OGH 7Ob5/90

OGH7Ob5/908.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Leopold P***, Baugesellschaft mbH, Freistadt, Zemannstraße 23, vertreten durch Dr.Wilfried Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, wider die beklagte Partei W*** A***, Versicherungs-AG, Landesdirektion Oberösterreich-Ost, Linz, Untere Donaulände 36, vertreten durch Dr.Heinz Oppitz und Dr.Heinrich Neumayer, Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung (Streitwert S 800.000,-- s.A.) infolge der Rekurse beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17.November 1989, GZ 5 R 59/89-12, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 25.Jänner 1989, GZ 7 Cg 298/88-5, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere

Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Die klagende Partei hat mit der beklagten Partei für ihre Bauunternehmung einen Betriebshaftpflichtversicherungsvertrag abgeschlossen. Für diesen Vertrag gelten unter anderem die EHVB 1978. Nach dem Abschnitt A Punkt 3 dieser Bedingungen ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer, seine gesetzlichen Vertreter oder jene Personen, die er zur Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebes oder eines Teiles desselben angestellt hat, das die Schadenersatzpflicht auslösende Ereignis durch bewußtes Zuwiderhandeln gegen die für seinen Betrieb oder Beruf geltenden Gesetze, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften herbeigeführt hat.

Die klagende Partei führte ab November 1986 in einem Haus in Freistadt Umbauarbeiten durch. Bauleiter war der Geschäftsführer der klagenden Partei, Ing.Leopold P***. Am 4.Februar 1987 stürzte der Rauchfangkehrergehilfe Helmut K*** auf dieser Baustelle in einen Liftschacht und wurde schwer verletzt. Auf Grund dieses Vorfalles wurde Ing.Leopold P*** mit Urteil des Bezirksgerichtes Freistadt vom 2.November 1987, U 22/87-19, des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall, StGB schuldig erkannt. Es wurde ihm zur Last gelegt, die schwere Verletzung des Helmut K*** dadurch fahrlässig verschuldet zu haben, daß er es als verantwortlicher Bauführer unterließ, einen im Dachbodenbereich vorhandenen Liftschacht entweder trittsicher abzudecken oder den Zugang zu diesem sicher abzuschranken.

Die klagende Partei begehrt die Feststellung, die beklagte Partei habe ihr aus dem am 4.Februar 1987 auf der Baustelle in Freistadt eingetretenen Unfall Deckungsschutz zu leisten. Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Der Aufzugsschacht sei überhaupt nicht, zumindest aber nur unzureichend abgesichert gewesen. Ing.Leopold P*** habe daher bewußt gegen die für die Baubranche geltenden Gesetze und Verordnungen, nämlich die Bauarbeitenschutzverordnung, die Dienstnehmerschutzverordnung und die Arbeitnehmerschutzverordnung verstoßen. Die Nichtabsicherung bzw. nicht ordnungsgemäße Absicherung des schon längere Zeit vor dem 4. Februar 1987 fertiggestellten Aufzugsschachtes stelle darüber hinaus eine willkürliche Gefahrerhöhung dar, weshalb die beklagte Partei auch gemäß § 25 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei sei.

Die klagende Partei hielt dem entgegen, der Liftschacht sei nach den Ergebnissen des Strafverfahrens durch eine 1,1 m hohe Absperrung, bestehend aus einer Leiter und einem Pfosten, welche am Kamin und Türstock befestigt gewesen seien, gesichert gewesen. Keine baupolizeiliche oder gewerberechtliche Norm bringe präzise zum Ausdruck, wie die Abschrankung einer Gefahrenstelle beschaffen sein müsse, um als sicher qualifiziert zu werden. Die strafgerichtliche Verurteilung enthalte nur den Vorwurf der Fahrlässigkeit. Ein bewußtes Zuwiderhandeln gegen einschlägige Vorschriften liege nicht vor.

