European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0070NC00002.19G.0214.000
Spruch:
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts W***** vom 22. November 2018, GZ 91 Ps 2/17y‑50, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht G***** wird genehmigt.
Begründung:
Die Eltern des Minderjährigen waren Lebensgefährten, der Mutter kam die alleinige Obsorge zu. Die Eltern trennten sich etwa zwei Jahre nach der Geburt des Kindes. Der Vater beantragte 2016 ein vorläufiges Kontaktrecht und die Festsetzung der gemeinsamen Obsorge. In der Folge wurden bei zwei gerichtlichen Tagsatzungen, die ausschließlich diesem Thema gewidmet waren, Vergleiche über das Kontaktrecht geschlossen und eine Stellungnahme der Familiengerichtshilfe eingeholt.
Zuletzt ordnete das Erstgericht die vorläufige gemeinsame Obsorge bei hauptsächlichem Aufenthalt des Kindes bei der Mutter an und trug den Eltern 10 mal (davon 8 mal gemeinsam) den Besuch einer Elternberatung auf.
Als danach bekannt wurde, dass die Mutter mit dem Kind nach O***** verzogen ist, übertrug das Erstgericht die Pflegschaftssache an das Bezirksgericht G*****, das die Übernahme mit der Begründung ablehnte, dass sich das Erstgericht bereits umfangreich mit dem Akt auseinandergesetzt und in Verhandlungen einen persönlichen Eindruck von den Eltern erhalten und seine Entscheidung über das vorläufige Kontaktrecht auch auf diesen persönlichen Eindruck gestützt habe.
Das übertragende Gericht legt nun den Akt dem Obersten Gerichtshof als gemeinsam übergeordnetem Gericht zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Übertragung ist berechtigt.
1. Die Übertragung der Zuständigkeit an ein anderes Gericht nach § 111 Abs 1 JN setzt voraus, dass dies im Interesse des Pflegebefohlenen gelegen erscheint. Das trifft dann zu, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird (7 Nc 13/16w; RIS‑Justiz RS0046929). Die Bestimmung nimmt darauf Bedacht, dass ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Pflegschaftsgericht und dem Pflegebefohlenen in der Regel zweckmäßig und von wesentlicher Bedeutung ist, weshalb die Pflegschaftsaufgaben grundsätzlich von jenem Gericht wahrgenommen werden sollen, in dessen Sprengel der Mittelpunkt der Lebensführung liegt (7 Nc 13/16w; RIS‑Justiz RS0049144, RS0047027 [T10]).
2. Offene Anträge sprechen nicht grundsätzlich gegen eine Zuständigkeitsübertragung (RIS‑Justiz RS0047027 [T8]; RS0046895; RS0046929 [T3]), es sei denn, zu deren Erledigung wäre das bisher zuständige Gericht effizienter geeignet (2 Nc 31/14b mwN), oder dem übertragenden Gericht käme zur Entscheidung eine besondere Sachkenntnis zu (RIS‑Justiz RS0047032). Letzteres trifft hier nicht zu, weil das übertragende Gericht zum Obsorgeantrag bislang selbst keine unmittelbaren Beweisaufnahmen durchgeführt hat (7 Nc 13/16w mwN).
Es hat hier zwar eine Entscheidung über die vorläufige Obsorge beider Eltern getroffen, die weitere Vorgangsweise aber an den (großteils gemeinsamen) Besuch einer Elternberatung geknüpft, gegen den – nach erfolglosem Rekurs – mittlerweile die Mutter mit Verweis auf gesundheitliche Umstände opponiert hat. Eine endgültige Entscheidung steht daher nicht unmittelbar an, weshalb auch der bislang vom Erstgericht erlangte persönliche Eindruck beim Kontaktrechtsvergleich keine besondere Sachkenntnis und keinen Effizienzgewinn erkennen lässt, der gegen die Zuständigkeitsübertragung wegen des offenen Obsorgeantrags sprechen könnte.
3. Die Übertragung ist daher zu genehmigen.
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