European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0080OB00014.14P.0929.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:
„Die gerichtliche Aufkündigung vom 29. Februar 2012 des aus den Grundstücken *****, und *****, inneliegend in der EZ 1, KG 51224 Pernau, insbesondere der darauf befindlichen Gebäude, bestehenden Bestandobjekts wird als wirksam erkannt.
Die beklagte Partei ist schuldig, das Bestandobjekt der klagenden Partei binnen 14 Tagen nach dem 31. 12. 2030 geräumt von ihren eigenen Fahrnissen zu übergeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.518,46 EUR (darin 403,58 EUR USt und 97 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.251,81 EUR (darin 152,97 EUR USt und 334 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei, ein Flugsportverein, ist aufgrund einer als „Mietvertrag“ bezeichneten Vereinbarung mit der klagenden Stadtgemeinde vom 21. 8. 1974 („rückwirkend ab 1. 10. 1972“) Unterbestandnehmerin mehrerer Grundstücke und darauf errichteter Bauten, die in der Natur einen behördlich bewilligten Zivilflugplatz darstellen. Zweck der Vermietung ist der Betrieb eines öffentlichen Flugplatzes mit vorrangiger Ausübung des Flugsports in allen Varianten. Die Klägerin erklärte, auf die Ausübung ihres Kündigungsrechts bis (zuletzt) 31. 12. 2027 zu verzichten.
Grundbücherliche Eigentümerin der Bestandliegenschaft ist die Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H. als Rechtsnachfolgerin der Republik Österreich, die ihrerseits mit der Klägerin im April/Mai 1974 einen bis 30. 9. 2071 befristeten Mietvertrag über den Flugplatz abgeschlossen hatte. Vereinbarter Vertragszweck war der Betrieb eines öffentlichen Zivilflugplatzes, unter Ausschluss anderer Verwendungen. Die für den Betrieb des Flugplatzes als öffentlichen Zivilflugplatz mit Betriebspflicht (§§ 63 iVm 75 Abs 5 LuftfahrtG) erforderliche Bewilligung der Zivilluftfahrtbehörde datiert aus dem Jahre 1972.
Vor Abschluss des Mietvertrags zwischen der Klägerin und der Republik Österreich waren von 1957 bis 1970 der Österreichische Aero‑Club, sowie ab 1970 die Beklagte Bestandnehmer und Halter des Flugplatzes. In diesem Zeitraum wurden mit eigenen Mitteln der jeweiligen Bestandnehmer, aber auch mit Hilfe von Subventionen der öffentlichen Hand, insbesondere der Klägerin, nach und nach die vorhandenen baulichen Einrichtungen des Flugplatzes errichtet bzw instandgehalten.
Die Klägerin kündigte den Bestandvertrag unter Berücksichtigung des befristeten Kündigungsverzichts zum 31. 12. 2030 auf. Angesichts der vereinbarten Betriebspflicht handle es sich um einen Pachtvertrag. Selbst unter Annahme eines echten (Unter-)Mietverhältnisses seien die Kündigungsschutzbestimmungen gemäß § 1 Abs 4 MG nicht anwendbar.
Die Beklagte beantragte, die Aufkündigung für unwirksam zu erklären. Es liege ein Mietverhältnis im Anwendungsbereich der Kündigungsschutzbestimmungen des MG bzw MRG vor. Ein gesetzlicher Kündigungsgrund werde nicht geltend gemacht.
Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für unwirksam. Das Vertragsverhältnis der Streitteile sei unter Abwägung aller Umstände nicht als Pacht-, sondern als Mietvertrag über Geschäftsräume zu qualifizieren, auf den das MRG anzuwenden sei. Eine Ausnahme von den Kündigungsschutzbestimmungen gemäß § 1 Abs 4 MG bzw § 1 Abs 2 Z 1 MRG komme nicht zum Tragen, weil nicht nur Teile des Flugplatzes, sondern dieser zur Gänze in Bestand gegeben worden sei.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision mangels über den Einzelfall hinaus bedeutender Rechtsfragen für unzulässig. Auf die Geltungsbereichsausnahme nach § 1 Abs 4 MG könne sich nur der Betreiber eines Eisenbahnunternehmens oder Flugplatzes, aber nicht dessen Mieter gegenüber einem Untermieter berufen. Zweck der Ausnahmeregelung sei es, dem Betreiber im öffentlichen Interesse die Verfügbarkeit der zum Betrieb des Verkehrsunternehmens bestimmten Bestandobjekte zu sichern. Mit diesem Zweck sei es nicht vereinbar, die Ausnahme vom Kündigungsschutz gegen den Betreiber des Flugplatzes selbst anzuwenden.
