European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1985:0070OB00651.840.0117.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht die vom Erstgericht verfügte Zuweisung der aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten gemäß § 144 ABGB betreffend die mj Claire S***** an die eheliche Mutter (die gleichartige Zuweisung der Elternrechte betreffend den mj Raphael S***** an den ehelichen Vater war unbekämpft geblieben).
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des ehelichen Vaters ist unzulässig, weil keiner der behaupteten Rekursgründe des § 16 Abs 1 AußStrG vorliegt.
Mit Rücksicht auf die im vorliegenden Fall gegebenen Auslandsbeziehungen sind zunächst die internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte und das anzuwendende Recht zu prüfen. Dabei ist davon auszugehen, dass sich das Kind derzeit, wenn auch aufgrund einer sogenannten passiven Entführung entgegen der ersten erstinstanzlichen Entscheidung zugunsten des Vaters, seit rund einem Jahr in Italien aufhält und nach dem beiderseitigen Vorbringen österreichischer Staatsbürger ist (S 220, 470). Ob die Mutter entsprechend ihrer Darstellung (S 470) in der Zwischenzeit für das Kind auch die italienisches Staatsbürgerschaft erworben hat, ist trotz einer Erhebung des Obersten Gerichtshofs beim italienischen Konsulat in Innsbruck noch nicht klar, weil nach der dort erteilten Auskunft wohl auch Adoptivkinder einer italienischen Staatsbürgerin automatisch die italienische Staatsbürgerschaft erwerben (wie schon in S 375 näher belegt), dies aber bei einer im Ausland erfolgten Adoption deren Anerkennung durch ein italienisches Gericht voraussetzt. Ob eine solche Anerkennung der in Indien erfolgten Adoption der Pflegebefohlenen inzwischen in Italien vorliegt, steht aber nicht fest. Andererseits haben die italienischen Behörden nach der im erstgerichtlichen Verfahren erhaltenen Auskunft des Jugendgerichts von Florenz noch keine eigenen Maßnahmen getroffen (S 375).
Das Haager‑Minderjährigenschutz‑Über-einkommen BGBl 1975/446 wurde bisher von Italien nicht ratifiziert. Es wäre nur dann auf die minderjährige Pflegebefohlene anzuwenden, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Vertragsstaaten hätte (Art 13 Abs 1). Bei dieser Rechtslage kann unerörtert bleiben, ob der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes der während des Verfahrens erfolgten „Entführung“ aus Österreich nach Italien schon in diesem Staat oder noch in Österreich liegt. Im ersten Fall ist das genannte Abkommen nicht anzuwenden, aber die inländische Jurisdiktion nach autonomem Kollisionsrecht aufgrund des § 110 Abs 1 Z 1 JN zu bejahen, weil das Kind österreichischer Staatsbürger ist. Im zweiten Fall bestimmt der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes im Inland zugleich die „effektive“ Staatsangehörigkeit und es sind dann gemäß Art 1 MSA die österreichischen Gerichte für die Verteilung der elterlichen Gewalt nach der Ehescheidung international zuständig. In beiden Fällen ist auch in der Sache nach östereichischem materiellen Recht zu entscheiden, entweder aufgrund des § 24 IPRG iVm § 9 Abs 1 Satz 2 IPRG (OGH, IPRE 1/8), oder sonst nach Art 2 MSA. Das Haager‑Vormundschaftsabkommen von 1902 fällt dabei außer Betracht, weil es für die Verteilung der elterlichen Gewalt nach der Ehescheidung sachlich nicht anwendbar ist (OGH, IPRE 1/140).
Der Rekurswerber verkennt das Wesen des Rekursgrundes der Aktenwidrigkeit, wenn er mehrere Feststellungen der Vorinstanzen als aktenwidrig rügt, weil sie durch kein Verfahrensergebnis belegt seien. Bei den bekämpften Feststellungen handelt es sich um Schlüsse von erwiesenen Tatsachen auf andere Tatsachen, die auch nicht den Denkgesetzen widersprechen. In Wahrheit bekämpft demnach der Rekurswerber unzulässigerweise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen.
