European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0070OB00030.25Z.0319.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für Gesundheitsschäden, die er durch die Verwendung eines fehlerhaften Beatmungsgeräts erlitten habe.
[2] Die Zweitbeklagte, die ihren Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika habe, sei die Herstellerin des fehlerhaften Beatmungsgeräts. Die Haftung der Beklagten ergebe sich aus dem PHG sowie aus ihrem schuldhaften Verhalten, weil sie trotz Kenntnis der Fehler des Produkts (Schaumstoffzersetzung, wodurch Gase und Feinstaubteilchen in die Lungen der Anwender gelangt seien) diese nicht zurückgerufen und keine Sicherheitswarnungen abgegeben hätten. Der Zweitbeklagten habe bereits ab dem Jahr 2010 bzw seit 2015 klar sein müssen, dass die Beatmungsgeräte fehlerhaft waren; sie habe das Risiko der Gesundheitsschädigung unzähliger Anwender in Kauf genommen. Der Kläger habe im Zeitraum 7. 12. 2016 bis 1. 9. 2022 das Beatmungsgerät verwendet. Eine Sicherheitsmitteilung sei erst am 14. 6. 2021 ergangen.
[3] Das Erstgericht wies die Klage gegen die Zweitbeklagte a limine wegen fehlender internationaler Zuständigkeit zurück.
[4] Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung, teilweise dahin ab, dass das Erstgericht örtlich unzuständig ist, wobei es sich den Ausführungen des Obersten Gerichtshofs, in der ein Parallelverfahren betreffenden Entscheidung 3 Ob 200/23t anschloss. Den Revisionsrekurs ließ es zu, weil soweit überblickbar, noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, an welchem Ort der Hersteller hinsichtlich behaupteter Melde‑ und Rückrufpflichten zu handeln habe.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[6] 1. Bereits in den Entscheidungen 3 Ob 200/23t, 3 Ob 129/24b und 8 Ob 126/24y hat der Oberste Gerichtshof in vergleichbaren Fällen, die internationale Zuständigkeit hinsichtlich der Zweitbeklagten mit Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika für die Schadenersatzklage der Kläger verneint. Der erkennende Senat schließt sich diesen Ausführungen an:
[7] 1.1 Für die Prüfung der internationalen Zuständigkeit sind gemäß § 41 Abs 2 JN die Klagsangaben maßgebend (RS0115860). Sind die die Zuständigkeit begründenden Tatsachenbehauptungen zugleich Anspruchsvoraussetzungen („doppelrelevante Tatsachen“), so ist ihre Richtigkeit zu unterstellen (RS0115860 [T4]). Im Zusammenhang mit doppelrelevanten Tatsachen hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die Beurteilung, ob die diesbezüglichen Prozessbehauptungen schlüssig sind, immer nur den Einzelfall betrifft und damit regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO bildet (6 Ob 72/13a Pkt 2.2 mwN).
[8] 1.2 Gemäß § 27a Abs 1 JN besteht die inländische Gerichtsbarkeit für eine bürgerliche Rechtssache bereits dann, wenn die Voraussetzungen für eine örtliche Zuständigkeit vorliegen. Dies gilt gemäß § 27a Abs 2 JN (nur dann) nicht, soweit nach Völkerrecht anderes bestimmt ist. Die amtswegige Prüfung der inländischen Gerichtsbarkeit (§ 41 JN) sowie der örtlichen Zuständigkeit hat in einem einheitlichen Verfahren zu erfolgen (Matscher in Fasching/Konecny³§ 27a JN Rz 13).
[9] 1.3 Ein Abkommen, das die Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtssachen zwischen Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika besonders regelt, besteht nicht. Für die behauptete örtliche und internationale Zuständigkeit sind daher in Anwendung des § 27a Abs 1 JN iVm § 41 Abs 2 JN die Voraussetzungen auf Basis der Angaben des Klägers zu prüfen.
[10] 1.4 Gemäß § 92a JN können Klagen über den Ersatz des Schadens, der aus der Verletzung einer Person entstanden ist, auch bei dem Gericht eingebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt wurde. Beim Auseinanderfallen von Handlungsort und Erfolgsort ist allein der Ort maßgeblich, an dem das schädigende Verhalten gesetzt wurde. Der Ort, an dem das schädigende Verhalten seine schadenauslösende Wirkung zeigte oder an dem der Schaden eingetreten ist, hat außer Betracht zu bleiben (RS0046720). Die im Revisionsrekurs angesprochene Ubiquitätstheorie, wonach die Schadenersatzklage analog zu der vom Europäischen Gerichtshof zu Art 5 Z 3 EuGVÜ entwickelten Rechtsprechung auch bei jenem Gericht eingebracht werden könne, in dessen Sprengel der Ort liege, an dem der unmittelbare Schaden eingetreten sei, wird vom Obersten Gerichtshof für § 92a JN abgelehnt (RS0046720 [T1]).
