OGH 7Ob248/00x

OGH7Ob248/00x23.1.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Hoch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** AG, ***** vertreten durch Dr. Helfried Kriegel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Yilmaz T*****, vertreten durch Dr. Andreas Öhler, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 55.904,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 5. Juni 2000, GZ 35 R 246/00m-18, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 22. Februar 2000, GZ 4 C 1523/99d-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 4.871,04 (darin S 811,84 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte verursachte mit seinem bei der klagenden Versicherung haftpflichtversicherten PKW am 28. 2. 1999 einen Verkehrsunfall, auf Grund dessen die Klägerin dem Unfallsgegner S 55.904,-- bezahlte. Der Beklagte hat mit 1. 1. 1999 einen neuen Wohnsitz bezogen, ohne dies der klagenden Versicherung mitzuteilen, sodass die Prämienvorschreibung vom 1. 1. 1999 mit dem Vermerk "Empfänger verzogen" wiederum bei der klagenden Partei einlangte. Da in der Folge keine Prämie bei der Klägerin einging, übersandte sie dem Beklagten unter der alten ihr bekannten Adresse am 5. 2. 1999 eine qualifizierte Mahnung im einfachen Postweg. Auch dieses Schreiben langte mit dem Vermerk "Verzogen" wiederum bei der Klägerin ein.

Die klagende Versicherung begehrt vom Beklagten die Bezahlung von S 55.904,-- sA unter Berufung auf ihre Leistungsfreiheit wegen Prämienverzuges.

Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung und wendete (soweit dies noch revisionsgegenständlich ist) ein, dass die klagende Partei bei ihrer Mahnung nicht dem Formerfordernis des § 10 VersVG entsprochen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die klagende Partei habe zugestanden, die qualifizierte Mahnung im einfachen Postweg an die vom Versicherungsnehmer angegebene Adresse gesandt zu haben, wobei diese Zustellung nicht durchgeführt werden konnte, weil der Beklagte mittlerweile seine Wohnung geändert habe. Gemäß § 10 Abs 1 VersVG sei aber ausdrückliche Voraussetzung für die Zustellfiktion, dass die qualifizierte Mahnung eingeschrieben abgeschickt werde.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil. Es erklärte die Erhebung der Revision für zulässig. Auch wenn Jabornegg (VR 1992, 350 f) und Schauer (Das österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 73) die Auffassung verträten, dass § 10 VersVG nicht nur auf eingeschriebene Briefe, sondern analog auch auf alle anderen Erklärungen des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer anzuwenden sei, könne in Übereinstimmung mit Prölss/Martin VVG26 § 10 Rn 3 für die Zugangsfiktion nicht auf die vom Gesetzgeber geforderte Form eines eingeschriebenen Briefes an den Versicherungsnehmer verzichtet werden. Zur Frage, ob eine nachweisbare, aber nicht eingeschriebene Sendung analog zu § 10 VersVG zu behandeln sei, bestehe keine neuere explizite Judikatur.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

