European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00184.22T.1213.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen klagsabweisenden Teils insgesamt zu lauten hat:
„1. Das Klagebegehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 14.563,44 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. April 2021 zu bezahlen, wird abgewiesen.
2. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.361,48 EUR (darin 893,58 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei die mit 2.741,32 EUR (darin 253,72 EUR Umsatzsteuer und 1.219 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.622,56 EUR (darin 303,90 EUR Umsatzsteuer und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Zwischen den Streitteilen besteht ein Versicherungsvertrag, der unter anderem eine Leitungswasserschadenversicherung für das Wohnhaus des Klägers beinhaltet und dem die Allgemeinen Z* Bedingungen für die Leitungswasserversicherung (AWB 2009) zugrunde liegen. Diese lauten auszugsweise:
„ Artikel 1
Versicherte Gefahren und Schäden
1. Versichert sind Sachschäden, die durch die unmittelbare Einwirkung von Leitungswasser eintreten, das aus wasserführenden Rohrleitungen, Armaturen oder angeschlossenen Einrichtungen austritt (Schadenereignis). Versichert sind auch Sachschäden, die als unvermeidliche Folge dieses Schadenereignisses eintreten.
2. Nur bei der Versicherung von Gebäuden gelten zusätzlich als Schadenereignis:
2.1. Frostschäden an wasserführenden Rohrleitungen, Armaturen oder angeschlossenen Einrichtungen;
2.2. Bruchschäden an wasserführenden Rohrleitungen.
Artikel 2
Nicht versicherte Schäden
Nicht versichert, auch nicht als unvermeidliche Folge eines Schadenereignisses:
[...]
4. Bruchschäden an Armaturen oder angeschlossenen Einrichtungen;
[…]“
[2] Darüber hinaus liegen dem Vertrag die Besonderen Bedingungen EHLWG009 (BB EHLWG009) zugrunde, die lauten:
„Schäden an angeschlossenen Armaturen und Einrichtungen aufgrund Rohrgebrechens
Abweichend von Art. 2 Pkt. 4 der Allgemeinen Z* Bedingungen für die Leitungswasserversicherung (AWB) fallen Schäden an angeschlossenen Einrichtungen und Armaturen, soweit deren Erneuerung oder Reparatur im Zuge der Behebung eines Rohrgebrechens im Sinne des Art. 1 Pkt. 2.2. der Allgemeinen Z* Bedingungen für die Leitungswasserversicherung AWB notwendig ist, unter die Ersatzpflicht.“
[3] Im Heizraum des versicherten Gebäudes ist ein Pufferspeicher installiert. Dabei handelt es sich um einen zylindrischen Behälter mit einem entsprechenden Volumen zur Aufnahme von Wasser. Je nach Anforderung können im Pufferspeicher noch zusätzliche Einbauten vorhanden sein. Im Pufferspeicher des Klägers sind zusätzlich Wellrohre für die Wärmeübertragung von Heizkreisen im Haus montiert. Die im Pufferspeicher wendelförmig verlaufende Warmwasserleitung ist ein Teil des Gesamtwarmwasserrohrsystems mit einer speziellen technischen Ausführung. Diese besteht darin, dass die Rohrleitung innerhalb des Pufferspeichers mit Lamellen versehen ist, um eine möglichst große Oberfläche für die Wärmeübertragung zu ermöglichen. Die im Pufferspeicher befindliche Rohrleitung weist eine geringere Wandstärke auf als die Rohrleitung außerhalb des Pufferspeichers und ist eingangsseitig an die Kaltwassereinleitung angeschlossen. Im Puffer wird das Rohr und das darin befindliche Wasser erwärmt und das warme Wasser wiederum über ein Rohrsystem zu den Entnahmestellen geführt.
[4] Am 16. März 2021 brach das Warmwasserwellrohr innerhalb des Pufferspeichers. Das dadurch aus der Rohrleitung austretende Wasser beschädigte den Pufferspeicher, sodass dessen Austausch notwendig ist.
[5] Der Kläger begehrt Zahlung von 14.563,44 EUR sA. Er brachte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – vor, der Bruch der Rohrleitung innerhalb des Pufferspeichers sei vom Versicherungsschutz umfasst, weil es sich um eine brauchwasserführende Rohrleitung handle. Nicht der Puffer als solches sei beschädigt oder undicht, sondern nur die darin verlaufende Rohrleitung.
[6] Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Sie wandte – soweit für das Revisionsverfahren relevant – ein, der Pufferspeicher sei Teil des Heizungssystems und bestehe nicht nur aus Rohrleitungen. Auch wenn im Pufferspeicher Rohrleitungen verlaufen würden, seien diese nicht als Rohrleitungen im Sinne der Versicherungsbedingungen zu qualifizieren. Sie seien Teil der angeschlossenen Einrichtung und daher vertraglich so zu behandeln. Bruchschäden an Armaturen oder angeschlossenen Einrichtungen seien vom Versicherungsschutz ausgenommen.