In ihrer Revision wendet sich die Klägerin einerseits gegen die Qualifikation des Bestandverhältnisses als Mietvertrag, andererseits gegen das Bestehen eines besonderen Kündigungsschutzes. Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts zulässig, weil die Rechtsfrage, ob die Ausnahmeregelung des § 1 Abs 4 MG für Räume, die sich auf Eisenbahngrundstücken oder Flugplätzen befinden, iVm § 49 Abs 3 MRG auch auf Untermietverträge über das gesamte Areal eines Flugplatzes anwendbar ist, in der höchstgerichtliche Rechtsprechung noch nicht behandelt wurde. Die Revision ist auch berechtigt.
1. Die Abgrenzung, ob ein Pacht‑ oder Mietverhältnis vorliegt, ist immer von den Umständen des Einzelfalls abhängig.
Gegenstand einer Unternehmenspacht ist im Regelfall ein bereits bestehendes Unternehmen; zusätzlich zu der für ein Pachtverhältnis charakteristischen Betriebspflicht müssen aber auch die wesentlichsten Grundlagen für den Unternehmensbeginn bereits bestehen beziehungsweise vom Bestandgeber beigestellt werden (im Einzelfall etwa die bereits entsprechend adaptierten Räume, der Kundenstock, die Konzession; RIS‑Justiz RS0020581; RS0020398).
Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen ohne Rechtsirrtum besonders gewürdigt, dass die Beklagte bereits vor Abschluss des gegenständlichen Bestandvertrags mit der Klägerin jahrelang Betreiberin des Flugplatzes und dessen luftfahrtbehördlich zugelassene Halterin im Sinn der Zivilflugplatz-Betriebsordnung war. Der Wechsel auf Vermieterseite durch Dazwischentreten der Klägerin als Hauptmieterin bewirkte in den faktischen Betriebsverhältnissen keine Änderung. Nur im Sinn dieser Kontinuität konnte auch die ausdrücklich vereinbarte Rückwirkung des Untermietvertrags auf den 1. 10. 1972 ‑ obwohl die Klägerin zu diesem Zeitpunkt noch keine eigenen Rechte am Bestandobjekt hatte ‑ aufgefasst werden.
Einer vereinbarten Betriebspflicht kann im vorliegenden Fall keine entscheidende Rolle zukommen, weil sie sich für öffentliche Flugplätze bereits aus dem Gesetz ergibt (§ 63 LuftfahrtG).
Der Kundenstock des Flugplatzes war, soweit er nicht ohnehin aus Vereinsmitgliedern der Beklagten bestand, bei Abschluss des Unterbestandvertrags dem Wirken der Beklagten als Halter des öffentlichen Flugplatzes in den vorangegangenen Jahren nicht erkennbar weniger zurechenbar als der Standortattraktivität der klagenden Stadtgemeinde.
Den Vorinstanzen kann unter diesen Umständen beigepflichtet werden, dass die Parteien in ihrem Unterbestandvertrag in erster Linie die Überlassung der Betriebsräumlichkeiten im Sinne eines Mietverhältnisses geregelt haben und die vorhandenen Elemente eines Pachtverhältnisses dagegen in den Hintergrund getreten sind.
2. Gemäß § 39 MRG gelten die Kündigungsbeschränkungen des § 30 MRG nicht für Untermietverträge, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geschlossen wurden und die von den Kündigungsbeschränkungen des § 19 MG ausgenommen waren.
Nach § 1 Abs 4 MG fanden die Kündigungsbeschränkungen der §§ 19 bis 23 MG auf Räume, „die sich auf Eisenbahngrundstücken oder Flugplätzen befinden und die nach ihrer Zweckbestimmung mit dem Betrieb der Eisenbahn oder des Flugplatzes im Zusammenhang stehen“, nur insofern Anwendung, als der Mieter den Mietgegenstand bereits seit dem 1. 8. 1914 innehatte.
Zweck des § 1 Abs 4 MG war es, den dort privilegierten Vermieter aus Gründen des öffentlichen Interesses in die Lage zu versetzen, Mieträumlichkeiten, die zwar vorübergehend nicht für den Eisenbahn- oder Flugplatzbetrieb Verwendung finden, aber doch damit zusammenhängen, ohne Kündigungsbeschränkungen aufkündigen zu können. Es ist der Sinn dieser Bestimmung, vorübergehend anderen Zwecken dienende, mit dem Eisenbahn- oder Flugplatzbetrieb nach Zweck, Bestimmung und Planung in enger Verbindung stehende Grundstücke und Räume im Fall eines Bedarfs wieder Zwecken des Verkehrsunternehmens zugänglich zu machen, wobei es lediglich auf die Möglichkeit der zweckgebundenen Wiederverwendung ankommt (1 Ob 88/98t; VwGH 27. 9. 1972, 1023/72 = MietSlg 24.217; 1 Ob 160/32 = SZ 14/24).
