OGH 6Ob610/92

OGH6Ob610/9229.10.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Redl, Dr.Kellner und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** Kommanditgesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Reinisch, Rechtsanwalt in Bad Radkersburg, wider die beklagte Partei S***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Erich Portschy, Rechtsanwalt in Feldbach, wegen 124.704 S sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 16.Juni 1992, GZ 1 R 22/92-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 18.November 1991, GZ 10 Cg 174/90-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 13.200,60 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 2.200,10 S Umsatzsteuer) und die mit 18.789,60 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.131,60 S Umsatzsteuer und 12.000 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Text

Entscheidungsgründe:

Eine Transportgesellschaft mbH, über deren Vermögen am 12.März 1990 der Konkurs eröffnet wurde (folgend Gemeinschuldnerin), bestellte im Oktober 1989 für ihren Fuhrpark beim klagenden Reifenhandelsunternehmen unter anderem 20 Lkw-Reifen Marke Michelin (folgend Michelin-Reifen) um 124.704 S und (wegen Nichtlieferung derselben binnen zwei Wochen) am 30.Oktober 1989 beim beklagten Reifenhandelsunternehmen 20 Lkw-Reifen um 107.356,80 S. Bei Lieferung der 20 Michelin-Reifen durch die klagende Partei an die Gemeinschuldnerin unter einfachem Eigentumsvorbehalt am 6.November 1989 waren die von der beklagten Partei gelieferten Reifen bereits (an einem Lkw der Gemeinschuldnerin) montiert. Die Gemeinschuldnerin deponierte daher die 20 Michelin-Reifen der klagenden Partei vorerst in ihrem Lager und bezahlte sie nicht. Als daraufhin die klagende Partei ihre Reifen abholen wollte, teilte ihr der damalige Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin (zutreffend) mit, daß diese 20 Michelin-Reifen aufgrund mündlicher Vereinbarung an die beklagte Partei "verliehen" worden seien, damit diese einem Kunden diese gewünschte Reifentype liefern könne. Bedungen war, daß die beklagte Partei Ersatzreifen gleicher Type besorge und an die Gemeinschuldnerin zurückstelle. Als sich die klagende Partei an die beklagte Partei wandte, erfuhr sie dort, daß die beklagte Partei die ihr von der Gemeinschuldnerin vorerst "geliehenen" 20 Michelin-Reifen am 31.Jänner 1990 gekauft und an einen Kunden weiterverkauft habe. Die 20 Michelin-Reifen befinden sich unbestritten nicht mehr im Besitz der beklagten Partei.

Die beklagte Partei kompensierte gegenüber der Gemeinschuldnerin den Kaufpreis für die von ihr an die Gemeinschuldnerin gelieferten Reifen von 107.356,80 S mit dem am 31.Jänner 1990 fakturierten Kaufpreis für die (von der klagenden Partei stammenden) 20 Michelin-Reifen von

124.704 S. Vertreter der beklagten Partei und der Gemeinschuldnerin sprachen nicht darüber, ob letztere die 20 Michelin-Reifen von der klagenden Partei ordnungsgemäß erworben habe bzw. die beklagte Partei Eigentümerin der Reifen sei. Der mit dem Kauf befaßte Vertreter der beklagten Partei erkundigte sich beim Erwerb der 20 Michelin-Reifen weder über einen allfälligen Eigentumsvorbehalt noch über die Bezahlung der Reifen und nahm auch nicht Einsicht in die Geschäftsbücher der Gemeinschuldnerin, Eigentumsvorbehaltsklauseln befanden sich sowohl auf dem Bestell- und Lieferscheinformular und dem Mahnschreiben der klagenden Partei als auch auf der Rechnung der beklagten Partei über die Ersatzlieferung an die Gemeinschuldnerin.

Die klagende Partei begehrt von der beklagten Partei die Bezahlung des der Höhe nach unstrittigen Betrages von 124.704 S samt zuletzt 10 % Zinsen p.a. mit dem wesentlichen Vorbringen, die beklagte Partei habe die der Gemeinschuldnerin von der klagenden Partei unter Eigentumsvorbehalt gelieferten 20 Michelin-Reifen nicht gutgläubig erworben; der Verkauf von Reifen habe nicht zum Geschäftsbetrieb der Gemeinschuldnerin gehört. Organe oder Angestellte der beklagten Partei hätten in die von der klagenden Partei an die Gemeinschuldnerin gerichteten Rechnungen Einsicht nehmen müssen und in diesem Fall den Eigentumsvorbehalt ebenso erkannt wie die Tatsache, daß die klagende Partei mangels Zahlung durch die Gemeinschuldnerin noch Eigentümerin der 20 Michelin-Reifen sei.