§ 10 Abs 1 VersVG bestimmt, dass, wenn der Versicherungsnehmer seine Wohnung ändert, dies dem Versicherer aber nicht mitteilt, es für eine Willenserklärung, die dem Versicherungsnehmer gegenüber abzugeben ist, genügt, dass der Versicherer einen eingeschriebenen Brief an die letztbekannte Adresse des Versicherungsnehmers absendet. Die Erklärung des Versicherers wird in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ohne die Wohnungsänderung bei regelmäßiger Beförderung dem Versicherungsnehmer zugegangen wäre. Nach ständiger Rechtsprechung hat den Beweis für den Zugang der Mahnung, die ihrem Inhalt der Bestimmung des § 39 VersVG zu entsprechen hat, der Versicherer zu führen (vgl zuletzt 7 Ob 38/94). Bereits in der Entscheidung 7 Ob 2088/96a wurde ausgesprochen, dass nur Willenserklärungen nach Vertragsabschluss in den Wirkungsbereich des § 10 Abs 1 VersVG fallen. Dies stimmt insofern auch mit den Materalien zu dieser Bestimmung überein, die bei deren Anwendbarkeit von einem bereits bestehenden Versicherungsvertragsverhältnis ausgehen. Im Gegensatz dazu vertreten Schauer aaO und Jabornegg aaO die Ansicht, dass § 10 VersVG auf alle auch nicht eingeschriebenen Briefe des Versicherers Anwendung zu finden habe. Die österreichische Rechtsprechung hat dazu aber zuletzt in 7 Ob 38/94 den Standpunkt vertreten, dass die Absendung derartiger Schreiben auch nicht prima facie den Zugang beweise und dass keine Erfahrungssätze bestünden, dass Postsendungen den Empfänger erreichten, weil immer wieder mit Fehlleistungen der Post zu rechnen sei. Der Adressat könne sich auf das einfache Bestreiten des Zuganges beschränken. Dazu hat Jabornegg (aaO, 343 f, unter Berufung auf Rummel in ABGB2 § 862a Rz 5) die Auffassung vertreten, dass bei absichtlicher Vereitelung des Zuganges durch den Empfänger der Zugang ähnlich den Regeln über die Bedingungsvereitelung zu fingieren sei. Verhindere der Empfänger treuwidrig - zB durch Aufenthaltswechsel oder Nichtabholung - den Zugang, so werde die an ihn gerichtete Erklärung dennoch wirksam. Darüber hinaus träfen jeden Empfänger gewisse Obliegenheiten zur Vorsorge, dass ihn betreffende (und auch zu erwartende) Erklärungen zugehen können. Dies sei umso stärker zu vertreten, je eher mit der Möglichkeit des Einlangens rechtserheblicher Erklärungen gerechnet werden müsse. Der Oberste Gerichtshof habe im Rahmen seiner arbeitsrechtlichen Judikatur wiederholt ausgesprochen, dass der Arbeitnehmer bei Begründung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber seine Wohnanschrift bekanntzugeben habe und dass er nach Treu und Glauben auch verpflichtet sei, einen späteren Wohnsitzwechsel ohne besondere Aufforderung mitzuteilen. Dementsprechend sei der Arbeitgeber berechtigt, eine Kündigung oder sonstige empfangsbedürftige Willenserklärung grundsätzlich an die letzte ihm bekannt gewordene Wohnadresse des Arbeitnehmers zu richten und dieser müsse sich den Empfang einer solchen Erklärung auch dann mit einer postordnungsgemäßen Zustellung anrechnen lassen und daher die Zustellung gegen sich gelten lassen, wenn er die Wohnung bereits verlassen habe, ohne den Arbeitgeber davon zu benachrichtigen. In diesem Sinn sei § 10 VersVG am Besten als Vertrauensschutz des sich verkehrsgerecht verhaltenden Erklärenden zu begreifen. Es gehe um den Schutz desjenigen, der unter Berücksichtigung redlicher Verkehrsübung davon ausgehen dürfe, alles getan zu haben, um seine Erklärung ordnungsgemäß zugehen zu lassen, dessen Bemühen aber jedenfalls vorläufig deshalb erfolglos bleibe, weil sich der Erklärungsempfänger pflichtwidrig verhalte. Zutreffend misst Jabornegg in diesem Zusammenhang dem Umstand, dass der Erklärungsempfänger nicht ausdrücklich darüber belehrt worden sei, seine Adressänderung dem Versicherer bekanntzugeben, keine Bedeutung zu, weil sich eine derartige Verpflichtung ohnedies jedermann einleuchtend deshalb ergebe, weil sich die Überlegung, dass der Geschäftspartner bei nicht bekannt gegebener Adressänderung seine Willenserklärung nicht mehr rechtswirksam zusenden könne, wohl ohne nähere Belehrung von allein ergebe. Dieser Lehrmeinung schließt sich der erkennende Senat mit Ausnahme der Auffassung, dass sich der Versicherungsnehmer auch eine nicht dem Formerfordernis des § 10 Abs 1 VersVG entsprechende Willenserklärung des Versicherers anrechnen lassen müsse, an. In Übereinstimmung mit der Auffassung der Vorinstanzen kommt der erkennende Senat zum Ergebnis, dass die vom Gesetzgeber geforderte Absendung derartiger Willenserklärungen in Form eines eingeschriebenen Briefes als essentiale negotii für die rechtswirksame Annahme der Zugangsfiktion erforderlich ist, da dem Gesetzgeber nicht zuzusinnen ist, dass er mit dieser Bestimmung eine inhaltslose, d.h. sinnlose Formvorschrift setzen wollte. Im Gegensatz zu dem der Entscheidung 7 Ob 51/76 zu Grunde liegenden Sachverhalt hat die beklagte Versicherung im vorliegenden Fall nicht den Nachweis erbracht, mit dem Beklagten bedingungsgemäß vereinbart zu haben, dass auch nicht eingeschriebene Briefe die Zugangsfiktion im Sinne des § 10 Abs 1 VersVG auslösen (ähnlich auch 7 Ob 63/78).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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