European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00156.22Z.1123.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die klagende Gemeinde wurde bei der Vergabe der Baugrundstücke und insbesondere dem Abschluss des gegenständlichen Kaufvertrags unzweifelhaft im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung tätig.
[2] 2.1 Ein Geschäftsirrtum betrifft die unrichtige Vorstellung über innerhalb des Geschäfts liegende Punkte, namentlich den Inhalt (Gegenstand; vgl RS0014910). Ob ein Umstand zum Gegenstand des Geschäfts gehörte, ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln (RS0014902 [T2, T3]; 1 Ob 85/16f). Erst auf der Grundlage der Feststellungen über das Zustandekommen des Vertrags und das Vertragsverständnis der Parteien kann festgestellt werden, ob ein Umstand zum Inhalt (Gegenstand) des Geschäfts gehörte und darüber ein Irrtum vorlag (RS0014910 [T8]). Die Auslegung einer vertraglichen Vereinbarung hat stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu erfolgen und wirft damit regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl RS0044358; RS0042936; RS0042776).
[3] 2.2 Ein Irrtum ist durch den anderen veranlasst, wenn der andere für den Irrtum (adäquat) ursächlich war (RS0016195). Absichtliche oder zumindest fahrlässige Irreführung wird nicht vorausgesetzt, es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliches Verhalten (RS0016188).
[4] 2.3 Ein Irrtum kann auch durch die Unterlassung einer gebotenen vorvertraglichen Aufklärung veranlasst werden (1 Ob 23/04w mwN; RS0016184 [T5]). Es mangelt zwar an einer allgemeinen Rechtspflicht, den Vertragspartner über alle Umstände aufzuklären, die für die rechtsgeschäftliche Willensbildung von Bedeutung sein können, die vorvertragliche Aufklärungspflicht erstreckt sich jedoch auf Umstände, über die der Vertragspartner nach den durch die Verkehrsanschauung geprägten Grundsätzen des redlichen Geschäftsverkehrs eine Aufklärung erwarten kann (1 Ob 23/04w mwN; 4 Ob 9/12w). Auch die Frage, ob ein Vertrag aufgrund der behaupteten Verletzung von Aufklärungspflichten wegen Irrtums angefochten werden kann, kann nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden, sodass die Bedeutung der Frage in der Regel nicht über den Einzelfall hinausgeht (RS0016184 [T8]).
[5] 2.4 Die Klägerin ficht den mit dem Beklagten über eine näher bezeichnete Liegenschaft um den Kaufpreis von 60.000 EUR geschlossenen Kaufvertrag – gestützt auf Irrtum/Arglist – an.
[6] Der Verkauf der Liegenschaft durch die Klägerin erfolgte im Rahmen der Initiative „Zukunft Wohnen...“, deren Ziel die Schaffung von leistbarem Wohnraum und das Entgegenwirken der Abwanderung von Gemeindebürgern war. Da die zu vergebenden Baugrundstücke beschränkt waren, mussten sich die Interessenten einem Bewerbungsverfahren unterziehen. Zu diesem Zweck wurden die Vergaberichtlinien samt Fragebogen in der, allen Haushalten der Gemeinde übermittelten, Gemeindezeitung veröffentlicht. Für eine Bewerbung musste der – auch online verfügbare – Fragebogen ausgefüllt bei der Gemeinde eingereicht werden.
[7] 2.4.1 Das Berufungsgericht bejahte einen wesentlichen Geschäftsirrtum der Klägerin. Diese habe in ihren – dem Beklagten und seiner (nunmehrigen) im Fragebogen auch als Wohnungsbewerberin angeführten Ehefrau bekannten – Vergaberichtlinien und dem bei der Antragstellung beizubringenden Fragebogen klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass es für sie von entscheidender Bedeutung sei, die Liegenschaft an Gemeindebürger mit speziellem Wohnbedarf und finanziellem Hintergrund zu einem unter dem üblichen Marktpreis liegenden Preis zu verkaufen, wobei das Fehlen anderweitigen Liegenschaftseigentums der Bewerber, Eltern oder Verwandter im Fokus gestanden sei, um die definierten siedlungspolitischen Zwecke zu erreichen. Dass das Berufungsgericht denIrrtum der Klägerin über das Fehlen weiteren Liegenschaftseigentums vor diesem Hintergrund als wesentlichen Geschäftsirrtum beurteilte, ist nicht korrekturbedürftig. Gleiches gilt für die weitere Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass bereits im vorvertraglichen Stadium die Pflicht des letztlich allein den Kaufvertrag abschließenden Beklagten bestanden habe, über das weitere Liegenschaftseigentum seiner damaligen Lebensgefährtin zu informieren und die diesbezüglich unvollständigen Angaben im Fragebogen den Irrtum der Klägerin kausal veranlassten (vgl RS0016195).
[8] 2.5.1 Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung, Umstände, die ein Verschulden des Irrenden begründen, die Annahme ausschließen, dass der Irrtum durch den anderen Teil veranlasst worden ist. Ganz offensichtlich unrichtige Angaben eines Vertragspartners, deren Überprüfung dem anderen Teil offenstand und leicht möglich wäre, können nicht als zur Täuschung geeignete Irreführungshandlungen angesehen werden. Hat sie der Erklärungsempfänger dennoch als wahr hingenommen, ist sein Irrtum nicht durch den anderen Teil veranlasst (RS0016205 [T1]).
[9] 2.5.2 Das Berufungsgericht ging davon aus, dass das Verschweigen des Liegenschaftseigentums der Lebensgefährtin keine offensichtlich unrichtige Angabe gewesen sei, zumal die Klägerin nach dem Aufkommen von Gerüchten über das Bestehen derartigen Liegenschaftseigentums unverzüglich Nachforschungen angestellt (grundbücherliche Namensabfrage) habe, die aber erfolglos geblieben seien. Damit seien keine Umstände vorgelegen, die ein Verschulden der Klägerin begründet hätten. Diese Beurteilung, gegen die der Beklagte auch keine stichhaltigen Argumente bringt, ist jedenfalls vertretbar,
[10] 2.6.1 Die Frage nach einer Fiktion iSd § 871 Abs 2 ABGB stellt sich ebenso wenig wie jene nach einer rechtlichen Gleichstellung von Eltern/Verwandten und Lebensgefährten.
[11] 2.5.2 Rechtliche Grundlage für den Abschluss des Kaufvertrags war der Beschluss des Gemeinderats vom 20. 11. 2019 und jene für die Irrtumsanfechtung des Vertrags der Gemeinderatsbeschluss vom 8. 2. 2020. Aus welchen Gründen über den Fragebogen, der – entgegen der Ansicht des Beklagten – kein Vertragsformblatt (also ein formularmäßig vorgegebener Vertrag, vgl 7 Ob 89/08a), sondern dasInstrument zu einer effektiven Identifizierung möglicher Vertragspartner darstellt – gleichfalls ein formaler Gemeinderatsbeschluss hätte ergehen müssen, zeigt der Beklagte nicht auf.
[12] 3. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
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