European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00197.17X.1220.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss wird gegenüber der erstbeklagten Partei und Erstgegner der gefährdeten Partei dahin abgeändert, dass er unter Einschluss der unbekämpft gebliebenen Teile lautet:
„Der Antrag der klagenden und gefährdeten Partei auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die erstbeklagte Partei und Erstgegner der gefährdeten Partei sei mit sofortiger Wirkung bei sonstiger Exekution schuldig, es für die Dauer des Rechtsstreits zu unterlassen, die zwischen der klagenden und gefährdeten Partei und Dkfm K***** H***** bestehende Ehe, insbesondere durch die Verweigerung des Zutritts der klagenden und gefährdeten Partei zur von Dkfm K***** H***** bewohnten Wohnung in *****, durch die in welcher Form auch immer ergehende Aufforderung gegenüber der klagenden und gefährdeten Partei, die genannte Wohnung zu verlassen, durch die Erteilung von Weisungen gegenüber dem Dkfm K***** H***** betreuenden Pflegepersonal, der klagenden und gefährdeten Partei den Zutritt zur Wohnung zu verweigern und/oder die klagende und gefährdete Partei zum Verlassen der Wohnung aufzufordern sowie durch gleichartige Handlungen, die im Ergebnis darauf hinauslaufen, dass die klagende und gefährdete Partei zu Dkfm K***** H***** in der Wohnung keinen persönlichen Kontakt pflegen kann, zu stören, wird abgewiesen.“
Die klagende und gefährdete Partei, die die Kosten des Sicherungsverfahrens gegenüber der erstbeklagten Partei und Erstgegner der gefährdeten Partei endgültig selbst zu tragen hat, ist schuldig, der erstbeklagten Partei und Erstgegner der gefährdeten Partei die mit 813,57 EUR (darin enthalten 104,95 EUR an USt und 214 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Die Klägerin ist seit etwa 19 Jahren mit dem Betroffenen verheiratet, der seit 2009 an fortschreitender Demenz leidet, wobei sich das Krankheitsbild in den letzten Jahren stark verschlechterte. Für ihn wurde 2015 der Erstbeklagte zum Sachwalter bestellt. Die Zweit‑ bis Viertbeklagten sind die Töchter des Betroffenen aus erster Ehe, die Fünftbeklagte ist seine geschiedene Frau.
Der Betroffene war bis zum 12. 5. 2017 in einem Einfamilienhaus wohnhaft und wurde dort im Rahmen einer 24‑Stunden-Pflege betreut. Die Klägerin bewohnt eine Wohnung in einem Haus auf derselben Liegenschaft.
Etwa ab Ende 2016 kam es zu Unstimmigkeiten hinsichtlich der Pflegesituation, die sich insbesondere im Verhältnis Klägerin – Pfleger – Erstbeklagtem manifestierten, wobei sich die Klägerin letztlich nicht mehr in der Lage sah, die Personensorge ihres Mannes weiter zu führen. Daraufhin wurde der Wirkungskreis des Erstbeklagten als Sachwalter auf die Angelegenheiten der Personensorge und der Bestimmung des Aufenthaltsortes erweitert.
Aufgrund der zunehmenden Konflikte und der negativen Auswirkungen auf den seelischen Zustand des Betroffenen verlegte der Erstbeklagte den Aufenthaltsort. Die Übersiedlung fand am 12. 5. 2017 statt und wurde pflegschaftsgerichtlich genehmigt.
Der Betroffene reagiert sehr sensibel auf Konflikte in seiner Umgebung. Von ihm wahrgenommene Spannungen und Streitereien zwischen dem Pfleger oder seinen Töchtern aus erster Ehe und der Klägerin führen zu einer weiteren psychischen Belastung.
Da der Erstbeklagte befürchtete, dass es bei „unkoordinierten“ Besuchen der Klägerin in der Wohnung neuerlich zu Konflikten zwischen ihr und dem Pfleger oder den Zweit‑ bis Fünftbeklagten kommen könnte, die sich negativ auf den Gesundheitszustand des Betroffenen auswirken könnten, wurden „Besuchszeiten“ vorgegeben. An derartige Vorgaben und „Besuchszeiten“ will sich die Klägerin nicht halten. Nachteilige Auswirkungen auf den Zustand des Betroffenen können aber nur dann ausgeschlossen werden, wenn es nicht zu konfliktgeneigten Situationen in Anwesenheit des Betroffenen kommt, dass heißt, die Klägerin mit dem Pfleger oder den Zweit‑ bis Fünftbeklagten in der Wohnung nicht zusammentrifft.