[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in der Hauptsache statt und wies einen Teil des Zinsenbegehrens ab. Die im Pufferspeicher verlaufende Rohrleitung sei Teil des Gesamtwarmwasserrohrsystems, sodass der Schaden von der Versicherung umfasst sei.
[8] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision nachträglich zu. Nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers sei die innerhalb des Pufferspeichers verlaufende Rohrleitung, die einen Teil des Gesamtwarmwasserrohrsystems bilde, nicht als angeschlossene Einrichtung anzusehen.
[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[10] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist auch berechtigt.
[12] 1. Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) sind nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).
[13] 2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahr und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RS0080166 [T10]).
[14] 3.1. Die Leitungswasserschadenversicherung des Klägers bietet Schutz gegen Sachschäden, die durch die unmittelbare Einwirkung von Leitungswasser eintreten, das aus wasserführenden Rohrleitungen, Armaturen oder angeschlossenen Einrichtungen austritt, wobei auch Sachschäden versichert sind, die als unvermeidliche Folge dieses Schadenereignisses eintreten (Art 1.1. AWB 2009; vgl auch 7 Ob 118/17d mwN; RS0123409).
[15] 3.2. Eine angeschlossene Einrichtung im Sinn des Art 1.1. AWB 2009 ist nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers jedes Behältnis, das bestimmungsgemäß Wasser durchlässt oder aufnimmt und dauernd durch eine Zuleitung oder durch eine Ableitung oder durch beides mit dem Rohrsystem verbunden ist (7 Ob 105/15i mwN; 7 Ob 118/17d). Der Pufferspeicher des Klägers ist daher eine angeschlossene Einrichtung im Sinn der Versicherungsbedingungen.
[16] 3.3. Im vorliegenden Fall ist die (wasserführende) Rohrleitung innerhalb des Pufferspeichers gebrochen und hat diesen beschädigt. Da diese Rohrleitung ein Bestandteil der technischen Einheit „Pufferspeicher“ ist, liegt ein Bruchschaden an einer angeschlossenen Einrichtung und nicht ein Bruchschaden an einer wasserführenden Rohrleitung im Sinne der Bedingungen vor, was auch für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist (ähnlich Spielmann in Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung4 § 5 Rn 61), sodass der Risikoausschluss des Art 2.4. AWB 2009 greift. Auch die hier zusätzlich vereinbarte Besondere Bedingung EHLWG009 vermag daran nichts zu ändern, weil dadurch nur Schäden an angeschlossenen Einrichtungen wieder in den Versicherungsschutz eingeschlossen werden, soweit deren Erneuerung oder Reparatur im Zuge der Behebung eines Rohrgebrechens im Sinn des Art 1.2.2. AWB 2009 notwendig ist, was hier nach den Feststellungen jedoch nicht der Fall war.
[17] 4. Es liegt somit der Risikoausschluss des Art 2.4. AWB 2009 vor. Der Revision der Beklagten war daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Klagsabweisung abzuändern.
[18] 5. Der Kostenzuspruch an die Beklagte beruht auf § 41 ZPO (für das Rechtsmittelverfahren in Verbindung mit § 50 ZPO). Die Einwendungen des Klägers gegen das Kostenverzeichnis der Beklagten sind nicht berechtigt: Die Mehrkosten, die sich aus der Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwalts ergeben, sind nach der Rechtsprechung dann nicht zu ersetzen wenn die Partei ihren Wohnsitz oder Sitz am Gerichtsort hat und keine besonderen Gründe für die Bestellung des auswärtigen Rechtsanwalts vorliegen (RS0036203). Hier hat die Beklagte aber ihren Sitz nicht am Gerichtsort; auch eine Zweigniederlassung ist im Firmenbuch nicht eingetragen. Sie konnte daher ohne für sie nachteilige Kostenfolgen einen Anwalt an einem beliebigen Ort außerhalb des Gerichts beauftragen (7 Ob 142/20p; 7 Ob 198/20y). Für den Schriftsatz vom 9. Februar 2022 stehen der Beklagten Kosten nach TP 3A RATG zu, weil sie über ausdrücklichen Auftrag des Gerichts konkrete Fragen an den gerichtlichen Sachverständigen zur Vorbereitung der mündlichen Gutachtenserörterung formulierte. Es handelte sich damit um einen vom Gericht aufgetragenen Schriftsatz gemäß TP 3 A I. 1. lit d RATG (vgl 2 Ob 162/10b).
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