OGH 7Ob194/12y

OGH7Ob194/12y19.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Außerstreitsache des J***** K*****, geboren am *****, Antragsteller: Verein gemäß § 8 Abs 2 HeimAufG V***** (Bewohnervertreterin Mag. A***** N*****), vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs des Einrichtungsleiters Primar Mag. Dr. E***** T*****, C*****-Klinik, Universitätsklinik für Neurologie, *****, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer, LLM, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 30. August 2012, GZ 21 R 205/12m-17, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 22. März 2012, GZ 36 HA 1/12k-5, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird, soweit damit die Zulässigerklärung freiheitsbeschränkender Maßnahmen bekämpft wird (Punkt 1. des erstgerichtlichen Beschlusses), zurückgewiesen.

Im Übrigen wird dem Rekurs Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen (Punkt 2. des erstgerichtlichen Beschlusses) werden dahin abgeändert, dass der Antrag des Vereins auf Überprüfung freiheitsbeschränkender Maßnahmen abgewiesen wird.

Text

Begründung

J***** K***** leidet an den Folgen des Sauerstoffmangels anlässlich der kardiopulmonalen Reanimation nach dem Herzinfarkt am 14. 8. 2011. Er war von 7. 9. 2011 bis 6. 4. 2012 Patient der Universitätsklinik für Neurologie/Neuro-Rehabilitation. Beginnend mit 14. 9. 2011 wurden bei ihm Tisch, Therapietisch, Sitzhose im Rollstuhl und geschlossene Seitenteile, ab 12. 2. 2012 Tisch, Therapietisch und Sitzhose in Sitzgelegenheit angewendet. Am 12. 2. 2012 kam es auch zu einer einmaligen 5-Punktfixierung. Beginnend mit 12. 2. 2012 wurden ihm Medikamente wie Seroquel, Psychopax, Trittico, Temesta und Zyprexa verabreicht. Die Beschränkungsmaßnahmen im Rollstuhl wurden gesetzt, weil dem Patienten die Rumpfkontrolle fehlte, er von einer Unruhe befallen war und bei Mobilisation aus dem Aktivrollstuhl stürzte. Der Patient fiel mehrfach aus dem Bett, sodass Seitenteile am Bett angebracht wurden. Im September 2011 kam der Therapietisch maximal drei Stunden pro Tag zur Anwendung. Der Therapietisch und die Sitzhose unterstützten die Lagerungsmöglichkeit nach Bobath. Zur Prophylaxe gegen eine Lymphstauung wurden die Extremitäten des Patienten am Therapietisch gelagert. Vom 18. 9. 2011 bis 10. 10. 2011 entschied sich die Einrichtung für die Bodenpflege. Weil sich der Zustand des Patienten besserte, wechselte man wieder zur Pflege im Bett mit geschlossenen Seitenteilen. Der Patient wurde bis zum 12. 2. 2012 im Rollstuhl mobilisiert, danach auch in anderen Sitzgelegenheiten.

In der Neuro-Rehabilitation ist davon auszugehen, dass sich innerhalb des ersten Jahres erhebliche Besserungen der psychischen Befindlichkeit einstellen können. Der Patient leidet an einem hirnorganischen Psychosyndrom, was letztlich einer geistigen Behinderung entspricht. Im Zeitraum der Behandlung lag noch nicht das Finalstadium vor, Besserungen des Zustands durch entsprechende Rehabilitationsmaßnahmen waren noch möglich. Es ist daher nur von einem „Durchgangssyndrom“ zu sprechen. Der Endzustand konnte bei Gutachtenserstattung individualprognostisch nicht abgeschätzt werden. Ein chronifiziertes hirnorganisches Psychosyndrom noch unbekannten Ausmaßes wird zurückbleiben. Es war aber von der Möglichkeit auszugehen, dass sich der Zustand so weit bessert, dass beschränkende Maßnahmen nicht mehr erforderlich sein werden. Der Patient litt an einem gesteigerten Bewegungsdrang. Aufgabe des behandelnden Arztes war es, diesen Leidenszustand zu reduzieren. Bedingt durch das Psychosyndrom bestand eine Selbst- und Fremdgefährdung, die je nach Situation von eher gering bis auch erheblich einzuschätzen war.

Der Patient wurde am 6. 4. 2012 entlassen.

Der Verein beantragte die Überprüfung der dargestellten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen.