Auch eine offenbare Gesetzwidrigkeit oder Nullität der angefochtenen Entscheidung liegt nicht vor. Auf die Frage, ob die eheliche Mutter ein einzuräumendes Besuchsrecht betreffend den mj Raphael missbrauchen könnte, ist schon deshalb nicht einzugehen, weil die vorliegende Entscheidung kein solches Besuchsrecht betrifft. Auch der Vorwurf, das Vorgehen der Mutter sei bloß von egoistischen Motiven bestimmt, ist wegen des Abgehens von den vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen unbeachtlich. Im Übrigen sind solche Vorwürfe im Verfahren über die Zuweisung der Elternrechte häufig, aber kaum jemals verifzierbar und erfahrungsgemäß nur selten berechtigt.
Von einem Verfahrensverstoß mit dem Gewicht einer Nullität nach § 16 Abs 1 AußStrG könnte nur dann gesprochen werden, wenn die dem Gericht nach § 2 Abs 2 Z 5 AußStrG obliegende Stoffsammlung so mangelhaft geblieben wäre, dass dadurch Grundprinzien des Pflegschaftsverfahrens wie das Wohl des Kindes vollkommen außer Acht gelassen oder der Grundsatz des beiderseitigen Gehörs in einem ins Gewicht fallendem Maße verletzt worden wäre. Im außerstreitigen Verfahren gilt hingegen der Grundsatz der Unittelbarkeit nach ständiger Rechtsprechung nicht (SZ 39/101 uva). Verfahrensverstöße, die das Gewicht der Nullität nicht erreichen, unterliegen nicht der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof (SZ 23/10 uva). Das rechtliche Gehör ist der Partei auch dann gegeben, wenn sie sich zu einzelnen Verfahrensergebnissen wenigstens im Rechtsmittelverfahren äußern und dort ihren Standpunkt noch rechtzeitig vorbringen konnte (SZ 46/93). Bei dieser Rechtslage kann der Meinung des Rekursgerichts nichts entgegengetreten werden, dass eine neuerliche Vernehmung der Parteien und Auskunftspersonen durch den nach Richterwechsel erkennenden Richter weder eine Nichtigkeit noch einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellte. Dasselbe gilt umsomehr für die Frage, ob weitere Beweise aufzunehmen waren.
Eine offenbare Gesetzwidrigkeit kann bei einer Ermessensentscheidung wie der Zuweisung der Elternrechte schon begrifflich nicht vorliegen, soferne das Gericht alle maßgeblichen Umstände wie die Persönlichkeit und Bedürfnisse, Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes sowie die Lebensverhältnisse der Eltern in seine Erwägungen einbezogen und das Wohl des pflegebefohlenen Kindes nicht außer Acht gelassen hat (RZ 1973/194 uva). Im vorliegenden Fall ist nach den maßgebenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen davon auszugehen, dass bei beiden Eltern eine erfolgreiche Erziehung der Kinder gewährleistet ist, dass die minderjährige Claire seit ihrer Übersiedlung vor mehr als einem Jahr nach Italien deutlich zur Mutter tendiert und, dass das Mädchen die Trennung von ihrem Bruder, zu dem sie früher eine besondere Beziehung hatte, ohne größere psychische Belastung verkraftet hat, während eine Zusammenführung der Kinder unter Zuweisung an nur einen Elternteil auf beinahe unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen würde. Bei dieser Sachlage widerspricht die Entscheidung des Rekursgerichts den oben angeführten Grundsätzen nicht. Wohl wäre das gemeinsame Aufwachsen der allerdings nicht blutsverwandten Geschwister im selben Haushalt von großem Wert für ihre Entwicklung. Immer entschieden aber die Umstände des Einzelfalls, wie etwa eine verschieden starke Beziehung des Kindes zu den Elternteile. Der Rekurswerber geht in diesem Zusammenhang selbst nicht so weit, dass etwa er hatte zugunsten einer Zusammenführung der Kinder auf seine Elternrechte verzichten würde, und er die nun erfolgte Lösung selbst als möglich angesehen (S 59, 84). Andererseits gilt der Grundsatz, dass die Kontinuität der Pflege und der Erziehung durch einen Elternteil nicht ohne trifftigen Grund unterbrochen werden soll. Dabei kommt es nicht wesentlich darauf an, auf welche Weise das Kind auf den derzeitigen Pflegeplatz gekommen ist. Selbst ein rechtswidriges Verhalten eines Elternteils könnte nur insofern von Belang sein, als daraus im Einzelfall Rückschlüsse auf seine mangelnde Eignung zur Erziehung abgeleitet werden könnten (Evl 1972/244 uva).
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