OGH 7Ob79/22a

OGH7Ob79/22a29.6.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* Ltd, *, vertreten durch OBLIN Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei O* AG, *, vertreten durch Dr. Gerhard Horak, Mag. Andreas Stolz, Rechtsanwälte in Wien, der Nebenintervenientin G* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.595.085,38 EUR sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 7. April 2022, GZ 3 R 40/22f‑19, womit der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 17. Februar 2022, GZ 4 Cg 98/21f‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00079.22A.0629.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin die mit je 6.093,54 EUR (darin enthalten 1.015,59 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin brachte eine Schiedsklage – mit näher dargestelltem Inhalt und Begehren – beim International Arbitral Centre of the Austrian Federal Economic Chamber („VIAC“) gegen die L* GmbH ein. Im Mai 2021 beantragte sie auch die Einbeziehung der Beklagten durch Schiedsklage in das von ihr angestrengte Schiedsverfahren. Die Schiedsklage samt verfahrenseinleitender Mitteilung mit der Aufforderung, an der Bestellung der Schiedsrichter mitzuwirken, wurde der Beklagten zugestellt. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 29. Juli 2021 ihren Antrag auf Einbeziehung der Beklagten zurückgezogen.

[2] Mit der am 30. Juli 2021 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerinvon der Beklagten die Zahlung von 2.595.085,38 EUR. Sie habe am 26. Oktober 2020 bei U* LLC 1.000.000 Stück FFP3‑Masken bestellt, die diese ihrerseits von der L* GmbH beziehen wollte, wobei die Lieferung direkt von dieser an die Klägerin erfolgen sollte. Anstelle der vereinbarten 1.000.000 Stück FFP3‑Masken seien für die Klägerin völlig unbrauchbare einfache Mund-Nasen-Schutzmasken geliefert worden, woraus ihr ein den Klagsbetrag übersteigender Schaden entstanden sei. Die L* GmbH habe für den Transport die Speditionsfirma G* GmbH beauftragt, durchgeführt worden sei der Transport in weiterer Folge von der Firma T* GmbH. Die G*GmbH habe den Transport bei der Beklagten versichert. Als Auftraggeberin sei U* LLC angeführt worden. Die Klägerin sei zwar nicht direkte Vertragspartnerin der Beklagten, jedoch wirtschaftlich Betroffene und Geschädigte, weil sie den vollständigen Kaufpreis bezahlt, aber nicht die vertraglich zugesicherte Gegenleistung erhalten habe. Von 19. November 2020 bis 23. November 2020 sei es zu dem vom Versicherungsschutz umfassten Schadensfall gekommen, weil die Klägerin nicht die vertraglich vereinbarten Masken, sondern einfache billige Einwegmasken erhalten habe.

[3] Ihren Antrag auf Einbeziehung der Beklagten in das Schiedsverfahren und damit auch das damit verbundene Schiedsklagebegehren habe sie vor Einbringung der gegenständlichen Klage zurückgezogen. Die Beklagte habe das Sekretariat des Schiedsgerichts am 10. September 2021 informiert, dass sie derZurückziehung des Antrags auf Einbeziehung nicht widerspreche, sodass eine noch ausstehende Entscheidung des Schiedsgerichts allenfalls nur die Kosten der Beklagten betreffe. Auch sei der Kostenvorschuss für den Antrag auf Einbeziehung der Beklagten in das Schiedsverfahren nie vollständig gezahlt worden und die vom Schiedsgericht gesetzte 15‑tägige Zahlungsfrist bereits verstrichen, weshalb der Generalsekretär des Schiedsgerichts, wie am 12. November 2021 angekündigt, das Verfahren bezüglich des Antrags auf Einbeziehung der Beklagten für beendet erklären werde. Über die Zurückziehung des Antrags auf Einbeziehung der Beklagten in das Schiedsverfahren sei weder vom Schiedsgericht noch vom Generalsekretär des Schiedsgerichts eine Entscheidung zu treffen.