Das Erstgericht erklärte mit Beschluss vom 22. 3. 2012 die genannten mechanischen Freiheitsbeschränkungen beginnend mit 14. 9. 2011 und die medikamentösen Freiheitsbeschränkungen beginnend mit 12. 2. 2012 bis 21. 9. 2012 für zulässig (Punkt 1.), hingegen die mechanischen Freiheitsbeschränkungen in Form von geschlossenen Seitenteilen beginnend mit 14. 9. 2011 und die 5-Punktfixierung am 12. 2. 2012 für unzulässig (Punkt 2.). Die Anwendung von Tisch, Therapietisch, Sitzhose im Rollstuhl oder in anderen Sitzgelegenheiten, geschlossene Seitenteile, 5-Punktfixierung und die Verabreichung der genannten Medikamente seien Freiheitsbeschränkungen im Sinne des HeimAufG. Es sei eine ernstliche und erhebliche Selbstgefährdung des Bewohners gegeben, weil er aus den Bett- oder Sitzgelegenheiten stürze und dadurch schwere Verletzungen erleide. Es bestehe auch die Gefahr, dass er im desorientierten Zustand ins Freie gelange. Auf der Station befänden sich eine Vielzahl von Gegenständen und Gerätschaften, mit denen sich der Bewohner, wenn er unsachgemäß mit ihnen hantiere, schwer verletzen könne. Es bestehe auch Fremdgefährdung, weil zu befürchten sei, dass er zu bettlägerigen Patienten gehe und an den medizinischen Gerätschaften hantiere und dadurch schweren Schaden zufüge. Die Freiheitsbeschränkungen seien insofern zulässig. Hinsichtlich der Anwendung von geschlossenen Bettseitenteilen und der 5-Punktfixierung sei die Freiheitsbeschränkung unverhältnismäßig gewesen, weil die Gefährdung auch durch die Anwendung gelinderer Mittel hätte verhindert werden können.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Auf den vorliegenden Fall sei das HeimAufG anzuwenden, weil nicht die (akut-)medizinische Behandlung im Vordergrund gestanden sei, sondern Maßnahmen der Neuro-Rehabilitation. Überdies dauerten die Zustände, die zu den Freiheitsbeschränkungen geführt hätten, überdurchschnittlich lang an, nämlich bis zur Entlassung am 6. 4. 2012. Bei dem diagnostizierten hirnorganischen Psychosyndrom handle es sich um eine psychische Krankheit im Sinn des HeimAufG. Der Bewohner habe einer ständigen Betreuung bedurft. Statt der für unzulässig erklärten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen hätten gelindere Mittel angewendet werden können. Es sei rechtlich unerheblich, ob der Einrichtung eine entsprechende Versorgungskapazität zur Verfügung stehe oder nicht.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil die Frage nach der Anwendbarkeit des HeimAufG in Krankenanstalten von grundsätzlicher Bedeutung sei.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Leiters der Einrichtung mit dem Antrag, den Antrag des Vereins mangels Anwendbarkeit des HeimAufG zur Gänze abzuweisen.

Der Verein beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist rechtzeitig, weil seine Verspätung durch die Aktenlage nicht ausgewiesen ist (RIS-Justiz RS0006965). Er ist teils unzulässig und teils berechtigt.

Entscheidend für die Frage der Anwendbarkeit des HeimAufG ist, dass der Patient nach dem Herzinfarkt am 14. 8. 2011 an den Folgen des Sauerstoffmangels litt und deshalb zur Rehabilitation in die Einrichtung überwiesen wurde, in der er sich rund acht Monate aufhielt.

Das HeimAufG regelt die Voraussetzungen und die Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen, in Behindertenheimen und in anderen Einrichtungen, in denen wenigstens drei psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen ständig betreut oder gepflegt werden können. In Krankenanstalten ist dieses Bundesgesetz nur auf Personen anzuwenden, die dort wegen ihrer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung der ständigen Pflege und Betreuung bedürfen (§ 2 Abs 1 HeimAufG). Nach der RV 353 BlgNR XXII. GP, 7 ist wesentlich, dass die Pflege oder Betreuung nicht durch die den Patienten in der Anstalt oder Einrichtung zukommende oder zugekommene medizinische Behandlung bedingt ist.