Das Erstgericht gab der Klage statt und traf folgende Feststellungen:

Im Zuge der ab November 1986 durchgeführten Umbauarbeiten wurde unter anderem vom Erdgeschoß bis zum Dachboden ein Aufzugsschacht mit einer Höhe von 9,80 m errichtet. Dafür wurden in die Decke jeweils Öffnungen von ca. 2 x 2 m gestemmt. Die dadurch entstandene Öffnung im Dachboden wurde nach Inbetriebnahme der Heizanlage zur Wärmeisolierung durch drei Bretter mit einer Stärke von 3 cm und einer Breite zwischen 30 und 50 cm abgedeckt. Über die ganze Schachtöffnung wurden 3 bis 6 cm starke Kunststoffisolierplatten gelegt, vor allem zur Überdeckung der Zwischenräume. Vor diesem Liftschacht waren zwischen der Kamingruppe und der Bodentür eine Leiter und ein Pfosten teils an der Kaminmauer, teils am Türstock liegend angebracht, die als Abschrankung des Schachtes gedacht waren, um andere Personen am Zutritt zu hindern. Es konnte nicht festgestellt werden, ob neben der Leiter zur seitlichen Abstützung zusätzlich Ziegelsteine aufgeschichtet wurden. Der Bereich zwischen der Kamingruppe und der Tür ist durch ein kleines Dachschrägenfenster mäßig belichtet. Die Oberaufsicht für die gesamte Baustelle hatte der Bauleiter Ing.Leopold P***, der im Zuge seiner täglichen Baustellenbesuche auch die notwendige, über seine Anweisung hergestellte Absicherung des Liftschachtes begutachtete und für ordnungsgemäß und ausreichend befand. Nachdem mit der Probeheizung begonnen und der zuständige Rauchfangkehrermeister verständigt worden war, erschien am 4.Februar 1987 Helmut K*** an der Baustelle. Er sah zwar die Tafel "Betreten der Baustelle verboten", beachtete sie jedoch in der Folge nicht weiter und ging gleich ins Haus. Er frug auch noch beim Eingang mehrere Männer, wurde sogar gefragt, was er hier mache, jedoch von keinem auf die Gefahr des Schachtes aufmerksam gemacht. Helmut K*** nahm auch keinen Kontakt mit dem örtlichen Bauaufsichtsorgan auf. Wegen der Arbeiten am Dachboden war die Türe zum Dachboden geöffnet. Da von der klagenden Partei am vorhandenen Kamin noch keine Putztürchen eingemauert worden waren, sondern nur zwei Nischen, näherte sich Helmut K*** der Dachfensterluke, um Nachschau zu halten, ob vom Dach aus gekehrt werden könne. Als er auf die Kunststoffisolierplatten trat, hielten diese seinem Gewicht nicht stand, so daß er samt diesem Material annähernd 10 m in die Tiefe stürzte und sich schwere Verletzungen zuzog. Helmut K*** hatte nicht vermutet, daß sich unter den Isolierplatten ein Loch verbarg, sondern hatte den Eindruck, daß diese Platten dort als überflüssig zusammengelegt worden waren. Er beachtete deshalb auch nicht näher die geschilderte Abschrankung.

Zwischen Helmut K*** und der klagenden Partei bestanden keine Rechtsbeziehungen; er war nicht Dienstnehmer der klagenden Partei. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, daß Ing.Leopold P*** zwar - entsprechend seiner strafgerichtlichen Verurteilung - gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften, insbesondere gegen § 39 Abs. 1 der Bauarbeitenschutzverordnung, BGBl. 267/1954, wonach zur Sicherung gegen Abstürze im Inneren von Bauten entweder die Deckenöffnungen unmittelbar nach dem Verlegen voll und tragfähig zu überdecken seien, oder Zugänge zu diesen eindeutig und sicher abzuschranken seien, verstoßen habe, daß dieser Verstoß aber bei Beurteilung der Frage der Leistungsfreiheit nach Abschnitt A Punkt 3 der EHVB 1978 mangels Rechtswidrigkeitszusammenhanges nicht zuzurechnen sei. Die Bauarbeitenschutzverordnung, die Dienstnehmerschutzverordnung und die Arbeitnehmerschutzverordnung dienten ausschließlich dem Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer, nicht auch Dritter. Auch Leistungsfreiheit nach § 25 VersVG liege nicht vor, weil jede Gefahrerhöhung einen Zustand von gewisser Dauer voraussetze, aus dem inkriminierten Verhalten des Bauleiters sich aber nicht der Beginn eines neuen Gefahrenverlaufes ergeben habe, sondern bereits dadurch die Gefahr alsbald verwirklicht worden sei.

