Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 6.086,40 (darin enthalten S 1.014,40 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger schloss als selbständiger Tapezierer im März 1996 bei der beklagten Partei bis zum 1. 3. 2006 eine Betriebsunterbrechungsversicherung ab, der (ua) die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsunterbrechungs-Versicherung für freiberuflich selbständig Tätige (ABUFT 1995) zugrundegelegt wurden.
Diese weisen ua folgende Bestimmungen auf:
Art 1
Was ist versichert? (Gegenstand der Versicherung)
1.) Soweit eine gänzliche oder teilweise Unterbrechung des versicherten Betriebes (Betriebsunterbrechung) durch einen Versicherungsfall (Art 2) verursacht wird, ersetzt der Versicherer nach den folgenden Bestimmungen den dadurch entstehenden Unterbrechungsschaden....
...
Art 2
Welche Gefahren sind gedeckt? (Versicherungsfall und versicherte Gefahren)
1.) Versicherungsfall ist eine durch einen Sach- oder Personenschaden (versicherte Gefahren gemäß Punkte 2 bis 3) verursachte Unterbrechung des versicherten Betriebes.
...
Art 3
Wo und wann besteht Versicherungsschutz?
(Örtlicher und zeitlicher Geltungsbereich)
...
2.) Personen- und Sachschäden sowie die Betriebsunterbrechung müssen während der Laufzeit des Vertrages unter Beachtung der §§ 38 ff VersVG eingetreten sein. Vom Versicherungsschutz ausgenommen ist daher ein Unterbrechungsschaden auf Grund einer Krankheit, die vor Versicherungsbeginn entstanden, bzw eines Unfalles, der vor Versicherungsbeginn eingetreten ist.
...
Art 6
Was versteht man unter Haftungszeitraum?
Wann endet der Unterbrechungszeitraum?
1. Die Haftung des Versicherers beginnt mit dem Zeitpunkt des Eintritts des Unterbrechungsschadens und endet mit dessen Beendigung (Punkt 2.), spätestens aber am darauffolgenden 365. Tag (Haftungszeitraum).
...
2. Der Unterbrechungsschaden endet
...
2. 2. mit der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit der versicherten
Person;
...
Die Streitteile vereinbarten eine Pauschalentschädigungsleistung von (im Ergebnis) S 2.000,-- pro Tag der Betriebsunterbrechung. Bei Vorliegen eines Personenschadens sei auch bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit (mindestens 50 %) Entschädigung zu leisten. Anlässlich der Abwicklung eines Schadensfalls zu Beginn des Jahres 1999 erklärte die beklagte Partei dem Kläger, von ihrem für einen solchen Fall eingeräumten Kündigungsrecht Gebrauch zu machen und kündigte den Versicherungsvertrag per 15. 6. 1999 auf. Am 8. 6. 1999 zog sich der Kläger beim Fußballspiel eine Knieverletzung zu und war deshalb von 9. 6. 1999 bis 26. 7. 1999 zu 100 % und sodann (jedenfalls) bis zur Wiedereröffnung seines Betriebs am 10. 8. 1999 zu 50 % arbeitsunfähig.
Der Kläger begehrte von der Beklagten zuletzt (nach Klagseinschränkung) eine Versicherungsleistung von S 112.000,-- sA (für 42 Tage je S 2.000,-- und für 28 Tage je S 1.000,--). Die Beendigung des Versicherungsvertrages per 15. 6. 2000 habe außer Betracht zu bleiben, weil ein "gedehnter" Versicherungsfall vorliege. Maßgeblich sei das Ereignis, das die Betriebsunterbrechung herbeigeführt habe. Dieses Ereignis müsse innerhalb des Haftungszeitraumes liegen.