[4] Die Beklagte erhob den Einwand der Schiedsanhängigkeit und beantragte primär die Zurückweisung der Klage. Die Klägerin habe am 7. Mai 2021 beim VIAC als Schiedsklägerin eine Schiedsklage gegen die L* GmbH als Schiedsbeklagte auf Zahlung von 5,656.055,65 EUR eingebracht. Das Schiedsverfahren sei nach wie vor – mangels Erklärung der Beendigung – anhängig und werde nach den Wiener Regeln als Schiedsordnung durchgeführt. Gegenstand des Schiedsverfahrens sei exakt jenes Handels‑ und Liefergeschäft zwischen der Klägerin und der U* LLC unter Involvierung deren Sublieferantin L* GmbH, der Spedition G* GmbH als dem mit der Beförderung beauftragten Unternehmen und weiteren beteiligten Unternehmen, das auch Gegenstand und Grundlage der vorliegenden Klage sei. Die Klägerin habe im Schiedsverfahren die Einbeziehung unter anderem der Beklagten als Drittperson beantragt und im Schiedsklagevorbringen Tatsachen‑ und Rechtsbehauptungen dahin aufgestellt, dass ihr gegenüber der Beklagten ein Anspruch aus den – in beiden Verfahren vorgelegten – Transportversicherungs‑Zertifikaten bzw der zugrunde liegenden Transportversicherung zukomme, und an das Schiedsgericht auch das Begehren gestellt, mit Schiedsspruch festzustellen, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf die Versicherungssumme aus den von der Beklagten ausgestellten Versicherungspolizzen zustehe. Die Klägerin mache mit der vorliegenden Klage exakt denselben Anspruch, gerichtet auf Zahlung der Versicherungssumme, geltend. Die Führung des Rechtsstreits sei daher wegen Anhängigkeit des Schiedsverfahrens unzulässig.

[5] Die G* GmbH trat auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenientin bei.

[6] Das Erstgericht wies die Klage wegen Schiedsanhängigkeit zurück. Für den Eintritt der Schiedsanhängigkeit – analog der Streitanhängigkeit im staatlichen Verfahren – sei maßgebend, dass die Schiedsklage oder die sonst das Verfahren einleitende Mitteilung bzw Anzeige dem Beklagten zugegangen sei und dieser somit Kenntnis vom Verfahren erhalten habe. Unstrittigerweise sei beim VIAC ein Schiedsverfahren mit der Klägerin als Schiedsklägerin gegen die L* GmbH über denselben Anspruch wie in diesem Verfahren anhängig. Die Klägerin habe im Schiedsverfahren die Einbeziehung der Beklagten beantragt und die Beklagte habe die das Verfahren einleitende Mitteilung mit der Aufforderung, an der Bestellung der Schiedsrichter mitzuwirken, erhalten, womit Schiedsanhängigkeit eingetreten sei. Die Regelung des § 608 ZPO betreffend die Beendigung eines Schiedsverfahrens sei zwingend. Danach habe eine Entscheidung des Schiedsgerichts über die Beendigung der Schiedsanhängigkeit vorzuliegen, was nach den eigenen Behauptungen der Klägerin nicht der Fall sei. Dass eine Entscheidung des Schiedsgerichts über die von der Beklagten eingewandte Unzuständigkeit des Schiedsgerichts in angemessener Dauer nicht zu erlangen sei, habe die Klägerin nicht behauptet. Allein aus dem Umstand, dass die Institution offenbar lange für bestimmte Verfahrensschritte brauche bzw ein Kostenvorschuss für eine derartige Entscheidung erforderlich sei, könne nicht abgeleitet werden, dass eine Entscheidung des Schiedsgerichts in angemessener Dauer nicht erlangbar sei.