Die beklagte Partei wendet im wesentlichen ein, anläßlich der Übernahme der 20 Michelin-Reifen und der Ausstellung der Rechnung nicht schlechtgläubig gewesen zu sein. Die von der Gemeinschuldnerin ausgestellte Faktura habe sie durch Aufrechnung mit einer Gegenforderung bezahlt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte (im Rahmen seiner Beweiswürdigung) noch fest, daß die beklagte Partei aufgrund ihrer ständigen Geschäftsbeziehung mit der klagenden Partei über deren Usus, sich das Eigentum an gelieferten Waren bis zur vollständigen Kaufpreiszahlung vorzubehalten, Bescheid habe wissen müssen. Rechtlich folgerte die erste Instanz, daß die beklagte Partei beim Erwerb der 20 Michelin-Reifen nicht gutgläubig gewesen sei. Sie hätte sich von der Gemeinschuldnerin die Rechnungen zur Prüfung ihrer Bezahlung vorlegen lassen müssen.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab; die ordentliche Revision ließ es nicht zu. Rechtlich ging die zweite Instanz, die die erstgerichtlichen Feststellungen als in Wahrheit unbekämpft billigte, im wesentlichen von folgenden Erwägungen aus: Nach den übereinstimmenden Ausführungen in den Rechtsmittelschriften sei in Ansehung der 20 Michelin-Reifen ein Sachdarlehensvertrag zwischen der Gemeinschuldnerin und der beklagten Partei geschlossen worden. Durch diesen Sachdarlehensvertrag sei die beklagte Partei Eigentümerin der Reifen geworden und sei daher befugt gewesen, diese Reifen an einen Kunden zu verkaufen. Der erst danach geschlossene Kaufvertrag als beiderseitiges Handelsgeschäft hätte der beklagten Partei keinen Anspruch auf Übereignung der ihr bereits vorher darlehensweise übergebenen Reifen verschaffen können. § 366 Abs. 1 HGB sei daher nicht heranzuziehen. Die Eigentumsklage wäre, falls sich die 20 Michelin-Reifen in der Gewahrsame der beklagten Partei befänden, erfolglos, sodaß die Wertersatzklage abzuweisen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei ist zulässig und berechtigt.

Zum Kaufvertrag der klagenden Partei mit der Gemeinschuldnerin über 20 Michelin-Reifen, somit über bewegliche Sachen, bestand als zulässige Nebenabrede ein sogenannter einfacher Eigentumsvorbehalt; trotz Übergabe der Kaufsache sollte das Eigentum bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises bei der klagenden Verkäuferin verbleiben und die Eigentumsübertragung an die gemeinschuldnerische Käuferin unter der aufschiebenden - hier nie eingetretenen - Bedingung der Kaufpreiszahlung erfolgen (JBl. 1991, 378 = RdW 1991, 11; SZ 48/89, SZ 45/18 uva; Aicher in Rummel2, Rz 24 zu § 1063 ABGB).

Das aufgrund mündlicher Vereinbarung erfolgte "Ausleihen" von 20 Michelin-Reifen durch die beklagte Partei bei der Gemeinschuldnerin unter der Abrede, Ersatzreifen gleicher Type zurückzustellen, stellt einen Sachdarlehensvertrag über verbrauchbare - gemeint vertretbare (Schubert in Rummel2, Rz 1 zu §§ 983, 984 ABGB, Koziol-Welser, Grundriß9 I 358) - Sachen dar. § 1461 ABGB nennt auch das Darlehen als tauglichen Titel zum Eigentumserwerb. Die Darlehensvaluta wird mit ihrer Übergabe an den Darlehensnehmer dessen Eigentum (EvBl. 1972/19; SZ 38/223; HS 9.321/3; Schubert aaO Rz 2; Binder in Schwimann, Rz 1 zu § 983 ABGB; Koziol-Welser aaO 359). Der Darlehensnehmer einer verbrauchbaren Sache wird aber nicht unabhängig von der Rechtsstellung des Darlehensgebers als seines Vormannes Eigentümer, sondern es gilt auch hier die Bestimmung des § 442 letzter Satz ABGB, daß niemand einem anderen mehr Recht abtreten kann, als er selbst hat. Durchbrochen ist dieser Grundsatz, soweit hier relevant, bei den Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten (Spielbüchler in Rummel2, Rz 2 zu § 442 ABGB, vgl. auch Stanzl in Klang2 IV/2 695). Da hier die Gemeinschuldnerin infolge des bedungenen einfachen Eigentumsvorbehaltes der klagenden Partei und mangels Zahlung des Kaufpreises für die 20 Michelin-Reifen nicht deren Eigentümerin war, konnte die beklagte Partei von der Gemeinschuldnerin auch bei einem Sachdarlehensvertrag Eigentum nur analog §§ 367 f ABGB bzw § 366 HGB erwerben (vgl. Stanzl aaO). Wenn der hier beklagte Sachdarlehensnehmer nicht Eigentum erwarb, war der Sachdarlehensvertrag nicht zustande gekommen (EvBl. 1972/19 u.a.; Schubert aaO Rz 2 mwN; Stanzl aaO), sodaß die Frage nach dem Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten auf jeden Fall zu stellen ist.

