OGH 7Ob214/11p

OGH7Ob214/11p27.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Dr. Gitschthaler und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M***** R***** und 2. D***** R*****, beide: *****, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Dr. H***** K*****, vertreten durch Dr. Ernst Maiditsch M.B.L. HSG Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H. in Klagenfurt, wegen 64.372,50 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. September 2011, GZ 3 R 156/11g-41, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung schuldet der Arzt im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Die pränatale Diagnostik dient nicht zuletzt der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und soll damit auch der Mutter (den Eltern) im Fall, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen Schwangerschaftsabbruch ermöglichen. Dass in einem solchen Fall die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann, ist objektiv voraussehbar, weshalb auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst sind (RIS-Justiz RS0123136, vgl RS0112111).

Der Beklagte schuldete nicht die Durchführung einer Fruchtwasser-/Plazentapunktion. Ob eine solche Untersuchung vorgenommen werden soll, muss die Frau selbst entscheiden. Er schuldete aber eine umfassende neutrale Beratung über die Untersuchungsmethoden, die zur Feststellung einer Trisomie 21 geeignet sind, samt deren Vor- und Nachteilen, sodass der Frau eine sachgerechte Entscheidung über die Art der Abklärung und einen allfälligen, gesetzlich zulässigen Schwangerschaftsabbruch ermöglicht wird.

Der Beklagte hat (nach Übergabe von Aufklärungsunterlagen) trotz der festgestellten besonderen Ängste der Kläger, ein behindertes Kind zu bekommen, auf die Frage der Erstklägerin nach einer Fruchtwasseruntersuchung damit reagiert, dass (nach seinen Untersuchungen) alles in bester Ordnung sei und sie gefragt, ob sie Gefahr laufen wolle, durch eine Fruchtwasseruntersuchung ein gesundes Kind zu verlieren, was diese verneinte. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, der Beklagte habe die Beratung der Erstklägerin tendenziös und suggestiv durchgeführt und die Erstklägerin damit von einer Entscheidung für die Fruchtwasseruntersuchung abgehalten, ist im Einzelfall nicht zu beanstanden. Der Beklagte hob das Fehlgeburtsrisiko hervor, ohne auf dessen Wahrscheinlichkeit von 1 % hinzuweisen. Gleichzeitig unterließ er es darauf hinzuweisen, dass bei den von ihm bisher durchgeführten Untersuchungen eine Unsicherheit von 25 % verbleibt, also eine Trisomie 21 nicht entdeckt wird. Nur bei einer neutralen und umfassenden Aufklärung und Beratung wäre die Erstklägerin in der Lage gewesen, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen.

Der Beklagte stützt sich auch darauf, dass eine Schadensteilung im Verhältnis 50 : 50 im Sinn der §§ 1302, 1304 iVm § 1311 ABGB im Hinblick auf die Entscheidungen 4 Ob 75/08w und 1 Ob 175/01v vorzunehmen sei. Die Erstklägerin und damit auch der Zweitkläger hätten den Zufall gemäß § 1311 ABGB - die intrauterine Vorschädigung - zu vertreten. Den zitierten Entscheidungen liegt kein vergleichbarer Sachverhalt zu Grunde. Nur 4 Ob 75/08w betrifft auch einen Arzthaftungsfall, doch war dort - im Gegensatz zum vorliegenden Fall - der körperliche Zustand der Klägerin (gemeinsam mit dem Behandlungsfehler des Arztes) kausal für die Behinderung des Kindes. Hätte der Beklagte hier aber die Klägerin ordnungsgemäß aufgeklärt und beraten, so hätte sie eine 100%ige Klarheit über das Vorliegen der Trisomie 21 erlangt und das Kind rechtmäßig abgetrieben. Dass der Fötus eine Trisomie 21 hatte, ereignete sich zwar schicksalhaft im Bereich der Kläger, der Beklagte war aber ausschließlich kausal dafür, dass die Trisomie 21 nicht erkannt und das Kind geboren wurde.

Es besteht überdies - worauf sich der Beklagte ohnehin nicht ausdrücklich stützt - auch kein Anlass, die §§ 1301, 1304 ABGB, die nicht unmittelbar zum Tragen kommen können, analog schlicht zum Zweck der Anspruchskürzung heranzuziehen (5 Ob 148/07m mwN).

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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