Die beklagte Partei beantragte die Klage abzuweisen. Sie vertritt weiterhin den von ihr bereits vorprozessual eingenommenen Standpunkt, dem Kläger stehe lediglich der Betrag von S 14.000,-- für den Zeitraum von 9. 6. 1999 bis 15. 6. 1999, zu, da der Versicherungsvertrag und damit ihre Ersatzpflicht am 15. 6. 1999 geendet habe.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger S 104.000,-- sA zu bezahlen und wies das Mehrbegehren von S 8.000,-- ab. Dem Kläger stünden bei insgesamt 62 (nicht, wie er offenbar meine, 70) Tagen Betriebsunterbrechung für 42 Tage je S 2.000,-- und für die restlichen 20 Tage je S 1.000,-- zu. Die Beendigung des Versicherungsvertrages per 15. 6. 1999 habe außer Betracht zu bleiben, weil ein "gedehnter" Versicherungsfall vorliege. Maßgeblich sei das Ereignis, das die Betriebsunterbrechung herbeigeführt habe. Dieses Ereignis müsse innerhalb des Haftungszeitraumes liegen. Das nur von der beklagten Partei angerufene Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Da sich der gegenständliche Versicherungsfall, nämlich die Betriebsunterbrechung auf Grund der einen Personenschaden iSd Art 2.3. ABUFT 1995 darstellenden Verletzung des Klägers, über einen gewissen Zeitraum erstreckt habe, liege - wie vom Erstgericht zutreffend ausgeführt - ein "gedehnter Versicherungsfall" vor. Die Konstellation, dass sich die Betriebsunterbrechung über das Vertragsende hinaus dehne, sei aber weder im vorliegenden Versicherungsvertrag noch in den ABUFT 1995 ausdrücklich geregelt. Den (nach Vertragsauslegungsgrundsätzen, die sich am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer zu orientieren hätten, auszulegenden) Bestimmungen der Art 3.2., 6.1. und 6.2. ABUFT 1995 sei eine Haftungsbeschränkung im Fall des gedehnten Versicherungsfalles auf die Vertragsdauer nicht zu entnehmen. Vielmehr deute insbesondere Art 6.1. ABUFT 1995 darauf hin, dass keine Haftungsbegrenzung auf die Vertragsdauer bestehe, weil als haftungsbeendend nur die Fälle des Schadensendes oder der Ablauf der 365-Tagesfrist geregelt seien. Selbst wenn man aber Auslegungszweifel annehmen würde, wären diese nach der Unklarheitenregelung des § 915 ABGB zu Lasten der beklagten Partei zu lösen. Das Berufungsgericht schließe sich auch für die vorliegende Fallkonstellation der vom Obersten Gerichtshof zu 5 Ob 529/95 in einem Haftpflichtversicherungsfall vertretenen und mit den Lehrmeinungen Schauers und Krejcis übereinstimmenden Ansicht an, dass der Versicherer bei einem gedehnten Versicherungsfall - mangels abweichender Vereinbarung - für den gesamten eingetretenen Schaden auch über die Vertragsdauer hinaus zu haften habe.
Zur Begründung seines Zulassungsausspruches führte das Berufungsgericht aus, zur Frage der Ersatzpflicht im Falle eines gedehnten Versicherungsfalles liege zwar die erwähnte oberstgerichtliche Entscheidung für den Bereich der Privathaftpflichtversicherung im Zusammenhang mit den ABH vor, nicht aber für den Fall einer Betriebsunterbrechungsversicherung und den ABUFT 1995; der Frage einer Haftung über die Vertragsdauer hinaus komme über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. In der Revision macht die beklagte Partei unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend und beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Kläger lediglich ein Betrag von S 14.000,-- samt 4 % Zinsen seit 10. 9. 1999 zuerkannt, das darüber hinausgehende Klagebegehren aber abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung dem Rechtsmittel der Prozessgegnerin keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Wesentlicher Streitpunkt des vorliegenden Prozesses ist allein die Frage, ob die beklagte Partei dem Kläger über das formelle Ende (vgl Wriede in Bruck/Moeller VVG8, VI 2, D 16) des gegenständlichen Vertragsverhältnisses hinaus die vereinbarte pauschalierte Entschädigungsleistung bis zur Beendigung der durch die Verletzung des Klägers vom 8. 6. 1999 bedingten Betriebsunterbrechung zu erbringen hat, oder nicht.