Für die Frage, ob nach § 1 Abs 4 MG nur das Hauptmietverhältnis, nicht aber auch das Untermietverhältnis vom Mieterschutz ausgenommen ist, ist die Beziehung der gemieteten Räume zum Eisenbahnbetrieb maßgeblich (SZ 14/24). Grundsätzlich stellt die Gesetzesausnahme nicht auf den Betrieb des Verkehrsunternehmens durch den Vermieter ab, sondern auf die widmungsgemäße Nutzung der Liegenschaft, auf der sich das Mietobjekt befindet. Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits ausgesprochen (1 Ob 88/98t), dass die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 4 MG teleologisch dahin zu reduzieren ist, dass sie nicht auch von einem Hauptmieter der (dort:) Eisenbahnverwaltung, der selbst im Mietobjekt kein Verkehrsunternehmen betrieben hat, gegenüber seinem Untermieter, auf den dasselbe zutrifft, in Anspruch genommen werden kann. Solle das öffentliche Interesse an einem geregelten Verkehrsbetrieb dessen Betreiber die Möglichkeit zur jederzeitigen Aufkündigung geben, dann könne sich wohl nur dieser, dessen Betriebsgegenstand vom Gesetzgeber öffentliche Rücksichten zugebilligt werden, auf die Entlastung von Kündigungsbeschränkungen berufen, nicht aber auch Mieter, die ein solches öffentliches Interesse gegenüber ihrem Untermieter nicht ins Treffen führen können.
Diese teleologischen Erwägungen lassen sich aber nicht dahin erstrecken, allgemein jegliche Untermietverträge über Objekte im Sinn des § 1 Abs 4 MG, ohne Rücksicht auf den Betriebsgegenstand des Bestandgebers, von der Geltung dieser Bestimmung auszunehmen.
Im hier vorliegenden Fall hat sich die Klägerin selbst in ihrem Hauptmietvertrag gegenüber der Grundeigentümerin zur Nutzung des Mietgegenstands als öffentlichen Flugplatz, unter Ausschluss anderer Verwendungen, verpflichtet. Dieser Sachverhalt unterscheidet sich damit wesentlich von dem der Entscheidung 1 Ob 88/98t zugrunde gelegenen, in dem der dortige Hauptmieter ein Gastlokal betrieben hatte.
Der Umstand, dass die Klägerin nie selbst als Halterin des Flugplatzes iSd LuftfahrtG aufgetreten ist, sondern die gegenüber der Vermieterin übernommene Verpflichtung im Untermietvertrag der Beklagten delegiert hat (der sie allerdings einen hauptamtlichen Flugbetriebsleiter als „lebende Subvention“ bereitstellt), führt nicht dazu, dass ihr ein durch § 1 Abs 4 MG gefördertes öffentliches Interesse an einem geregelten Verkehrsbetrieb abzusprechen wäre.
Eine Einschränkung des Geltungsbereichs des § 1 Abs 4 MG auf Mietverträge über einzelne Räume ist dem Gesetzeswortlaut entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen und wäre mit dem Zweck, dem Vermieter die jederzeitige Kündigung im öffentlichen Interesse seines Verkehrsbetriebs zu ermöglichen, nicht vereinbar. Es wäre nicht schlüssig, wenn die auf einem Flugplatz bestehenden Mietobjekte zwar jeweils einzeln unter erleichterten Bedingungen gekündigt werden könnten, aber nicht gleichzeitig. Das geschützte öffentliche Interesse des Vermieters, über seine Objekte verfügen zu können, ist bei einer Vermietung des gesamten Bestandes in der Regel stärker als bei Vermietung bloß einzelner Räume.
Dem Argument des Berufungsgerichts, das mit der Funktion des öffentlichen Flugplatzes zu begründende Interesse an der jederzeit möglichen Aufkündigung könne nicht gegenüber jenem Bestandnehmer bestehen, der selbst als Halter des Flugplatzes dessen privilegierten Betrieb gewährleistet, ist entgegenzuhalten, dass § 1 Abs 4 MG keine Interessenabwägung vorsieht und der Kündigende keinen Nachweis erbringen muss, dass die Aufkündigung für seinen Verkehrsbetrieb tatsächlich erforderlich (oder auch nur nützlich) ist.
Der Vermieter hat die Möglichkeit, die bisherigen Aufgaben des Mieters in Hinkunft neu oder unter geänderten Bedingungen zu vergeben. Auch wenn im vorliegenden Verfahren eine ganz besondere, jahrzehntelange Verbundenheit des beklagten Vereins mit dem Flugplatzbetrieb fest steht, ist doch nicht hervorgekommen, dass ausschließlich die Beklagte in der Lage wäre, den Fortbestand des Flugplatzes zu gewährleisten.
3. Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn abzuändern.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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