[11] 2.1 Der Kläger wirft der Zweitbeklagten, zusammengefasst gestützt auf eine Produktbeobachtungspflicht (6 Ob 215/11b) sowie deren Vigilanzverpflichtungen nach der Richtlinie 93/42/EWG betreffend Medizinprodukte, nach dem MPG 1996, der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 4. 2017 über Medizinprodukte (MP‑VO) und dem MPG 2021 die Unterlassung pflichtgemäßen Verhaltens vor, wobei der Wohnort des Klägers (allenfalls Wien am Sitz des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen [BASG]), der Ort gewesen sei, an dem gehandelt hätte werden müssen.
[12] 2.2 Bei Unterlassungen ist Handlungsort der Ort, an dem zu handeln gewesen wäre (2 Ob 308/02m).
[13] 3. Die Rechtsauffassung des Rekursgerichts, für pflichtwidrige Unterlassungen der Zweitbeklagten in Österreich bestünde kein ausreichender Anknüpfungspunkt, ist nicht korrekurbedürftig (vgl 3 Ob 200/23t Rz 12).
[14] 4.1 Aber auch in Bezug auf die vom Kläger behaupteten Verletzungen der Vigilanzverpflichtungen der Zweitbeklagten ist seinem Vorbringen betreffend den Aspekt der örtlichen und internationalen Zuständigkeit kein schlüssiger Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass die Zweitbeklagte diese (ihr als pflichtwidrig vorgehaltenen) unterlassenen Handlungen am Ort der Verwendung der Beatmungsgeräte (Wohnort des Klägers) bzw am Sitz des BASG hätte setzen müssen.
[15] 4.2 Nach den zitierten Vorentscheidungen (3 Ob 200/23t, 3 Ob 129/24b, 8 Ob 126/24y) knüpften die Vorschriften des MPG 1996, in dem die bis 25. 5. 2021 in Geltung gestandene Richtlinie 93/42/EWG betreffend Medizinprodukte umgesetzt war, die umfangreichen Anforderungen an Medizinprodukte wie insbesondere auch deren regelmäßige Überprüfung vorsahen, an das erstmalige Inverkehrbringen in den Europäischen Wirtschaftsraum an. Dieses erstmalige Inverkehrbringen war gemäß § 7 Abs 1 MPG 1996 – neben anderen Voraussetzungen – nur dann zulässig, wenn der dafür „Verantwortliche“ (der Hersteller, dessen Bevollmächtigter oder der Importeur, vgl § 2 Abs 12 MPG 1996) seinen Sitz in einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hatte. Sämtliche Vorschriften über die Verantwortlichkeit und Zusammenarbeit sowie Überprüfungs‑ und Meldepflichten (auch) betreffend die „post‑market‑surveillance“, die im Konformitätsbewertungsverfahren näher geregelt sind, richteten sich an denjenigen, der seinen Sitz im „Geltungsbereich des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum“ hatte. Eine unmittelbare Mitteilungs‑ oder Verständigungspflicht über „Zwischenfälle“ (Fehlfunktionen oder Mängel des Produkts, die geeignet sind, den Gesundheitszustand eines Patienten zu verschlechtern) an die Patienten lässt sich diesen Normen hingegen nicht entnehmen.
[16] 4.3 Die angefochtene Entscheidung, nach der sich damit letztlich im Klagsvorbringen keine Anknüpfungspunkte für eine örtliche oder internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für die Zweitbeklagte findet, ist nicht korrekturbedürftig. Dass (auch) die Zweitbeklagte als in den Vereinigten Staaten von Amerika ansässige Herstellerin im Jahr 2015 nach dem damals anwendbaren MPG 1996 in das europaweit geltende Medizinproduktüberwachungs‑ und ‑meldesystem derart eingebunden gewesen wäre (und Pflichten daraus verletzt hätte), dass sie eine am Wohnort des Klägers zu erfüllende Verständigungspflicht unterlassen hätte, hat der Kläger nicht behauptet und Anhaltspunkte dafür sind (auch hier) nicht erkennbar.
