OGH 2Ob308/02m

OGH2Ob308/02m19.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Augustin P*****, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien

1. S***** GmbH, ***** und 2. A***** GmbH, ***** wegen Zahlung von EUR 101.741,96 sA und Feststellung, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 18. Oktober 2002, GZ 11 R 175/02i-5, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 5. September 2002, GZ 12 Cg 91/02v-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, was die gegen die erstbeklagte Partei gerichtete Klage betrifft, bestätigt und, was die gegen die zweitbeklagte Partei gerichtete Klage betrifft, aufgehoben; dem Erstgericht wird insoweit aufgetragen, das gesetzliche Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten.

Der Kläger hat die halben Kosten seines Rekurses und Revisionsrekurses selbst zu tragen; die weiteren halben Kosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrt die Zahlung von EUR 101.741,96 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle in Hinkunft auftretenden weiteren Schäden aus der Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus, mit der Begründung, er habe 1974 in der Plasmapheresestelle der erstbeklagten Partei in Linz Blut zur Herstellung von Blutplasma gespendet. Dabei sei er mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert worden. Die erstbeklagte Partei habe über keine Gewerbeberechtigung verfügt, Blutplasma an dem Standort Linz zu gewinnen. Sie habe es auch verabsäumt, alle Vorkehrungen zu treffen, um jede Ansteckung von Spendern zu verhindern. Die Plasmaspende sei unter hygienischen Bedingungen durchgeführt worden, die nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen hätten. Die erstbeklagte Partei habe es auch unterlassen, den Kläger über mögliche Risken aufzuklären. Der Kläger stütze seine Ansprüche gegen die erstbeklagte Partei auf jeden erdenklichen Rechtsgrund, vor allem auf Schadenersatz, auf Verletzung eines Schutzgesetzes, auf unterlassene Aufklärung und auf Verletzung vertraglicher Sorgfaltspflichten. Die zweitbeklagte Partei habe es von Anfang an darauf angelegt, Vorfeldorganisationen zu schaffen, um einerseits bei Projekten, bei denen Schäden vorauszusehen gewesen seien, die Haftung von sich abzuschieben, und um andererseits den entscheidenden Einfluss bei diesen Gesellschaften weiterhin durch von ihr in die Leitung entsandte Personen zu wahren. Die erstbeklagte Partei sei mit einem ganz geringen Grundkapital ausgestattet worden, ihre Geschäftsführer habe die zweitbeklagte Partei entsandt. Die zweitbeklagte Partei habe die notwendigen Geräte und das notwendige Know-how zur Verfügung gestellt und der erstbeklagten Partei das gewonnene Plasma abgenommen. Sie sei über die katastrophalen hygienischen Zustände bei der Plasmagewinnung informiert gewesen, habe jedoch nichts unternommen, um diese zu verbessern. Auch die zweitbeklagte Partei treffe daher eine direkte Haftung für die Schäden des Klägers. In Wahrheit habe sie das Unternehmen der nur formell selbständigen erstbeklagten Partei geführt und sei die eigentliche Betreiberin der Plasmapheresestelle gewesen.

Zur Zuständigkeit des angerufenen Landesgerichtes für ZRS Wien berief sich der Kläger auf die §§ 75, 93 JN und führte aus, er mache keinen Anspruch aus einem Handelsgeschäft geltend.

Das Erstgericht wies die Klage a limine mit der Begründung zurück, die beklagten Parteien seien nach den maßgeblichen Angaben in der Klage Formkaufleute. Offenbar sei das der Klage zugrundeliegende Geschäft für die beklagten Parteien ein Handelsgeschäft; zumindest sei nichts vorgebracht worden, was diese Vermutung widerlegen würde. Damit falle die Streitsache aber in die Handelsgerichtsbarkeit, weshalb die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurückzuweisen sei.

Das vom Kläger angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, auch Schadenersatzansprüche gegen einen Kaufmann gehörten nach § 51 Abs 1 Z 1 JN vor die Handelsgerichte, wenn sie aus der Erfüllung, Schlechterfüllung oder Nichterfüllung eines Handelsgeschäftes abgeleitet würden. Auch Realakte gehörten zum Betrieb des Handelsgeschäftes, wenn sie der Erfüllung von Handelsgeschäften dienten. Auch die gegenüber der zweitbeklagten Partei geltend gemachte Durchgriffshaftung verändere den aus einem Handelsgeschäft herrührenden Anspruch im Kern nicht. Es werde damit kein selbständiger Anspruch geltend gemacht, sondern würden weitere Umstände behauptet, die die Durchgriffshaftung rechtfertigten. Der Anspruch werde daher aus einem Handelsgeschäft abgeleitet, auch wenn der Verstoß gegen eine Schutznorm mitursächlich gewesen sei. Für beide Beklagte sei daher das Handelsgericht sachlich zuständig. Auch könne der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß § 93 JN gegenüber der erstbeklagten Partei zufolge des gegenüber beiden beklagten Parteien gegebenen Wahlgerichtsstandes nach § 92a JN nicht geltend gemacht werden. Die Klage gegenüber der erstbeklagten Partei wäre daher jedenfalls wegen örtlicher Unzuständigkeit zurückzuweisen.

