OGH 8Ob37/95

OGH8Ob37/9530.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag, Dr.Langer, Dr.Rohrer und Dr.Adamovic als weitere Richter im Konkurs über das Vermögen des Mag.Dr.Viktor A*****, vertreten durch den einstweiligen Sachwalter Dr.Karl Zach, Rechtsanwalt in Wien, infolge Revisionsrekurses des Gemeinschuldners gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 18.Oktober 1995, GZ 1 R 255/95-79, womit der Rekurs des Gemeinschuldners gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 22.Oktober 1993, GZ S 60/92-54, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antrag auf Kostenzuspruch wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 22.10.1993, ON 54, bewilligte das Erstgericht über Antrag des Masseverwalters gemäß § 119 KO die kridamäßige Versteigerung von Liegenschaftsanteilen des Gemeinschuldners durch Beitritt zu einem beim Bezirksgericht Liesing anhängigen Zwangsversteigerungsverfahren. Dieser Beschluß wurde dem Gemeinschuldner zu Handen seines damaligen Rechtsvertreters am 9.11.1993 und im Zuge des Zwangsversteigerungsverfahrens dem einstweiligen Vertreter des Gemeinschuldners als "Verpflichteter" am 31. August 1995 zugestellt.

Das Rekursgericht wies den Rekurs (ON 75) des durch seinen einstweiligen Sachwalter vertretenen Gemeinschuldners mit dem (ausschließlichen) Vorbringen, der Gemeinschuldner sei geschäftsunfähig, weshalb die früheren Zustellungen unwirksam seien, zurück. Die Eigenart des Konkursverfahrens (Vielzahl von Beteiligten, Wirkungen der Konkurseröffnung auf eine Reihe von Rechtssphären) schließe die Anwendbarkeit der Bestimmungen über die Nichtigkeitsklage weitgehend aus. Der Eintritt der formellen Rechtskraft des Konkurseröffnungsbeschlusses hindere die Nichtigerklärung des Konkursverfahrens auch bei fehlender Prozeßfähigkeit des Gemeinschuldners während der Konkurseröffnung oder danach (OLG Innsbruck vom 24.6.1988 = EvBl 1989/42, 148 mwN). Da gemäß § 173 Abs 6 KO Gerichtsbeschlüsse in der Regel sofort vollstreckbar seien, beginne die Wirkung im allgemeinen mit der Zustellung an die Parteien, im Konkursverfahren aber zum Teil schon mit der öffentlichen Bekanntmachung. Sollte die Zustellung des Konkurseröffnungsbeschlusses an den Gemeinschuldner zufolge der behaupteten fehlenden Prozeßfähigkeit nicht rechtswirksam sein, stünde dies der Einleitung und Fortsetzung des Konkursverfahrens nicht entgegen. Wegen der öffentlichen Bekanntmachung des Konkurseröffnungsbeschlusses sei zu erwägen, daß bereits mit der Bestellung des Sachwalters am 1.9.1994 die Rechtsmittelfrist zu laufen begonnen hätte, so daß auch insoweit das Rechtsmittel verspätet wäre. Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige 50.000 S. Wegen des Fehlens einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Nichtigkeit von Entscheidungen im Insolvenzverfahren bei Prozeßunfähigkeit des Gemeinschuldners sowie zur Geltendmachung dieses Umstandes nach formeller Rechtskraft von Entscheidungen sei der Revisionsrekurs zulässig.

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß richtet sich der (rechtzeitige) Revisionsrekurs des durch seinen einstweiligen Sachwalter vertretenen Gemeinschuldners aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, ihn abzuändern und "den Rekurs zuzulassen", das heißt, dem Rekursgericht eine Sachentscheidung aufzutragen, jedenfalls die beantragte Bewilligung des Beitrittes zur Zwangsversteigerung zu versagen; hilfsweise dem Rekursgericht bzw dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen. Zur Begründung wird ausgeführt, es sei nicht einzusehen, daß der Schutz Geschäftsunfähiger gerade in dem seine Rechtssphäre besonders einschränkenden Konkursverfahren herabgesetzt sein sollte. Die älteren, vom Rekursgericht angeführten Lehrmeinungen könnten dies nicht rechtfertigen, zumal der Standard des Schutzes von Pflegebefohlenen in der neueren Gesetzgebung wesentlich gesteigert sei. Die gebotene Beachtung der Geschäftsunfähigkeit des Gemeinschuldners erfordere zumindest deren Berücksichtigung für noch nicht erledigte Teilbereiche, wie die hier noch offene Versteigerung einer Liegenschaft und die Verteilung der Masse. Die Frist zur Geltendmachung der mangelnden Prozeßfähigkeit beginne gemäß § 534 Abs 2 Z 2 ZPO mit der Zustellung der Entscheidung an den gesetzlichen Vertreter.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht angeführten Erwägungen zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Zutreffend hat das Rekursgericht schon dargelegt, weshalb die gemäß § 171 KO sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen über die fehlende Prozeßfähigkeit des Gemeinschuldners einer teleologischen Reduktion bedürfen. Das Mehrparteienverfahren (so vornehmlich die Begründung in EvBl 1989/42, 148) gestattet nicht die rückwirkende Aufhebung der Konkurseröffnung und weiterer im Insolvenzverfahren ergangener Beschlüsse und macht den Beginn der Anfechtungsmöglichkeit durch den geschäftsunfähigen Gemeinschuldner von der Zustellung an seinen gesetzlichen Vertreter gemäß § 534 Abs 2 Z 2 ZPO uabhängig.

