OGH 7Ob43/73

OGH7Ob43/7325.2.1973

SZ 46/25

Normen

ZPO §473 Abs2
ZPO §494
ZPO §496 Abs1
ZPO §473 Abs2
ZPO §494
ZPO §496 Abs1

 

Spruch:

Zur Prüfung einer - von den Parteien behaupteten oder von Amts wegen wahrzunehmenden - Nichtigkeit darf das Berufungsgericht nicht die Sachentscheidung des Erstgerichtes aufheben und diesem eine Ergänzung des von Nichtigkeit bedrohten Verfahrens auftragen; es hat vielmehr die erforderlichen Erhebungen nach § 473 Abs. 2 ZPO anzuordnen

OGH 25. Feber 1973, 7 Ob 43/73 (OLG Innsbruck 1 R 236/72; LG Innsbruck 1 Cg 127/71)

Text

Die Klägerin wurde am 26. September 1970 als Photomodell bei der Herstellung eines Werbeprospektes der erstbeklagten Partei im Hotel des Zweitbeklagten dadurch schwer verletzt, daß der Drittbeklagte zur Erhöhung des Lichteffektes einer Photoaufnahme in eine leichtbrennende Speise Spiritus goß. Der Drittbeklagte wurde wegen dieses Vorfalles vom Strafgericht rechtskräftig der Übertretung nach § 335 StG schuldig erkannt. Sie begehrt vor dem ordentlichen Gericht Schadenersatz.

Während die Klägerin in ihrer Klage ein Vertragsverhältnis zum Erstbeklagten nur angedeutet und sich hinsichtlich des Zweitbeklagten auf das Vorbringen beschränkt hatte, daß er zum Zweck der Photoaufnahme eine festlich geschmückte Tafel habe arrangieren lassen und daß er wegen des geringen Lichteffektes mit dem bei ihm beschäftigten Drittbeklagten übereingekommen sei, Spiritus zu verwenden, hat sie in der Folge vor hilfsweisen anderen folgende Haftungsgrunde des Erst- und Zweitbeklagten behauptet. Mit dem Erstbeklagten habe die Klägerin im Wege seines Vertreters, der PS-Gesellschaft m. b. H. & Co KG einen "Dienst- bzw. Werkvertrag" abgeschlossen, den der Erstbeklagte auch ausdrücklich anerkannt und aus dem er Zahlung zugesagt habe. Bei Erfüllung der Vertragsverpflichtung zur Beistellung geeigneter Räumlichkeiten und Personen habe sich der Erstbeklagte des Zweitbeklagten und dieser oder auch der Erstbeklagten unmittelbar weiters des Drittbeklagten als Erfüllungsgehilfen bedient. Der Erstbeklagte habe gegen seine vertragliche Fürsorgepflicht verstoßen, er und der Zweitbeklagte hatten das Verschulden ihres Erfüllungsgehilfen (des Drittbeklagten) zu vertreten und es hafte der Zweitbeklagte, der wegen seines wirtschaftlichen Interesses in einem direkten Vertragsverhältnis zur Klägerin gestanden sei, auch für sein eigenes Verschulden durch die Unterlassung der unbedingt nötigen Anweisungen zur Verhinderung des Unfalls.

Die Zustandigkeit des ordentlichen Gerichtes wurde im erstinstanzlichen Verfahren weder bestritten noch von Amts wegen geprüft.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischen- und Endurteil, richtig: Teil- und Zwischenurteil den Klagsanspruch gegenüber dem Drittbeklagten als zur Gänze zu Recht bestehend und stellte ihm gegenüber fest, daß er der Klägerin auch für alle zukünftigen Schäden aus dem Unfall vom 26. September 1970 zu haften habe. Das Klagebegehren gegen den Erst- und Zweitbeklagten wurde zur Gänze abgewiesen. Das Erstgericht verneinte das Vorliegen eines Vertragsverhältnisses zwischen der Klägerin einerseits und dem Erst- oder Zweitbeklagten andererseits, hielt auch eine schuldhafte Mitwirkung des Zweitbeklagten am Schaden der Klägerin für nicht gegeben und stellte fest, daß der Drittbeklagte als Zuschauer in den Ablauf des Geschehens eingegriffen habe.

Das erstgerichtliche Urteil wurde im abweisenden Teil von der Klägerin, im stattgebenden Teil vom Drittbeklagten angefochten. Nur er machte mit der erstmaligen Behauptung, daß die Sache vor das Arbeitsgericht gehöre, Nichtigkeit geltend.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil in nichtöffentlicher Sitzung "aus Anlaß der Nichtigkeitsberufung" des Drittbeklagten zur Gänze auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt an das Erstgericht zurück. Die Berufung der Klägerin wurde auf diese Entscheidung verwiesen. Die unverzichtbare Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes sei in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen. Bei der Prüfung der Zuständigkeitsfrage sei, weil die anspruchsbegrundenden Voraussetzungen nicht mit den zuständigkeitsbegrundenden zusammenfallen, von den Urteilsfeststellungen auszugehen. Wenn das Erstgericht auch eine direkte Rechtsbeziehung der Klägerin zum Erstbeklagten verneint habe, so fehle doch eine Feststellung darüber, ob sie in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis zur PS-Gesellschaft m. b. H. und Co KG oder zur Firma "G" des Photographen K gestanden sei. Falls die Klägerin als wirtschaftlich unselbständig anzusehen sei, müsse erganzend festgestellt werden, warum sich der Drittbeklagte, wenn er nur aus Neugierde als Zuschauer anwesend gewesen sei, veranlaßt gesehen habe, durch das Eingießen von Spiritus in das Geschehen einzugreifen und ob ihm dieses Eingreifen nur infolge seiner Dienststellung beim Zweitbeklagten möglich gewesen sei. Ohne diese ergänzenden Feststellungen könne nicht entschieden werden, ob die behauptete Nichtigkeit vorliege.

