkungsrecht und keine Rechtsmittellegitimation.
[8] Ein bücherliches Vorkaufsrecht begründe im Konkurs bei der freihändigen Veräußerung im Insolvenzverfahren keinen Vorkaufsfall.
[9] Ob und inwiefern ein Vorkaufsberechtigter im Falle der freihändigen Veräußerung durch den Insolvenzverwalter zumindest – analog § 1076 ABGB – zu verständigen sei, werde in der Literatur und Lehre unterschiedlich beantwortet. Das Rekursgericht schließe sich der Ansicht an, dass Vorkaufsberechtigte nicht in das Verkaufsverfahren einzubeziehen seien und ihre Verständigung lediglich zweckmäßig erscheine. Mit Rechtskraft des den Kaufvertrag genehmigenden Beschlusses erlösche das Vorkaufsrecht.
[10] Mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage der Rekurslegitimation eines Vorkaufsberechtigten sei der Revisionrekurs bei einem den Wert von 30.000 EUR übersteigenden Entscheidungsgegenstand zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Revisionsrekurs der Vorkaufsberechtigten, mit dem sie im Ergebnis die Versagung der insolvenzgerichtlichen Genehmigung des Kaufvertrags anstrebt, ist aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
[12] 1. Im Insolvenzverfahren ist grundsätzlich jeder zum Rekurs befugt, in dessen geschützte Rechtssphäre durch den angefochtenen Beschluss eingegriffen wird; ein bloß wirtschaftliches Interesse genügt nicht (RS0065135; RS0006497).
[13] Gegen einen Genehmigungsbeschluss im Verwertungsverfahren gemäß § 117 IO haben nach ständiger Rechtsprechung nur der Masseverwalter, der Gemeinschuldner und die Mitglieder des Gläubigerausschusses ein Rekursrecht (RS0102114; RS0065218; 8 Ob 52/20k).
[14] Jemand, der nicht zur Wahrung der rechtlichen Interessen aller Insolvenzgläubiger oder des Schuldners berufen ist, kann unmittelbar durch die insolvenzgerichtliche Genehmigung eines zwischen dem Insolvenzverwalter und einem Dritten abgeschlossenen Kaufvertrags nur in seinen wirtschaftlichen Interessen berührt werden (RS0065135 [T8]; 8 Ob 39/15s).
[15] 2. Der erkennende Senat erachtet das rechtliche Ergebnis des Rekursgerichts daher für zutreffend.
[16] Auf die nähere Begründung des angefochtenen Beschlusses und insbesondere den ausführlich dargestellten Stand der Literatur und Rechtsprechung (va Aicher in Rummel/Lukas ABGB4 § 1076 [2017] Rz 1 ff; Schwartze in Klang³ § 1076 ABGB Rz 8; Hoyer in NZ 2007/671; Reckenzaun in FS Eccher [2017] 913 ff; Binder/Spitzer in Schwimann/Kodek, ABGB-Praxiskommentar4 § 1076; Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger, § 120 Rz 21) kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden (§ 252 IO iVm §§ 528a, 510 Abs 3 ZPO).
[17] 3. Ergänzend ist im Hinblick auf die Ausführungen des Revisionsrekurses festzuhalten:
[18] 3.1. Es entspricht der Rechtsprechung, dass die freihändige Veräußerung im Konkurs durch den Masseverwalter keinen Vorkaufsfall bewirkt und das Vorkaufsrecht jedenfalls mit der Rechtskraft des Beschlusses über die Genehmigung des Kaufvertrags mit dem Dritten durch das Konkursgericht erlischt (RS0120967 = 5 Ob 71/06m; Schwartze in Fenyves/Kerschner/Vonkilch ABGB³ § 1076 Rz 9). Auch der Revisionsrekurs stellt diese Rechtslage nicht in Frage.
[19] 3.2. Im Realexekutionsverfahren, das ebenfalls keinen Vorkaufsfall bewirkt, ist ein bücherlich Vorkaufsberechtigter nach § 1076 ABGB iVm § 171 EO zum Versteigerungstermin zu laden. Er kann dann die Liegenschaft in der Versteigerung wie jeder andere Interessent aufgrund eines Meistbots oder Überbots durch Zuschlag erwerben.
