Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden - soweit nicht die Abweisung des Klagebegehrens im Umfang von 373,32 EUR samt 4 % Zinsen seit dem 14. 11. 2006 unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist - aufgehoben. Die Rechtssache wird im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Dem Unfallversicherungsvertrag zwischen den Parteien liegen die USVB 1995 zugrunde. Art 3 lautet:
„1. Ein Unfall ist ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung oder den Tod nach sich zieht.
2. Als Unfall gelten auch folgende vom Willen des Versicherten unabhängige Ereignisse ...
- Verrenkungen von Gliedern sowie Zerrungen und Zerreißungen von an Gliedmaßen und an der Wirbelsäule befindlichen Muskeln, Sehnen, Bändern und Kapseln infolge plötzlicher Abweichung vom geplanten Bewegungsablauf."
In Art 17 USVB 1995 werden bestimmte Unfälle von der Versicherung ausgeschlossen, so auch Unfälle beim Versuch oder der Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen durch den Versicherten, für die Vorsatz ein Tatbestandsmerkmal ist.
Bei einer tätlichen Auseinandersetzung am 31. 1. 2006 zwischen dem Kläger und einem Dritten kam es zum Bruch des rechten Ringfingers des Klägers. Die Verletzung ist nicht durch einen aktiven Schlag entstanden. Denkbar sind vielmehr zwei Geschehensabläufe. Es ist möglich, dass der Dritte den Kläger angriff und dieser als Abwehrmaßnahme die Oberarme des Kontrahenten erfasste und durch eine befreiende Körperdrehbewegung des Angreifers den Bruch des Fingers erlitt. Genauso ist es aber möglich, dass der Kläger seinerseits den Dritten angriff, ihn mit beiden Händen an den Oberarmen erfasste und ihn zu Boden riss, wobei es durch diesen Angriff zu einer Drehbewegung kam, die beim Kläger den Bruch hervorrief. Der Kläger begehrt den Klagsbetrag und behauptet, er habe bei dem Vorfall vom 31. 1. 2006 in Notwehr gehandelt, sodass ein Unfall im Sinn des Unfallversicherungsvertrags vorliege. Es sei eine dauernde Invalidität von 15 % des Fingerwerts verblieben.
Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung, weil sich der Kläger die Verletzung durch eine aktive Tathandlung zugezogen habe. Es sei nämlich nicht der Kläger von einem Dritten angegriffen worden, sondern es sei vielmehr der Kläger selbst der Angreifer gewesen. Der Invaliditätsgrad belaufe sich auf höchstens 5 % des Fingerwerts. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dem Kläger habe der Beweis, dass seine Verletzung bei einem Unfall entstanden sei, oblegen. Dieser Beweis sei ihm nicht gelungen, weil er sich die Verletzung im zweiten als möglich erkannten Fall aktiv bei einer Angriffshandlung, die eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellen würde, zugezogen habe. Damit liege kein Unfall im Sinn der Versicherungsbedingungen vor.