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass dem vorliegenden Rechtsstreit ein sog. "gedehnter Versicherungsfall" zugrundeliegt (Schauer, Versicherungsvertragsrecht3, 161; ders. in Fenyves/Kronsteiner/Schauer VersVG-Novellen Rz 23 zu § 178b; 5 Ob 529/95; zum Begriff des gedehnten Versicherungsfalles in der - insoweit nicht ganz vergleichbaren - Haftpflichtversicherung siehe 7 Ob 14/90 = SZ 63/64 = VersR 1991, 486 = VR 1991, 255/243 = RdW 1992, 13 = VersE 1474). Für die Annahme eines gedehnten (gestreckten) Versicherungsfalles ist wesentlich und maßgeblich nicht etwa das schrittweise Eintreten des Ereignisses, sondern die Tatsache, dass ein bestimmter Zustand fortdauert. Dabei darf die Fortdauer des Ereignisses nicht nur die Pflicht des Versicherers zur Leistung begründen, sondern muss den Umfang der Versicherungsleistung im Einzelfall bestimmen (BGH VersR 1989, 588; Schwintovsky in BK Rz 47 zu § 1 VVG; Prölss in Prölss/Martin VVG26 Rz 33 zu § 1 VVG). Gedehnte Versicherungsfälle sind auch in anderen Versicherungszweigen denkbar; typisch sind sie in der Feuer- und in der Krankenversicherung (Schwintovsky aaO), aber wohl auch, wie der vorliegende Fall deutlich macht, in der Betriebsunterbrechungsversicherung: auch hier beschränkt sich der Versicherungsfall (der nach der Definition des Art 2.1. ABUFT 1995 eine durch einen Sach- oder Personenschaden verursachte Unterbrechung des versicherten Betriebes ist) nicht auf ein zeitlich punktuelles Ereignis, sondern erstreckt sich regelmäßig über eine - kürzere oder längere - Zeitspanne, die im Einzelfall, entsprechend der im Versicherungsvertrag getroffenen Vereinbarung, den Umfang der Versicherungsleistung bestimmt.
Endet der Versicherungsvertrag, wie im vorliegenden Fall, während des gedehnten Versicherungsfalles, so hat der Versicherer nach hM regelmäßig auch die Schäden zu decken, die das nach dem Versicherungszeitraum ablaufende Geschehen mit sich bringt (Prölss aaO; Wriede aaO mwH; OLG Karlsruhe VersR 1995, 1341). Liegt der Beginn des gedehnten Versicherungsfalles innerhalb des Haftungszeitraumes ist also der Versicherer ungeachtet der Beendigung des Versicherungsvertrages in vollem Umfang zur Leistung verpflichtet (Schwintovsky aaO Rz 48 zu § 1; Möller, Gedanken zum gedehnten Versicherungfall, in FS Eichler 411 [423]). Dies gilt selbstverständlich vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen, wobei die Allgemeinen Versicherungsbedingungen vielfach dafür besondere Regelungen enthalten (Schauer, Versicherungsvertragsrecht3 161 unter Hinweis auf § 6 MBKV). Die dem gegenständlichen Versicherungsverhältnis zugrundegelegten ABUFT 1995 weisen, wie schon das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, zwar keine ausdrückliche diesbezügliche Regelung auf. Die Ansicht der zweiten Instanz, Art 6.1. der genannten Bedingungen, der den Haftungszeitraum (allenfalls) erst mit 360 Tagen nach Beendigung des Unterbrechungsschadens begrenzt, lasse annehmen, dass in gedehnten Versicherungsfällen keine Haftungsbegrenzung auf die Vertragsdauer bestehe, ist allerdings zu teilen. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen nach stRsp nach Vertragsauslegungsgrundsätzen (§§ 914 ff ABGB) zu erfolgen und sich daher am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren hat (RIS-Justiz RS0050063 mwN). Die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen sind, wenn sie - wie hier - nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901). In allen Fällen ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu berücksichtigen (stRsp, zuletzt etwa 7 Ob 147/00v; 7 Ob 234/00p). Dass ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer die gegenständlichen Versicherungsbedingungen in dem dargelegten Sinn dahin verstehen wird, dass es genügt, wenn der Beginn des gedehnten Versicherungsfalles in die Versicherungsdauer fällt und dass der "Überhang" noch zu Lasten des auslaufenden Versicherungsvertrages geht, ist nicht zu bezweifeln.
Schließlich ist auch die Auffassung des Berufungsgerichtes, selbst wenn man hier aber doch Auslegungszweifel annähme, müsste dies gemäß § 915 ABGB zu Lasten des Versicherers, hier also der beklagten Partei, gehen, zu billigen (vgl dazu die von Prölss aaO angestellten Überlegungen, Auslegungszweifel seien schon aus dem gewichtigen Interesse der Versicherungsnehmer an der Deckung "überhängender" Schäden herzuleiten, weil dafür bei anderen Versicherern in der Regel kein Versicherungsschutz erlangt werden könne).
Damit erweist sich die Ansicht der Vorinstanzen, die beklagte Partei habe dem Kläger über den 15. 6. 1999 hinaus bis zur Beendigung der Betriebsunterbrechung am 10. 8. 1999 die vereinbarte Entschädigungsleistung zu erbringen, frei von Rechtsirrtum. Die Höhe des Anspruches des Klägers bildet im Revisionsverfahren keinen Streitpunkt mehr.
Die Revision muss daher erfolglos bleiben.
Der Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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