In Krankenanstalten sind also Patienten nur dann von der Geltung und vom Schutz des HeimAufG ausgenommen, wenn sie durch die oder im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlung pflege- oder betreuungsbedürftig werden (RIS-Justiz RS0121803). Vom Zweck der Regelungen des HeimAufG sind jene Fälle umfasst, in denen die Bedürftigkeit des Patienten unabhängig von der konkret im Krankenhaus behandelten körperlichen Beeinträchtigung (sei dies infolge eines Unfalls oder einer Krankheit) bereits besteht. Ein solcher Patient soll auch während eines Krankenhausaufenthaltes nicht den ihm außerhalb des Krankenhauses in der Einrichtung nach § 2 Abs 1 HeimAufG zukommenden besonderen Schutz verlieren (8 Ob 64/10k = RIS-Justiz RS0121803 [T5]). Die Anwendbarkeit des HeimAufG hängt nicht von einem Ortswechsel des Patienten ab. Ob die im Zuge einer Heilbehandlung angeordneten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in jenem Krankenhaus durchgeführt werden, das den Patienten als erstes aufgenommen hat, oder in einer Sonderkrankenanstalt, in die er im Zuge der Behandlung transferiert wurde, kann für die Abgrenzung zwischen medizinischer Behandlung und ständigem Pflege- und Betreuungsbedarf im Sinn des § 2 Abs 1 HeimAufG keine Rolle spielen. Beim Patienten, der in der Neurochirurgischen Universitätsklinik nach seinem Herzinfarkt mit dem Ziel der Wiederherstellung seiner Gesundheit behandelt wurde, lag ein finaler Zustand dauernder psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung nicht vor. Die anordnungsbefugten Personen und Einrichtungsleiter müssen zwangsläufig im Vorhinein beurteilen können, ob sie die nach dem HeimAufG erforderlichen Maßnahmen und Verständigungspflichten einzuhalten haben. Ungünstige Entwicklungen des Zustands des Patienten, die erst im Nachhinein sicher zu beurteilen sind, können nicht die rückwirkende Änderung der anwendbaren Rechtslage herbeiführen (8 Ob 64/10k mwN).

Auch im Schrifttum wird die Ansicht vertreten, dass vom HeimAufG nur Patienten erfasst sind, die „austherapiert“ sind, die also nach einer medizinischen Behandlung lediglich auf einen Heimplatz warten (Barth/Engel, Heimrecht, § 2 HeimAufG Anm 8, Zirl/Wall/Zeinhofer, Heimrecht Band I³, 85, Klaushofer, Heimaufenthaltsgesetz [HeimAufG]: ein erster Überblick, ZfV 2004/1229, 590; vgl Strickmann, Heimaufenthaltsrecht², S 91 die davon ausgeht, dass schon die Erkennbarkeit, dass die unfalls- oder erkrankungsbedingt erworbene psychische Erkrankung eine dauernde Pflege- und Betreuungsbedürfigkeit verursachen wird, genügt).

Nach den Feststellungen war während der Zeit, in der sich der Patient nach einem Herzinfarkt und dadurch bewirktem Sauerstoffmangel in der Universitätsklinik für Neurologie/Neuro-Rehabilitation befand, sein Endzustand noch nicht absehbar. Seine medizinische Behandlung war damit noch nicht abgeschlossen. Es war zu erwarten, dass sich sein Zustand bessert, was tatsächlich der Fall war. Wenn die medizinische Betreuung in einer Krankenanstalt noch nicht abgeschlossen und damit noch nicht klar ist, dass der Patient endgültig der dauernden Pflege und Betreuung bedürfen wird, weil noch Besserungen zu erwarten sind, so unterliegt er nicht dem HeimAufG, auch wenn dieser Schwebezustand mehrere Monate (hier: acht Monate) dauert.

Dem Rekurs kommt daher Berechtigung zu. Der Antrag des Vereins ist wie im Spruch ersichtlich abzuweisen (vgl 6 Ob 80/09x, RIS-Justiz RS0123867).

Zu 2)

Wenn dem Antrag des Vereins - wie hier - nicht Folge gegeben wird, nimmt dies dem Einrichtungsleiter die Beschwer für die Bekämpfung der Zulässigerklärung der Freiheitsbeschränkung. Dies entspricht den Wertungen der §§ 17a, 16 AußStrG. Dem Einrichtungsleiter soll danach nur ein eingeschränktes Rechtsmittelrecht zustehen, und zwar nur in den Fällen, in denen eine Freiheitsbeschränkung für unzulässig erklärt wird. Der Revisionsrekurs des Einrichtungsleiters ist daher - soweit er sich auch gegen den Beschluss richtet, mit dem die Freiheitsbeschränkung für zulässig erklärt wurde - zurückzuweisen.

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