Mit der am 18. 7. 2017 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin von den Beklagten die Unterlassung wie aus dem Spruch ersichtlich. Hilfsweise begehrte sie, die Beklagten seien mit sofortiger Wirkung bei sonstiger Exekution schuldig, es zu unterlassen, der Klägerin den Zutritt zur vom Betroffenen bewohnten Wohnung zu verweigern, sie in welcher Form auch immer zum Verlassen der Wohnung aufzufordern sowie dem Pflegepersonal, das den Betroffenen beaufsichtigt, die Weisung zu erteilen, der Klägerin den Zutritt zur Wohnung zu verweigern bzw sie zum Verlassen der Wohnung aufzufordern.
Dieses Klagebegehren verknüpfte die Klägerin mit einem deckungsgleichen Provisorialbegehren. Die Klägerin berief sich im Wesentlichen darauf, dass die Ehegatten untereinander die Pflicht zur anständigen Begegnung treffe und diese Pflicht die Verpflichtung sowie das Recht zur Kontaktpflege umfasse. Die Klägerin müsse rechtswidrige Eingriffe in ihre Ehe nicht dulden, denn die Ehe sei nicht bloß ein schuldrechtlicher Vertrag, sondern ein absolut geschütztes Rechtsgut. Unterlassungsansprüche eines Ehegatten gegen Dritte seien jedenfalls zulässig. Den Provisorialantrag gründete die Klägerin auf § 382g und § 381 Z 2 EO.
Die Beklagten traten dem Provisorialantrag entgegen. Eine Antragsstattgebung würde eine massive Gesundheitsgefährdung des Betroffenen bewirken. Aufgrund der eingetretenen unheilbaren Zerrüttung der Ehe bestünde zudem kein Bedürfnis auf einen näheren Kontakt des Betroffenen zur Klägerin. § 382g EO stelle keine taugliche Grundlage für das Begehren der Klägerin dar. Auch eine Berufung auf § 381 Z 2 EO schlage schon aus Ermangelung eines tatsächlichen Rechtsanspruchs fehl.
Anlässlich der Tagsatzung vom 9. 8. 2017 erklärte sich der Erstbeklagte mit koordinierten Besuchen der Klägerin einverstanden, allerdings nach Vorliegen eines Gutachtens eines Neurologen, welches bestätige, dass die Besuche der Klägerin ohne Gefährdung der Gesundheit des Betroffenen möglich seien.
Das Erstgericht wies den Haupt‑ und Eventualsicherungsantrag ab. Eine Sicherung des geltendgemachten Unterlassungsanspruchs durch eine einstweilige Verfügung nach § 382g EO scheide aus, weil ein ehestörendes Verhalten nicht die Privatsphäre im Sinn des § 1328a ABGB betreffe. Dem Begehren der Klägerin stünden im vorliegenden Fall die absolut geschützten Rechte des Eigentums an der Wohnung und der körperlichen Unversehrtheit des Betroffenen entgegen. Da die Klägerin eine Koordination der Besuche nach dem 21. 5. 2017 nicht einmal versucht habe, erscheine ein Anspruch gegenüber den Beklagten, ihr stets und ohne Einschränkung den Zutritt zu einer ihr nicht gehörigen Wohnung zu gewährleisten, nicht berechtigt.
Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluss im Umfang der Abweisung eines an die Beklagten gerichteten allgemeinen Verbots, die zwischen der Klägerin und dem Betroffenen bestehende Ehe zu stören. Im Übrigen erließ es die einstweilige Verfügung gegenüber der Fünftbeklagten unbeschränkt, gegenüber den Erst‑ bis Viertbeklagten jedoch nur insoweit, als solche Handlungen zu einer vom Erstbeklagten persönlich im Rahmen der Personensorge vorzunehmenden Besuchsregelung im Widerspruch stehen.
