OGH 8Ob18/98z

OGH8Ob18/98z12.3.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Langer, Dr.Rohrer, Dr.Adamovic und Dr.Spenling als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Anton H*****, Rechtsanwalt, ***** als Masseverwalter im Konkurs der Verlassenschaft nach Siegfried S*****, gestorben am ***** (S 53/91 des Landesgerichtes Leoben),wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Feststellung (Streitwert S 1,522.996,-- sA), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 8. Oktober 1997, GZ 2 R 157/97v-11, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 21. April 1997, GZ 28 Cg 39/96w-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Berufungsentscheidung wird als nichtig aufgehoben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 20.114,25 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin keine USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Mit Urteil vom 21.5.1997 (richtig: 21.4.1997) ON 7, wies das Erstgericht das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß die Einkommenssteuerforderung der beklagten Partei laut Steuerbescheid des Finanzamtes Liezen vom 8.11.1995, StNr. 260/3319, für das Jahr 1992 in der Höhe von S 1,522.995,-- gegen den Verlaß nach Siegfried S***** im Konkurs des Verlasses nach Siegfried S*****, S 53/91 des Landesgerichtes Leoben, keine Masseforderung darstelle, ab. Infolge Berufung des Klägers, die am 9.6.1997 zur Post gegeben wurde, änderte das Berufungsgericht in nichtöffentlicher Sitzung am 8.10.1997 das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Weiters sprach es aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, der als bindend anzusehende, der Masseforderung zugrundeliegende Bescheid der FLD für Steiermark vom 26.3.1996 sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13.3.1997, Zl 96/15/0102, aufgehoben worden. Dieser Bescheid war dem Kläger am 28.4.1997 zugestellt worden und seiner Berufung gegen das Urteil erster Instanz angeschlossen (ON 8).

Aufgrund dieser Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Kläger mit der am 26.5.1997 beim Erstgericht eingelangten Klage die Wiederaufnahme des gegenständlichen Verfahrens und die Aufhebung des Ersturteils sowie in der Sache selbst die Klagestattgebung begehrt (28 Cg 21/97z des LG für ZRS Graz). In der Verhandlung vom 23.6.1997 erklärte der Kläger, einen Antrag "auf Unterbrechung des Berufungsverfahrens gegen das Urteil des LG für ZRS Graz vom 21.4.1997 nicht zu stellen, weil es mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse des Falles zweckmäßig sei, wenn die Instanzen über die Rechtsfrage, ob eine derartige Steuervorschreibung welcher Art auch immer, eine Masseforderung darstelle oder nicht, entschieden".

Mit Urteil vom 23.7.1997, rechtskräftig am 23.9.1997, wurde die Wiederaufnahme des Verfahrens in der Rechtssache 28 Cg 39/96w des LG für ZRS Graz bewilligt und das in dieser Rechtssache erflossene Urteil des LG für ZRS Graz vom 21.4.1997, 28 Cg 39/96w-7, beseitigt.

Im gegenständlichen Verfahren gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab. In der rechtlichen Begründung führte das Berufungsgericht aus, durch die Rückwirkung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Zeitpunkt vor Schluß der Verhandlung erster Instanz verstoße die Beachtung dieses Erkenntnisses nicht gegen das Neuerungsverbot. Die ordentliche Revision sei wegen der klar erscheinenden Rechtslage nicht zulässig.

Gegen dieses Berufungsurteil wendet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei aus den Gründen der Nichtigkeit und eines sonstigen erheblichen Verfahrensmangels mit dem Antrag, die Entscheidung ersatzlos aufzuheben (richtig zu beheben). Die Berufungsentscheidung sei nach rechtskräftiger Entscheidung über die Wiederaufnahme, wodurch das Urteil vom 21.4.1997, 28 Cg 39/96w-7, "beseitigt" wurde, nichtig.

Der klagende Masseverwalter beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil - soweit überblickbar - außer einer Entscheidung vom 1.8.1951, 2 Ob 491/51, zur Frage der Berufungsentscheidung über ein Urteil, das aufgrund einer Wiederaufnahmsklage schon aufgehoben wurde, eine jüngere Entscheidung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliegt.

Die Revision ist auch berechtigt.

