OGH 7Ob1/16x

OGH7Ob1/16x27.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* S*, vertreten durch Mag. Johann Juster, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei N* AG, *, vertreten durch die Dr. Gerhard Röster Rechtsanwalt KG in Zwettl, wegen Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen beider Parteien, gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Berufungsgericht vom 29. Oktober 2015, GZ 1 R 127/15d‑60, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E113613

 

Spruch:

Beide außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Dem von den Parteien abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 1994) zugrunde, die auszugsweise lauten:

„Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen;

...

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) von der Verpflichtung zur Leistung frei.

...

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?

Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)

...

2. ...

Kommt (der Versicherer) nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts- und Beweislage zum Ergebnis,

...

2.2. dass diese Aussicht auf Erfolg nicht hinreichend, d.h. ein Unterliegen in einem Verfahren wahrscheinlicher ist als ein Obsiegen, ist er berechtigt, die Übernahme der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten abzulehnen;

Das Berufungsgericht bejahte die Deckungspflicht der Beklagten für die dem Kläger selbst entstehenden Kosten in fünf Streitverfahren gegen Sachverständige. Das im zweiten Rechtsgang nur mehr einen Aktivprozess betreffende Mehrbegehren hinsichtlich der an die Gegenseite zu zahlenden Kosten wies das Berufungsgericht ab. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Beide Parteien machen in ihren außerordentlichen Revisionen keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO geltend:

A. Zur Revision des Klägers:

1. Die vom Kläger bekämpfte Ansicht des Berufungsgerichts, wonach die Verletzung der in Art 9.4. ARB 1994 (§ 158l Abs 2 VersVG) vorgesehenen Pflicht des Versicherers zum Hinweis auf ein mögliches Schiedsgutachterverfahren nur gegenüber einem nicht anwaltlich vertretenen Versicherungsnehmer (§ 158m Abs 1 VersVG) mit der strengen zivilrechtlichen Sanktion der Anerkennung des Versicherungsanspruchs verbunden ist, entspricht höchstgerichtlicher Judikatur (RIS-Justiz RS0116837; RS0110865). Die Ausführungen des Klägers geben keinen Anlass, von dieser Rechtsansicht abzugehen.

2. Die Beurteilung, dass ein Unterliegen des Klägers im Prozess gegen den namentlich bezeichneten Sachverständigen wahrscheinlicher sei als sein Obsiegen, ist eine aufgrund einer Prognose zu treffende und daher typisch einzelfallbezogene Entscheidung. Das Berufungsgericht hat sich darauf gestützt, dass der Kläger mehrere Sachverständige aus verschiedenen Fachbereichen wegen vermeintlich unrichtiger Gutachten im Wesentlichen mit der bloßen Behauptung in Anspruch nehmen will, diese hätten bei richtiger Würdigung und Beurteilung seines Zustands zu für ihn günstigeren Ergebnissen kommen müssen. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass bei dieser Sachlage ein Unterliegen des Klägers wahrscheinlicher sei als ein Obsiegen, ist jedenfalls nicht unvertretbar.

B. Zur Revision der Beklagten:

1. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe seine spontane Aufklärungspflicht nach Art 8.1.1. ARB 1994 deshalb verletzt, weil er ihr ärztliche Befunde nicht übermittelt habe. Es steht jedoch nicht fest, dass die Beklagte vom Kläger die Vorlage einer Dokumentation seiner Behandlung verlangte (vgl RIS‑Justiz RS0105784 [T3]), womit die Beklagte den sie treffenden Nachweis einer Obliegenheitsverletzung nicht erbracht hat (7 Ob 210/14d mwN; vgl RIS‑Justiz RS0043510; RS0043728; RS0081313).

2. Im Deckungsprozess haben Beweisaufnahmen und Feststellungen zu im Haftpflichtprozess relevanten Tatfragen (RIS‑Justiz RS0124256) sowie die Vorwegnahme der dortigen Beweiswürdigung zu unterbleiben (RIS‑Justiz RS0081927). Die von der Beklagten gewünschte Begutachtung des Klägers soll gerade der vorweg genommenen Prüfung und Würdigung von Tatsachen dienen, die erst Gegenstand des Haftpflichtprozesses sein sollten (7 Ob 103/08k). Die Ablehnung einer solchen Gutachtenseinholung durch den Kläger begründet daher keine Obliegenheitsverletzung.

C. Ergebnis:

Im Ergebnis stellt sich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Vielmehr hält sich die Entscheidung des Berufungsgerichts in dem durch bereits vorliegende Rechtsprechung und vertretbare Rechtsanwendung gezogenen Rahmen. Beide außerordentlichen Revisionen sind somit unzulässig und zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

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