Der Dritte habe störende Eingriffe in die tatsächliche Gestaltung der familiären Beziehungen zu unterlassen. Die in 4 Ob 186/09w dargelegten Grundsätze seien auch auf das Verhältnis zwischen Ehegatten und Dritten anzuwenden. Eine mögliche Gesundheitsgefährdung des Betroffenen resultiere nur aus dem möglichen Zusammentreffen der Klägerin mit einem bestimmten Pfleger und mit den Zweit‑ bis Fünftbeklagten in Gegenwart des Betroffenen. Insoweit werde es Sache des Erstbeklagten in seiner Eigenschaft als Sachwalter sein, eine Besuchsregelung zu entwerfen, die die aufgezeigten Konfliktpotentiale entschärfe, den konkurrierenden Zugangs‑ und Kontaktrechten der Ehefrau sowie der Töchter gerecht werde und die dann von allen Beteiligten einzuhalten und zu akzeptieren sei. Es bestehe aber keinerlei Veranlassung für eine unbeschränkte Kontaktausübung einerseits oder ein völliges Kontaktverbot andererseits. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 382g EO lägen nicht vor. Das Provisorialbegehren finde in § 381 Z 2 EO eine taugliche Grundlage.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil keine höchstgerichtliche Judikatur zur Frage vorliege, ob und inwieweit die in der Entscheidung 4 Ob 186/09w wiedergegebenen Grundsätze auch im Verhältnis zwischen Ehegatten und Dritten– einschließlich eines Sachwalters – angewendet werden könnten.
Gegen den stattgebenden Teil dieses Beschlusses wendet sich der Revisionsrekurs des Erstbeklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin begehrt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch berechtigt.
1. Voranzustellen ist, dass ein allfälliger Verstoß gegen § 405 ZPO eine Mangelhaftigkeit (RIS-Justiz RS0041089) und keine Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0041089 [T2]) darstellt.
2. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist nur mehr der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegenüber dem Erstbeklagten und zwar gestützt auf § 381 Z 2 EO.
3. Gemäß der genannten Bestimmung können zur Sicherung anderer Ansprüche als Geldforderungen einstweilige Verfügungen getroffen werden, wenn derartige Verfügungen zur Verhütung drohender Gefahr oder zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens nötig erscheinen.
3.1 Nach § 389 Abs 1 EO hat die gefährdete Partei (unter anderem) die den Sicherungsantrag begründenden Tatsachen im Einzelnen wahrheitsgemäß darzulegen. Im Zusammenhang mit § 390 Abs 1 EO ergibt sich daraus, dass die Voraussetzungen des zu sichernden Anspruchs behauptet und bescheinigt werden müssen (5 Ob 130/15a mwN). Nach § 389 EO sind daher in dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung die den Antrag begründenden Tatsachen im Einzelnen darzulegen und in urkundlicher Form zu bescheinigen oder iSd § 274 ZPO durch sofort ausführbare Beweise glaubhaft zu machen. Entspricht ein Antrag nicht diesen Voraussetzungen, so trifft das Gericht keinerlei Pflicht, von Amts wegen auf eine entsprechende Stoffsammlung zu dringen und vor Erlassung der einstweiligen Verfügung dem Prozesse einen Prozess vorauszuschicken. Ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen der gefährdeten Partei Bedenken gegen ihren Antrag, so kann dem Antrag nicht Folge gegeben werden. Es ist aber kein Platz für amtswegige Erhebungen, ob diese Bedenken nicht vielleicht zerstreut werden können (RIS-Justiz RS0005449). Die einstweilige Verfügung ist auch nur in einem dem bescheinigten Anspruch entsprechenden Ausmaß zu bewilligen; das Mehrbegehren ist abzuweisen, wobei der Spruch der Entscheidung dem anzupassen ist, was der Kläger wirklich wollte (RIS‑Justiz RS0004870 [T1]).
3.2 Das Haupt‑ aber auch das Eventualprovisorialbegehren und das den Begehren zugrunde liegende Vorbringen der Klägerin sind auf ihren zeitlich unbeschränkten Zutritt zur und Verbleib in der Wohnung, in der ihr Ehemann pflegschaftsgerichtlich genehmigt Aufenthalt genommen hat, gerichtet. Vorgaben und Besuchszeiten werden von der Klägerin sowohl nach ihrem Vorbringen als auch nach dem bescheinigten Sachverhalt abgelehnt.
