OGH 7Ob38/94

OGH7Ob38/9423.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** Versicherungs Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Hans Litschauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Blagoj M*****, vertreten durch Dr.Gustav Dirnberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 157.955,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 19.Jänner 1994, GZ 13 R 216/93-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 8.September 1993, GZ 19 Cg 732/92-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur allfälligen Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Beklagte verschuldete am 28.2.1992 mit seinem bei der klagenden Partei haftpflichtversicherten PKW auf einem Autobahnzubringer zur A 22 in Wien einen Auffahrunfall. Die klagende Partei leistete den beiden hiedurch Geschädigten Schadenersatz von insgesamt S 157.955,--.

Am 5.11.1991 war der Beklagte mit der Folgeprämie für die Haftpflichtversicherung in der Höhe von S 7.971,-- im Rückstand. An diesem Tag sendete ihm die klagende Partei einen Zahlschein samt einer den Anforderungen des § 39 VersVG entsprechenden qualifizierten Mahnung. Die klagende Partei erhielt diese Postsendung nicht zurück. Der Beklagte beglich den Rückstand bis zum Unfall nicht. Am 15.4.1992 vereinbarte die Ehefrau des Beklagten mit der klagenden Partei eine monatliche Ratenzahlung a S 1.000,--. Der Beklagte zahlte seither vier Mal S 1.000,-- an die klagende Partei. Die klagende Partei forderte den Beklagten mit eingeschriebenem Brief vom 25.6.1992 zum Ersatz des von ihr an die Geschädigten geleisteten Betrages von S 157.955,-- bis 31.7.1992 auf. Der Brief kam am 15.7.1992 als nicht behoben zur klagenden Partei zurück.

Die klagende Partei begehrt den Ersatz des von ihr beglichenen Betrages von S 157.955,-- sA, weil der Beklagte die Folgeprämie trotz der ihm zugegangen qualifizierten Mahnung nicht bezahlt habe.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Er wendete - soweit noch entscheidungswesentlich - ein, eine dem § 39 VersVG entsprechende Mahnung nicht erhalten zu haben.

Das Gericht erster Instanz gab der Klage statt. Es traf die eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Feststellungen. Im Rahmen seiner Ausführungen zur Beweiswürdigung findet sich der Satz: "Die vorgeschriebene qualifizierte Mahnung gab die klagende Partei zwar nicht eingeschrieben auf, da sie aber nicht zurückkam, ist anzunehmen, daß der Beklagte sie auch erhalten hat." In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die klagende Partei gemäß § 39 Abs 2 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei sei, weil der Beklagte den Prämienrückstand nicht innerhalb der ihm gemäß § 39 Abs 1 VersVG gesetzten Frist beglichen habe. Er habe daher der klagenden Partei jenen Betrag zu ersetzen, die diese dem durch sein Verschulden geschädigten Personen geleistet habe.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung sei nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil das Erstgericht, wenn auch im Rahmen der Beweiswürdigung, eindeutig festgestellt habe, daß der Beklagte die Mahnung erhalten habe. Es sei zwar richtig, daß die Vorlage einer Mahnliste allein noch nicht als ausreichender Beweis für den Erhalt der Mahnung anzusehen sei. Ebensowenig könne aber die Erklärung des Beklagten, er habe die Sendung nicht erhalten, genügen, um davon auszugehen, daß ihm die Sendung in Wahrheit nicht zugegangen sei. Es dürfe im vorliegenden Fall nicht übersehen werden, daß die Ehefrau des Beklagten am 15.4.1992 die klagende Partei aufgesucht habe, um eine Ratenvereinbarung hinsichtlich der ausständigen Prämien zu treffen. Diese Vorsprache und die Tatsache, daß der Beklagte daraufhin einige Teilzahlungen geleistet habe, ließen darauf schließen, daß dem Beklagten die Mahnung zugekommen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung hat den Beweis für den Zugang der Mahnung, die nach ihrem Inhalt der Bestimmung des § 39 VersVG zu entsprechen hat, der Versicherer zu führen. Die Absendung beweist noch nicht - auch nicht prima facie - den Zugang. Es bestehen keine Erfahrungssätze, daß Postsendungen den Empfänger erreichen. Der Adressat kann sich auf das einfache Bestreiten des Zuganges beschränken (vgl Prölss-Martin VVG25, 301, und die dort angeführte Judikatur).

