OGH 7Ob193/14d

OGH7Ob193/14d26.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* N*, vertreten durch Dr. Rolf Philipp und Dr. Frank Philipp, Rechtsanwälte in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Z* Versicherungs‑AG, *, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, und den Nebenintervenienten M* B*, vertreten durch tusch.flatz.dejaco. rechtsanwälte gmbH in Feldkirch, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. Juli 2014, GZ 4 R 107/14p‑36, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 10. März 2014, GZ 4 Cg 111/12i‑31, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:E109766

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

Das Klagebegehren, es werde gegenüber der beklagten Partei festgestellt, dass sie verpflichtet sei, aufgrund und im Umfang des zwischen der klagenden und der beklagten Partei abgeschlossenen Rechtsschutzver-sicherungsvertrags * für den Schadensfall vom 16. 12. 2004, 14. 1. 2005 und 26. 1. 2005 (Schadennummer der beklagten Partei *) Deckungsschutz (Kostendeckungszusage zur Einbringung einer Klage des Klägers gegen Dr. H* X*, mit der die Leistung von Schadenersatzansprüchen in der Höhe von 55.000 EUR sowie ein mit 5.000 EUR zu bewertendes Feststellungsbegehren geltend gemacht werde) zu gewähren, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.306,04 EUR (darin enthalten 1.976,01 EUR an USt und 2.450 EUR an Barauslagen) bestimmten Prozesskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, dem Nebenintervenienten die mit 2.802,42 EUR (darin enthalten 467,07 EUR an USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger schloss mit der Beklagten über Vermittlung des Nebenintervenienten einen Vertrag über eine „Verkehrs‑ und Privat‑Rechtsschutzversicherung“ mit Laufzeitbeginn am 23. 1. 2003 ab. Nach der vereinbarten Besonderen Bedingung R* umfasst die Versicherung den Schadenersatz‑ und Straf‑Rechtsschutz für den Privat- und Berufsbereich gemäß Art 19.1.1 und 1.2 ARB 2001.

Die A* Bedingungen für die Rechtsschutz‑Versicherung  2001 (ARB) lauten auszugsweise:

Art 19 Schadenersatz‑, Straf‑Rechtsschutz für den Privat‑, Berufs‑ und Betriebsbereich

Der Versicherungsschutz erstreckt sich je nach Vereinbarung auf den Privat‑, Berufs‑ und/oder Betriebsbereich.

...

2. Was ist versichert?

Der Versicherungsschutz umfasst

2.1 Schadenersatz‑Rechtsschutz

für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts wegen eines erlittenen Personen‑, Sach‑ oder Vermögensschadens;

...

3. Was ist nicht versichert?

3.1 Zur Vermeidung von Überschneidungen mit anderen Rechtsschutz‑Bausteinen umfasst der Versicherungsschutz nicht

...

3.1.3 Die Geltendmachung von Ansprüchen aus schuldrechtlichen Verträgen sowie die Geltendmachung von Ansprüchen wegen reiner Vermögensschäden, die aus der Verletzung vertraglicher Pflichten entstehen und über das Erfüllungsinteresse hinausgehen, oder aus der Verletzung vorvertraglicher Pflichten entstehen (versicherbar in Art 23);

...

Der 1967 geborene Kläger war als Installateur berufstätig. In den Jahren 1996 bis 1998 hatte er Schmerzen in der rechten Schulter und war beim Facharzt für Orthopädie Dr. H* X* in Behandlung. Die Schmerzen besserten sich nicht. Er versuchte andere Therapien bei anderen Ärzten. Wegen des Schulterleidens änderte er sein berufliches Tätigkeitsfeld. Am 16. 12. 2004, 14. 1. 2005 und 26. 1. 2005 suchte der Kläger Dr. X* neuerlich auf, primär wegen Beschwerden in der Lendenwirbelsäule im Zusammenhang mit einem Bandscheibenvorfall. Im Rahmen der Konsultation kam er auch auf seine immer noch bestehenden Schulterbeschwerden (nun in beiden Schultern) zu sprechen und wies darauf hin, dass „diese einfach nicht weggehen“ würden. Im September 2009 veranlasste ein anderer Arzt die Untersuchung der Schultern mit Röntgen und MRT, wodurch als Ursache für die Schulterbeschwerden ein chronisches Impingementsyndrom beider Schultern erkannt wurde. Ein vom Patientenanwalt beigezogener Sachverständige führte aus, dass Dr. X* eine Abklärung der Genese hätte durchführen müssen. Er habe wahrscheinlich eine Pathologie aufgrund seiner klinischen Untersuchungen in den Jahren 1996 bis 1998 ausgeschlossen. Durchschnittlich sei ein Patient mit Schulterbeschwerden bei einer Impingementsymptomatik älter als 40 Jahre. Wahrscheinlich habe das Alter des Patienten den Arzt veranlasst, die Ursache der Beschwerden im Zustand der Halswirbelsäule zu sehen. Retrospekt sei ihm die Unterlassung einer Röntgenuntersuchung beider Schultergelenke vorzuwerfen.

