OGH 7Ob60/87

OGH7Ob60/8710.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton S***, Arbeiter, Steyr, Frauengasse 6, vertreten durch Dr. Josef Lechner und Dr. Ewald Wirleitner, Rechtsanwälte in Steyr, wider die beklagte Partei I*** I*** U***- UND

S***-AG, Wien 1., Tegetthoffstraße 7-9, vertreten

durch Dr. Tilman Schwager, Rechtsanwalt in Steyr, wegen Gewährung von Versicherungsschutz (Streitwert 400.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 7.September 1987, GZ 6 R 199/87-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr vom 15.Februar 1987, GZ 2 Cg 212/84-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.956,65 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.920 S Barauslagen und 1.185,15 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Infolge eines Antrages des Klägers auf Abschluß einer Unfallversicherung ging ein Vertreter der Beklagten mit dem Kläger Punkt für Punkt des Antragsformulars der Beklagten durch. Entsprechend den Angaben des Klägers nahm er die Eintragungen vor. Im Antragsformular wurde unter anderem nach bestehenden Krankheiten bzw. Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes gefragt. Der Kläger gab lediglich einen am 26.4.1977 erlittenen Beckenbruch und den Bezug einer Unfallsrente sowie eine durch diesen Beckenbruch verbliebene Rotationseinschränkung an. Nicht angegeben wurde von ihm ein am 17.4.1979 erlittener Verkehrsunfall mit dessen Folgen. Ferner wurde nach bestehenden oder bestandenen Unfallsversicherungen gefragt. Diese Frage hat der Kläger mit "Nein" beantwortet, obwohl zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Unfallversicherung bei der B*** V*** bestand.

In Unkenntnis der vom Kläger verschwiegenen Tatsachen hat die Beklagte den Antrag auf Abschluß einer Unfallversicherung angenommen. In der Folge erlitt der Kläger mehrere Verletzungen, die er der Beklagten zur Kenntnis brachte, wobei er in den Unfallsberichten ebenfalls die jeweiligen vorangegangenen Schadensereignisse verschwieg. Ebenso verschwieg er im Unfallsschadenbericht vom 22.12.1981 das Bestehen einer Nebenversicherung, obwohl er am 12.10.1981 mit der E*** A*** V***-AG eine Unfallversicherung über die gleiche Versicherungssumme wie mit der Beklagten abgeschlossen hatte. Auch im Antrag an die E*** A*** V*** AG hatte er angegeben, daß er keine Leiden oder Gebrechen habe und keine Nebenversicherung bestehe. Am 2.9.1982 hat sich der Kläger beim Holzhacken in seinem Keller mit einer Axt einen Teil des linken Daumens abgetrennt. Ob Selbstverstümmelung vorliegt, kann aus medizinischer Sicht weder ausgeschlossen noch bejaht werden. Diese Verletzung bedingt eine Erwerbsminderung von 7 bis 10 %.

Nachdem der Kläger den Unfall in der Steyrer Geschäftsstelle der Beklagten gemeldet hatte, wurde die Beklagte von anderer Seite darauf aufmerksam gemacht, daß ihr ein Unfall gemeldet werden solle, bei dem nicht alles in Ordnung sei. Darauf veranlaßte die Beklagte Erhebungen durch den Schadensreferenten, der am 7.9.1982 den Kläger besuchte und mit ihm einen Unfallsschadensbericht aufnahm. Darin wurde zum ersten Mal die bei der E*** A*** V*** AG

bestehende Unfallversicherung angeführt: Auch der Arbeitsunfall von 1977 und der Verkehrsunfall aus dem Jahr 1979 sowie der Bezug einer 70 %igen Unfallsrente wurden erwähnt.

Am 22.9.1982 suchte der Prokurist der beklagten gemeinsam mit dem Schadensreferenten den Kläger neuerlich auf, weil Zweifel an der Unfreiwilligkeit des Schadensereignisses vom 2.9.1982 aufgekommen waren. Der Kläger konnte bei seiner Befragung keine genauen Angaben über den Hergang des Ereignisses machen. Nach Abschluß dieser Untersuchungen, bei denen sich sowohl das Verschweigen des erlittenen Vorunfalles vom 17.4.1979, als auch die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bei der B*** V*** bestehende Nebenversicherung herausgestellt hatten, erklärte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 5.10.1982 den Vertragsrücktritt, wobei sie auf die Täuschung über gefahrenerhebliche Umstände bei Vertragsabschluß und die damals bestehende angeblich 70 %-ige dauernde Invalidität des Klägers verwies. Tatsächlich lag aber beim Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung nur eine maximal 65 %-ige Invalidität nach den Vorunfällen vor.

Die Vorinstanzen haben das auf Deckung aus der Unfallversicherung für das Schadensereignis vom 2.9.1982 gerichtete Begehren mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe bei Stellung des Versicherungsantrages absichtlich für den Entschluß der Beklagten zum Vertragsabschluß wesentliche Umstände verschwiegen. Dies begründe eine Obliegenheitsverletzung. Die Beklagte habe den Versicherungsvertrag rechtzeitig im Sinne des § 16 VersVG gekündigt, weil die Kündigungsfrist erst mit der Kenntnis der Obliegenheitsverletzung zu laufen begonnen habe, diese aber frühestens mit dem 7.9.1982 anzunehmen sei. Daß dem Kläger das Ablehnungsschreiben erst nach dem 7.10.1982 zugegangen sei, habe dieser nicht einmal behauptet. Aus diesem Grunde sei die Beklagte berechtigt, Versicherungsschutz für den erwähnten Vorfall zu verweigern.

Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes 300.000 S übersteigt.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Kläger gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Auf die Frage der Rechtzeitigkeit der Kündigung der bestehenden Versicherung im Sinne des § 16 VersVG muß nicht eingegangen werden. Unbestritten ist, daß es sich bei der Verletzung der Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Angabe bei Abschluß des Versicherungsvertrages um eine Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs1 VersVG handelt. Die Verletzung einer solchen Obliegenheit führt unter den im § 6 VersVG genannten Bedingungen zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Die Kündigungspflicht ist für die in § 6 Abs1 VersVG festgesetzte Leistungsfreiheit dann ohne Bedeutung, wenn der Versicherer von der Obliegenheitsverletzung erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat oder bei vorheriger Kenntnis die Monatsfrist noch nicht abgelaufen war. Der Zweck der Kündigungsvorschrift wird nämlich darin erblickt, daß der Versicherer ihm bekannte Obliegenheitsverletzungen nicht "aufs Eis legen" und trotzdem Versicherungsprämien kassieren darf. Dieser Zweck ist bei erst nachträglicher Kenntnis der Obliegenheitsverletzung für den betreffenden Versicherungsfall nicht gefährdet (Petrasch, ZVR 1985, 68; Prölss-Martin, VVG23, 93; SZ 47/16, SZ 40/46, 7 Ob 28/87 ua.).

Es erübrigt sich sohin ein Eingehen auf die in der Revision neuerlich aufgeworfene Frage der Rechtzeitigkeit der Kündigung des Versicherungsvertrages.

Ob eine Obliegenheit vorsätzlich, also mit Wissen und Willen, verletzt worden ist, ist eine Tatfrage. Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen festgestellt, daß der Kläger die unrichtigen Angaben im Antrag auf Abschluß eines Versicherungsvertrages vorsätzlich gemacht hat. Hiebei handelt es sich um eine Feststellung, von der der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, ausgehen muß.

Voraussetzung für die Leistungsfreiheit infolge Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht nach § 16 VersVG ist die Erheblichkeit des Umstandes, der vom Versicherungsnehmer unrichtig angezeigt wurde. Hiebei ist jeder Umstand erheblich, der geeignet ist, auf den Entschluß des Versicherers, einen Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschließen, einen Einfluß auszuüben (Prölss-Martin, VVG23, 150). Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt gemäß § 16 Abs1 dritter Satz VersVG im Zweifel als erheblich. In einem solchen Fall ist die Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Erheblichkeit nicht erforderlich (Prölss-Martin aaO, 152). Im vorliegenden Fall hat die Beklagte den Kläger ausdrücklich nach jenen Umständen gefragt, die der Kläger unrichtig beantwortet hat. Demnach spricht also die Vermutung für die Erheblichkeit der richtigen Beantwortung dieser Fragen. Der Versicherte ist demnach dafür beweispflichtig, daß auch die richtige Beantwortung der an ihn gestellten Fragen nicht geeignet gewesen wäre, den Entschluß des Versicherers zum Vertragsabschluß in irgendeiner Weise zu beeinflussen (JBl.1977, 375 ua.). Zur Bejahung der Gefahrerheblichkeit von Umständen ist es nicht erforderlich, daß der Versicherer bei Kenntnis des wahren Sachverhaltes den Vertrag tatsächlich abgelehnt oder nicht zu den erwähnten Bedingungen geschlossen hätte. Es reicht aus, daß der vom Versicherer nachgewiesene Umstand bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen solchen Entschluß des Versicherers zu motivieren (VersR 1984, 900 ua.). Einen Beweis in dieser Richtung hat der Kläger nicht erbracht. Es liegt auf der Hand, daß nicht folgenlos abgeklungene Vorerkrankungen oder Verletzungen einen erheblichen Einfluß auf die Willensbildung des Versicherers bezüglich Vertragsabschluß haben können, weil solche Vorerkrankungen das Risiko des Eintrittes eines weiteren Versicherungsfalles erhöhen. Ferner wird für den Versicherer in der Regel die Kenntnis von dem Vorhandensein anderer gleichartiger Versicherungen deshalb eine Bedeutung haben, weil gerade der Umstand, daß ein- und dasselbe Unfallsereignis mehrfach versichert ist, Manipulationsneigungen des Versicherungsnehmers erhöhen kann. Bei Kenntnis einer Vorversicherung wird sich daher der Versicherer den Abschluß einer weiteren gleichartigen Versicherung gründlich überlegen und allenfalls einen solchen Abschluß nur unter Zugrundelegung für ihn günstigerer Bedingungen vornehmen. Schon aus den aufgezeigten Erwägungen erweist sich sohin der geltend gemachte Anspruch als nicht gerechtfertigt, weshalb sich ein Eingehen auf die Frage der absichtlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles erübrigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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