OGH 7Ob144/15z

OGH7Ob144/15z19.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadtgemeinde L*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler und Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei R***** S*****, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, wegen Aufkündigung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 29. Juni 2015, GZ 1 R 256/14k‑43, womit das Urteil des Bezirksgerichts Leoben vom 7. Oktober 2014, GZ 5 C 151/13m‑38 abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00144.15Z.1119.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.119,65 EUR (darin enthalten 152,61 EUR an USt und 204 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin des Mehrparteienhauses in ***** L*****. Der Beklagte ist seit 1990 Mieter der im zweiten Stock des Hauses gelegenen Wohnung top Nr 8. Er ist ein extrem lärmempfindlicher Mensch. So erstattete er im Zeitraum 12. 5. 2009 bis März/April 2013 gegen die Mieterin der Wohnung top 4 im ersten Stock R***** H***** und gegen die Mieterin der Wohnung top 9 im ersten Stock M***** K***** im Zeitraum 21. 8. 2009 bis 4. 1. 2012 mehrere Anzeigen bei der Bundespolizeidirektion Leoben, der Landes-polizeidirektion, und der Bezirkshauptmannschaft Leoben, jeweils wegen Lärmerregungen, wobei er diesen Anzeigen teilweise „Lärmprotokolle“ anschloss, in denen er minutiös, jegliches Schlaggeräusch oder Hundebellen anführte. Dabei vermeint der Beklagte, die Geräusche den jeweiligen Verursachern zuordnen zu können, er ist jedoch nicht in allen Fällen sicher, wer die angezeigten Fakten verursacht hat.

Hinsichtlich der Anzeigen vom 28. 12. 2009 und 20. 1. 2010 wurde M***** K***** zu einer Geldstrafe von je 88 EUR verurteilt. Die übrigen Anzeigen gegen sie und sämtliche Anzeigen gegen R***** H***** führten hingegen zu keiner Verurteilung im Verwaltungsstrafverfahren.

M***** K***** wandte bisher für ihre anwaltliche Vertretung in den Verwaltungsstrafverfahren ungefähr 1.000 EUR auf. R***** H***** schloss aufgrund der Anzeigen des Beklagten eine Rechtsschutzversicherung ab, wofür sie eine monatliche Prämie von 19,90 EUR einzahlt. Weiters leidet sie wegen dieser Anzeigen an Schlafstörungen.

Die Klägerin kündigte den Bestandgegenstand, gestützt auf § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG, zum 31. 5. 2013 auf. Der Beklagte verleide den Mitbewohnern das Zusammenleben durch sein rücksichtsloses, anstößiges oder sonst grob ungehöriges Verhalten. Er habe in Einzelanzeigen gegen mehrere Mitbewohner des Hauses 499 Einzelfakten zur Anzeige gebracht. Die daraufhin eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahren seien eingestellt worden. Es handle sich beim Beklagten um einen extrem lärmempfindlichen Menschen, der auch normale Geräusche, die zwangsläufig in einem Mehrparteienhaus entstünden, nicht hinnehmen könne. Bei den betroffenen Mitbewohnern handle es sich um ältere Menschen, die durch diese Anzeigenflut in vollkommen unzumutbarer Weise beeinträchtigt würden. Er sei auch mehrfach erfolglos aufgefordert worden, sein rechtswidriges Verhalten einzustellen.

Der Beklagte beantragte die Aufhebung der Aufkündigung. Er fühle sich durch unzumutbaren Lärm seiner Nachbarn (lautes Türknallen, Bellen eines Hundes) in seiner Lebensqualität beeinträchtigt. Er sei depressiv und wehre sich lediglich gegen den täglichen Lärmterror. Seine Anzeigen seien berechtigt gewesen und hätten dazu geführt, dass nunmehr im Haus mehr Ruhe herrsche. Es gehe ihm nicht darum, Anzeigen zu schreiben, sondern bedürfe er besonderer Ruhe.