Der Haftpflichtversicherer des Arztes lehnte die Deckung ab. Der Kläger will nun gegen den Arzt gerichtlich vorgehen, weil dieser einerseits keinen Röntgenbefund eingeholt hat, bei dem die Ursache der Beschwerden des Klägers erkennbar gewesen wäre, und es andererseits auch unterlassen hat, den Kläger über die Möglichkeiten weitergehender Untersuchungen und/oder alternativer Behandlungsmethoden aufzuklären. Dies hätte der Arzt spätestens in den Jahren 1997/1998 und nochmals im Jahr 2004 veranlassen müssen.

Der Kläger beabsichtigt, gegen Dr. X* eine Klage auf Bezahlung von Schmerzengeld von 20.000 EUR, Verdienstentgang von 5.000 EUR, Ersatz von Pflege‑ und Haushaltshilfekosten von 2.500 EUR sowie von vermehrten Bedürfnissen von 2.500 EUR und auch auf Feststellung einzubringen. Bei fachgerechter Behandlung wären die Schmerzzustände des Klägers früher gelindert worden und in dieser Zwischenzeit damit vermeidbar gewesen (zwischen dem 16. 12. 2004 bis zur Operation im Jahr 2009).

Die Beklagte lehnte die Deckung zunächst mit der Begründung ab, dass der Versicherungsfall nachvertraglich oder auch vorvertraglich eingetreten sei.

Der Kläger begehrt die Deckung der Klagsführung aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag, auch wenn kein Vertragsrechtsschutz vereinbart worden sei. Er mache einen deliktischen Schadenersatzanspruch geltend. Der Arzt habe durch seine Fehlbehandlungen die Schädigung im Schulterbereich verursacht und verschuldet. Dadurch habe er den Kläger am Körper verletzt und mangels hinreichender Aufklärung eine eigenmächtige Heilbehandlung (§ 110 StGB) vorgenommen. Durch die unterlassene Aufklärung und medizinische Fehlbehandlung seien Schäden entstanden, die zu einer Gesundheitsschädigung des Klägers von weit längerer Dauer als 14 Tage geführt hätten. Zudem habe der Arzt aufgrund des bestehenden Arzt‑/Patientenverhältnisses zum Kläger unter anderem nach den Bestimmungen des Ärztegesetzes eine „Garantenstellung“.

Die Beklage beantragt die Abweisung der Klage. Der zwischen den Parteien bestehende Rechtsschutzversicherungsvertrag umfasse nicht den Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz. Der Kläger mache aber Ansprüche aus einer Verletzung des Behandlungsvertrags geltend.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die aufgrund mangelhafter Aufklärung und somit ohne wirksame Einwilligung durchgeführte Heilbehandlung, die den Gesundheitszustand des Patienten verschlechtert habe, sei eine Körperverletzung. Nach § 110 StGB mache sich strafbar, wer einen anderen ohne dessen Einwilligung, wenn auch nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft, behandle. Strafbar sei auch die Unterlassung. Die Behandlungspflichten ergäben sich aus § 49 ÄrzteG.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung. Aus einem Behandlungsvertrag ergäben sich nicht nur für den Arzt eine Reihe von Haupt‑ und Nebenpflichten, die Betreuung habe auch gewissenhaft und nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung zu erfolgen. Diese Pflichten bestünden unabhängig vom Willen der Parteien des Behandlungsvertrags aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen des ABGB über den Dienst‑ und Werkvertrag und § 49 Abs 1 ÄrzteG. Es gehe somit um die Geltendmachung von „Schadenersatzansprüchen aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts“ im Sinn von Art 19.2.1 ARB. Art 19.3.1.3 ARB (Ausschluss für die Geltendmachung von Ansprüchen aus schuldrechtlichen Verträgen) könne nur so verstanden werden, dass davon Ansprüche wegen Verletzung individuell vereinbarter Vertragspflichten umfasst seien, nicht aber solche, die unabhängig vom Willen der Vertragsparteien mit Abschluss des Vertrags aufgrund gesetzlicher Bestimmungen entstünden, wie eben auch die Pflicht des Arztes zur Behandlung des Patienten nach dem Stand der Wissenschaft.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 5.000 EUR, jedoch nicht 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage der Abgrenzung des „Schadenersatz‑Rechtsschutzes“ nach Art 19.2.1 ARB vom „Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz“ nach Art 23 ARB nur zwei Entscheidungen hätten vorgefunden werden können, die jedoch die vorliegende Rechtsfrage nicht beantworteten.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Die Allgemeinen Rechtsschutzbedingungen decken wegen der schweren Überschaubarkeit und Kalkulierbarkeit und der Größe des Rechtskostenrisikos im Gesamtbereich des privaten wie auch öffentlichen Rechts nur Teilgebiete ab (RIS‑Justiz RS0114605). Die Wendung „Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers“ umfasst nicht nur die Geltendmachung oder Abwehr von Ansprüchen auf Erfüllung und Erfüllungssurrogate, sondern auch die Ausübung von Gestaltungsrechten wie zB Kündigung, Rücktritt oder Anfechtung (7 Ob 96/13p = RIS‑Justiz RS0128752 [T2]). Von der Zusatzdeckung im Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz werden die Mangelfolge‑ oder Begleitschäden im Zuge einer Vertragserfüllung erfasst, die nicht die Folge der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts sind (7 Ob 140/12g).

