European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0060OB00075.13T.0422.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf Bestimmung der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.
Begründung
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) ‑ Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:
1. Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob zugleich mit einer Rückführungsentscheidung nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl 512/1980, (HKÜ) Anordnungen über deren Vollzug getroffen werden können, ob also Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren sofort kombiniert werden dürfen.
Die Vorinstanzen haben die Antragsgegnerin und Mutter des minderjährigen David nicht nur verpflichtet, diesen binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückführungsanordnung in die Slowakei zurück zu führen, sondern für den Fall, dass die Antragsgegnerin dieser Verpflichtung nicht nachkommen sollte, die Antragsgegnerin und jede andere Person, bei der sich das Kind aufhält, angewiesen, dieses an den Antragsteller und Vater des Kindes oder an eine von diesem bestimmte Person zum Zweck der Rückführung in die Slowakei heraus zu geben. Zum Vollzug dieser Verpflichtungen ordneten die Vorinstanzen weiters an, dass der Gerichtsvollzieher beauftragt und ermächtigt werde, das Kind der Antragsgegnerin oder jeder anderen Person, bei der es sich aufhält, wegzunehmen ‑ dies auch zur Nachtzeit sowie an Sonn- und Feiertagen und unter Hinzuziehung polizeilicher Vollzugsorgane ‑ sowie dem Antragsteller oder einer von ihm bestimmten Person an Ort und Stelle zu übergeben und zur Durchsetzung der Herausgabe unmittelbaren Zwang gegen jede zur Herausgabe verpflichtete Person gemäß § 110 Abs 4 AußStrG anzuwenden, wobei gegebenenfalls auch unmittelbarer Zwang gegen das Kind angeordnet werden könne. Schließlich ersuchten die Vorinstanzen den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger um Unterstützung bei der Durchsetzung der Rückführungsentscheidung und wiesen die Antragsgegnerin auf die Möglichkeit hin, dass bei Zuwiderhandlung gegen die Rückführungsverpflichtung Geldstrafen bis 100.000 EUR und Beugehaft verhängt werden könnten.
1.2. Art 11 Abs 3 Brüssel IIa-VO ordnet ausdrücklich an, dass das Gericht, bei dem die Rückgabe eines Kindes beantragt wird, sich mit gebotener Eile mit dem Antrag zu befassen und dabei der zügigsten Verfahren des nationalen Rechts zu bedienen hat; Art 11 HKÜ verlangt ein Handeln der Behörden des Zufluchtsstaats mit der gebotenen Eile. Diese Beschleunigungsgebote gelten auch für das Vollstreckungsverfahren (Rauscher in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht [2010] Art 11 Brüssel IIa‑VO Rz 15 mit weiteren Nachweisen aus der deutschen Literatur). Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot können unter Umständen Art 6 und 8 EMRK verletzen (Kaller-Pröll in Fasching/Konecny, ZPO² Bd V/2 [2010] Art 11 EuEheKindVO Rz 7 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR).
1.3. In Österreich sind diese Vorgaben internationalen Rechts mit dem Außerstreitgesetz umgesetzt (vgl § 5 Abs 3 Durchführungsgesetz BGBl 513/1988; Kaller‑Pröll aaO Rz 3). Dieses ordnet die sinngemäße Anwendung der Bestimmungen seines 7. Abschnitts (§§ 104 bis 110) auch auf Verfahren nach dem HKÜ an.
Nach § 110 Abs 1 AußStrG ist damit zwar eine Vollstreckung nach der Exekutionsordnung zur zwangsweisen Durchsetzung einer Rückführungsentscheidung nach dem HKÜ beziehungsweise nach Art 10, 11 Brüssel IIa-VO ausgeschlossen. Das Gericht hat aber nach Abs 2 angemessene Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG anzuordnen (zur konkreten Vorgangsweise näher 4 Ob 58/10y EF-Z 2010/166), wobei die Einleitung des Vollstreckungsverfahrens auch von Amts wegen erfolgen kann.