3.3 Nach § 275 Abs 1 ABGB umfasst die Sachwalterschaft alle Tätigkeiten, die erforderlich sind, um die übertragenen Angelegenheiten – hier insbesondere die Personensorge – zu besorgen. Der Sachwalter hat dabei das Wohl des Pflegebefohlenen bestmöglich zu fördern.
Im vorliegenden Fall wirken sich Spannungen und Streitigkeiten zwischen dem Pflegepersonal oder den Zweit‑ bis Fünftbeklagten und der Klägerin nachteilig auf den Gesundheitszustand des Betroffenen aus. Derartige nachteilige Auswirkungen lassen sich nur dann ausschließen, wenn das Zusammentreffen der Klägerin mit einem bestimmten Pfleger und den Zweit‑ bis Fünftbeklagten ausgeschlossen wird. Das vom Erstbeklagten zu wahrende Wohl des Betroffenen erfordert daher hier geradezu eine– von der Klägerin abgelehnte – Koordination der Kontaktaufnahmen durch die verschiedenen Familienmitglieder. Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin einen Anspruch auf eine zeitlich uneingeschränkte Kontaktaufnahme zu ihrem Mann gegenüber dem Sachwalter schon aus diesem Grund nicht bescheinigt.
Aber auch die Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch Vornahme einer zeitlichen Beschränkung eines allfälligen Anspruchs der Klägerin auf Zutritt zur oder Verbleib in der Wohnung kommt im vorliegenden Provisorialverfahren nicht in Betracht. Abgesehen davon, dass ein solche Entscheidung – wie erwähnt – nicht dem Begehren der Klägerin auf einen unbeschränkten Zugang entspricht, fehlt es an der bestimmten Angabe der Klägerin, in welcher Häufigkeit, in welchem Ausmaß und zu welchen Zeiten eine Kontaktaufnahme dem Wohl des Betroffenen nicht abträglich wäre. Anders als etwa bei der Festsetzung von elterlichen Kontaktrechten im Außerstreitverfahren kommt dem Gericht im Rahmen eines erhobenen Provisorialbegehrens jedenfalls kein von Vorbringen und Antrag der Partei abweichendes Gestaltungsrecht hinsichtlich einer „Besuchsregelung zum Ehegatten“ zu. Auch besteht keine verfahrens- oder materiell-rechtliche Möglichkeit, eine solche Gestaltung – wie vom Rekursgericht angedacht – einem Dritten, noch dazu dem hier Erstbeklagten, zu übertragen. Damit erweist sich aber auch ein allfällig zeitlich beschränkter Anspruch der Klägerin gegenüber dem Sachwalter schon deshalb als nicht bescheinigt.
4. Da der Antrag der Klägerin gegenüber dem Sachwalter schon aus diesen Gründen abzuweisen war, können Ausführungen zur Frage, ob dem Anspruch materielle Berechtigung zukommen könnte, unterbleiben.
5. Ebenfalls dahingestellt bleiben kann, ob die einstweilige Verfügung des Rekursgerichts, die dem Erstbeklagten die Unterlassung bestimmter Handlungen soweit auftrug, als diese zu einer von ihm – künftig – vorzunehmenden Besuchsregelung im Widerspruch stehen, gegen § 405 ZPO verstieß oder dem Erfordernis der Bestimmtheit entsprach.
6. Das Eventualbegehren, das hier in Wahrheit nur ein Minus zum Hauptbegehren ist, ist nicht gesondert zu erledigen (4 Ob 69/14x; RIS-Justiz RS0037601).
7. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 78, 402 EO, §§ 41, 50 ZPO. Für das erstgerichtliche Verfahren gebührt kein Kostenersatz. Die Äußerung vom 31. 7. 2017 enthält auch Vorbringen zum Hauptverfahren, für die Tagsatzung vom 9. 8. 2017 wurden keine Kosten verzeichnet. Die Bemessungsgrundlage für den Erstbeklagten beträgt 2.500 EUR, er erhält daher anteilig (23,8 %) Kosten für die von allen Beklagten erstattete Rekursbeantwortung. Da nur der Erstbeklagte einen Revisionsrekurs erhob, beträgt die Bemessungsgrundlage auch nur 2.500 EUR. Ein Streitgenossenzuschlag gebührt nicht; für die Gerichtsgebühren beträgt die Bemessungsgrundlage 178,50 EUR (TP3 1a GGG).
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