Aus dem Neuerungsverbot gemäß § 482 ZPO und dem Umstand, daß die Wiederaufnahmsklage bereits gegen ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist (§ 530 Abs 1 ZPO) erhoben werden kann, folgt, daß nach Schluß der mündlichen Verhandlung - genauer nach dem Zeitpunkt, zu dem noch mit Erfolg Neuerungen geltend gemacht werden können - die Geltendmachung von Wiederaufnahmsgründen nicht nach Belieben des Rechtsmittelwerbers auch mit dem konkurrierenden Rechtsbehelf der Berufung kumulativ erfolgen darf. Die Beseitigung einer im Vorverfahren als bindend anzusehenden Entscheidung durch einen nachfolgenden außerordentlichen Rechtsbehelf (hier Verwaltungsgerichtshofbeschwerde) ist analog zu § 530 Abs 1 Z 5 ZPO als Wiederaufnahmsgrund anzusehen (SZ 60/144 = JBl 1988, 471 unter Hinweis auf Spruch 45 neu = SZ 29/27, worin für den Fall einer anhängigen Exekution die Aufhebung eines Bescheides als tauglicher Oppositionsgrund angesehen wurde, sowie unter Berufung auf Fasching, ZPR2 Rz 2058 und die in § 69 Abs 1 lit c AVG getroffene, der gegenseitigen Bindung von Justiz und Verwaltung an die Akte der anderen Gewalt Rechnung tragende Regelung). Die Benützbarkeit einer Entscheidung, durch die eine im Titelverfahren als gegeben angesehene rechtliche Bindung beseitigt wird, kann im Verfahren wegen der sich aus dem Neuerungsverbot ergebenden Einschränkungen nur als Wiederaufnahmsgrund geltend gemacht werden (vgl § 530 Abs 1 Z 5 und 6 ZPO). Zur Vermeidung von - bei Bewilligung der Wiederaufnahme aufzuhebenden - Berufungsentscheidungen im Falle des Vorliegens von als wahrscheinlich anzusehenden Wiederaufnahmsgründen kann gemäß § 545 ZPO das Rechtsmittelverfahren unterbrochen werden, während bei Wiederaufnahmsgründen, die durch ein rechtskräftiges strafgerichtliches Urteil dargelegt werden (§ 530 Abs 1 Z 1 bis 5 ZPO), gemäß § 544 Abs 1 ZPO von Amts wegen oder auf Antrag unverzüglich die Unterbrechung des Rechtsmittelverfahrens anzuordnen ist. Durch die unverzügliche Verständigung des Rechtsmittelgerichtes (§ 544 Abs 2 ZPO) soll gerade vermieden werden, daß das Rechtsmittelgericht - nach erfolgter Wiederaufnahme und Vorentscheidung in der Hauptsache (soferne keine Verbindungspflicht des Wiederaufnahms- und Erneuerungsverfahrens gemäß § 540 Abs 1 ZPO besteht) - über ein allenfalls nicht mehr existentes Urteil entscheiden könnte. Die nach der Wiederaufnahme allenfalls gesondert vorzunehmende Entscheidung in der Hauptsache (Erneuerungsverfahren vgl § 540 Abs 2 ZPO) obliegt regelmäßig (Ausnahme § 540 Abs 3 ZPO) dem Gericht erster Instanz. Der Umstand, daß das Berufungsgericht entgegen dem Neuerungsverbot die nach Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz bekannt gewordene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes berücksichtigte und dadurch die ihm nicht funktionell zustehende Befugnis des Erstgerichtes im Wiederaufnahmsverfahren und Erneuerungsverfahren wahrgenommen hat, ist analog zu § 477 Abs 1 Z 3 ZPO als Nichtigkeitsgrund zu behandeln. Dazu kommt noch, daß das Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung über ein nicht mehr existierendes Urteil entschieden hat. In diesem Fall wäre das Rechtsmittelverfahren zunächst zu unterbrechen und sodann als gegenstandslos einzustellen gewesen (2 Ob 491/51).

Dem Kläger, der ungeachtet der Erörterung dieses Umstandes im Wiederaufnahmsverfahren einen Unterbrechungsantrag nicht gestellt hat, ist dieser Umstand als Verschulden im Sinne des § 51 Abs 1 ZPO anzulasten, denn durch die Unterbrechung hätte die nichtige Berufungsentscheidung unschwer vermieden werden können.

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