[7] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Solange ein Schiedsverfahren streitanhängig (schiedsanhängig) sei, hindere bereits der Eintritt der Schiedsanhängigkeit allein die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens. Erst bei Beendigung der Schiedsanhängigkeit sei der Weg für die Einleitung eines Verfahrens vor dem staatlichen oder einem anderen Schiedsgericht frei. Die Klägerin habe vor der am 30. Juli 2021 erfolgten Einbringung der Klage vor dem Landesgericht Linz beim VIAC eine Schiedsklage gegen die L* GmbH über denselben Anspruch wie in diesem Verfahren eingebracht und die Einbeziehung der Beklagten in das Schiedsverfahren beantragt, diesen Antrag auf Einbeziehung jedoch mit Schreiben vom 29. Juli 2021 wieder zurückgezogen, nachdem die Schiedsklage samt verfahrenseinleitender Mitteilung mit der Aufforderung an der Bestellung der Schiedsrichter mitzuwirken, der Beklagten bereits mit Schreiben vom 18. Mai 2021 zugestellt worden war. Die vor Einbringung der Klage bereits eingetretene Schiedsanhängigkeit sei durch die Erklärung der Klägerin, ihren Antrag auf Einbeziehung der Beklagten zurückzuziehen – vor Schluss der Verhandlung erster Instanz am 6. Dezember 2021 – nicht wieder weggefallen. Sowohl nach § 608 ZPO als auch nach den Wiener Regeln des VIAC setze die Beendigung des Schiedsverfahrens entweder die Erlassung eines Schiedsspruchs oder einen Beschluss des Schiedsgerichts oder eine Erklärung des Generalsekretärs über die Verfahrensbeendigung voraus. Derartiges habe keine der Parteien in erster Instanz behauptet und sei auch nicht hervorgekommen. Vielmehr habe die Klägerin in ihrem Rekurs erstmals vorgebracht, dass am 29. Dezember 2021, also nach Schluss der Verhandlung erster Instanz, der Antrag auf Einbeziehung vom Generalsekretär des VIAC für beendet erklärt worden sei. Dies stelle eine unzulässige Neuerung dar. Darauf, dass die Entscheidung des Schiedsgerichts über eine von der Beklagten eingewandte Unzuständigkeit des Schiedsgerichts nicht in angemessener Dauer zu erlangen sei, habe sich die Klägerin in erster Instanz nicht berufen und keine Umstände behauptet, aus denen sich dies ableiten ließe.

[8] Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, das Vorliegen des Prozesshindernisses der Schiedsanhängigkeit zu verneinen; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagte und die Nebenintervenientin begehren in den freigestellten Revisionsrekursbeantwortungen, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

[10] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1. Voranzustellen ist, dass die ZPO die Verfahrensgestaltung des schiedsgerichtlichen Verfahrens weitgehend der Privatautonomie überlässt (7 Ob 67/01f). Auf die vom VIAC adminstrierten Schiedsverfahren sind unstrittig die Wiener Regeln (WR) – hier 2018 – anzuwenden. Diese lauten auszugsweise:

Einleitung des Schiedsverfahrens

Schiedsklage

Artikel 7

[1] Das Schiedsverfahren wird durch Einbringung einer Schiedsklage eingeleitet. Das Verfahren beginnt an dem Tag, an dem die Schiedsklage beim Sekretariat des VIAC oder bei einer der Wirtschaftskammern des Landes [Landeskammern] in Papierform oder elektronischer Form einlangt [Art 12 Abs 1]; damit ist das Verfahren anhängig. Das Sekretariat informiert die Parteien vom Einlangen der Schiedsklage.

[2] Die Schiedsklage hat folgende Angabe zu enthalten: [...]

[3] Entspricht die Schiedsklage nicht Abs 2 dieses Artikels, kann der Generalsekretär den Kläger [...]. Kommt der Kläger einem Verbesserungsauftrag innerhalb der gesetzten Frist nach, so gilt die Schiedsklage als am Tag des ersten Einlangens eingebracht. Kommt der Kläger dem Verbesserungsauftrag innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, kann der Generalsekretär das Verfahren für beendet erklären (Art 34 Abs 3). Dies hindert den Kläger nicht, dieselben Ansprüche zu einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Verfahren geltend zu machen.