Den Feststellungen des Erstgerichtes ist nicht zu entnehmen, ob das Erstgericht den dem Versicherer obliegenden Beweis, daß dem Beklagten die qualifizierte Mahnung zugegangen ist, als erbracht angesehen hat. Der im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung im Ersturteil enthaltene, oben zitierte Satz läßt dies entgegen der Ansicht des Gerichtes zweiter Instanz offen. Daraus ergibt sich zwar, daß der Erstrichter die Möglichkeit, daß der Beklagte die Postsendung erhalten hat, als wahrscheinlich ansieht, weil sie nicht an die klagende Partei retourniert wurde. Die Überzeugung des Erstrichters von der Richtigkeit der diesbezüglichen Behauptung der klagenden Partei läßt sich hieraus aber nicht ableiten. Die bloße Tatsache, daß ein nicht eingeschriebener Brief nicht an den Absender zurückgekommen ist, ist im übrigen kein hinreichender Beweis des Zugehens eines abgesendeten Briefes an den Adressaten. Nicht eingeschrieben aufgegebene Briefe werden, wenn überhaupt, nur dann an den Absender zurückgesendet, wenn die Adresse unrichtig bezeichnet wurde. Daß die die qualifizierte Mahnung enthaltende Postsendung falsch adressiert worden wäre, wurde aber nicht einmal behauptet. Die klagende Partei hat daher in ihrer Berufung zutreffend aufgezeigt, daß das Erstgericht keine Feststellung darüber getroffen hat, ob dem Beklagten die qualifizierte Mahnung zugegangen ist.

Die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichtes zweiter Instanz sind aktenwidrig. Auch das vom Gericht zweiter Instanz angeführte Argument, daß die "Annahme" des Erstgerichtes zutreffen müsse, weil die Ehefrau namens des Beklagten mit der klagenden Partei eine Ratenvereinbarung getroffen habe und diese auch teilweise eingehalten worden sei, läßt sich mit dem Akteninhalt nicht in Einklang bringen. Die Revision verweist zu Recht darauf, daß der Grund für die Vorsprache der Ehefrau des Beklagten bei der klagenden Partei ebensogut darin liegen könne, daß sie auf die Zustellung des Zahlungsbefehles über den Prämienrückstand (vgl Blg B) oder auf die Zustellung der Exekutionsbewilligung aufgrund dieses Zahlungsbefehls, die im nahen zeitlichen Zusammenhang mit der Vorsprache stand, reagiert hat.

Da das Ersturteil an einem entscheidungswesentlichen sekundären Feststellungsmangel leidet, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen zur Beseitigung dieses Mangels durch das Erstgericht aufzuheben. Sollte das Erstgericht zur Überzeugung gelangen, daß dem Beklagten die qualifizierte Mahnung zugekommen ist, würde es dies ausdrücklich und unmißverständlich festzustellen und im Rahmen der Beweiswürdigung nachvollziehbar zu begründen haben. Sollte das Erstgericht den Zugang der Mahnung nicht als erwiesen ansehen, wird dies ebenfalls ausdrücklich festzuhalten und in rechtlicher Hinsicht zu beachten sein, daß die klagende Partei für den Zugang der Mahnung beweispflichtig ist. Die Zustellung des den Prämienrückstand betreffenden Zahlungsbefehles an den Beklagten ist rechtlich unerheblich, weil im Zahlungsbefehl eine Belehrung im Sinn des § 39 VersVG über die Folgen der nicht zeitgerechten Bezahlung nicht enthalten ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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