Die zweite Instanz hob die Entscheidung des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den sie entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt. Es könne dahingestellt bleiben, ob bei Beurteilung der Leistungsfreiheit nach Abschnitt A Punkt 3 der EHVB 1978 der Schutzzweck der verletzten, für den Betrieb geltenden Vorschriften zu prüfen sei, und dann, wenn der Schaden bei einem Mitglied eines durch die betreffende Vorschrift nicht geschützten Personenkreises eingetreten sei, das bewußte Zuwiderhandeln gegen die Schutznorm dem Versicherungsnehmer oder dem Versicherten nicht zuzurechnen sei. Die Vorschriften der Dienstnehmerschutzverordnung seien nicht auf den Schutz jener Dienstnehmer zu beschränken, die im Betrieb des Dienstgebers tätig sind, der gegen sie verstoßen habe; sie bezweckten zumindest auch den Schutz von auf der Baustelle befugterweise tätigen Dienstnehmern anderer Betriebe. Entscheidend sei daher, ob Ing.Leopold P*** bewußt gegen Schutzvorschriften verstoßen habe, die das Abstürzen von auf einer Baustelle befugterweise tätigen Personen in Schächte udgl. verhindern sollen. Die Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten in Kenntnis seiner Gesetzwidrigkeit gesetzt worden sei, ob es also eine bewußte Gesetzesverletzung darstelle, falle in das Gebiet der Tatsachenfeststellung. § 39 Abs. 1 der Bauarbeitenschutzverordnung schreibe vor, daß Öffnungen, die unmittelbar in Schächte führen, sicher abzuschranken sind. Welche Maßnahmen nach dem Stand der Technik diesen Schutz bieten, sei eine Tatfrage, die nur auf Grund eines Beweisverfahrens geklärt werden könne. In das Gebiet der Tatsachenfeststellungen falle es auch, in welchem Sinn diese Vorschrift in der Baubranche allgemein verstanden werde, ob Angehörige dieser Branche im Unterlassen einer bestimmten Maßnahme einen Verstoß gegen die Bestimmungen der Bauarbeitenschutzverordnung erblicken. Die Ergebnisse des Strafverfahrens reichten für den Vorwurf eines bewußten Verstoßes gegen das Gebot, Schächte sicher abzuschranken, nicht aus. Das Verfahren des Erstgerichtes sei aber nicht nur zur Frage der von der beklagten Partei eingewendeten Leistungsfreiheit nach Abschnitt A Punkt 3 der EHVB 1978, sondern auch zur weiteren Frage mangelhaft geblieben, ob eine Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 VersVG vorgenommen worden sei. Eine Gefahrerhöhung im Sinne dieser Bestimmung liege vor, wenn ein Zustand geschaffen werde, von dem neue Schadensmöglichkeiten ausgehen können, mit denen bis dahin nicht zu rechnen gewesen sei. Es müsse ein gefährlicher Zustand von gewisser Dauer herbeigeführt werden, aus dem sich die Möglichkeit eines neuen Gefahrenverlaufes ergebe. Ob dies durch das inkriminierte Verhalten des Bauleiters der klagenden Partei geschehen sei, könne nach den Feststellungen des Strafurteils nicht beantwortet werden. Der Rechtskraftvorbehalt sei wegen der teilweise widersprüchlichen Rechtsprechung zum Schutzzweck der Arbeitnehmerschutzvorschriften auszusprechen gewesen. Beide Parteien bekämpfen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs. Die klagende Partei beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes, die beklagte Partei im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens. Die klagende Partei stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.

Rekursbeantwortungen wurden erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Keines der beiden Rechtsmittel ist im Ergebnis berechtigt.

1. Zur Frage der Leistungsfreiheit nach Abschnitt A Punkt 3 der EHVB 1978:

Wie eingangs dargestellt, ist der Versicherer nach dieser Vertragsbestimmung von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer ..... das die Schadenersatzpflicht auslösende Ereignis durch bewußtes Zuwiderhandeln gegen die für seinen Betrieb oder Beruf geltenden Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften herbeigeführt hat.

Daß es sich bei den Vorschriften der Dienstnehmerschutzverordnung und der Bauarbeitenschutzverordnung um Vorschriften im Sinne dieser Bestimmung handelt, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen (EvBl. 1971/22, 7 Ob 4/87) und wird auch von der klagenden Partei nicht angezweifelt. Wie das Erstgericht vertritt die klagende Partei aber die Ansicht, es handle sich hiebei um Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB, deren Übertretung für den hiedurch verursachten Schaden nur insoferne haftbar mache, als durch die Schutznorm gerade dieser Schaden verhindert werden sollte und als gerade jene Interessen verletzt worden seien, deren Schutz im Zweckbereich der Norm liege. Bestimmungen über Sicherungsmaßnahmen an Baustellen seien zwar in § 39 der Bauarbeitenschutzverordnung und § 25 der Allgemeinen Dienstnehmerschutzverordnung enthalten. Sie seien jedoch nach ihrem Schutzzweck, nämlich dem Schutz der Dienstnehmer des Bauunternehmens, nicht auch auf andere, wenn auch befugt auf der Baustelle befindliche Personen anwendbar.