[4] Der Generalsekretär stellt dem Beklagten die Schiedsklage zu, wenn kein Verbesserungsauftrag nach Abs 3 dieses Artikels erteilt oder sobald einem solchen nachgekommen wurde. Der Generalsekretär kann mit der Zustellung der Schiedsklage an den Beklagten zuwarten, bis dem Ergänzungsauftrag nach Art 3 dieses Artikels nachgekommen wurde.

Einbeziehung Dritter und Verfahrensverbindung

Einbeziehung Dritter

Artikel 14

[1] Über die Einbeziehung einer Drittperson in ein Schiedsverfahren sowie über die Art ihrer Teilnahme entscheidet über Antrag einer Partei oder einer Drittperson das Schiedsgericht nach Anhörung aller Parteien und der einzubeziehenden Drittperson sowie unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände.

[2] Der Antrag auf Einbeziehung hat folgende Angaben zu enthalten:

[...]

2.3 Die Art der Teilnahme der Drittperson.

[3] Wird die Einbeziehung einer Drittperson mit Schiedsklage beantragt,

3.1 ist dieser Antrag beim Sekretariat einzureichen. Die Bestimmungen der Art 7 ff sind sinngemäß anzuwenden. Der Generalsekretär übermittelt diese Schiedsklage der Drittperson, die in das Schiedsverfahren einbezogen werden soll, sowie den anderen Parteien zur Stellungnahme.

3.2 kann die Drittperson an der Bildung des Schiedsgerichts gemäß Art 18 mitwirken, wenn noch kein Schiedsrichter bestellt ist.

3.3 hat das Schiedsgericht die Schiedsklage über die Einbeziehung einer Drittperson dem Sekretariat zur Behandlung in einem gesonderten Verfahren zurückzustellen, wenn es die Einbeziehung der Drittperson, die mit Schiedsklage beantragt wurde, gemäß Abs 1 ablehnt. In diesem Fall kann das Präsidium bereits vorgenommene Bestätigungen der Benennung oder Bestellungen von Schiedsrichtern widerrufen und die Neubildung des Schiedsgerichts oder der Schiedsgerichte im Sinn des Art 17 ff anordnen, wenn die Drittperson an der Konstituierung des Schiedsgerichts im Sinn von Abs 3 Z 3.2 mitgewirkt hat.

Arten der Verfahrensbeendigung

Artikel 34

Das Schiedsverfahren wird beendet.

[1] Mit der Erlassung des Schiedsspruchs (Art 36 und 37 Abs 1); oder

[2] mit Beschluss des Schiedsgerichts, wenn

2.1 der Kläger seine Schiedsklage zurücknimmt, es sei denn, dass der Beklagte dem widerspricht und ein berechtigtes Interesse des Beklagten an der endgültigen Beilegung der Streitigkeit besteht;

2.2 die Parteien die Beendigung des Verfahrens vereinbaren und dies dem Schiedsgericht und dem Generalsekretär mitteilen;

2.3 die Fortsetzung des Verfahrens unmöglich geworden ist, insbesondere weil die bisher im Verfahren tätigen Parteien trotz schriftlicher Aufforderung des Schiedsgerichts, mit welcher dieses auf die Möglichkeit der Beendigung des Schiedsverfahrens hinweist, das Schiedsverfahren nicht weiter betreiben;

2.4 von einer Partei der Auftrag des Schiedsgerichts, eine Sicherheit für Verfahrenskosten zu erlegen (Art 33 Abs 7) nicht befolgt wurde; oder

[3] durch Erklärung des Generalsekretärs,

 3.1 wenn ein Verbesserungsauftrag (Art 7 Abs 3) oder eine Zahlungsaufforderung (Art 10 Abs 4 und Art 42 Abs 3, 5) nicht befolgt wurde;

3.2 in den Fällen des Abs 2 Z 2.1–Z 2.3, wenn der Fall noch nicht an das Schiedsgericht übergeben wurde.