Der zwischen den Parteien abgeschlossene Rechtsschutzversicherungsvertrag bezieht sich ausdrücklich nur auf den Schadenersatz‑ und Straf‑Rechtsschutz für den Privat‑, Berufs‑ und Betriebsbereich nach Art 19 ARB, nicht jedoch auf den Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz nach Art 23 ARB. Unstrittig ist, dass vertragliche Ansprüche daher von der Beklagten nicht zu decken sind.

Zu Unrecht stützt sich der Kläger darauf, er wolle lediglich deliktische Schadenersatzansprüche gegenüber dem Arzt geltend machen. Er übergeht nämlich, dass der von ihm beabsichtigten Klage nur zugrunde liegt, dass der Arzt seinen Krankheitszustand nicht früher erkannt und daher nicht früher Maßnahmen zu dessen Linderung gesetzt habe, er also seine Pflichten aus dem Behandlungsvertrag verletzt hat. Deliktisch lässt sich ein Anspruch nicht begründen. Der Arzt hat den Kläger gerade nicht im Sinn von § 110 StGB (ohne Einwilligung) behandelt und ihn nach den Feststellungen und dem Vorbringen in der beabsichtigten Klage auch nicht im Sinn von § 88 StGB durch Unterlassung am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt, weil der körperliche Zustand des Klägers ohne Einwirkung des Arztes eintrat und weiter bestand. Es wurde nur verabsäumt, den ohne Zutun des Arztes bestehenden Zustand zu verbessern. Ein Schadenersatzanspruch aus Delikt wird daher nicht geltend gemacht.

Der Ansicht des Berufungsgerichts, dass ein Schadenersatzanspruch bereits dann aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts zugrundeliegt, wenn sich der Versicherungsnehmer nicht nur auf konkret ausverhandelte Vereinbarungen stützt, sondern auch auf Pflichten, die unabhängig vom Willen der Parteien aufgrund des Gesetzes bestehen, kann nicht gefolgt werden. Grundsätzlich besteht Privatautonomie. Die Parteien können ihre Vertragsbeziehung, solange nicht zwingende Bestimmungen dagegen stehen, selbst gestalten. Das Gesetz sieht für bestimmte Vertragstypen Regeln vor, die ergänzend jene Bereiche regeln, zu denen die Parteien keine Vereinbarungen getroffen haben. Selbst zwingende gesetzliche Bestimmungen zu einem bestimmten Vertragstyp würden nichts daran ändern, dass sie nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Parteien im Rahmen ihrer Privatautonomie sich dazu entschlossen haben, ein Vertragsverhältnis einzugehen. Ursache der Geltung einer zwingenden Bestimmung ist nicht diese an sich, sondern der Vertragsabschluss. Sämtliche Ansprüche, die aus einem Vertrag abgeleitet werden, sind damit vertraglicher Natur nach Art 19.3.1.3 ARB.

Die Revision bleibt jedes Argument dafür schuldig, warum Art 19.2.1 ARB nichtig sein soll. Die Ausschlussklausel ist klar. Der Versicherungsnehmer wird dadurch nicht benachteiligt. Es liegt in seinem Ermessen, ob er gegen eine entsprechend höhere Prämienzahlung auch einen Versicherungsschutz für den Allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutz eindecken will oder nicht.

Es sind ausschließlich Rechtsfragen zu klären. Der Sachverhalt muss nicht verbreitert werden. Die in der Revisionsbeantwortung wiederholte Rüge, das Verfahren leide wegen der Unterlassung der Einvernahme mehrerer Zeugen an einem Mangel, ist daher unbeachtlich.

Die Beklagte ist nicht zur Deckung der beabsichtigten Klagsführung verpflichtet.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Die Beklagte ist im Zwischenstreit unterlegen, sodass sie für die darauf entfallenden Prozesshandlungen ‑ worauf die Einwendungen im Grunde zu Recht verweisen ‑ keinen Anspruch auf Kostenersatz hat, zumal auch die Kostenentscheidung des Rekursgerichts in Rechtskraft erwachsen ist. Dazu gehören aber nicht die Kosten für die Tagsatzung vom 10. 1. 2013, weil erst gegen Ende der Tagsatzung die Verhandlung auf die Frage der Zuständigkeit eingeschränkt wurde (so auch die rechtskräftige Entscheidung des Rekursgerichts).

Für das Berufungsverfahren fiel nur eine Pauschalgebühr von 1.088 EUR an, die nach dem vorgelegten Beleg auch eingezogen wurde. Ein Streitgenossenzuschlag gebührt nicht (§ 15 RATG), der Nebenintervenient beteiligte sich auch nicht am Rechtsmittelverfahren.

Dem Nebenintervenienten steht kein Streitgenossenzuschlag zu (§ 15 RATG).

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