Von dieser in den Entscheidungen JBl. 1967, 34 und ZVR 1978/19 vertretenen Auffassung ist das Revisionsgericht in der Entscheidung MietSlg. 31.253 entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes nicht abgegangen. Es wurde in der Entscheidung SZ 43/132 in weniger engem Verständnis ausgesprochen, der Zweck der Schutznorm sei auf den Schutz solcher Personen beschränkt, die befugterweise in den Gefahrenbereich gelangen (vgl. hiezu auch Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II2, 104; Harrer in Schwimann, ABGB, Rz 13 zu § 1311, sowie Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 13 zu § 1311). Der Rauchfangkehrergeselle Helmut K*** war zwar nicht Dienstnehmer der klagenden Partei, hat aber nach den Feststellungen die Baustelle nicht unbefugt betreten.

Die Frage, ob der Bauleiter der klagenden Partei nicht entsprechend einer Schutzvorschrift des § 1311 ABGB und aus diesem Grund rechtswidrig gehandelt hat, braucht im vorliegenden Fall nicht näher untersucht zu werden. Denn im gegenständlichen Verfahren werden nicht Schadenersatzansprüche, sondern vertragliche Ansprüche auf Grund eines zwischen den Streitteilen bestehenden Versicherungsverhältnisses geltend gemacht. Zu prüfen ist daher nicht, ob der Bauleiter der klagenden Partei bei der Absicherung des Aufzugsschachts gegen eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB verstoßen und dadurch rechtswidrig gehandelt hat, sondern ob er - bewußt - einer Vorschrift zuwidergehandelt hat, zu deren Einhaltung sich die klagende Partei der beklagten Partei gegenüber vertraglich verpflichtet hat. Hier aber ergäbe sich die Rechtswidrigkeit bereits aus der Verletzung der Vertragspflicht (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I2 93).

Ing.Leopold P*** wurde strafrechtlich verurteilt, die schwere Verletzung des Helmut K*** dadurch fahrlässig verschuldet zu haben, daß er es als verantwortlicher Bauführer unterließ, einen im Dachbodenbereich vorhandenen Liftschacht entweder trittsicher abzudecken oder den Zugang zu diesem sicher abzuschranken. Gemäß § 268 ZPO ist der Zivilrichter an den Inhalt dieses Erkenntnisses gebunden. Er ist daher an die Feststellung gebunden, daß die Absicherung nicht entsprechend den Vorschriften des § 39 der Bauarbeitenschutzverordnung und des § 25 der Allgemeinen Dienstnehmerschutzverordnung durchgeführt wurde (also daran, daß das die Schadenersatzpflicht auslösende Ereignis durch ein Zuwiderhandeln gegen die für den Betrieb oder Beruf der klagenden Partei geltenden Gesetze, Verordnungen oder behördliche Vorschriften herbeigeführt worden ist), und daß dem Bauleiter der klagenden Partei fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen ist.

Fahrlässigkeit fällt demjenigen zur Last, der sich mangels gehöriger Aufmerksamkeit oder gehörigen Fleißes der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht bewußt war oder trotz dieses Bewußtseins nicht vorhersah, daß sein Verhalten geeignet sei, einen schädigenden Erfolg herbeizuführen (MietSlg. 32.219; Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I2, 127; Mayerhofer-Ehrenzweig3, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 224).