Kosten

Kostenvorschüsse:

Artikel 42

[1] Der Generalsekretär setzt den Kostenvorschuss für die voraussichtlichen Verwaltungskosten des VIAC, die Honorare der Schiedsrichter und die Auslagen fest. Der Kostenvorschuss ist vor Übergabe der Unterlagen zum Fall an das Schiedsgericht von den Parteien binnen 30 Tagen ab Zustellung der Aufforderung zu gleichen Teilen zu erlegen. In Mehrparteienverfahren ist jeweils eine Hälfte des Kostenvorschusses für die Kläger gemeinsam sowie für die Beklagten gemeinsam zu erlegen. Die Bezugnahme in diesem Artikel auf eine Partei umfasst sämtliche Parteien auf Kläger‑ oder Beklagtenseite.

[2] [...]

[3] Langt der auf eine Partei entfallende Anteil innerhalb der gesetzten Frist nicht oder nicht vollständig ein, teilt der Generalsekretär dies der gegnerischen Partei mit und fordert diese auf, den fehlenden Teil des Vorschusses binnen 30 Tagen ab Erhalt der Aufforderung zu bezahlen. Die Verpflichtung der säumigen Partei zur anteiligen Tragung des Kostenvorschusses nach Abs 2 dieses Artikels bleibt davon unberührt. Langt dieser Betrag nicht innerhalb der gesetzten Frist ein, kann der Generalsekretär das Schiedsverfahren für beendet erklären (Art 34 Abs 3). Dies hindert die Partei nicht, dieselben Ansprüche zu einem späteren Zeitpunkt in einem später anderen Verfahren geltend zu machen.

[4] […]

[5] Wird ein weiterer Kostenvorschuss nötig und deshalb vom Generalsekretär festgesetzt, ist nach den Bestimmungen der Abs 1 bis 4 dieses Artikels vorzugehen. Bis zum Erlag des zusätzlichen Kostenvorschusses sind die Ansprüche, die zur Erhöhung oder zur Vorschreibung des zusätzlichen Kostenvorschusses geführt haben, im Schiedsverfahren grundsätzlich nicht zu behandeln. Wird eine Zahlung nicht innerhalb der vom Generalsekretär gesetzten Frist geleistet, kann das Schiedsgericht das Schiedsverfahren ganz oder teilweise aussetzen oder kann der Generalsekretär das Schiedsverfahren für beendet erklären (Art 34 Abs 3).“

[12] 2.1 Nach § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gericht ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs eingebrachte Klage ist auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen. Derselbe („nämliche“) Anspruch liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn nicht nur die Parteien ident sind, sondern der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (RS0039347).

[13] 2.2 Nach österreichischem Zivilprozessrecht ist das Hindernis der Streitanhängigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Es führt zur Zurückweisung der späteren Klage. Ein Verstoß gegen das Prozesshindernis verwirklicht einen Nichtigkeitsgrund (RS0039233).

[14] 3.1 Mit der Einbringung der Klage tritt die Gerichtsanhängigkeit ein. Der Beklagte erhält in rechtswirksamer Form erst durch die vom Gericht angeordnete Klagszustellung an ihn Kenntnis. Die Zustellung der Klage an den Beklagten bewirkt daher die Streitanhängigkeit (18 OCg 6/19k).