So wie - im materiellen Recht - seit Gschnitzer, Die Kündigung nach deutschem und österreichischem Recht (Jherings Jahrbücher 76 [1926], 317 ff, 396 ff) bei Dauerschuldverhältnissen wegen der Schwierigkeit einer Rückabwicklung die Ablösung der Anfechtungs- durch eine Auflösungsmöglichkeit vertreten wird (vgl Mayer-Maly/Marhold, Österreichisches Arbeitsrecht I, 71; Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I3, 111 ua) bzw im Gesellschaftsrecht (vgl Kastner/Doralt/Nowotny, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechtes5, 18; § 41 Abs 4 GmbHG; sowie die Einschränkung der Anfechtbarkeit gegenüber der Nichtigkeit von Betriebsratswahlen, §§ 59 ff ArbVG) folgt im Wege einer Gesamtanalogie auch hinsichtlich der sinngemäßen Anwendung des Verfahrensrechtes eine Einschränkung der Rückwirkung des behaupteten Nichtigkeitsgrundes gemäß § 477 Abs 1 Z 5 ZPO. Der vom Rekurswerber geltend gemachte besondere Schutz der Gesetze für in ihrer Handlungsfähigkeit beeinträchtigte Personen (§ 21 Abs 1 ABGB) hat im Insolvenzverfahren zurückzustehen, zumal der Gemeinschuldner mit der Konkurseröffnung teilweise geschäftsunfähig wird und für seine Vertretung insoweit durch den Masseverwalter gesorgt ist. Auch wenn die Funktion des Masseverwalters im Sinne der von der Amtstheorie überholten Vertretertheorie (vgl dazu Kuhn-Uhlenbruck, KO11, Rz 17 zu § 6; Jaeger/Henckel RN 14 zu § 6 KO) nicht als Vertreter des Gemeinschuldners (oder der Konkursgläubiger) verstanden werden sollte, ist dadurch das Erfordernis einer Vertretung des Gemeinschuldners insoweit relativiert, als eine rückwirkende Berücksichtigung der fehlenden Geschäftsfähigkeit des Gemeinschuldners zum Schutze des Gemeinschuldners im Widerstreit zu den Interessen der übrigen Konkursbeteiligten nicht geboten ist. Dies bedeutet jedoch den Eintritt der formellen Rechtskraft (Rechberger Komm ZPO Rz 23 vor § 390) für den prozeßunfähigen Gemeinschuldner noch nicht zwangsläufig mit der Konkurseröffnung in der Weise, daß seine rechtlich geschützten Interessen nur mehr mit Wirkung ex nunc geltend gemacht werden könnten. Der Rechtsmittelwerber hat aber keine Umstände in seinem Rechtsmittel (ON 75) vorgebracht, weshalb der Beitritt des Masseverwalters in einem bereits anhängigen Zwangsversteigerungsverfahren nicht rechtens sein sollte; er hat lediglich auf seine fehlende Prozeßfähigkeit hingewiesen. Im Konkursverfahren können die Interessen des Gemeinschuldners im Rahmen einer Verwertung des Erlöses aus dem Zwangsversteigerungsverfahren mit Wirkung ex nunc noch immer ausreichend berücksichtigt werden.

Diese Erwägungen begründen zusätzlich die von Petschek/Reimer/Schiemer, Das österreichische Insolvenzrecht, 20 bei FN 51, vertretene Ablehnung der von Pollak (Bartsch-Pollak3 II 44) vorgeschlagenen Transponierung der Nichtigkeitsklage in einen Nichtigkeitsantrag. Die von Petschek/Reimer/Schiemer erheischte Beachtung der Geschäftsunfähigkeit des Gemeinschuldners wird durch die Berücksichtigung der von ihm vorgebrachten Argumente mit Wirkung ex nunc ausreichend, nämlich in einer auch die Interessen der übrigen Konkursbeteiligten berücksichtigenden Weise, gewährleistet.

Da die vom Gemeinschuldner ausgehende Bestreitung einer Forderung für den Konkurs keine rechtliche Wirkung hat (§ 109 Abs 2 KO) und seine Vernehmung vor Beschlußfassung über die in den §§ 116 und 117 bezeichneten Angelegenheiten nur nach Tunlichkeit zu erfolgen hat (§ 118 Abs 1 KO), wird dem Gemeinschuldner nur eingeschränkt eine Rechtsmittelbefugnis gegen die Konkurseröffnung eingeräumt. Umstände, außer der fehlenden Prozeßfähigkeit, durch die der Rechtsmittelwerber materiell beschwert sein könnte und die mit Wirkung ex nunc zu berücksichtigen wären, hat er aber nicht geltend gemacht.

Es kann somit schließlich dahingestellt bleiben, ob der allfällige Verlust der Prozeßfähigkeit des Gemeinschuldners nicht ohnedies gemäß § 35 Abs 1 ZPO unbeachtlich ist.

Gemäß § 173 Abs 1 KO ist im Konkursverfahren selbst im Falle eines - hier nicht gegebenen - Rechtsmittelerfolges ein Kostenzuspruch ausgeschlossen.

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