Das Berufungsgericht bestätigte das angefochtene Urteil. Es sei zwar richtig, dass der Versicherer das Vorliegen von Ausschlusstatbeständen zu beweisen habe, doch liege hier schon kein Unfall im Sinn des Art 3 USVB 1995 vor. Dies habe nämlich der Versicherungsnehmer zu beweisen. Es genüge, dass der Versicherte Umstände dartue, die die Möglichkeit eines Unfalls naheliegend erscheinen ließen. Es bleibe dem Versicherer unbenommen, seinerseits Gegenargumente aufzuzeigen, die gegen den behaupteten Unfallhergang sprächen. Sei dies geschehen, müsse wiederum der Versicherte beweisen, dass sich dessen ungeachtet ein Unfall im Sinn der Versicherungsbedingungen ereignet habe. Letztlich wirkten sich Unklarheiten über den Geschehensablauf zu Lasten des Versicherungsnehmers aus. Nach den Feststellungen sei nicht gesichert, dass die Verletzung durch das Losreißen des Dritten (und einer damit verbundenen Körperdrehbewegung) entstanden sei, sondern sei es ebenfalls denkbar, dass sich der Kläger im Zuge des noch nicht beendeten eigenen Angriffs beim Zu-Boden-Reißen seines Kontrahenten selbst verletzt habe. Dieser Geschehnisablauf stellte aber keinen Unfall dar, weil er nicht vom Willen des Versicherungsnehmers unabhängig gewesen wäre. Auf die Verletzungsfolgen allein könne es nicht ankommen. Maßgeblich sei, ob der Versicherungsnehmer den Vorfall an sich mit einem selbst gewollten und selbst gesteuerten Verhalten herbeigeführt habe. Es liege also kein ersatzpflichtiger Unfall nach Art 3 Z 1 USVB 1995 vor.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil „zu einer ähnlichen Fallkonstellation" (Beweislast für das Vorliegen eines Unfalls nach Art 3 USVB 1995) oberstgerichtliche Judikatur nicht vorliege und sich das Erkenntnis 7 Ob 42/73, in welchem maßgebliche Beweislastregeln herausgearbeitet worden seien, auf den Verdacht eines Selbstmordversuchs bezogen habe.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, sie ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
Nach ständiger Rechtsprechung hat der die Leistungsfreiheit in Anspruch nehmende Versicherer nach § 181 Abs 1 VersVG zu beweisen, dass der vom Unfall Betroffene diesen vorsätzlich herbeigeführt hat. Diese Gesetzesbestimmung enthält aber nachgiebiges Recht. Nach den von den Versicherungsgesellschaften erlassenen Versicherungsbedingungen bildet das Erleiden eines unfreiwilligen Unfalls in der Regel eine Voraussetzung für den Leistungsanspruch (RIS-Justiz RS0080927). Dies ist auch nach Art 3 USVB 1995 der Fall. Es reicht in der Regel zum Nachweis des Versicherungsfalls aus, wenn der Versicherungsnehmer Umstände dartut, die die Möglichkeit eines Unfalls naheliegend erscheinen lassen. Sache des Versicherers ist es, Umstände zu behaupten und zu beweisen, die dafür sprechen, dass das die körperliche Schädigung herbeiführende Ereignis nicht unabhängig vom Willen des Versicherten gewesen ist. Ist dies geschehen, so muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass sich dessen ungeachtet der Unfall unfreiwillig ereignet hat (RIS-Justiz RS0080921). Eine § 180a dVVG vergleichbare Bestimmung, wonach bis zum Beweis des Gegenteils die Unfreiwilligkeit vermutet wird, findet sich im österreichischem VersVG nicht (7 Ob 38/00i). Sprechen also gewichtige Argumente gegen die Unfreiwilligkeit, so muss der Versicherte eine Beweislage schaffen, aus der sich nachvollziehen lässt, dass den Argumenten, die gegen die Unfreiwilligkeit sprechen, andere gewichtige Argumente gegenüberstehen, aus denen sich das Gegenteil ableiten lässt (7 Ob 38/00i, 7 Ob 217/02i; RIS-Justiz RS0080921, RS0080927). Um Aufschluss über den den USVB 1995 zugrunde liegenden Unfallbegriff zu erhalten, müssen deren Art 3.1. und 3.2. sowie Art 17 im Zusammenhang gelesen werden. Nach Art 3.1. USVB 1995 ist Unfall ein vom Willen des Versicherten unabhängiges