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig und zum Teil auch berechtigt.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, die an ihm vorgenommenen "Realakte" der erstbeklagten Partei seien keineswegs in Erfüllung eines Handelsgeschäftes erfolgt. Auch hinsichtlich der zweitbeklagten Partei werde kein Anspruch aus einem Handelsgeschäft geltend gemacht, sondern deren Haftung darin erblickt, dass sie es von Anfang darauf angelegt habe, eine Vorfeldorganisation zu schaffen um bei Personen, bei denen Schäden vorauszusehen seien, die Haftung von sich abzuwehren. Die zweitbeklagte Partei treffe daher eine direkte Haftung aus dem Titel des Schadenersatzes.

Rechtliche Beurteilung

Hiezu wurde erwogen:

Hinsichtlich der zweitbeklagten Partei, die ihren allgemeinen Gerichtsstand gemäß § 75 Abs 1 JN im Sprengel des Erstgerichtes hat, stützt der Kläger seinen Anspruch einerseits auf die sogenannte Durchgriffshaftung, anderseits auf ein durch Unterlassung begangenes Delikt. Der Grundgedanke der Durchgriffshaftung liegt darin, dass sich niemand der Rechtsform der juristischen Person zu dem Zwecke bedienen dürfe, Dritte zu schädigen oder Gesetze zu umgehen (SZ 56/101). Haftungsbegründend kann eine Unterkapitalisierung, die Beherrschung der Gesellschaft und faktische Geschäftsführung sein, wobei ein Haftungsdurchgriff (im faktischen) Konzern auf die Muttergesellschaft nicht bereits dann in Betracht kommt, wenn die Muttergesellschaft von ihrem pflichtgebundenen Leitungs- und Weisungsrecht Gebrauch macht, sondern nur dann, wenn diese bei der Einflussnahme auf die Tochtergesellschaft die Sorgfaltspflichten bei der Verwaltung fremden Vermögens verletzt hat (RdW 2001, 469; zum Haftungsdurchgriff wegen qualifizierter Unterkapitalisierung s EvBl 1995/144). Welcher Haftungsgrund in diesem Zusammenhang auch immer herangezogen wird, es handelt sich jedenfalls um einen selbständigen Haftungsgrund, der neben die Haftung der (unterkapitalisierten oder beherrschten) Gesellschaft tritt. Dieser Haftungsgrund beruht nicht auf der Verletzung von Pflichten aus den mit der erstbeklagten Partei zustande gekommen Handelsgeschäft.

Insoweit die Haftung der zweitbeklagten Partei darauf gestützt wird, dass sie über die katastrophalen hygienischen Zustände informiert gewesen sei und dagegen nichts unternommen habe, obwohl sie dazu in der Lage gewesen wäre, wird ein eigener deliktischer Schadenersatzanspruch gegenüber der zweitbeklagten Partei geltend gemacht, für den ebenfalls das allgemeine Zivilgericht zuständig ist, im vorliegenden Fall also das angerufene Gericht.

Hinsichtlich der erstbeklagten Partei, die ihren Gerichtsstand außerhalb des Sprengels des Erstgerichtes hat, macht der Kläger den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft geltend. Dieser (§ 93 Abs 1 JN) steht aber nur offen, sofern nicht für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist. Im vorliegenden Fall macht der Kläger Schadenersatzansprüche wegen Gesundheitsschäden geltend, er begehrt damit den Ersatz von Schäden aus der Verletzung seiner Person. Derartige Ansprüche können bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist (§ 92a JN). Hinsichtlich der erstbeklagten Partei hat der Kläger vorgebracht, dass sie in Linz tätig geworden sei und er dort Blutplasma gespendet habe. Damit ist der Gerichtsstand der Schadenszufügung für die erstbeklagte Partei in Linz gegeben. Er ist aber auch für die zweitbeklagte Partei dort gegeben, weil diese (nach dem Vorbringen des Klägers) über die schlechten hygienischen Zustände bei der Plasmagewinnung (in Linz) informiert gewesen sei und sie diese Zustände (in Linz) verhindern hätte können und müssen. Der Kläger wirft der zweitbeklagten Partei sohin die Unterlassung pflichtgemäßen Verhaltens vor, wobei Linz der Ort gewesen ist, an dem gehandelt hätte werden sollen. Bei Unterlassungen ist Handlungsort der Ort, an dem zu handeln gewesen wäre (Simotta in Fasching², Kommentar, § 92a JN Rz 35; Mayr in Rechberger², ZPO, § 92a JN Rz 2). Es besteht sohin für beide beklagten Parteien ein gemeinsamer Gerichtsstand der Schadenszufügung, der den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft ausschließt.

Es war daher dem Revisionsrekurs teilweise Folge zu geben und der angefochtene Beschluss hinsichtlich der erstbeklagten Partei zu bestätigen, hinsichtlich der zweitbeklagten Partei aber aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50, 52 Abs 1 ZPO.

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