Das bewußte Zuwiderhandeln im Sinne des Abschnittes A Punkt 3 der EHVB 1978 erfordert nicht, daß der Versicherungsnehmer oder die anderen in dieser Bestimmung genannten Personen die Verbotsvorschrift in ihrem genauen Wortlaut oder ihrem genauen Umfang nach kannten; wesentlich ist das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit der Handlungsweise (EvBl. 1971/22). Es genügt die Kenntnis des Umstandes, daß das Verhalten gegen die für seinen Betrieb oder Beruf geltenden Vorschriften verstößt (VersR 1965, 525). Ist aber Fahrlässigkeit auch dann gegeben, wenn dem Täter mangels gehöriger Aufmerksamkeit oder gehörigen Fleißes die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht bewußt war, reicht die strafrechtliche Verurteilung des Ing.Leopold P*** nicht hin, ihm bewußtes Zuwiderhandeln vorzuwerfen. Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit einer Handlungsweise ist eine Tatfrage, wobei die Beweislast für das bewußte Zuwiderhandeln den Versicherer trifft (VersSlg. 135).

Das Erstgericht hat darüber, ob Ing.Leopold P*** bewußt gegen die für seinen Betrieb geltenden Vorschriften verstoßen hat, keine Feststellungen getroffen. In zutreffender Weise hat deshalb das Berufungsgericht dem Erstgericht eine Ergänzung seines Verfahrens in dieser Richtung aufgetragen (vgl. auch hiezu die Ausführungen in VersSlg. 135).

2. Zur Frage der Gefahrerhöhung nach den §§ 23 ff VersVG:

Eine Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 1 VersVG ist eine nachträgliche Änderung der bei Vertragsabschluß tatsächlich vorhandenen gefahrenerheblichen Umstände, die den Eintritt des Versicherungsfalles oder eine Vergrößerung des Schadens wahrscheinlicher macht und den Versicherer deshalb vernünftigerweise veranlassen kann, die Versicherung aufzuheben oder nur gegen erhöhte Prämie fortzusetzen (Prölss/Martin VersVG24 187; RdW 1985, 373). Es muß eine objektive, erhebliche Änderung der Umstände eintreten (SZ 50/136; Bruck-Möller, VVG8 I 381). Änderungen der Gefahrenlage, die der Versicherer voraussehen kann, muß er von vornherein in Rechnung ziehen (Bruck-Möller aaO, 375). Allgemein übliche, das Durchschnittsrisiko kennzeichnende Gefahrerhöhungen und solche, deren Unterstellung unter die §§ 23 ff VersVG den Versicherungsschutz der Mehrzahl der Versicherungsnehmer erheblich entwerten würde, sind mitversichert (Prölss/Martin aaO, 192). Nur eine vom Versicherungsnehmer willkürlich herbeigeführte Gefahrerhöhung - wobei dem Wissen des Versicherungsnehmers um die Gefahrerhöhung dessen verschuldetes Nichtwissen gleichsteht, wenn dieses so schwer ins Gewicht fällt, daß es wegen der Sinnfälligkeit der Gefahr, das ist dem Wissenmüssen, einer positiven Kenntnis gleichkommt - hat die Leistungsfreiheit des Versicherers im Sinne des § 25 Abs. 1 VersVG zur Folge (ZVR 1976/82; SZ 52/97). Unter Gefahrerhöhung ist ein Gefährdungsvorgang anzusehen, der seiner Natur nach geeignet ist, einen neuen Gefahrzustand von so langer Dauer zu schaffen, daß er die Grundlage eines neuen natürlichen Schadensverlaufes bilden kann und damit den Eintritt des Versicherungsfalls generell zu fördern geeignet ist (Prölss/Martin aaO 189 f).

Setzt die Annahme einer Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 1 VersVG eine erhebliche Änderung der Umstände voraus, kann eine Gefahrerhöhung nicht bei einem jeglichen Verstoß gegen eine für den Betrieb des Versicherungsnehmers geltende Vorschrift, soferne dieser Verstoß nur von längerer Dauer ist, und daher auch nicht in jedem Fall einer unzureichenden Absicherung eines Schachtes durch ein Bauunternehmen angenommen werden. Liegt nicht ein bewußtes Zuwiderhandeln vor (Abschnitt A Punkt 3 der EHVB 1978), kann bei derartigen Verstößen nur von einer vom Versicherer vorhersehbaren, allgemein üblichen und daher auch einkalkulierten Änderung der Gefahrenlage gesprochen werden. Ob die klagende Partei bei der Absicherung des Aufzugsschachtes bewußt gegen die für ihren Betrieb geltenden Vorschriften verstoßen hat, wird im Sinne der Ausführungen zu Punkt 1 dieser Entscheidung zu prüfen sein. War dies nicht der Fall, hat auch eine Gefahrerhöhung im Sinne des § 23 Abs. 1 VersVG nicht stattgefunden.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

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