1.4. Voraussetzung für eine zwangsweise Durchsetzung einer Rückführungsanordnung ist im Hinblick auf § 43 AußStrG die Rechtskraft der Entscheidung (sofern nicht die Voraussetzungen des § 44 AußStrG vorliegen), worauf die Vorinstanzen auch ausdrücklich Bezug genommen und eine Leistungsfrist von 14 Tagen nach Rechtskraft angeordnet haben. Da nach diesem Zeitpunkt die zwangsweise Durchsetzung keines Parteienantrags bedarf, sondern auch von Amts wegen angeordnet werden kann, hegt der Oberste Gerichtshof keine Bedenken gegen die von den Vorinstanzen vertretene Auffassung und die von ihnen gewählte Vorgangsweise, Rückführungsanordnung und deren amtswegige Durchsetzung für den Fall ihrer Nichtbefolgung in einem Beschluss zu verbinden. Da Österreich nach internationalen Vorgaben gehalten ist, Rückführungsverfahren einschließlich der Vollstreckung von Rückführungsentscheidungen mit gebotener Eile und unter Anwendung des zügigsten Verfahrens des nationalen Rechts durchzuführen, ist eine sofortige Anordnung der zwangsweisen Durchsetzung der Rückführungsentscheidung für den Fall eines Zuwiderhandelns jedenfalls dann zulässig, wenn der Entführer ‑ wie hier die Mutter anlässlich ihrer Einvernahme vor dem Erstgericht ‑ bereits im Rückführungs‑(titel‑)verfahren ausdrücklich erklärt, dass er im Fall einer „rechtskräftigen letztinstanzlichen Rückkehranordnung“ das Kind dennoch „nie freiwillig herausgeben“ werde.
Auch Zuständigkeitsüberlegungen sprechen nicht gegen eine solche Vorgangsweise, sind doch Titel- und Vollstreckungsgericht im Hinblick auf § 5 Abs 1 Durchführungsgesetz BGBl 513/1988 ident (4 Ob 58/10y; Gitschthaler in Kodek/Schwimann, ABGB4 [2012] § 146b Rz 19).
1.5. Da bislang eine konkrete Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu dieser vom Rekursgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage zwar nicht bestand, sich die Lösung dieser Rechtsfrage aber aus den gesetzlichen Grundlagen eindeutig ableiten lässt (§§ 111a, 110 Abs 2 AußStrG; Art 11 Abs 3 Brüssel IIa-VO; Art 11 HKÜ), fehlt es der Rechtsfrage an der von § 62 Abs 1 AußStrG geforderten Qualität.
2. Dies gilt auch für die im Revisionsrekurs erörterten Fragen, wobei sich die Antragsgegnerin nicht einmal bemüht, deren Erheblichkeit im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.
Lediglich der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Revisionsrekurs nunmehr die Auffassung der Vorinstanzen teilt, wonach selbst bei alleiniger Obsorge der Mutter für den gemeinsamen Sohn David diese nach slowakischem Recht (§ 35 des slowakischen Familiengesetzes Nr 36/2005) Wohnsitz für das Kind im Ausland nur nehmen darf, wenn entweder der Vater oder das Gericht dem zugestimmt haben. Da diese Voraussetzungen nach den Feststellungen der Vorinstanzen aber nicht gegeben waren, hat die Mutter das Kind widerrechtlich nach Österreich verbracht (vgl 2 Ob 596/91; Nademleinsky, EF-Z 2009, 72 [Entscheidungsanmerkung]; Gitschthaler aaO Rz 13).
Nach §§ 111a, 105 Abs 2 AußStrG hat eine Befragung des Kindes unter anderem zu unterbleiben, wenn eine überlegte Äußerung nicht zu erwarten ist. Dies ist bei Kindern regelmäßig bis zum Erreichen des 5. oder 6. Lebensjahres der Fall (vgl etwa Völkl‑Kernstock/Bein/Licpera/Friedrich, Evaluierung kinderpsychologischer Sachverständigengutachten aus der Sicht österreichischer Familienrichter, iFamZ 2006, 241; Beck, Kindschaftsrecht [2009] Rz 626/6; Barth/Gröger, Das Neue Kinderbeistands-Gesetz im Überblick, iFamZ 2010, 221 mwN; Gitschthaler aaO Rz 17; 6 Ob 2/11d EF-Z 2011/51 [Beck]). David war bei Beschlussfassung erster Instanz knapp fünf Jahre alt; die Ablehnung seiner Anhörung ist daher nicht zu beanstanden.
3. Mangels erheblicher Rechtsfragen war der Revisionsrekurs somit zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 111a, 107 Abs 5 AußStrG.
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