OGH 7Ob152/15a

OGH7Ob152/15a16.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Susanne Schuh, Rechtsanwältin in Perchtoldsdorf, gegen die beklagte Partei Dr. S***** R*****, Rechtsanwalt, als Masseverwalter im Konkursverfahren über das Vermögen der A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Jaksch ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen 56.460,50 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 22. Juli 2015, GZ 11 Nc 15/15p‑2, mit welchem der Delegierungsantrag der beklagten Partei abgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00152.15A.1016.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.016 EUR (darin enthalten 336 EUR an USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.

Begründung

In dem über das Vermögen der A***** GmbH eröffneten Konkursverfahren AZ ***** des Handelsgerichts Wien wurde der Beklagte am 19. 6. 2013 als Masseverwalter bestellt.

Die Klägerin begehrt aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes die Zahlung von 56.460,50 EUR sA mit der Begründung, der Beklagte habe die von der Klägerin angestrebte Aussonderung näher bezeichneter in ihrem Eigentum stehender Spundwände rechtswidrig und schuldhaft vereitelt und dadurch einen Schaden in Höhe des eingeklagten Betrags verursacht.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Begehrens. Weiters begehrt er, diese Rechtssache an das Handelsgericht Wien zu delegieren. Das Prozessgericht werde sich einen Überblick über das Insolvenzverfahren verschaffen und Einsicht in den äußerst umfangreichen Insolvenzakt nehmen müssen, dessen Beischaffung am Handelsgericht Wien leichter durchgeführt werden könnte. Darüber hinaus sei die Spezialabteilung des Handelsgerichts Wien, in deren Zuständigkeit der gegenständliche Prozess fallen würde, mit dem Insolvenzverfahren bereits vertraut.

Die Klägerin sprach sich gegen diesen Delegierungsantrag aus.

Das Erstgericht befürwortete den Delegierungsantrag.

Das gemäß § 31 Abs 1 JN gemeinsam übergeordnete Oberlandesgericht Wien wies den Antrag ab. Zu klären sei, ob der Beklagte in seiner Funktion als Masseverwalter ein Aussonderungsrecht der Klägerin an konkreten Sachen rechtswidrig und schuldhaft zunichte gemacht habe. Zu diesem Zweck sei es nicht notwendig, dass der Erstrichter mit dem Insolvenzverfahren vertraut sei und/oder einen Überblick über das Insolvenzverfahren gewinne und in den Insolvenzakt Einsicht nehme. Darüber hinaus sei die Berufung auf einen Akt unzulässig; vielmehr könnten nur einzelne bestimmte Aktenstücke als Beweismittel angeboten und zugelassen werden. Da die Klägerin (als Insolvenz‑ und Massegläubigerin) wie auch der Beklagte (als Masseverwalter) das Recht habe, in den Insolvenzakt Einsicht zu nehmen, stehe es beiden Parteien frei, Kopien von Ordnungsnummern und Beilagen des Insolvenzakts anzufertigen und im gegenständlichen Prozess als urkundliches Beweismittel vorzulegen. Eine Beischaffung des gesamten Insolvenzakts oder einzelner Teile davon komme gemäß § 301 Abs 1 ZPO nicht in Betracht. Eine Delegierung der Rechtssache an das Handelsgericht Wien sei daher nicht zweckmäßig im Sinn des § 31 Abs 1 JN.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Rekurs des Beklagten, mit dem er weiterhin die Delegierung an das Handelsgericht Wien anstrebt.

Die Klägerin begehrt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist unabhängig vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig, weil das Oberlandesgericht funktional in erster Instanz entschieden hat (RIS‑Justiz RS0116349). Er ist zweiseitig (RIS‑Justiz RS0119172 [T1]), er ist aber nicht berechtigt.

1. Nach § 31 Abs 1 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei an Stelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden.

2. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Gericht gleicher Gattung im Sinn dieser Bestimmung nur ein Gericht, das im konkreten Fall sachlich zuständig sein könnte. Unter sachlicher Zuständigkeit ist nicht nur die Zugehörigkeit einer Rechtssache zu einem bestimmten Gerichtstyp (Bezirksgericht oder Gerichtshof erster Instanz), sondern auch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kausalgerichtsbarkeit (zB allgemeine Zivilsache oder Handelssache) zu verstehen (RIS‑Justiz RS0046151 [T2]). Der Oberste Gerichtshof hat bereits die Zulässigkeit einer Delegierung allgemeiner Zivilsachen an das Handelsgericht Wien verneint (RIS‑Justiz RS0046151 [T6]).

Da im Sinn des Wahlgerichtsstands des § 262 Z 3 IO Klagen über Ansprüche aus pflichtwidrigem Verhalten eines Insolvenzverwalters vor das Insolvenzgericht gebracht werden könnten, könnte das Handelsgericht im vorliegenden Fall sachlich zuständig sein.

3. Eine Delegierung ist aber nur dann zweckmäßig, wenn die Rechtssache von einem anderen als dem zuständigen Gericht aller Voraussicht nach rascher und mit geringerem Kostenaufwand zu Ende geführt werden kann (RIS‑Justiz RS0053169). Zweckmäßigkeitsgründe sind insbesondere der Wohnort der Parteien und der zu vernehmenden Zeugen (RIS‑Justiz RS0046540) oder, wenn die Ansprüche, welche mit verschiedenen Klagen bei verschiedenen Gerichten geltend gemacht werden, untereinander im Zusammenhang stehen (RIS‑Justiz RS0046528); für eine Delegierung kann daher auch die Möglichkeit sprechen, gleich gelagerte Rechtssachen bei einem Gericht zu verbinden. Die Übertragung der Zuständigkeit muss im Interesse beider Parteien liegen (RIS‑Justiz RS0046471); kann die Frage der Zweckmäßigkeit nicht eindeutig zu Gunsten beider Parteien beantwortet werden und widerspricht eine von ihnen so ist dieser der Vorzug zu geben (RIS‑Justiz RS0046589).

Wie diese Rechtsprechungslinie zeigt, soll die Delegierung die Ausnahme bilden; keinesfalls soll durch eine großzügige Handhabung der Delegierungsmöglichkeiten eine faktische Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung hervorgerufen werden (RIS‑Justiz RS0046589 [T5, T24]). In diesem Sinn kann die Delegierung weder darauf gestützt werden, dass bei einem anderen Gericht ein Verfahren anhängig ist, in welchem eine für das gegenständliche Verfahren präjudizielle Vorfrage zu entscheiden ist (RIS‑Justiz RS0046134 [T2], RS0046303), noch genügt die Notwendigkeit der Aktenbeischaffung von einem anderen Gericht (RIS‑Justiz RS0053169 [T7]).

Selbst wenn man ‑ mit dem Beklagten ‑ vom Erfordernis der Beischaffung des (gesamten) Insolvenzakts ausginge, würde dies die Zweckmäßigkeit der Delegierung nicht begründen.

Der Rekurs muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 Satz 2 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Im Verfahren über einen Delegierungsantrag sind, soweit § 31 JN keine Sonderregelungen enthält, die Regelungen jenes Verfahrens anzuwenden, dessen Delegierung beantragt wird (RIS‑Justiz RS0043970 [T1]).

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