[17] 4.4 Erstmals im Rechtsmittelverfahren konkretisiert der Kläger seinen behaupteten Verstoß der Zweitbeklagten gegen das MPG 1996. Danach wäre sie gemäß § 70 Abs 3 MPG 1996 verpflichtet gewesen, dem BASG unverzüglich jede Fehlfunktion der von ihr importieren Geräte zu melden. Aber auch damit kann die internationale Zuständigkeit der Zweitbeklagten nicht begründet werden. Abgesehen davon, dass der Oberste Gerichtshof in den drei Vorentscheidungen bereits dargelegt hat, dass sich sämtliche auch aus dem MPG 1996 ergebenden Meldepflichten nur an denjenigen richten, der seinen Sitz im „Geltungsbereich des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum“ hatte, ist die Zweitbeklagte von § 70 Abs 3 MPG nicht erfasst, weil sie als Herstellerin des Beatmungsgeräts dieses Medizinprodukt nicht im Europäischen Wirtschaftsraum erstmalig in Verkehr gebracht hat. Dies war die Erstbeklagte.
[18] 4.5 Auch zur seit dem 26. 5. 2021 geltenden MP‑VO ist die Ansicht der Vorinstanzen vertretbar, der Kläger habe erstinstanzlich kein hinreichendes Vorbringen zu einer gerade in Österreich und im Sprengel des Erstgerichts begangenen Unterlassung erstattet. Insbesondere ist Art 10 Abs 12 MP‑VO auch im Fall eines Rückrufs keine Pflicht der Herstellerin zum unmittelbaren Tätigwerden an jedem einzelnen Einsatzort des Medizinprodukts zu entnehmen. Eine unterlassene Verständigung des BASG als haftungsbegründend, wurde in der Klage nicht behauptet.
[19] 5. Richtig ist, dass die Bestimmung des § 92a JN auch auf Ersatzansprüche nach dem PHG anwendbar ist (3 Ob 232/23y Rz 15 mwN). Das schadenauslösende Verhalten der Zweitbeklagten als Produktherstellerin iSd § 3 PHG wurde aber unzweifelhaft nicht in Österreich gesetzt (vgl RS0046720).
[20] 6. Der Revisionsrekurs nimmt schließlich auf das ProduktsicherungsG 2004 (PSG 2004) Bezug. Dabei übersieht er jedoch, dass dieses Gesetz gegenüber dem MPG 1996 und der MP‑VO nur subsidiär anwendbar ist (§ 2 PSG 2004 iVm Art 1 Abs 2 ProduktsicherheitsRL [RL2001/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. 12. 2001 über die allgemeine Produktsicherheit]). Darüber hinaus definiert es in § 3 Z 4 PSG 2004 als nach diesem Gesetz verpflichtete Hersteller nur diejenige Produzenten, die ihren Sitz in der EU („Gemeinschaft“) haben, bei einem Produzenten mit Sitz außerhalb der EU ist dessen Vertreter mit Sitz in der EU oder sonst der Importeur der „Hersteller“ und somit derjenige, den die Pflichten nach dem PSG 2004 treffen. Auf dieses Gesetz kann die Haftung der Zweitbeklagten daher ebenfalls nicht gestützt werden.
[21] 7. Der Senat sieht sich auch nicht veranlasst, der Anregung des Revisionsrekurswerbers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union zu folgen: Die ersten vier Fragen laufen letztlich auf eine Auslegung des § 70 MPG 1996 hinaus. Nach der Regierungsvorlage zum MPG 1996 wurde mit § 70 Abs 3 MPG 1996 die Vorgabe des Art 10 Abs 1 der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte umgesetzt (ErläutRV 313 BlgNR XX GP 97). Die letztgenannte Bestimmung verpflichtet die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen nach Erhalt von Informationen über Vorkommnisse nach dem Inverkehrbringen zu treffen. Da der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten damit einen sehr großen Umsetzungspielraum ließ, sieht der Senat in der nationalen Umsetzung des Art 10 Abs 1 der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte keine – im Hinblick auf die hier vorliegende Zuständigkeitsfrage relevante – Verletzung der Richtlinie. Die weiteren Fragen eines Verstoßes eines Mitgliedstaats gegen den Effizienzgrundsatz, wenn er in der vorliegenden Konstellation die internationale Zuständigkeit verneint, stellt sich nicht. Sie betrifft ausschließlich die zivilprozessualen Vorschriften der Europäischen Union, insbesondere die EuGVVO 2012, und nicht die hier anzuwendenden materiell‑rechtlichen Bestimmungen.
[22] 8. Mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).
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