Der Oberste Gerichtshof gab den sowohl von der Klägerin als auch vom Erst- und Zweitbeklagten erhobenen Rekursen Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht eine neue Entscheidung auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Nach § 473 Abs 2 ZPO sind tatsächliche Aufklärungen seitens der Parteien oder des Gerichtes erster Instanz oder andere vorgängige Erhebungen, die der Berufungssenat zur Feststellung der Berufungsgrunde oder der - nach § 471 Z. 5 behaupteten oder nach § 471 Z. 7 selbst wahrgenommenen - Nichtigkeit erforderlich hält, anzuordnen und mit Benützung der einschlägigen, in dem Berufungsvorschriften enthaltenen Parteiangaben entweder vom Berufungssenate selbst durchzuführen oder durch einen beauftragten Richter oder das Prozeßgericht erster Instanz durchführen zu lassen. Im letzteren Fall handelt es sich nicht um formelle Beweisaufnahmen (Fasching IV, 91, GlUNF 4779, EvBl. 1956/153, RZ 1968 108) und noch weniger um die Ergänzung des erstgerichtlichen Erkenntnisverfahrens. Für eine Zurückweisung der Rechtslage an das Erstgericht gemaß § 496 Abs. 1 ZPO, der die Sach - Erledigung betrifft (Fasching IV, 205), bleibt kein Raum. Das Berufungsgericht darf nicht die Sachentscheidung des Erstrichters zwecks weiterer Prüfung einer möglichen Nichtigkeit aufheben und dem Erstgericht - das möglicherweise unheilbar unzuständig ist - eine Ergänzung eben dieses von der Nichtigkeit bedrohten Verfahrens auftragen. Es hat vielmehr, wie sich schon aus der Bezeichnung als "vorgängig zweifelsfrei ergibt, die Erhebungen im Sinne des § 473 Abs. 2 ZPO. vor seiner Entscheidung über die Nichtigkeitsberufung zu veranlassen und sodann gemäß § 477 Abs. 1 und § 478 ZPO. vorzugehen. Dasselbe hat nach § 494 ZPO zu geschehen, wenn sich das Gericht erst aus Anlaß einer Berufungsverhandlung davon überzeugt, daß das angefochtene Urteil oder das Verfahren in erster Instanz an einer bisher uribeachtet gebliebenen Nichtigkeit leide.

Die Tatsache, daß es sich hier um die Frage der Abgrenzung der ordentlichen Gerichtsbarkeit zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichte handelt, kann daran nichts andern. Wohl hat entgegen der Meinung der Klägerin das ordentliche Gericht die zwingend-rechtliche sachliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes gemäß § 42 Abs 1 JN, §§ 240 Abs. 3 und 477 Abs 1 Z. 4 ZPO in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (Stanzl, Arbeitsgerichtliches Verfahren 122, Fasching 1, 51 und 507, SZ 43/33) und beim Auseinanderfallen der anspruchsbegrundend und der die Zuständigkeit begrundenden Tatsachen wie hier auch die Verhandlungsergebnisse zu berücksichtigen, sodaß im Falle der reinen Zuständigkeitsvoraussetzung die Entscheidung von dem Sachverhaltsbild abhängt, das sich nach den gewonnenen Verfahrensergebnissen darbietet (Fasching 1, 261; EvBl, 1961/490, 2 Ob 217/71, 1 Ob 141, 197/72 u. a.). Aber soweit dabei über die bisherigen Verhandlungsergebnisse (Fasching I) hinausgegangen werden soll, gestattet keine gesetzliche Vorschrift die Gewinnung weiterer Aufklärungen anders als im Wege der Erbebungen nach § 473 Abs. 2

ZPO.

Das Berufungsgericht durfte daher das erstrichterliche Urteil nicht zur Prüfung einer allfalligen Nichtigkeit und zur Vornahme der hiezu erforderlichen weiteren Feststellungen aufheben. Die angefochtene Entscheidung war schon wegen dieses Formverstoßes aufzuheben, auf die sonstigen Rechtsfragen ist derzeit nicht einzugehen. Über die Nichtigkeitsberufung des Drittbeklagten wird das Berufungsgericht nach Vornahme der für nötig erachteten Erhebungen im Wege des § 473 Abs. 2 ZPO neuerlich zu entscheiden haben, während das amtswegige Aufgreifen einer allfälligen Nichtigkeit in bezug auf den Erst- und Zweitbeklagten dem Ergebnis der Berufungsverhandlung vorbehalten bleiben kann (vgl. Fasching IV, 78).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte