European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:E132660
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Der damals 4‑jährige Kläger stürzte im Jahr 2017 beim Herabsteigen von einem 55 cm hohen Holzpodest des im Garten eines von der Beklagten betriebenen Kindergartens errichteten Spielgeräts auf den drei dazu zu überwindenden Stufen und verletzte sich. Nunmehr steht fest, dass bei diesem Spielgerät die Ausführung der Stufen in unterschiedlicher (statt gleicher) Stufenhöhe – nämlich zwischen 14 und 23 cm – nicht der einschlägigen EN‑Norm entsprochen hatte. Die Beklagte hatte das Spielgerät im Jahr 2003 von einem deutschen Hersteller, einem Fachunternehmen, erworben und es von der Nebenintervenientin, ebenfalls einer Fachunternehmerin, aufstellen lassen.
[2] Das Berufungsgericht wies Schadenersatz- und Feststellungsbegehren des Klägers ab. Es ließ die ordentliche Revision auf Antrag des Klägers nachträglich zu, weil Judikatur zu vergleichbaren Sachverhalten fehle und nicht ausgeschlossen werden könne, dass an einen Kindergartenbetreiber betreffend die Erkennbarkeit der nicht normgerechten Ausführung des Spielgeräts nicht doch ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab (§ 1299 ABGB) anzulegen sei.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
[4] 1. Nach § 1313a ABGB haftet, wer einem anderen zu einer Leistung verpflichtet ist, diesem für das Verschulden der Personen, deren er sich zur Erfüllung bedient, wie für sein eigenes. Bei der Zurechnung selbständiger Unternehmer nach § 1313a ABGB kommt es besonders auf den konkreten Inhalt des Vertrags zwischen dem Geschäftsherrn und dessen Gläubiger und die dabei übernommenen Sorgfaltspflichten an; es ist also entsprechend den verschiedenen Vertragstypen und der jeweiligen konkreten Vereinbarung zu prüfen, ob bloß der „Einkauf“ eines „Produktes“ am Markt oder die Gestaltung einer Leistung mit vom Schuldner betrauten „Gehilfen“ übernommen wird (6 Ob 185/18a; 8 Ob 106/12i [ErwGr VI.2.]). Dazu wurde bereits ausgesprochen, dass etwa ein Gastwirt für Fehler des Installationsunternehmens im Rahmen von Lieferung und Montage eines in einer Toilettenanlage montierten Waschbeckens nicht nach § 1313a ABGB haftet, weil diese Vorbereitungsarbeiten weder einen Teil der Erfüllungshandlungen gegenüber dem Gast darstellten noch damit in einem engen Zusammenhang standen (6 Ob 185/18a; vgl auch 2 Ob 185/97p).
[5] Auch im vorliegenden Fall hat die Beklagte das Spielgerät bei einem Fachunternehmen lediglich zugekauft und von der Nebenintervenientin montieren lassen. Die vom Berufungsgericht im Ergebnis vertretene Ansicht, die Beklagte hafte nicht für die nicht normgerechte Herstellung des Spielgeräts, findet Deckung in der erörterten Rechtsprechung.
[6] 2.1. Verkehrssicherungspflichten treffen nicht nur denjenigen, der eine Gefahrenquelle schafft, sondern auch denjenigen, der eine Gefahrenquelle in seiner Sphäre bestehen lässt (RS0023719). Voraussetzung jeder Verkehrssicherungspflicht ist, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter – jeweils im Einzelfall – bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist (RS0023801) und die Gefahr durch zumutbare Maßnahmen abgewendet werden kann (RS0023442; RS0023397). Auch vertragliche Verkehrssicherungspflichten dürfen nicht überspannt werden (RS0023487 [T17]); es sind nur jene Maßnahmen zu ergreifen, die nach der Verkehrsauffassung verlangt werden können. Ein darüber hinausgehendes Verlangen würde die Verkehrssicherungspflicht überspannen und letzten Endes auf eine vom Gesetz nicht vorgesehene, vom Verschulden unabhängige Haftung hinauslaufen (RS0023950 [T13]). Das, was der Erzeuger eines Spielgeräts verabsäumt, muss nicht ohne weiteres auch ein Versäumnis dessen darstellen, der bei der Ausstattung eines Spielplatzes auf ein durchaus übliches Spielgerät eines Fachunternehmens zurückgreift (5 Ob 540/94).
[7] 2.2. Jeder, der eine besondere Tätigkeit ausübt, hat auch dafür einzustehen, dass er die nötigen Fähigkeiten hat (RS0026557). Sachverständiger ist dabei jeder, der eine Tätigkeit ausübt, die besondere Fähigkeiten erfordert (RS0026557 https://www.ris.bka.gv.at/JustizEntscheidung.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20040210_OGH0002_0040OB00012_04Z0000_000&IncludeSelf=Falsehttps://www.ris.bka.gv.at/JustizEntscheidung.wxe?Abfrage=Justiz&Dokumentnummer=JJT_20040210_OGH0002_0040OB00012_04Z0000_000&IncludeSelf=False ]). § 1299 ABGB gilt für alle Berufe und Geschäfte, die eine besondere Sachkenntnis und Anstrengung erfordern (RS0026514 [T10]). Der vom Sachverständigen dabei einzuhaltende Sorgfaltsmaßstab wird durch die typischen und demnach objektiv bestimmten Fähigkeiten eines Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises bestimmt. Entscheidend ist der Leistungsstandard der betreffenden Berufsgruppe (RS0026541; vgl 5 Ob 590/84 und 1 Ob 93/00h [Gemeinde als Campingplatzbetreiberin]). Ob dieser Sorgfaltsmaßstab im konkreten Fall eingehalten wurde, wirft wegen ihrer Einzelfallbezogenheit grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0026541 [T4]; RS0026535 [T8]).
[8] 2.3. Im vorliegenden Fall wurde das Spielgerät bereits im Jahr 2003 aufgestellt; seither kam es bis zum gegenständlichen Vorfall offenbar zu keinerlei Unfällen. Das Gerät wurde wöchentlich durch die Mitarbeiter der Beklagten einer optischen Kontrolle unterzogen. Erst im Verfahren im Wege eines Sachverständigengutachtens ist hervorgekommen, dass die Ausführung der Stufen am Spielgerät nicht normgerecht war. Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte keine Herstellerpflichten trafen (siehe 1.), hat das Berufungsgericht mit seiner Ansicht, die Beklagte habe eine von der unterschiedlichen Stufenhöhe ausgehende Gefahr nicht erkennen können und müssen, weshalb ihr kein Sorgfaltsverstoß anzulasten sei, auch gemessen an der Sorgfalt eines sorgfältigen Kindergartenbetreibers den ihm zur Verfügung stehenden Beurteilungsspielraums nicht überschritten.
[9] 3. Da somit Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu beurteilen sind, war die Revision zurückzuweisen.
[10] 4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Ein Streitgenossenzuschlag (§ 15 RATG) gebührt der Nebenintervenientin nicht, weil ihr nur eine Partei gegenüberstand. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung – im Gegensatz zur Nebenintervenientin – nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen undauch nicht deren Zurückweisung beantragt; sie hat daher dieKosten ihrer Rechtsmittelbeantwortung selbst zu tragen (RS0035962; RS0035979).
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