Das Erstgericht erklärte die gerichtliche Aufkündigung für wirksam und verpflichtete den Beklagten zur geräumten Übergabe des Bestandgegenstands. Der Beklagte habe über Jahre hinweg immer wieder gegen zwei Mieterinnen des Hauses Anzeigen wegen angeblicher Lärmerregungen erstattet. Tatsächlich hätten die beiden Mieterinnen jedoch niemals Lärm erregt, der über das hinausgehe, was in einem Mehrparteienwohnhaus üblich sei. Aufgrund der unberechtigten Anzeigen des Beklagten hätten sie in den Verwaltungsstrafverfahren, die größtenteils eingestellt worden seien, Rechtfertigungen erstatten und zu Einvernahmen erscheinen müssen. Das Verhalten des Beklagten sei als querulatorisch anzusehen. Die Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses mit ihm sei der Vermieterin nicht zumutbar.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahingehend ab, dass es die gerichtliche Aufkündigung aufhob und das Räumungsbegehren abwies. Der Beklagte sei ein extrem lärmempfindlicher Mensch. Seine Anzeigenerstattungen müssten daher auch im Lichte dieser ihm nicht vorwerfbaren Tatsache betrachtet werden, was dazu führe, dass ihm eine rein mutwillige Vorgehensweise nicht unterstellt werden könne. Auch wenn es für die beiden Mitbewohnerinnen fraglos störend sei, mit Anzeigen wegen Lärmverursachung konfroniert zu sein, erfülle das Verhalten des Beklagten in seiner Gesamtheit noch nicht den Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens im Sinn des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG. Darüber hinaus habe der Beklagte letztmals Ende März/Anfang April 2013 eine Anzeige erstattet.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beteiligte sich trotz Freistellung der Revisionsbeantwortung am Revisionsverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

1. Eine Kündigung wegen unleidlichen Verhaltens setzt eine erhebliche Störung des friedlichen Zusammenlebens voraus (RIS‑Justiz RS0070437), die durch längere Zeit fortgesetzt wird oder sich durch häufige Wiederholungen äußert (RIS‑Justiz RS0067678) und überdies nach ihrer Art das bei den besonderen Verhältnissen des einzelnen Falls erfahrungsgemäß geduldete Ausmaß übersteigt. Einmalige Vorfälle bilden den Kündigungsgrund nur, wenn sie schwerwiegend sind, jedoch können mehrere, an sich geringfügige Vorfälle den Kündigungstatbestand bilden (RIS‑Justiz RS0070303). Es kommt darauf an, ob ein gedeihliches Zusammenleben der Mitbewohner weiterhin gewährleistet ist (RIS‑Justiz RS0070303 [T7]). Es reicht, wenn das beanstandete Verhalten geeignet erscheint, auch nur einem Mitbewohner das Zusammenleben zu verleiden (RIS‑Justiz RS0070303 [T8]).

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts wird die Verwirklichung des Kündigungstatbestands nicht dadurch gehindert, dass ein Mieter subjektiv der Ansicht ist, er wäre mit seinem Verhalten, das anderen das Zusammenleben verleidet, im Recht. Vielmehr wird Verschulden des Mieters nicht vorausgesetzt (RIS‑Justiz RS0070243). Entscheidend ist, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als grob ungehöriges, das Zusammenleben verleidendes angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine geistige Erkrankung zurückgeführt werden kann (RIS‑Justiz RS0067733).

3. Auch haben Verhaltensänderungen nach Einbringung der Aufkündigung nur dann Einfluss auf das Schicksal der Aufkündigung, wenn der Schluss zulässig ist, dass die Wiederholung der bisherigen Unzukömmlichkeit auszuschließen ist (RIS‑Justiz RS0070340). Allgemein ist die Frage, ob der Mieter nach der Aufkündigung sein unleidliches Verhalten fortgesetzt hat unwesentlich. Es genügt, dass im Zeitpunkt der Aufkündigung die Voraussetzungen für diese vorhanden waren (RIS‑Justiz RS0067534).

4. Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass der besonders lärmempfindliche Beklagte, zwei Mitbewohnerinnen, obwohl sie keinen ungebührlichen Lärm verursachten, seit Jahren mit Anzeigen verfolgte, die gegenüber R***** H***** noch nie und gegenüber M***** K***** seit April 2010 zu keiner verwaltungsbehördlichen Verurteilung führten, wobei der Beklagte sich noch nicht einmal in jedem Fall sicher war, ob die Angezeigte das Faktum auch tatsächlich gesetzt hatte. Durch diese ständigen ‑ als unberechtigt zu qualifizierenden -Anzeigen fühlen sich die beiden Mitbewohnerinnen belästigt. Durch dieses Verhalten des Beklagten wird ihnen das Zusammenleben verleidet, wobei es auf eine subjektive Vorwerfbarkeit ‑ wie ausgeführt ‑ nicht ankommt. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte weiterhin davon ausgeht, dass tatsächlich die Mitbewohner des Hauses ein seinem extremen Lärmempfinden entsprechendes Verhalten zu setzen haben, bestehen mangels Einsicht auch keine Anhaltspunkte für eine Besserung des Verhaltens im Fall einer Aufhebung der Aufkündigung.

5. Die zutreffende Entscheidung des Erstgerichts war wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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