[15] 3.2 Für den Eintritt der Schiedsanhängigkeit, die der Streitanhängigkeit in Verfahren vor staatlichen Gerichten entspricht (18 ONc 1/15i) gilt daher analog der Streitanhängigkeit in staatlichen Verfahren, dass die Schiedsklage oder die sonst das Verfahren einleitende Mitteilung bzw Anzeige dem Beklagten zugeht und dieser somit Kenntnis vom Verfahren erhält (vgl 6 Ob 41/03b; 2 Ob 53/04i, Hausmaninger in Fasching/Konecny 3 IV/2 § 584 Rz 35), E. Fischer/G. Horvath in Czernich/Deixler‑Hübner/ Schauer Schiedsrecht [Stand 1. 5. 2018 rdb.at] 35.21).

[16] 3.3.1 Das Schiedsgericht entscheidet nach Art 14 Abs 1 WR sowohl über die Einbeziehung einer Drittperson als auch über die Art der Teilnahme. Dabei beschränken die Wiener Regeln die Parteien nicht darauf, Dritte nur durch die Einbeziehung von Ansprüchen im Klagsweg ins Verfahren einzubeziehen. Eine Unterscheidung zwischen der Einbeziehung mit Klage und andere Formen der Einbeziehung (wie zB Streitverkündung oder Nebenintervention) ist aber deshalb erforderlich, weil Drittbeklagte jedenfalls als „zusätzliche Partei“ ins Verfahren einbezogen werden (Oberhammer/Koller VIAC Handbuch [Stand 1. 2. 2019 rdb.at] Art 14 Rz 8).

[17] 3.3.2 Über einen Antrag auf Einbeziehung einer Drittperson mit Schiedsklage hat daher das Schiedsgericht nach Art 14 Abs 1 WR unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände zu entscheiden. Darüber hinaus gelangen die ergänzenden Regelungen des § 14 Abs 3 WR zur Anwendung. Im Unterschied zu anderen Beteiligungsformen steht bei Einbeziehung mit Schiedsklage die „Art der Teilnahme“ aber fest. Der Dritte soll als zusätzliche Partei des Schiedsverfahrens einbezogen werden (Koller/Oberhammer aaO Rz 22). Die Schiedsklage, mit welcher eine Drittperson ins Verfahren einbezogen werden soll, ist wie jede andere Klage beim Sekretariat anzubringen. Der Generalsekretär übermittelt diese Schiedsklage der Drittperson, die in das Verfahren einbezogen werden soll. Lehnt das Schiedsgericht die Einbeziehung des Dritten mit Schiedsklage ab, so stellt Art 14 Abs 3 Z 3.3 WR klar, dass es die Einbeziehungsklage dem Sekretariat zur Behandlung in einem gesonderten Verfahren zurückzustellen hat (Koller/Oberhammer aaO Rz 33).

[18] 3.4 Unstrittig ist, dass die Klägerin die Einbeziehung der Beklagten mit Schiedsklage, und sohin als Drittbeklagte beantragte. Durch den Verweis auf Art 7 ff in Art 14 WR folgt im Wesentlichen die Gleichbehandlung mit der Schiedsklage. Beim Zeitpunkt des Eintritts der Streitanhängigkeit ist daher auch in einem solchen Fallauf die Zustellung der verfahrenseinleitenden Mitteilung (hier des Antrags auf Einbeziehung und die Schiedsklage) abzustellen und nicht – wie die Klägerin meint – auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Schiedsgerichts über die Einbeziehung in das konkrete Schiedsverfahren.

[19] 3.5 Danach trat Schiedsanhängigkeit mit der Zustellung des Antrags auf Einbeziehung samt Schiedsklage an die Beklagte ein.