[20] Die Verletzung der in § 171 EO geregelten Ladungspflicht begründet einen Verfahrensmangel (§ 184 Abs 1 Z 3 EO) und verschafft ihm nach § 187 Abs 1 letzter Satz EO die Legitimation zum Rekurs gegen die Zuschlagserteilung (Schwartze aaO Rz 3).
[21] 3.3. Die Insolvenzordnung normiert keine dem § 171 EO entsprechende individuelle Verständigungspflicht des Vorkaufsberechtigten im Fall eines freihändigen Verkaufs durch den Insolvenzverwalter. Dementsprechend fehlt auch eine dem § 187 Abs 1 EO entsprechende Anordnung einer Rechtsmittelbefugnis.
[22] Der Revisionsrekurs und die von ihm zitierten Rechtsmeinungen nehmen den Standpunkt ein, dass der Zweck der Regelung des § 1076 ABGB, der für den Versteigerungsfall gilt, dahingehend verallgemeinerungsfähig sei, dass dem Berechtigten auch bei anderen nicht vom Vorkaufsrecht umfassten Formen der Veräußerung durch Verständigung eine Teilnahme ermöglicht werden soll.
[23] 3.4. Damit wird aber keine ungeplante Regelungslücke dargestellt, die im Insolvenzverfahren durch Analogie zu schließen wäre. Das Verständigungsinteresse des Vorkaufsberechtigten wird nämlich im Insolvenzverfahren auf die seinem besonderen Charakter als Vielparteienverfahren adäquate Weise gewahrt.
[24] Gemäß § 255 IO erfolgt die öffentliche Bekanntmachung von Schriftstücken und Beschlüssen durch Aufnahme in die Insolvenzdatei (Ediktsdatei, § 256 IO). Nach § 117 Abs 2 IO hat der Insolvenzverwalter (unter anderem) auch die beabsichtigte freiwillige Veräußerung einer unbeweglichen Sache durch Aufnahme in die Ediktsdatei für 14 Tage öffentlich bekanntzumachen.
[25] Die Folgen einer Zustellung im Insolvenzverfahren treten gemäß § 257 Abs 2 IO schon durch die öffentliche Bekanntmachung ein, selbst wenn neben einer vom Gesetz angeordneten öffentlichen Bekanntmachung auch eine besondere Zustellung vorgeschrieben wäre. Tatsächlich besteht eine solche Vorschrift hinsichtlich des Vorkaufsberechtigten nicht.
[26] 3.5. Mit der nach § 117 Abs 2 IO erforderlichen Veröffentlichung der Verkaufsabsicht in der Ediktsdatei wird auf die für wirksame Zustellungen vorgesehene Weise auch eine Verständigung eines bücherlich Vorkaufsberechtigten bewirkt. Gründe, aus denen gerade Vorkaufsberechtigte im Insolvenzverfahren von den Wirkungen der Ediktalzustellung ausgenommen sein sollten, stellt der Revisionsrekurs nicht dar.
[27] Der Vorkaufsberechtigte wird durch die Veröffentlichung in die Lage versetzt, in Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter einzutreten, sich am Verkaufsverfahren zu beteiligen, ein Anbot abzugeben, es allenfalls bei Konkurrenzanboten zu verbessern und die Liegenschaft zu erwerben.
[28] Anzumerken ist, dass die Revisionsrekurswerberin nach dem Akteninhalt (ON 23) auch tatsächlich in Kenntnis des beabsichtigten Freihandverkaufs war und ein Anbot zum Erwerb (nur) einer Wohnung abgegeben hatte.
[29] 4. Das Rekursgericht ist daher zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Vorkaufsberechtigten im Insolvenzverfahren insoweit nur ein wirtschaftliches Interesse zukommt (vgl auch RS0065135 [T25; T57] – Vertragspartner des Schuldners; Absonderungsgläubiger; 8 Ob 52/20k – Wiederverkaufsberechtigter), das seine Rechtsmittellegitimation nicht begründet.
[30] Soweit der Revisionsrekurs dagegen auch mit dem besonderen Charakter des Vorkaufsrechts als Gestaltungsrecht argumentiert, ist zu erinnern, dass die Verwertung im Insolvenzverfahren gerade keinen zur Ausübung dieses Rechts legitimierenden Vorkaufsfall darstellt.
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