Ereignis, das plötzlich von außen mechanisch oder chemisch auf seinen Körper einwirkt und eine körperliche Schädigung oder den Tod nach sich zieht. Als Unfall nach Art 3.2. USVB 1995 werden vom Willen des Versicherten unabhängige Ereignisse wie Ertrinken, Verbrennungen oder auch Verrenkungen von Gliedern und Zerrungen definiert. Auch wenn nach der Formulierung in Art 3.1. USVB 1995 unklar sein kann, ob sich die Unfreiwilligkeit nur auf den Vorfall oder auch auf die körperliche Schädigung oder den Tod bezieht, so hilft dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auf den bei der Auslegung der Bedingungen abzustellen ist (RIS-Justiz RS0112256, RS0050063), bei der Auslegung, dass nach Art 3.2. USVB 1995 als „Ereignisse" unter anderem Verrenkungen von Gliedern definiert sind, also Verletzungen bezeichnet werden. Damit ist - zumindest im Zweifel zu Lasten des Versicherers - klargestellt, dass sich das Wort „unfreiwillig" in Art 3.1. USVB 1995 auf die Verletzung bezieht. Dieses Ergebnis wird auch durch Art 17 USVB 1995 bekräftigt, der Unfälle bei vorsätzlich begangenen strafbaren Handlungen ausschließt. Diesem sekundären Risikoausschluss wäre der Anwendungsbereich entzogen, wenn man schon bei der Definition des Versicherungsfalls nur darauf abstellen müsste, ob der zur Verletzung führende Vorgang selbst vorsätzlich herbeigeführt wurde. Eine Abgrenzung zu - von der Versicherung unstrittig umfassten - Sportverletzungen, bei denen zwar häufig der Vorfall, nicht jedoch die Verletzung, freiwillig oder mit bedingtem Vorsatz herbeigeführt wurde, wäre kaum möglich.
Damit gilt für die USVB 1995 dasselbe wie für die deutschen AUB 99, in denen in Art 1.3. deutlicher formuliert wird: „Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet." Zu den AUB 99 wird vertreten, dass auch jemand, der sich bewusst und gewollt einem hohen Risiko aussetzt, in der Erwartung, er werde das Risiko ohne Schaden meistern, eine Gesundheitsschädigung unfreiwillig erleidet, wenn er verunglückt. Die Unfreiwilligkeit hat sich daher nicht auf das Ereignis, sondern auf die Folgen des Ereignisses, die Körperverletzung oder den Tod, zu beziehen. Eine bewusst und gewollt ausgeführte Bewegung des Versicherten allein schließt noch nicht aus, dass die dabei erlittene Gesundheitsschädigung unfreiwillig erlitten ist (vgl Grimm, Unfallversicherung4, S 113 ff).
Diese Grundsätze sind auch auf die USVB 1995 zu übertragen. Im vorliegenden Fall sind zwei gleichermaßen mögliche Handlungsabläufe festgestellt. In keinem Fall steht fest, dass sich der Kläger zumindest bedingt vorsätzlich (vgl Grimm aaO) verletzen wollte, die Verletzung also freiwillig (zur Selbstbeschädigung) erfolgte. Damit hat der Kläger im Sinn der dargelegten Judikatur das Vorliegen eines Versicherungsfalls nach Art 3 USVB 1995 bewiesen.
Zu prüfen bleibt daher der Risikoausschluss nach Art 17 USVB 1995. Nach ständiger Rechtsprechung trifft den Versicherer die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für einen sekundären Risikoausschluss (RIS-Justiz RS0117833, RS0107031). Da ein rechtswidriger Angriff des Klägers auf den Dritten als Unfallursache nicht feststeht, sondern die Verletzung genauso gut bei einer Notwehrhandlung entstanden sein könnte, ist der Beklagten der Beweis der Begehung (des Versuchs der Begehung) einer vorsätzlichen Straftat durch den Kläger und damit das Vorliegen des Risikoausschlusses nicht gelungen. Sie ist daher nicht leistungsfrei.
Aufgrund ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht haben es die Vorinstanzen unterlassen, sich mit den Verletzungsfolgen beim Kläger auseinanderzusetzen und entsprechende Feststellungen zu treffen. Dies ist im fortzusetzenden Verfahren nachzutragen. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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