[20] 4.1 Art 34 WR regelt die unterschiedlichen Möglichkeiten, ein bereits eingeleitetes Schiedsverfahren zu beenden. Mit Ausnahme von Art 34 Abs 2 Z 4 (Nichterlag der aufgetragenen Prozesskostensicherheit) und Abs 3 (Beendigungsmöglichkeit durch den Generalsekretär) sind die Beendigungsgründe mit den vom österreichischen Gesetzgeber in § 608 Abs 1 und Abs 2 ZPO statuierten Beendigungsmöglichkeiten im Wesentlichen ident. Zweck von Art 34 WR ist in erster Linie klarzustellen, wann das Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien endet. Die Beendigung des Prozessrechtsverhältnisses ist insofern von Bedeutung, als damit die Schiedsanhängigkeit und in der Regel, abhängig von dem auf die Verjährung anwendbaren Recht, die Hemmung der Verjährung endet (Schifferl/Wong in VIAC Handbuch Schiedsordnung [Stand 1. 2. 2019 rdb.at] Art 34 Rz 1–3; vgl auch E. Fischer/G. Horvath aaO 35.217).

[21] 4.2.1 Art 34 Abs 2 WR nennt die Fälle, in denen das Schiedsgericht das Verfahren durch Beschluss beendet, darunter die Rücknahme der Schiedsklage.

[22] 4.2.2 In bestimmten Fällen vor und auch nach dem Fallübergang an das Schiedsgericht kann der Generalsekretär das Schiedsverfahren durch Erklärung beenden und zwar gemäß Art 34 Abs 2 Z 1 iVm Art 34 Abs 3 Z 2 WR, wenn der Fall noch nicht an das Schiedsgericht übergeben wurde und der Schiedskläger die Schiedsklage zurücknimmt (Schifferl/Wong aaO Rz 22).

[23] 4.2.3 Der insoweit klare Wortlaut des Art 34 WR sieht für die Beendigung des Schiedsverfahrens infolge Rücknahme der Schiedsklage entweder einen förmlichen Beschluss des Schiedsgerichts oder eine ausdrückliche Erklärung des Generalsekretärs über die Beendigung des Schiedsverfahrens vor.

[24] 4.2.3.1 Die Vorschrift des § 406 ZPO, der für die Prüfung des Entscheidungsgegenstands, die Sach‑ und Rechtslage im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz für maßgeblich erklärt (RS0041116 ua) ist nicht auf Prozessvoraussetzungen anzuwenden. Hier wird vielmehr nach neuer Rechtsprechung im Regelfall auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die geprüfte Voraussetzung abgestellt (RS0008531 [T2]; RS0046564 [T1]).

[25] 4.2.3.2 Wenngleich die Prozessvoraussetzungen in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein müssen, wird ihr Fehlen unbeachtlich, wenn sie noch im Lauf des Verfahrens eintreten (RS0039748). Dieser Grundsatz gilt ganz allgemein für den nachträglichen Wegfall des Prozesshindernisses der Unzulässigkeit des Rechtswegs, der inländischen Gerichtsbarkeit, der Unzuständigkeit oder der Streitanhängigkeit. Maßgeblich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der erstgerichtlichen Entscheidung (8 ObA 1212/95; 6 Ob 230/18v mwN).

[26] 4.2.3.3 Im Rechtsmittelverfahren können Neuerungen nicht mehr geltend gemacht werden. Dem Neuerungsverbot unterliegen zwar nicht Tatsachen und Beweismittel die jederzeit von Amts wegen zu beachtende Umstände betreffen; gemäß § 42 Abs 1 JN ist jedoch nur auf jene Tatsachen von Amts wegen Bedacht zu nehmen, aus denen das Fehlen der Prozessvoraussetzungen hervorgeht. Für das (positive) Vorliegen der Prozessvoraussetzungen fehlt hingegen eine entsprechende Vorschrift, weshalb nach ständiger Rechtsprechung, Tatsachen, die im Rechtsmittelverfahren gegen eine Zurückweisung der Klage vorgebracht werden, dem Neuerungsverbot unterliegen (RS0053062; 9 Ob 75/16v; 10 ObS 87/18v; 9 Ob 43/20v).

