OGH 7Nc7/22x

OGH7Nc7/22x8.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. M*, vertreten durch Mag. Irmgard Neumann, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei B*, Vereinigtes Königreich, wegen 383,69 EUR sA, über den Ordinationsantrag der klagenden Partei den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070NC00007.22X.0408.000

 

Spruch:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Bezirksgericht Schwechat bestimmt.

 

Begründung:

[1] Mit einer an das Bezirksgericht Schwechat gerichteten Klage vom 24. 11. 2021 begehrte der Kläger, das beklagte Flugunternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich zur Zahlung von 383,69 EUR zu verurteilen. Er stützte sich dabei auf die Verordnung 261/2004/EG über Fluggastrechte (in der Folge: „FluggastrechteVO“). Der bei der Beklagten gebuchte Flug hätte von Wien‑Schwechat nach London geführt, sei jedoch storniert worden. Er begehre die Mehrkosten für einen selbst gebuchten Ersatzflug.

[2] Mit Beschluss vom 13. 12. 2021 wies das Bezirksgericht Schwechat die Klage mangels internationaler Zuständigkeit zurück.

[3] Mit seinem Ordinationsantrag gemäß § 28 JN beantragt der Kläger die Ordination des Bezirksgerichts Schwechat als für die Klage örtlich zuständiges Gericht. Das Vereinigte Königreich gelte seit 1. 1. 2021 als Drittland, die EuGVVO sei nicht anwendbar. Die Rechtsverfolgung im Ausland sei dem Kläger nicht zumutbar. Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen in Zivil- und Handelssachen (HGÜ) sei mangels Gerichtsstandsvereinbarung nicht anwendbar. Eine Klage im Vereinigten Königreich wäre unzumutbar, weil der Aufwand in keinem Verhältnis zum Klagsbetrag stünde. Sollte im Falle, dass die Beklagte dem Urteil keine Folge leiste, eine Exekution zu führen sein, wäre eine Vollstreckung einer englischen Entscheidung in Österreich nicht möglich, obwohl die Beklagte Österreich weiterhin anfliege und Vollstreckungshandlungen in Österreich möglich wären.

[4] Die Voraussetzungen für eine Ordination durch den Obersten Gerichtshof sind gegeben:

Rechtliche Beurteilung

[5] 1. An die rechtskräftige Verneinung der internationalen Zuständigkeit des von der Klägerin angerufenen Bezirksgerichts Schwechat ist der Oberste Gerichtshof gebunden (2 Nc 12/19s mwN).

[6] 2. Für den Fall, dass für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nicht gegeben oder nicht zu ermitteln sind, bestimmt § 28 Abs 1 Z 2 JN, dass der Oberste Gerichtshof aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen hat, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre.

[7] 3. § 28 Abs 1 Z 2 JN soll Fälle abdecken, in denen trotz Fehlens eines inländischen Gerichtsstands ein Bedürfnis nach Gewährung von inländischem Rechtsschutz besteht, weil die Sache ein Naheverhältnis zum Inland aufweist und im Einzelfall eine effektive Klagemöglichkeit im Ausland fehlt (RS0057221 [T4]). Letzteres wird insbesondere dann angenommen, wenn eine Exekution im Inland angestrebt wird, eine am Sitz des Beklagten ergangene Entscheidung hier aber nicht vollstreckt würde (RS0046148 [T17]).

[8] Dem Vorbringen des Klägers lässt sich hier (noch) ausreichend deutlich ableiten, dass er die Vollstreckung in Österreich anstrebt.

[9] 4. Der Oberste Gerichtshof hat Ordinationsanträgen bereits in einer Vielzahl von Fällen stattgegeben, wenn der Kläger Ansprüche nach der EU‑FluggastVO sonst in einem Drittstaat einklagen müsste und zwischen diesem Drittstaat und Österreich kein Vollstreckungsübereinkommen besteht (Länderbeispiele in RS0046148).

[10] 5. Auch im Verhältnis zum seit 1. 1. 2021 als Drittstaat anzusehenden Vereinigten Königreich (vgl Art 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl L 2020/29, 7 [in der Folge nur: Austrittsabkommen]) liegt nunmehr eine vergleichbare Situation vor:

[11] 5.1. Entscheidungen eines britischen Gerichts, die in einem nach dem Ablauf des 31. 12. 2020 eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ergehen, können nicht mehr nach den Regeln der EuGVVO vollstreckt werden (Art 67 Abs 2 lit a Austrittsabkommen e contrario). Auch eine Vollstreckung britischer Entscheidungen in Österreich nach dem EuGVÜ oder dem LGVÜ kommt nicht in Betracht (vgl Exenberger/Karl, Anerkennung und Vollstreckung zivilgerichtlicher Entscheidungen Post-Brexit, ecolex 2021/227, 320; vgl auch Cap, BREXIT – Die justizielle Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich in Zivilrechtssachen nach 31. 12. 2020, RZ 2021, 124 [127 f]). Es bleibt damit – jedenfalls im hier zu beurteilenden Fall (vgl zum Anwendungsbereich des HGÜ: Tretthahn-Wolski/Förstel-Cherng, Nein zu Lugano – zu den Auswirkungen des harten Brexits auf Cross-Border-Streitigkeiten, ÖJZ 2021/92, 708) – nur ein (allfälliger: vgl Cap, RZ 2021, 128) Rückgriff auf den bilateralen Vollstreckungsvertrag.

[12] 5.2. Nach dem Vertrag zwischen der Republik Österreich und dem Vereinigten Königreich über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl 1962/224, werden aber grundsätzlich nur Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen eines „oberen Gerichts“ (Art II Abs 1 iVm Art I Z 2 lit a; vgl aber die Günstigkeitsklausel des Art II Abs 2 [Cap, RZ 2021, 128]) nach einem (auch Fragen der Zuständigkeit umfassenden) Exequaturverfahren (Art III) anerkannt und vollstreckt.

[13] 5.3. Da dem Kläger hier im Hinblick auf die geringe Höhe seiner Forderung die Erlangung einer Entscheidung eines britischen „oberen Gerichts“ kaum möglich sein wird, ist insgesamt von einer faktischen Unmöglichkeit der Exekutionsführung in Österreich aufgrund eines im Vereinigten Königreich erlangten Titels auszugehen.

[14] 6. Insgesamt sind damit die Voraussetzungen für eine Ordination nach § 28 Abs 1 Z 2 JN als erfüllt anzusehen (im Ergebnis ebenso bereits 6 Nc 1/22g).

[15] 7. Bei der Auswahl des zu bestimmenden Gerichts ist auf die Kriterien der Sach- und Parteinähe sowie der Zweckmäßigkeit Bedacht zu nehmen (vgl RS0106680 [T13]). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben hat eine Zuweisung an das Bezirksgericht Schwechat zu erfolgen, lag doch der Abflugort in dessen Sprengel und wurde die Klage bereits bei diesem Gericht behandelt (vgl 7 Nc 21/19a, 6 Nc 31/20s uva).

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