OGH 2Ob192/70

OGH2Ob192/709.7.1970

SZ 43/132

Normen

ABGB §1311
ABGB §1311

 

Spruch:

Der Zweck der Schutznorm ist auf den Schutz solcher Personen beschränkt, die befugterweise in den Gefahrenbereich gelangen

OGH 9. Juli 1970, 2 Ob 192/70 (OLG Graz 4b R 31/69; LG Klagenfurt 17 Cg 12/68)

Text

Der Beklagte ist von Februar bis Herbst 1965 als selbständiger Frächter bei der ARGE Gößstollen mit einer Zugmaschine samt einachsigem Triebachsenanhänger gefahren. Der Anhänger wurde durch eine waagrechte Achse, die von der Zugmaschine gedreht wurde, angetrieben. Um Niveauunterschiede ausgleichen und den Anhänger dem Kurvenverlauf entsprechend ziehen zu können, war in der Triebachse ein Kreuzgelenk angebracht. Nach dem Typengenehmigungsbescheid war dieses Kreuzgelenk durch eine Schutzhülle aus Plastik abzudecken. Diese Hülle war durch vielfache Berührung mit dem Kreuzgelenk und durch die Witterungseinflüsse einem großen Verschleiß ausgesetzt. Wenn die Schutzhülle nicht angebracht war, war das Kreuzgelenk auch von jemandem, der während der Fahrt auf den Anhänger aufsprang, sofort als Gefahrenquelle erkennbar. Der Bauleiter der ARGE Gößstollen verbot den Arbeitern wegen der schlechten Wegeverhältnisse im Bereich der Baustelle das Mitfahren auf einem der dort eingesetzten Traktoren.

Zwei bis drei Tage vor dem 19. Mai 1965 war die Plastikhülle für das Kreuzgelenk am Fahrzeug des Beklagten wieder weggebrochen. Der Beklagte hatte keine Reservehülle mehr, weil vorher schon einige gebrochen waren. Am 19. Mai 1965 fuhr der Beklagte neben anderen Traktorfahrern Material vom Tal zum Zandlacherboden. Er fuhr dort in einen Güterweg ein, der sehr schlecht und ausgewaschen war. Der Beklagte konnte nur mit 5 km/h, also Fußgängergeschwindigkeit, fahren. Er mußte seine ganze Aufmerksamkeit auf die Fahrbahn vor sich richten und konnte die hinter ihm liegende Fahrbahn nicht beachten. Josef B war als Magazineur bei der ARGE Gößstollen beschäftigt. Er sollte drei Paar Gummistiefel zum Stollen bringen. Als er das Geräusch der fahrenden Traktoren hörte, eilte er diesen nach, warf die Stiefel auf den Anhänger des

Traktors des Beklagten, sprang auf die Anhängevorrichtung zwischen Traktor und Anhänger und setzte sich auf die vordere Bordwand des Anhängers.

Nach etwa 10 m Fahrt schaute er zurück. Dabei drehte er sich rückwärts, wodurch er mit dem Bein nach vorne in Richtung gegen das Kreuzgelenk rutschte. Seine Hose wurde von diesem Gelenk erfaßt, sodaß er zwischen Traktor und Anhänger seitlich überkippte und verletzt wurde. Der Beklagte hatte weder die Annäherung noch das Aufspringen B auf den Traktor bemerkt. Wegen des Geräusches der Zugmaschine und ihrer Erschütterung bei der Fahrt mußte dem Beklagten dies auch nicht auffallen.

Die klagende Partei, die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, behauptet, daß der bei ihr pflichtversicherte Josef B am 19. Mai 1965 auf der Höhenbaustelle Zandlacherboden dadurch einen Unfall erlitten habe, daß er von der Gelenkwelle, die den Traktor des Beklagten mit dem Anhänger verband, erfaßt wurde. Der Kreuzkopf dieser Welle sei nämlich vorschriftswidrig nicht abgedeckt gewesen. Die Klägerin habe den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt und an B Sozialversicherungsleistungen erbracht. Unter Berücksichtigung eines Eigenverschuldens des Josef B von 50% fänden die Leistungen der Klägerin in der Höhe von 74.232.33 S im Ersatzanspruch Bs gegen den Beklagten Deckung. Die Klägerin verlange daher den Ersatz dieses Betrages und die Feststellung, daß der Beklagte künftige Pflichtleistungen der Klägerin so weit zu ersetzen habe, als bei Annahme eines 50%igen Eigenverschuldens B's ein Deckungsfonds bestehe.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren abgewiesen.

Das Berufungsgericht hob auf Berufung der Klägerin das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich. Es war aber der Ansicht, daß der Beklagte Schutzvorschriften im Sinne des § 1311 ABGB, nämlich die Bestimmungen des § 3 der Maschinenschutzvorrichtungsverordnung vom 19. Jänner 1961, BGBl Nr 43, und des § 59 Abs 4 der zur Unfallszeit geltenden Kraftfahrverordnung 1955, verletzt habe. Die eingetretene Schädigung sei innerhalb des Schutzbereiches dieser Vorschriften gelegen, sodaß den Beklagten ein Verschulden am eingetretenen Schaden treffe. Aber auch Josef B treffe ein Verschulden daran, weil er die Gefahrenquelle schon beim Aufspringen und auch in der Folge hätte wahrnehmen können. Da er eigenmächtig und ohne Wissen des Beklagten auf dessen Fahrzeug aufgesprungen sei, sei sein Verschulden doppelt so schwer als das des Beklagten. Es seien daher auf der Grundlage einer Schadensteilung von 2:1 zugunsten des Beklagten die behaupteten Ansprüche der Höhe nach zu prüfen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge, dagegen dem Rekurs des Beklagten Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht Sachentscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach den maßgeblichen vorinstanzlichen Feststellungen fuhr der Beklagte eine Zugmaschine, bei der nach dem Typengenehmigungsbescheid das Kreuzgelenk der Welle zum Anhänger mit einer Schutzhülle aus Plastik abzudecken war. Zur Unfallszeit fehlte diese Schutzhülle schon 2 bis 3 Tage. Es kann offen bleiben, welche Schutzvorschriften der Beklagte dadurch verletzt hat, weil sich der Zweck einer Schutzvorschrift auf den Schutz solcher Personen beschränkt, die befugterweise in den Gefahrenbereich gelangen (vgl Geigel, Der Haftpflichtprozeß [14], 324). Nach den Feststellungen war für B die Gefahrenquelle ohne weiteres erkennbar, er begab sich aber trotzdem eigenmächtig in diesen Gefahrenbereich. Das Mitfahren auf Traktoren war vom zuständigen Bauleiter allgemein verboten worden. Trotzdem stieg B auf den Anhänger des vom Beklagten gelenkten Traktors auf, ohne daß der Beklagte davon etwas merkte oder auch nur hätte merken müssen. Den Beklagten trifft daher keine Haftung für den Schaden, den B wegen seines eigenmächtigen Verhaltens in der Folge erlitt. Das Begehren der Klägerin, die ihre Ansprüche von den Ersatzansprüchen Bs gegen den Beklagten ableitet, ist daher schon deshalb nicht begrundet. Die vom Berufungsgericht aufgetragene Ergänzung des Verfahrens über die Berechtigung dieser Ansprüche ist somit nicht erforderlich. Die Sache ist vielmehr im Sinne der Bestätigung des Urteils des Erstgerichtes spruchreif. Es war somit der Aufhebungsbeschluß gemäß dem Rekurs des Beklagten aufzuheben und dem Berufungsgericht die Sachentscheidung im oben genannten Sinne aufzutragen. Dem Rekurs der Klägerin war dementsprechend keine Folge zu geben.

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