Infolge der Formkaufmannseigenschaft der Gemeinschuldnerin und der beklagten Partei iS des § 61 Abs 3 GmbHG, § 6 Abs. 1 HGB sind sowohl der Sachdarlehens- als auch der zeitlich nachfolgende Kaufvertrag über die 20 Michelin-Reifen Handelsgeschäfte. Veräußert ein Kaufmann im Betrieb seines Handelsgewerbes eine bewegliche Sache, so wird das Eigentum auch dann erworben, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, daß der Erwerber beim Erwerb nicht in gutem Glauben ist. Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, daß die Sache dem Veräußerer nicht gehört oder daß der Veräußerer nicht befugt ist, über die Sache für den Eigentümer zu verfügen (§ 366 Abs 1 HGB). Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, ist von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Nach ständiger Rechtsprechung handelt der Erwerber von Waren, die üblicherweise unter Eigentumsvorbehalt verkauft werden, grob fahrlässig, wenn er keine besonderen Nachforschungen über die Verfügungsbefugnis des Verkäufers trifft (JBl. 1986, 235; HS X, XI/19, IX/12, VII/41; Schuhmacher in Straube, Rz 10 f zu § 366 HGB mwN). Der gleiche Sorgfaltsmaßstab hat auch für den Sachdarlehensvertrag zu gelten, da es den Wertungen der Rechtsordnung widersprechen würde, für den Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten für die möglichen Erwerbsarten unterschiedliche Sorgfaltsmaßstäbe aufzustellen. Da die beklagte Partei, die aufgrund ständiger Geschäftsbeziehung mit der klagenden Partei wissen mußte, daß diese Waren nur unter Eigentumsvorbehalt verkauft, weder bei Abschluß des Sachdarlehens- noch des Kaufvertrages bei ihrer Vertragspartnerin, der Gemeinschuldnerin, über deren Eigentum an den 20 Michelin-Reifen keinerlei weitere, durchaus zumutbare Nachforschungen anstellte, sich im besonderen keine Urkunden wie Rechnungen, Zahlungsbelege etc. vorlegen ließ, handelte sie, wie das Erstgericht zutreffend erkannte, nicht im guten Glauben (JBl. 1991, 378; JBl. 1986, 234, jeweils mwN u.a.), weil ihr infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, daß die 20 Michelin-Reifen dem Sachdarlehensgeber bzw. späteren Verkäufer nicht gehörten. Daß pflichtgemäße Nachforschungen keinen Erfolg gehabt hätten, ist nach den Beweisergebnissen auszuschließen. Dafür, daß die beklagte Partei eine Verfügungsermächtigung der Gemeinschuldnerin ohne grobe Fahrlässigkeit annehmen durfte (SZ 60/120 = JBl. 1988, 314 mit Anm von Czermak u.a.), fehlen hier die tatsächlichen Voraussetzungen.

Die beklagte Partei konnte somit nach § 366 Abs 1 HGB nicht Eigentum an den 20 Michelin-Reifen erwerben. Daß die Gemeinschuldnerin als Transportunternehmen nicht ein "zu diesem Verkehre", somit nach Gewerberecht zum Reifenhandel befugter Gewerbsmann iS des § 367 ABGB war, ist unbestritten. Die Interessenklage der klagenden Eigentümerin, womit ein Surrogat des dinglichen Rechtes verfolgt wird (JBl. 1991, 378), wegen Nichterfüllung der Rückstellungspflicht in Ansehung der von der beklagten Partei weiterverkauften und nicht mehr in ihrem Besitz befindlichen 20 Michelin-Reifen ist daher berechtigt und demgemäß das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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