[27] 4.2.3.4 Zum Zeitpunkt der Tagsatzung vom 6. Dezember 2021 lag unstrittig weder ein Beschluss des Schiedsgerichts noch eine Erklärung des Generalsekretärs im Sinn des Art 34 WR vor. Die erstmals im Rekurs aufgestellte Behauptung des Klägers, am 29. Dezember 2021 – und somit vor dem relevanten Zeitpunkt der Fassung des Beschlusses des Erstgerichts am 17. Februar 2022 – sei der Antrag auf Einbeziehung vom VIAC für beendet erklärt worden, verstößt im Sinn der obigen Ausführugnen gegen das Neuerungsverbot; darüber hinaus wurde die Behauptung noch nicht einmal durch Vorlage der entsprechenden Urkunden dargelegt.

[28] 4.2.3.5 Daraus folgt, dass der Wegfall des Prozesshindernisses der Schiedsanhängigkeit mangels Nachweises eines Beschlusses des Schiedsgerichts oder der Erklärung des Generalsekretärs über die Beendigung des Schiedsverfahrens infolge der Klagszurücknahme zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Entscheidung nicht dargetan worden ist.

[29] 4.2.4 Damit geht auch die Argumentation der Klägerin ins Leere, zufolge der Beendigung des Schiedsverfahrens durch die bloße Zurückziehung des Antrags auf Einbeziehung durch Schiedsklage sei keine Identität des Streitgegenstands mehr vorgelegen, weil das Schiedsgericht nur mehr über die Kosten hätte entscheiden müssen.

[30] 4.3.1 Nach § 584 Abs 3 Satz 1 ZPO darf, wenn ein Schiedsverfahren anhängig ist, über den geltend gemachten Anspruch kein weiterer Rechtsstreit vor einem Gericht oder einem Schiedsgericht durchgeführt werden, eine wegen desselben Anspruchs angebrachte Klage ist zurückzuweisen. § 584 Abs 3 Z 1 ZPO gilt gemäß § 584 Abs 3 Z 2 ZPO (nur) dann nicht, wenn die Unzuständigkeit des Schiedsgerichts von diesem spätestens mit der Einlassung in die Sache gerügt wurde und eine Entscheidung des Schiedsgerichts hierüber in angemessener Zeitdauer nicht zu erlangen ist.

[31] 4.3.2 Ausdrücklich dahingestellt bleibt, ob – wie die Klägerin offenbar meint – die Bestimmung auch auf den Fall Anwendung findet, dass eine Erklärung des Generalsekretärs des VIAC über die Beendigung des Schiedsverfahrens infolge Klagsrücknahme nicht in angemessener Dauer zu erlangen ist. Selbst, wenn man dies bejahte, wäre für die Klägerin nämlich nichts gewonnen:  Die Klägerin brachte im erstgerichtlichen Verfahren zwar den Zeitpunkt, den Inhalt der Zurückziehung des Antrags auf Einbeziehung der Beklagten (29. 7. 2021) und die Stellungnahme der Beklagten (10. 9. 2021) vor. Richtig, und – damit nicht aktenwidrig – verwies aber bereits das Rekursgericht darauf, dass sich die Klägerin dabei im erstgerichtlichen Verfahren weder darauf berief, dass die Erklärung des Generalsekretärs nicht in angemessener Zeit zu erlangen sei, noch, dass sie Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe, die diese Annahme tragen könnten.

[32] 4.4.1 Sollte die Klägerin daraus, dass sie den Kostenvorschuss zum Antrag auf Einbeziehung nicht fristgerecht bezahlt habe, die Beendigung des Schiedsverfahrens ableiten wollen, ist ihr entgegenzuhalten, dass auch in diesem Fall eine Erklärung des Generalsekretärs über die Beendigung des Schiedsverfahrens vorgesehen ist (Art 42 Abs 3 und Abs 5 iVm Art 34 Abs 3 WR).

[33] 4. Zusammengefasst bejahten die Vorinstanzen das Vorliegen der Schiedsanhängigkeit zutreffend. Dem Revisionsrekurs der Klägerin ist daher der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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